Blaise Pascal über Unglück

  • Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, daß sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.

Blaise Pascal

französischer Mathematiker, Physiker und Philosoph

* 19.06.1623 Clermont-Ferrand, Auvergne (Frankreich)
† 19.08.1662 Paris (Frankreich)

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Es gibt Zitate, die erschließen sich nicht durch das Lesen der Worte allein. Da sind Gedanken gefragt, die sich zu Assoziationsketten zusammenfügen müssen, bevor der Sinn sich klärt. Auch Pascals Spruch über das ganze Unglück der Menschen gehört dazu. Wäre des Menschen Unglück allein auf den scheinbar dort behaupteten Fakt zurückzuführen, würden wohl viele Fragezeichen auftauchen, was die Masse der sonstigen Unglücke und ihren oft unvergleichlichen Hintergrund angeht. Das Offenbare kann es also nicht sein, was Blaise Pascal damit im Sinn hatte.

Man kann sich Gedanken darüber machen, was Pascal mit dem Begriff des Unglücks in diesem Zusammenhang meint. Auszuschließen ist mit ziemlicher Sicherheit, dass der damit einen Verkehrsunfall meinte oder einen Absturz von einer Klettertour – oder das Pech, im Krieg erschossen zu werden. Auch das Unglück, ein Verbrechensopfer zu werden, wird er wohl kaum in seinen Gedanken bei diesem Spruch bewegt haben. Obschon, wenn man es wörtlich nähme, konstatieren muss: Wer ruhig in seinem Zimmer bleibt, wird in aller Regel beispielsweise nicht zugleich auch von einem Berg abstürzen können. Doch die Wirklichkeit zeigt, dass er durchaus von Einbrechern auch in seinem Zimmer heimgesucht werden kann – oder ein Auto, wie schon öfter geschehen, mit hoher Geschwindigkeit tatsächlich in ein Zimmer eines Hauses rast und dabei durch die Hauswände bricht.

Das nur als kleine gedankliche Alternative zu dem, was er gewiss aber nicht meinte.

Pascal zielt auf die innere Unruhe vieler Menschen ab. Jene Disharmonie, die dazu führt, dass man sich selbst oft nicht aushält. Man muss sich ablenken und sucht sich dazu gern das Außen aus. Dort, wo etwas los ist, wo sich andere Menschen befinden, wo man in Aktion treten kann. Das konnte man zu seinen Zeiten im ruhigen Zimmer alleine nicht. Heute ist diese Metapher insofern schon wieder nur bedingt richtig, als man auch im kleinsten Kabuff sich mit der ganzen Welt online verbinden kann und keineswegs mehr das physische Außen braucht, um in Kontakt zu treten.

Doch der Kerngedanke Pascals gilt auch in modernen Zeiten noch immer. Denn wer sich hochaktiv im Internet im ruhigen Zimmer mit der Welt verbindet, befindet sich häufig ebenfalls nicht in jener ruhigen Harmonie mit sich selbst, die Pascal vorschwebt.

Die gestörten Gleichgewichte von Unruhe und Ruhe

Was aber entsteht aus der inneren Unruhe? Der französische Mathematiker, Physiker und Religionsphilosoph aus dem 17. Jahrhundert beschreibt es als: Unglück. Der Mensch selbst kennt die schöpferische Unruhe und die nervlich-belastete Unruhe. Das sind verschiedene Qualitäten. Während die schöpferische Unruhe im Menschen eine befeuernde Wirkung hat und das Lebendige und Neue durch kreative Prozesse in die Welt stellt, macht uns die nervöse Unruhe krank oder missmutig und schlecht gestimmt. Sie ist wie eine Art leichtes oder schwereres Fieber auf der Seelenebene. Während solcher Stunden sind wir zappelig oder apathisch, lustlos oder auch depressiv. Nichts will gelingen, sofern man überhaupt noch etwas versucht. Versucht man es trotzdem, wird es vielleicht Murks oder erzürnt uns in seinem miserablen Ergebnis. Hier fehlt eben jene innere Freude, die in der schöpferischen Unruhe in aller Regel vorhanden ist.

Verbindet sich der Mensch mit seinem Herzblut mit der Sache, die er tut und die er liebt, dann stellt sich Ruhe ein.

Noch größer jedoch ist die Kunst, die Pascal anspricht. Jene gesunde, harmonische Ruhe allein im ruhigen Zimmer zu finden – ohne dabei in Aktivitäten verfallen zu müssen – selbst ohne sich mit einer fremden Sache zu verbinden, sondern nur mit sich alleine. Zum eigenen inneren Kern zu kommen und dabei Frieden und Beglückung zu finden, gelingt bisher eher wenigen Menschen. Warum das so ist, ist schnell beantwortet: Den meisten Menschen fehlt es sowohl an genügender Selbstakzeptanz, wie auch genügend Selbstliebe, um sich selbst auch voll zu genügen. Mit Egoismus, gar Egomanie hat diese tiefe Verbindung mit und zu sich selbst nichts zu tun – sondern im Gegenteil, es ist ein zutiefst spiritueller Kraftakt, der dann leicht und schwerelos wird, wenn man zu seinem inneren Wesen durchgedrungen ist.

Was das genau ist und meint, und wie es sich anfühlt, ist für all jene, die es noch nicht erlebt haben, schwer zu beschreiben. Es sind individuelle Prozesse, die sich vollziehen und es nicht möglich machen, diese Einzigartigkeit in einer allgemeinen Beschreibungsfloskel einzukerkern.

Menschen, die mit sich selbst und auch mit der Welt im Reinen sind, vermögen das, was Pascal den meisten Menschen noch nicht zutraut. Und wem es fehlt, der steht noch im Unglück der inneren Unruhe, die, so darf man aber beruhigen, auch eine Frage von Zeit und Entwicklung, und damit nur vorübergehend ist.

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