Ellen Key über Konservatismus
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Alle wertvollen Gefühle - für einen Menschen wie für einen Glauben, eine Scholle, ein Land - sind konservativ.
Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat
Bezeichnet man heute Menschen als konservativ, so fühlt sich so manch einer beleidigt. Denn wer gibt schon gerne zu, an überlieferten gesellschaftlichen Strukturen festhalten zu wollen, wenn die Moderne Neues verlangt. Wer hängt noch an traditionellen überkommenen Werten, wenn die globale Welt ganz andere Zeitmoden favorisiert.
Spricht man jedoch von wertkonservativ, dann finden sich schon viel mehr Menschen bereit, diese Eigenschaft auch vertreten zu können. Denn hier kommt ein politisches Schlagwort ins Spiel, das sich für die Bewahrung der Natur einsetzt, für eine humane und solidarische Gemeinschaft, wie auch für die Würde des Einzelnen, die zu achten und zu ehren ist. Der SPD-Politiker Erhard Eppler prägte seinerzeit den Begriff des Wertkonservatismus, der die positiven, bewährten vorherrschenden Wertvorstellungen bewahren will. Hier soll das Bewährte in die Zukunft hinein gerettet werden.
Nun spricht die schwedische Reformpädagogin und Schriftstellerin Ellen Key davon, dass vor allem aber alle wertvollen Gefühle konservativ sind. Hier geht es nicht um Politik, sondern um das Lebensgefühl eines jeden Menschen.
Der Mensch gliedert bewusst oder unbewusst seine Gefühle aufgrund von gemachten Erfahrungen auf. Dazu gehören gute und schlechte Erfahrungen, Schmerzhaftes oder Betrug, Glück oder all die vielen Arten von Freuden, die wir erleben können.
Erleben wir nun Zustände, die uns glücklich oder zufrieden machen, haben wir das Bedürfnis zur Wiederholung. Denn wir wissen, dass solche schönen Gefühle oft nur kurze Zeiten oder Momente andauern. Dauerhaftigkeit ist ihnen in der Regel nicht beschert. Was also ist zu tun, um diese Gefühle neu zu erleben? Gefühle, die uns in Hochstimmung versetzen, uns Kraft geben und Motivation und uns frohgemut und positiv ins Leben schauen lassen?
Wir müssen uns selbst immer wieder neu Zustände herbeiführen, aufgrund derer sich diese als wertvoll empfundenen Gefühle wiederholen können. Wir müssen also auf etwas Hergebrachtem aufbauen, das uns wieder neu zum Glück führt. Konservativ bedeutet im Kern des Wortstammes nichts anderes als das Althergebrachte zu bewahren.
Von der Sehnsucht aller Menschen
Nicht alles, was alt und gut war, ist auch auf Dauer bewährt. Alles hat seine Zeit, was bedeutet, dass die Zeit für vieles auch irgendwann abgelaufen ist. Nicht nur die Dinge und Ereignisse verändern sich, sondern auch die Menschen und ihre neuen Bedürfnisse. Was aber unveränderlich bis heute gilt, ist die Tatsache, dass Menschen Glück und Leid empfinden können.
Das Leid versuchen wir, sofern es uns gelingt, zu meiden oder zu minimieren. Wenn wir da auf die Erfahrung früherer Erlebnisse zurückgreifen und unsere eigenen Fehler klar analysieren, kann es funktionieren. Ähnliches kann uns aber auch mit den Erlebnissen von Glück, Freude oder Frieden passieren.
Fast jeder Mensch dürfte in seinem Leben Momente des Glücks schon erfahren haben. Das meint jene Augenblicke, wo die Gefühle im Einklang mit den eigenen Sehnsüchten standen, wo Harmonie und Wohlgefühl uns so stark dominierten, das wir ein Verlangen nach mehr davon entwickelten.
Da alles, was geschieht, einem ewigen Fluss der Veränderung unterliegt, lassen sich diese Gefühle aber nicht derart konservieren, wie wir es mit Lebensmitteln vermögen, die wir bei Bedarf später öffnen und genießen können. Aber sie lassen sich erinnern. Und daran können wir anknüpfen, wenn wir sie in neuer Form wiederholen möchten. Sie sind konservativ, weil sie aus dem Althergebrachten unserer Erfahrung stammen. Hierbei handelt es sich um Ereignisse, die keiner Zeitmode folgten, sondern dem Bedürfnis nach Nähe, Wärme, Wohlgefühl und Liebe.
Den Frieden unserer Seele finden wir nur, wenn wir die Voraussetzungen für die wertvollsten Gefühle außerhalb von Zeitströmungen suchen. Wir können uns dabei an unsere emotionale Urheimat anschließen, die ein jeder ein wenig anders benennt. Manche verorten sie in religiöse Sphären und nennen Gott oder in ihren Glauben. Andere mögen ihnen eine spirituelle Dimension zuordnen oder wieder andere der Schöpfung an sich oder die geistig-emotionale Struktur des Menschen, wer immer sie geschaffen hat.
Wenn man von konservativ im Zusammenhang mit wertvollen Gefühlen spricht, sind die all die vielen möglichen Synonyme von Rückschrittlichkeit, Bürgerlichkeit oder Unzeitgemäßheit fehl am Platze, weil es das Existenzielle im Menschen betrifft, das über den Zeiten steht.
Ob man selbst politisch reaktionär, linksliberal, kommunistisch, atheistisch, bourgeois, gutbürgerlich oder großbürgerlich sein mag, spielt keine Rolle im Grundbedürfnis nach wertvollen Gefühlen, nach denen sich alle Menschen sehnen und von denen uns Ellen Key spricht.