Friedrich Wilhelm Nietzsche über Schwierigkeiten

  • Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.

Friedrich Wilhelm Nietzsche

deutscher Philosoph

* 15.10.1844 Röcken bei Lützen in Sachsen
† 25.08.1900 Weimar

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Menschen, die sich anstrengen und Risiken nicht scheuen, erleben immer wieder dennoch ihre eigene Grenze. Die Grenzen können den physischen Teil des Menschen betreffen oder die Fragen von Intelligenz, Wissen und Weisheit oder auch die seelische Befindlichkeit, wo wir beispielsweise an Angstgrenzen kommen können.

Manch einer sucht diese persönliche Grenze auf irgendeinem dieser Gebiete bewusst, gezielt und gewollt auf, um an ihr sein Scheitern oder seine eigene Erweiterung zu erfahren. Dort, wo er scheitert, wartet vielleicht das Desaster auf ihn – oder gar der Tod. Dies ist seine letzte Grenze, die er als Mensch aufsuchen kann.

Den Zaghaften, Ängstlichen und Zögerlichen ist dieser Mut der bewussten und gewollten Grenzsuche meist nicht gegeben. Sie vermeiden die Gefahren und Risiken, weil ihr Nervensystem, ihr Körper oder ihre Seele sich solch einem Tun nicht gewachsen fühlen. Jedenfalls nicht, insofern sie es sich freiwillig selbst zumuten sollen.

Dennoch wird so mancher von ihnen hin und wieder trotzdem an diese Grenze geführt. Es muss ja auch nicht immer gleich eine physische Todesgrenze sein, sondern kann viele Bereiche des Lebens umfassen. Beispielsweise den Mut, sich der Obrigkeit oder dem Vorgesetzten zu widersetzen. Oder einen anderen Menschen spontan aus einer Lebensgefahr zu retten, in die man dann auch selbst hineingerät und trotzdem die Rettung wagt. Oder den Mut für eine besondere Aktion, die einem selbst ganz lebensfremd ist und Angst bereitet, aber sie dennoch deshalb gewagt wird, weil es mit vielleicht ja mit einem idealistischen Ziel verbunden ist. Beispielsweise bedeutet es für einen Schüchternen, trotz seiner großen Angst einen öffentlichen Auftritt zu wagen, weil sein Wort nun gehört werden soll, auch wenn er sich lieber verkriechen möchte. Oder für den Schwachen bedeutet es, sich in ein physisches oder mentales Kräftemessen begeben zu müssen, das nun alles von ihm abverlangt.

Gemeinsam ist allen Grenzen, dass sie denjenigen, der schicksalhaft oder gewollt in ihre Nähe kommt, zu überfordern scheinen. Grenzen, die man lieber meidet, weil der Ausgang völlig ungewiss ist, wenn man sich ihnen zu sehr nähert.

Der Unterschied zwischen Mut und Tollkühnheit

Doch es gibt noch eine weitere Seite der Medaille. Das bezeugen all jene zahllosen Menschen, die an der Grenze über sich hinauswachsen. Trotz Gefahr und unwägbaren Risiken sterben sie nicht, sondern erweitern sich in ihrer Persönlichkeitsstruktur. Was sie nicht umbrachte, erfahren sie nun als Stärkung. Dies kann sich auf das Selbstbewusstsein beziehen, aber auch auf die Stärkung von Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung oder Reaktionsvermögen im richtigen Augenblick.. Manchen mag diese Grenzerfahrung wie eine Art Neugeburt mitten im Leben vorkommen, die nun das eigene Sein radikal wenden kann.

Aus dem Ängstlichen schält sich dann plötzlich der Mutige hervor. Vielleicht sogar ein Mutiger wider Willen, der vom Schicksal selbst erst an diese Grenze heran geschleift werden musste, um sie dann aber auch zu überschreiten, ohne dabei umzukommen.

Mut ist oft auch eine Frage des Augenblicks oder des passenden Momentes, den wir keinesfalls immer willentlich steuern können. Oft ereignet sich etwas so unmittelbar und unverhofft, dass es nicht mehr allein unser bewusster Wille ist, der nun ins Handeln kommt, sondern vielmehr ein scheinbarer innerer Automatismus, von dem wir nicht einmal ahnten, wo er herkommt und wie stark er in uns wohnt. Dann tun wir vielleicht Dinge, die wir uns selbst niemals zugetraut hätten, wären wir nicht in diese unverhoffte Situation gekommen. Lebensretter aller Art wissen darüber aus Erfahrung viel zu erzählen.

Wo jedoch Mut anfängt und wo sie in Tollkühnheit überzugehen droht, ist eine Frage, die jeder nur für sich selbst beantworten kann. Dort wo sie gesprengt wird, kann der Mut zu einer übersteigerten und vernunftwidrigen Tat werden. Das Maß des rational Sinnvollen wird ausgehebelt. Allerdings gibt es auch Gefahrenmomente, wo es genau diese Eigenschaft braucht, um das Schlimmste abzuwenden.

Oft steckt hinter scheinbarem Mut auch der Mut der Verzweiflung. Eine bewusste oder unbewusste Sehnsucht nach dem Tod, den man in solchen Fällen eher leichtfertig in Kauf nimmt – aus welchen individuellen Motiven auch immer. Tollkühnheit ist also von Mut strikt zu unterscheiden, wiewohl die Grenze fließend sein und von Dritten oft auch nicht beurteilt werden kann.

Die volle Härte der Wahrheit

Nietzsche hat uns mit diesem Aphorismus eine harte Wahrheit hinterlassen und er hat – zumeist – Recht damit: Was uns nicht umbringt, macht uns deshalb stärker, weil wir bei diesem Grenzgang erleben können, dass in uns selbst ein noch viel höheres Potenzial steckt, als wir selbst bisher annahmen.

Ausnahmen jedoch gibt es, die nicht verschwiegen werden dürfen. Es handelt sich um die Traumatisierungen. Denn es gibt schon eine ganze Reihe schwerwiegender Erlebnisse, die uns keineswegs physisch umbringen, aber uns dennoch das Leben infolge der Erlebnisse unerträglich machen können. In solchen Fällen ist mit einer Grenzerweiterung nicht nur nichts gewonnen, sondern die vorherige Grenze wird in der Seele des Menschen nun noch viel enger gezogen werden müssen. Überall dort, wo die Belastung zur Überlastung führt, die der Mensch nicht mehr erträgt und verarbeiten kann, obschon er sie seelisch überlebt, können sich Traumata ereignen.

Insofern ist es also ratsam, nicht nur die Tollkühnheit des gewollten Tuns vom Mut zu unterscheiden, wenn wir neue Grenzen in uns überwinden wollen, sondern wir müssen auch unterscheiden lernen, die Belastung von der Über-Belastung zu trennen. Denn die Überlastung ist das, was alles wieder zum kippen bringen kann – auch wenn es uns nicht direkt umbrachte, um an Nietzsche anzuknüpfen.

Die Evolution des Menschen war schon immer ein Kampf. Ein Kampf um Erweiterung und Verfeinerung aller Kräfte, die in uns wohnen und sich ebenfalls weiterentwickeln wollen. Ob und wo es eine letzte Grenze gibt, ist noch nicht sicher ausgemacht, wenn wir sehen, wie die Steigerungen in allen Bereichen noch immer möglich sind. Das gilt nicht nur für die sportlichen Höchstleistungen, sondern auch für die des Geistes. Im Ethischen jedoch haben wir die Höchstleistungen als Menschheit wohl noch vor uns und sollten aufpassen, dass uns dieser Mangel am Ende nicht doch noch umbringt. Aber wo wenn nicht an der eigenen persönlichen Grenze wäre denn der Ort, wo wir sonst Grenzsprengungen wagen wollten?

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