Irma Holder über Lebensplanung

  • Später, wann ist das?

Irma Holder

deutsche Schlagertexterin

* 24.09.1925 Wald (Oberpfalz)
† 16.08.2019 Gärtringen

Gedanken von Tom Borg zum Zitat

Es war Winter 1973, im Jahr der großen Ölkrise, als eine zierliche Schweizerin in einem Schlager die Frage stellte: "Später, wann ist das?"

Es war die Zeit der ersten ganz großen Krise nach vielen Jahren des deutschen Wirtschaftswunders. Doch das war nicht der Hauptgrund für den Erfolg des Songs. Das Thema passte generell in die Zeit. Das Lied erzählt von einem, der sich (vermutlich) abrackerte und alle Freuden des Lebens später genießen wollte. Sie ließ ihn deshalb alleine - und das Lied endet mit dem Satz: "Später, das war zu spät gewesen." Er hat sein "Später" nicht mehr erlebt.

So erging es vielen, die nach dem Krieg in bester "schaffe, schaffe, Häusle baue" Manier sich abrackerten und sich eine Zukunft schufen, die sie dann im Rentenalter genießen wollten. Viele erreichten dieses Alter aber nicht mehr.

Damit stellt sich generell die Frage, wie viel "später" in unser Leben passt. Meine Eltern haben viele Jahre geschuftet, ein Haus gebaut und darauf vertraut, dass sie nach Abbezahlen der Schulden ein gemütliches und sorgenfreies Leben haben werden. Mein Vater war Lokführer, bekam gesundheitliche Probleme und nahm das Angebot der Frühpension an. Und von da an ging es bergab in unserer Familie. Waren die Jahre davor geprägt gewesen mit so viel Arbeit, dass es kaum Ablenkung gab, so fiel plötzlich auf, dass sie beide so sehr in ihrem jeweiligen Jetzt gefangen gewesen waren, um ein besseres Später zu schaffen, dass sie mit der nun verfügbaren gemeinsamen Zeit nichts mehr anzufangen wussten. Nach 34 Ehejahre folgte die Scheidung.

Nun ist das sicherlich keine Blaupause für andere Lebensläufe, aber es steht am Ende die Erkenntnis, dass zwei Menschen über 30 Jahre für eine gemeinsame spätere Zukunft gelebt und gearbeitet hatten, die sie dann nicht mehr bekamen. Viele Jahre hatten sie beide auf fast alles verzichtet, damit sie es später "aus dem Vollen" genießen können. Aber daraus wurde nichts.

Mach dir keine Sorgen, sei glücklich

Religiöse Kritiker werden sofort anmerken, dass weltliche Werte eben keine Bedeutung haben. Doch dem muss man entgegen halten, dass die reine "ora et labora" Lebensweise, die auch heute noch in einigen Entwicklungsländern wie beispielsweise den Philippinen anzutreffen ist, letztlich dazu führt, dass man außer "labora et ora" am Ende tatsächlich nichts anderes mehr hat. Die "alles egal" und "lebe jetzt" Mentalität der Philippiner beschert ihnen zweifelsohne ein aufregendes Leben, sie stehen unter Volldampf rund um die Uhr. Es bleibt ihnen aber auch nichts anderes übrig, denn wer immer zuerst feiert und dann schaut, wo etwas Essbares zu finden ist, der kommt zu nichts - im materiellen Sinne.

"Don't worry, be happy" - mach dir keine Sorgen, sei glücklich. Diese Formel funktioniert zweifelsohne, wenn man akzeptiert, dass ein einfaches Leben ein schönes Leben ist. Dem gewöhnlichen Philippiner bleibt letztlich nichts anderes übrig, er ist es so gewohnt; Kirche und auch politisch gesteuerte Schulen vermitteln diese Form des Lebens als die einzig selig machende. Sie leben im Jetzt und sorgen sich keine einzige Sekunde um das Später.

Als Europäer steht man daneben und fragt sich, wie sie das ihren Kindern antun können, denn natürlich haben auch diese kaum eine echte Chance auf ein besseres Leben. Doch genau in diesem Punkt widersprechen die Philippiner und erklären, dass sie bereits das beste denkbare Leben führen - sie sind am Morgen aufgewacht, sie haben zu essen, verbringen ihre Zeit mit der Familie, beten und arbeiten. Und den Luxus, den sie nicht haben, den vermissen sie nicht ernsthaft; mehr noch: sie wüssten ihn gar nicht zu schätzen. Über meine "spare für später" Mentalität können sie nur müde lächeln und bedauern mich Deppen, der immer für Später arbeitet anstatt voll im Jetzt zu leben.

Und es gibt Tage, da frage ich mich, ob sie nicht vielleicht doch recht haben. Vielleicht sollte ich auch jeden Tag so leben, als gäbe es kein Morgen. Doch dann sehe ich meine kleine Tochter, die genüsslich ihren hierzulande sündhaft teuren aber vitaminreichen Joghurt auslöffelt - und mache eine Überstunde für den Fall, dass Morgen doch kommt...

Vielleicht wird Später auch für mich zu spät sein. Aber Später wird die Zeit sein, in der meine Tochter die meiste Zeit ihres Lebens verbringen wird. Ich hoffe, sie kann das nutzen, was mir möglicherweise nicht mehr zu Teil wird. Aber, Später ist nicht immer zu spät - hoffe ich…

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