Joseph Joubert über Erfolg

  • Um in der Welt Erfolg zu haben, braucht man Tugenden, die beliebt, und Fehler, die gefürchtet machen.

Joseph Joubert

französischer Schriftsteller und Moralist

* 07.05.1754 Montignac, Dordogne (Frankreich)
† 04.05.1824 Villeneuve-sur-Yonne (Frankreich)

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Die Welt ist eitel und die Menschen wollen belogen werden. Wer Erfolg haben will, sollte nicht nur allein auf Glück setzen, das sich gern rar beim Menschen macht. Erfolg ruht zumeist auf vielen Säulen. Dazu gehören Tugenden und Talente, wiewohl unter gewissen Umständen zudem auch Raffinesse, Strategie, Pläne, Motivation oder spezielles Wissen, um nur einige möglicher Säulen zu nennen. Erst die geschickte Kombination dieser und weiterer Voraussetzungen bahnt den Weg zum Erfolg.

Der französische Schriftsteller und Moralist Josep Joubert hebt bei seinem Gedanken zum Thema Erfolg besonders die Tugenden heraus, die beliebt sind. Der Begriff der Tugend, der vom lateinischen virtus abstammt, meint das ›taugen‹ – also eine Tauglichkeit, eine Tüchtigkeit, gar eine Vorzüglichkeit. Damit ist man bei der Vorstellung einer vorbildlichen Haltung und einer geschätzten Eigenschaft. Im Grunde kann jede Fähigkeit, die ein anerkannt wertvolles Handeln vollbringen kann, als eine Tugend angesehen werden.

Tugenden hängen unmittelbar auch mit der Charakterausrichtung einer Person zusammen, die das sittlich Gute verwirklichen möchte. Wer dies vermag, dem gebührt Lob und Bewunderung, die dennoch nicht immer vom menschlichen Umfeld gegeben wird, weil nicht immer auch geschätzt und geehrt wird.

Zu gewissen Zeiten hatten bestimmte Tugenden einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft. Man denke dabei an jene Zeiten, wo die Tugend auch mit dem Begriff der Keuschheit verbunden war. Frauen hatten bis zur Ehe "ihre Tugend zu bewahren". Zu anderen Zeiten wiederum konnte mit dem Begriff der Tugend auch eine gewisse Scheinheiligkeit oder ein Pharisäertum verbunden sein. Die männlichen Tugenden zeichneten sich vor allem durch Tapferkeit und Ritterlichkeit aus und waren bei den Damen höchst angesehene Eigenschaften.

Wechselnde Tugenden im Zeitenlauf

Der Begriff der Tugend kam in den meisten Fällen mit einem moralischen Anspruch daher. Die Klugheit oder Weisheit, die Gerechtigkeit, die Tapferkeit und die Mäßigung galten seit dem Mittelalter als die vier klassischen Tugenden, die man auch die Kardinaltugenden nannte. Aristoteles nannte die Tugend den Weg zur Glückseligkeit, womit ein geglücktes Leben gemeint war. Zur Zeit von Hildegard von Bingen stellte man den sieben himmlischen Tugenden: Demut, Mildtätigkeit, Keuschheit, Geduld, Mäßigung, Wohlwollen und Fleiß auch die sieben Untugenden an die Seite, die die Seele des Menschen immer wieder zu dominieren drohten. Dazu gehörten der Hochmut, die Habgier, die Wollust, der Zorn, die Völlerei, der Neid und die Faulheit.

Im Laufe der Zeit wandelten sich immer wieder neu die Vorstellungen von dem, was die edlen Tugenden beinhalten mussten. Aus den angelsächsischen Heldenepen kannte man die Ehre, die Treue, den Mut, die Wahrheit, die Gastfreundschaft, die Selbstständigkeit, sowie Disziplin, Fleiß und Ausdauer. Sie bildeten im germanischen Neuheidentum den wichtigsten Kodex.

In Zeiten der Aufklärung kamen die Ordentlichkeit, die Sparsamkeit, der Fleiß, die Reinlichkeit und die Pünktlichkeit als bürgerliche Tugenden zum Kanon bevorzugter Eigenschaften hinzu, die man auch als wirtschaftliche Tugenden bezeichnete.

Später entwickelten sich auch die sozialen Tugenden, die Hingabe, Dankbarkeit, Staunen, Vergeben, Vertrauen und Aufrichtigkeit , die das Beziehungfeld zwischen den Menschen charakterisierte.

Im Buddhismus wiederum galten als sittliche Grundregeln, kein Lebewesen zu töten oder zu verletzen, nichts zu nehmen, was mir nicht gegeben wird, keine ausschweifenden sinnlichen Handlungen auszuüben, nicht zu lügen und wohlwollend zu sprechen und auch keine keine Substanzen zu konsumieren, die den Geist verwirren und das Bewusstsein trüben.

Der Tugenden gab es gar viele, die Menschen einsetzen konnten, um den anvisierten Erfolg in einer Sache oder Angelegenheit zu untermauern.

Joseph Joubert stellt jedoch in seiner Maxime noch auf eine andere Eigenschaft ab, die neben der Tugend den Erfolg untermauern soll: nämlich Fehler, die gefürchtet machen.

Fehler als Brücke zum Erfolg

Auch mit Charakterschwächen und Fehlern kann man zum Erfolg kommen, wie uns viele Beispiele aus der Realität lehren und auch schon Joseph Joubert frühzeitig analysierte. Umso mehr, je mehr man zugleich über Tugenden verfügt, für die man geachtet wird. Auf den ersten Blick mag dies ein Widerspruch sein, wenn man menschliche Unzulänglichkeit und Tugenden in einen gemeinsamen Topf wirft. Auf den zweiten Blick müssen wir aber sagen, dass der Mensch an sich eben auch ein sehr widersprüchliches Wesen ist. Das gilt sowohl für die Herrschenden wie auch für die Beherrschten. Die Welt wollte schon immer sehenden Auges betrogen werden und zeigt es uns bis zum heutigen Tag immer wieder neu.

Schon immer gab es in der Geschichte der Menschheit erfolgreiche Machthaber, die für ihren Erfolg genau dasjenige einsetzten, was wir eigentlich in anderen Zusammenhängen überhaupt nicht mögen. Raffinesse zum Beispiel. Oder ein Schuss Gewitztheit oder Gewieftheit, die hin und wieder mit einem Schmunzeln von Teilen der Gesellschaft mit getragen werden.

Oder ein Hang zu jener Form von Totalitarismus, der nicht nur furchteinflößend ist, sondern zugleich auch irgendwie ein Stück weit bewundert wird, weil er über eine besondere Kraft verfügt. Der Kraft der Verführung. Denn das (noch unerkannte) Böse kann bis zu einem bestimmten Punkt durchaus auch Reize wecken und Bewunderung auslösen. Dabei handelt es sich zunächst noch nicht um offensichtliche Teufeleien, sondern um etwas Sublimes, das dem Handeln des Verführers zugrunde liegt. Dann lassen Menschen plötzlich eine ganz andere Toleranz walten als die, die sie gemeinhin aufbringen. Hier wird eine gewisse Schläue und Durchtriebenheit zum Sport der Massen, der die bitteren Konsequenzen noch nicht durchschaut.

Man erinnere sich an all die historisch bekannten Führer, die zu großen Verführern wurden. Man bedenke, welche Massen Hitler zu begeistern wusste, die ihm dann blind folgten. Listige Reden, falsche Versprechen waren einige seiner Eigenschaften, für die er bewundert wurde und mit dem er die Massen in einen Strudel von Enthusiasmus und Leidenschaft zu bannen wusste.

Faszination der Verführung

Zahlreiche Herrscher, Diktatoren oder Revolutionsführer, deren Fehler und Schwächen dennoch zugleich Teile ihres großen Erfolges waren, bezeugen also, dass es nicht immer nur allein die Tugenden sind, die zum Erfolg führen.

Doch dieser Sieg war immer nur vorübergehend, wie die Wirklichkeit uns lehrt. Das Fundament, auf das sie ihn jeweils errichtet hatten, war ein brüchiges oder krankes. Ihr Einschmeicheln gelang mit oft mit kluger Taktik, aber Nachhaltigkeit oder Dauer war ihrem Erfolg nicht beschert.

Doch nicht nur in der Politik gibt es solche Gegenbeispiele, wie man durchaus auch mittels Fehler und Schwächen erfolgreich werden kann. Wir kennen es auch vom Sport – wie im Beispiel von der berüchtigten "Hand Gottes", die eine Fußball-Weltmeisterschaft 1986 entschied. Diego Maradona nahm seine Hand zu Hilfe, um ein irreguläres Tor zu erzielen. Reue zeigte er zunächst keine, sondern verwies darauf, dass es wohl die Hand Gottes gewesen sei… und ein wenig auch sein Kopf.

Oder man denke an Tricks in der Formel I-Meisterschaft nach der 2002 ausgegebenen Ferrari-Stall-Order: "Let Michael pass for the Championship". Michael Schumachers Partner aus dem eigenen Rennstall fuhr bis 100 Meter vor dem Ziel sein Rennen, dann legte er eine Vollbremsung ein, damit Michael Schumacher gewinnen konnte. Gezählt wurde dieser Sieg wie jeder andere auch. Er ging in Schumachers Rekorde ein. Alle Welt hatte den Satz am Fernsehen hören können. Gezählt hat trotzdem nur der Sieg für Schumacher. Sein Partner hingegen wird auch an der Zahl seiner eigenen Siege gemessen. Doch wie viele Siege hätte er mehr gehabt, wenn er hätte frei entscheiden können?

Auch so manche Eigenschaft und Geisteshaltung, die weltweit an Trumps politischem Auftreten missbilligt wird, führte ihn zum Erfolg bei seinen Anhängern und damit zum hohen Amt des amerikanischen Präsidenten, wie beispielsweise der Waffengebrauch in privaten Händen oder die Ausgrenzung der Mexikaner.

Faszination und Angst, Leidenschaft und Gefahr, Temperament, Schwärmerei oder Rausch können beste Zutaten sein, die in einer bestimmten Kombination sowohl mit Tugenden wie auch mit Charakterschwächen Erfolge im Außen garantieren können.

Insofern erkannte Joseph Joubert frühzeitig, dass es nicht nur allein die Tugenden sind, die einen Erfolg zu krönen wissen, was darauf hinweist, dass wir es bei der Gemengelage der Zutaten zum Erfolg mit einem alten menschlichen Phänomen zu tun haben.

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