Sprichwort über Zorn
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Geringer Leute Zorn
ist nicht wert ein Haferkorn.
Gedanken zum Zitat
Das Sprichwort »Geringer Leute Zorn ist nicht wert ein Haferkorn« spiegelt auf drastische Weise die Geringschätzung wider, mit der die Emotionen und Anliegen einfacher, machtloser Menschen oft behandelt wurden und zum Teil auch heute noch behandelt werden. Es sagt sinngemäß: Der Zorn der »geringen Leute«, also der sozial Schwachen, Armen oder gesellschaftlich Unbedeutenden, hat keinerlei Wert, kein Gewicht, er ist so unbedeutend wie ein einzelnes Haferkorn.
Historisch gesehen steht dieses Sprichwort in einer Reihe ähnlicher Redewendungen, die auf ein tief verwurzeltes Klassenbewusstsein und die soziale Ungleichheit vergangener Jahrhunderte verweisen. In einer Zeit, in der Macht, Einfluss und Ansehen in engem Zusammenhang mit Geburt, Besitz oder Stand standen, galt der Zorn von Menschen aus niederen Schichten als bedeutungslos, ja lästig. Wer keine gesellschaftliche Stellung oder politische Macht hatte, konnte noch so empört sein – es interessierte niemanden. Sein Zorn wurde nicht gehört, nicht beachtet, nicht gefürchtet.
In diesem Zusammenhang wird das Sprichwort zu einer zynischen Bestätigung bestehender Ungleichverhältnisse. Es sagt nicht nur, dass der Zorn gering geachtet wird, sondern bewertet ihn aktiv als wertlos. Ein Haferkorn, klein, billig, für sich allein fast nichts, steht hier sinnbildlich für völlige Bedeutungslosigkeit. Die Botschaft ist klar: Was ein einfacher Mensch empfindet, zählt nicht.
Auch in der Gegenwart wirkt diese Denkweise fort. Zwar sind viele Gesellschaften demokratischer und durchlässiger geworden, doch auch heute haben nicht alle Menschen die gleichen Möglichkeiten, ihren Zorn wirksam zu äußern. Wer über keinen Zugang zu Medien, Öffentlichkeit oder politischen Kanälen verfügt, läuft Gefahr, mit seinen Anliegen überhört zu werden. Der Protest der »Geringen« wird oft ignoriert bis er laut oder massenhaft wird. Erst wenn sich viele zusammenschließen, verändert sich die Wirkung: Dann wird aus dem »wertlosen Haferkorn« ein Feld, das man nicht mehr übersehen kann.