Christoph Martin Wieland erblickte in dem unfern der ehemaligen freien Reichsstadt Biberach gelegenen Dorfe Ober-Holzheim am 5. September 1733 das Licht der Welt. Sein Vater, Matthias, der dort eine Pfarrstelle bekleidete, doch bald nachher Prediger an der Marien-Magdalenenkirche zu Biberach ward, hatte die Jurisprudenz, der er sich anfangs gewidmet, später in Halle mit dem Studium der Theologie vertauscht. Er war ein eifriger Anhänger Spener's und des damals weit verbreiteten Pietismus geworden. Vorherrschend blieb in seinem Benehmen immer eine gewisse Abgemessenheit, ein feierlicher Ernst, den er von der priesterlichen Würde für unzertrennlich hielt. Seine Liebe zur Einsamkeit hatte zum Teil in seinen beschränkten Verhältnissen ihren Grund. Durch langwierige Prozesse seiner Mutter hatte er sein kleines Erbteil fast ganz eingebüßt. Mit gleicher Resignation, wie er, ertrug seine Gattin, eine geborene Kieke, die mannigfachen Entbehrungen, die ihres Mannes Lage zu fordern schien. Sie war eine stille, anspruchslose Hausfrau, die jede überflüssige Ausgabe zu vermeiden suchte. Mit inniger Liebe hing sie an ihrem Sohne, und diese Liebe verminderte sich nicht, als ihm noch ein Bruder geboren ward, der schon früh an Engbrüstigkeit litt, und bereits im Jünglingsalter starb.

Seiner Amme verdankte Wieland, wie er in späteren Jahren erzählte, seine große Liebe zur Reinlichkeit. Als ihm einst der Dreier, wofür er sich beim Gange in die Schule sein Frühstück kaufen sollte, zufällig aus der Hand fiel, konnte er sich nicht entschließen, die sehr beschmutzte Kupfermünze wieder aufzuheben. Er zog es vor, hungrig die Schule zu betreten. Ein gewisser Ernst, der ihn selbst bei seinen jugendlichen Spielen nie ganz verließ, blieb ihm in seinen Knabenjahren eigen. Von Natur war er schwächlich. Aber bei dem Unterricht, den ihm sein Vater schon im dritten Lebensjahre erteilte, entwickelten sich bald seine Geistesanlagen in reger Wissbegier, schneller Auffassungsgabe und einem trefflichen Gedächtnis. Er war noch sehr jung, als er, außer einer gründlichen Kenntnis des Lateinischen und Griechischen, auch in der Mathematik, Logik und Geschichte bedeutende Fortschritte gemacht hatte. Mit einer sehr regen Phantasie verband er Wärme und Innigkeit des Gefühls. Durch seine Gemütsanlagen, vielleicht auch durch das Beispiel seines Vaters neigte er sich früh zur religiösen Schwärmerei. Verändert ward diese Geistesrichtung durch das mit großem Eifer von ihm betriebene Studium der römischen und griechischen Klassiker. Die Lebensbeschreibungen der Helden im Cornelius Nepos begeisterten ihn.

Lebhaft regte sich seit seinem zwölften Jahre Wielands Gefühl für Poesie, noch ehe er den Virgil und Horaz gelesen hatte, die späterhin seine treuen Begleiter auf einsamen Spaziergängen wurden. Seine ersten poetischen Versuche waren lateinische Verse. Anakreon war sein Vorbild bei einem Gedicht von der Echo, dem er eine Ausdehnung von beinahe 600 Versen gab. Nicht viel kürzer war ein anderes Gedicht in Distichen, zu welchem ihm die bekannte Fabel von den Pygmäen den Stoff bot. Dies Gedicht war eigentlich eine Satire auf die sehr kleine Frau des Rektors an der Schule zu Biberach. In deutschen Versen wählte sich Wieland den durch sein „Irdisches Vergnügen in Gott“ gefeierten Dichter Brockes zum Muster. Von Gottsched, dem damaligem Tonangeber des guten Geschmacks, entfernte ihn sein sehr feines Gefühl für das wahre Schöne.

Nicht bloß der Form, auch dem Inhalt nach, blieb Brockes Wielands Vorbild in mehreren Cantaten und andern religiösen Dichtungen, die er zwischen seinem zwölften und dreizehnten Jahre schrieb. Auch einige Opern und Ballette fielen in jene Zeit. Seine Begeisterung für die Poesie hatte jedoch mit manchen Hindernissen zu kämpfen. Das väterliche Verbot, mit irgendetwas anderem, als wissenschaftlichen Gegenständen sich zu beschäftigen, nötigte ihn, früh aufzustehen, und die Morgenstunden zu seinen poetischen Arbeiten zu benutzen. Keins seiner dichterischen Versuche, ein Epos, „die Zerstörung Jerusalems“ betitelt, nicht ausgenommen, genügte ihm. In jugendlichem Unmut verbrannte Wieland die meisten seiner poetischen Versuche, und auch die wenigen, die seine Mutter gerettet hatte, traf späterhin ein gleiches Schicksal.

Wielands Gefühl für die Schönheiten der Natur ward früh geweckt durch die anmutigen Umgebungen der Stadt Biberach. Die Liebe zur Einsamkeit blieb ein vorherrschender Zug in seinem Charakter. Oft brachte er nicht bloß einen großen Teil des Tages, sondern auch manche Sommernacht in dem an der väterlichen Wohnung gelegenen Garten zu. In froher Erinnerung an seine Jugendzeit dichtete er später (1780) in seinem „Oberon“ die Verse: „Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen, den ersten Schmerz, die erste Lust empfand“ usw. In einem späteren Briefe an einen Freund gestand Wieland, dass sein Jugendleben in einer anmutigen Gegend großen Einfluss auf seine Bildung gehabt habe.

Sein vierzehntes Jahr hatte er kaum erreicht, als ihn sein Vater nach der bei Magdeburg gelegenen Lehranstalt Klosterbergen sandte. Unter dem Abt Steinmetz, dem damaligen Direktor jenes Instituts, war Wieland, bei dessen Hinneigung zum Pietismus, der Gefahr ausgesetzt, ein religiöser Schwärmer zu werden. Seine Liebe zur Einsamkeit fand in Klosterbergen neue Nahrung. Heilsam war ihm daher das mit besonderem Eifer betriebene Studium der neuern Sprachen. Im Französischen machte Wieland, ungeachtet eines sehr mittelmäßigen Lehrers, schnelle Fortschritte. Bald war er im Stande, ohne Hülfe eines Wörterbuchs, mehrere französische Schriftsteller zu lesen. Fontenelle, d'Argens und Voltaire waren seine Lieblinge, obschon der Letztere durch seinen Spott über religiöse Gegenstände Wielands Gefühl empörte. Er war durch diese Lektüre allmählich ein Skeptiker geworden. In einem philosophischen Aufsatze suchte er zu beweisen, dass das Universum, ohne einen Gott, aus ewigen Elementen sich habe bilden können. Die harten Vorwürfe, die ihn von seinem Lehrer wegen dieses Jugendproducts trafen, konnte nur Wielands tadelloses, rein sittliches Leben einigermaßen mildern. Er klagte jedoch sich selbst hart an wegen seiner Zweifel an der Existenz Gottes. In schlaflosen Nächten rang er sich die Hände fast wund, und vergoss bittere Tränen der Reue. Er war an seinem Glauben irre geworden, und fürchtete die Ewigkeit der Höllenstrafen.

Eine freiere Richtung nahm Wielands Geist, als er sich wieder den klassischen Studien zuwandte. Während seines zweijährigen Aufenthalts hatte er den Livius, Terenz, Horaz, Virgil und andere römische Autoren für sich gelesen. Auch einige griechische Schriftsteller wählte er zu seiner Lektüre. Den größten Einfluss auf seine Denk- und Sinnesart gewann Xenophon. In späteren Jahren erzählte Wieland, wie er sich damals an der Cyropädie nicht habe satt lesen können. Besonders gefiel ihm die Episode von „Araspes und Panthea,“ die er späterhin zum Stoff einer Dichtung wählte. Die „Denkwürdigkeiten des Sokrates“ galten ihm, nach seinem eignen Ausdruck, für „das Evangelium der Welterlösung.“ Eine ähnliche Richtung, wie sie Xenophon verfolgte, fand Wieland in dem Spectator, Tatler, Guardian und andern englischen Journalen, die ihm damals zufällig in die Hände gerieten.

Philosophische Studien, die er schon früh lieb gewonnen hatte, behielten noch immer einen lebhaften Reiz für ihn. Unter den Alten war Cicero sein Liebling. Das ernste Studium von Wolfs Schriften und von Bayles historisch-kritischem Wörterbuche vollendete Wielands philosophische Bildung. In späteren Jahren gestand er, dass er „durch eine poetische Manier, in den metaphysischen terris incognitis> herum zu vagieren,“ damals von einem System zum andern übergesprungen sei. Von diesem Schwanken befreite ihn einer seiner Lehrer, Räther mit Namen, der sich seiner wahrhaft väterlich annahm. Auch der Conventual Gräter machte sich vielfach um seine Geistesbildung verdient.

Wielands Fleiß während seines zweijährigen Aufenthalts in Klosterbergen war musterhaft. Neben seinen philologischen und philosophischen Studien betrieb er mit Eifer sein künftiges Berufsfach, die Theologie. Er fand noch Muße, sich im deutschen Stil zu üben, für den in den damaligen Lehranstalten wenig gesorgt war. Belehrend waren für ihn die zahlreichen Beispiele aus alten und neuern Schriftstellen in Breitinger's kritischer Dichtkunst. Auch durch das Lesen mancher kritischer Blätter suchte er sich zu bilden. Er fand darin reichen Stoff zum Vergleichen und Prüfen, nachdem er seine eignen poetischen Kräfte mehrfach versucht hatte.

Obgleich weniger produktiv, als früher, hatte Wielands Neigung zur Dichtkunst sich nicht vermindert. Anziehend waren für ihn, außer Gellert und Hagedorn, besonders Hallers Gedichte durch ihren philosophischen Inhalt und durch die Würde der Sprache. Verdrängt aber wurden jene Dichter, als Klopstock mit seinem „Messias“ hervortrat. Unbeschreiblich war Wielands Enthusiasmus, als er die ersten Gesänge jener Dichtung in den „Neuen Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes“ gelesen hatte. Er fand in jenen Gesängen volle Befriedigung für Geist und Herz, für seine Religiosität und für sein poetisches Gefühl.

Der Dichtkunst blieb Wieland auch in Erfurt treu. Auf den Wunsch seines Vaters hatte er sich 1749 in die genannte Stadt begeben. Er war damals sechszehn Jahre alt. Den größten Teil der poetischen Versuche, die in jener Zeit entstanden, verwarf Wieland wieder, oder ließ sie wenigstens unvollendet. Zu einem ziemlich langen Epos in Hexametern bot ihm die griechische Mythologie den Stoff. Unter solchen Beschäftigungen führte er auch in Erfurt ein einsames Leben. Der Mangel eines Jugendfreundes nötigte ihn, sich an ältere Personen anzuschließen, zu denen ihn der Ernst seines Wesens ohnedies hinzog.

Einen väterlichen Freund fand er in Erfurt an dem mit seiner Familie verwandten Dr. Baumer, der später eine Professur der Medizin und Chemie in Gießen erhielt, und dort als Hessen-Darmstädtischer Bergrath starb. Seine Kenntnisse in der Philosophie zu berichtigen und zu erweitern, war die Hauptaufgabe, die Wieland in Erfurt sich stellte. Baumers logische Vorlesungen und ein Privatissimum über die Wolfische Philosophie gaben seinem Geiste reiche Nahrung. Mit Vergnügen erinnerte sich Wieland in späteren Jahren, an den Genuss, den ihm Baumer verschafft, als er ihm zur Lektüre des Don Quixote verholfen. Aus jenem Roman habe er „die große allgemeine Naturgeschichte der menschlichen Torheit und Narrheit“ kennen gelernt.

Bereichert mit mannigfachen Kenntnissen, kehrte Wieland 1750 nach Biberach zurück. Der Sommer, den er im elterlichen Hause zubrachte, war eine der merkwürdigsten Perioden seines Lebens. In diese Zeit fiel Wielands erste Liebe. Ihr Gegenstand war Sophie v. Gutermann, die Tochter eines Arztes, der mit Wielands Eltern in freundschaftlichen Verhältnissen stand. Nicht durch blühende Schönheit, durch jugendliche Reize fühlte sich Wieland zu Sophien hingezogen. An seinem rein platonischen Liebesverhältnis hatte die Sinnlichkeit auch nicht den entferntesten Antheil. Was ihn an Sophien fesselte, war ihre ausgezeichnete Geistesbildung, die sie schon früh durch das Lesen der besten deutschen Schriftsteller erlangt hatte, ihr rastloses Streben nach Erweiterung ihrer Kenntnisse, und ihr glühender Enthusiasmus für alles Gute, Wahre und Schöne. Obgleich nur zwei Jahre älter, als Wieland, übte Sophie doch durch die Festigkeit ihres Charakters und innere Haltung eine seltene Herrschaft über den jungen Schwärmer aus. An Kenntnissen ihr überlegen, suchte Wieland mit poetischer Begeisterung Sophiens rege Wissbegierde zu befriedigen.

Diesem Verhältnis dankte Wielands erstes gedrucktes Gedicht seinen Ursprung. Auf einem einsamen Spaziergange nach dem St. Martinskirchhofe traf Sophie einst ihren Freund, und ihre Gefühle begegneten sich dort zum ersten Mal in der Begeisterung für die Schönheiten der Natur. Ein solches Stillleben, meinte Wieland, sei allen geräuschvollen Freuden der Welt vorzuziehen. Durch den Umgang mit Sophien, äußerte er in einem späteren Briefe, mit Hindeutung auf seinen früheren Skeptizismus, sei er ein ganz anderer Mensch, ein Freund der Tugend und Religion geworden. Unvergesslich blieb ihm noch in späteren Jahren ein schöner Sommertag, an welchem er mit der Geliebten in den freundlichen Umgebungen von Biberach umhergewandelt, und sich mit ihr von der Bestimmung der Geister und Menschen und von der Würde der menschlichen Seele unterhalten hatte. Durch eine Predigt seines Vaters über den Text: Gott ist die Liebe, war er auf dies Thema geführt worden. Die Frucht jenes enthusiastischen Gesprächs, das seine Begleiterin bis zu Tränen rührte, war Wielands Lehrgedicht: „Die Natur der Dinge oder die vollkommenste Welt.“ Es ward im Februar 1751 begonnen, im April des genannten Jahres vollendet, und noch im Jahr 1770 zum dritten Mal gedruckt.

Mit Schmerz trennte sich Wieland von der Geliebten, die im Herbst 1750 nach Augsburg zurückkehrte, wo ihr Vater, früher in Kaufbeuern ansässig, sich niedergelassen hatte. Noch oft trat in Tübingen, wo Wieland um diese Zeit seine akademische Laufbahn eröffnete, Sophiens Bild vor seine Seele. Der Eindruck, den sie auf sein Herz gemacht, war so tief, dass die in einem Briefe seines Vaters ausgesprochenen Zweifel an der Beständigkeit seiner Liebe ihn sehr schmerzten.

In seiner schwärmerischen Stimmung kannte er kein höheres Glück, als Sophiens Besitz. Über die mannigfachen Schwierigkeiten, die der Erfüllung seines Lieblingswunsches entgegen treten konnten, setzte er sich leicht hinweg. Im Geist sah er schon seine bürgerliche Existenz begründet, während er noch nicht mit sich einig war über das Berufsfach, dem er sich widmen wollte. Die Jurisprudenz schreckte ihn durch ihre Trockenheit. Um Theologe zu werden, hätte er eine stärkere Brust haben müssen. Das Studium der Medizin ward ihm verleidet durch seine unüberwindliche Scheu vor toten Körpern, Krankenstuben und Spitälern. Er besuchte in Tübingen fast gar kein Kollegium. Die Liebe zur Einsamkeit fesselte ihn an sein Zimmer. Ohne Freunde, ja fast ohne allen Umgang, brütete sein Geist über der Idee, die schönsten poetischen Blüten, die ihm sein Dichtertalent bieten möchte, zur Verherrlichung seiner Geliebten in einen Kranz zu flechten. So entstand sein früher erwähntes Gedicht: „Die Natur der Dinge oder die vollkommenste Welt.“

Begeistert von diesem Produkt, das er später einer sehr strengen Beurteilung unterwarf, sandte Wieland sein Gedicht dem Professor Meier in Halle, der damals als philosophischer Kopf und als Kritiker viel galt. Weder seinen Namen, noch seinen Aufenthaltsort erwähnte er in seinem Briefe. Meier hielt einen Adligen für den Verfasser des ihm gesandten Gedichts, das er sofort drucken ließ, und es mit einer Vorrede begleitete. Noch ehe er das Schicksal seines Werks erfahren, hatte Wieland einen neuen poetischen Plan entworfen. Die fünf ersten Gesänge eines epischen Gedichts, „Hermann“ betitelt, sandte er an Bodmer in Zürich, der damals in dem lebhaftesten literarischen Kampfe mit Gottsched und seinen Anhängern verwickelt war. Bodmer nahm die ihm gesandte Probe günstig auf, vielleicht schon deshalb, weil Wieland in jugendlicher Begeisterung seine Partei ergriffen hatte. Er trat mit dem jungen Autor in einen fortgesetzten Briefwechsel.

In einer anmutigen Sommerwohnung, späterhin das Wielandshäuschen genannt, auf einem Weinberge unweit Tübingen, diesseits des Neckars gelegen, lebte Wieland damals dem Genuss der Natur, einsamen Studien und mancherlei poetischen Versuchen, von allem Umgang entfernt, in fast gänzlicher Abgeschiedenheit. Seine Geistesrichtung und Empfindungsweise schilderte er in einem damaligen Briefe mit den Worten: „Ich habe von der Dichtkunst keinen kleineren Begriff, als dass sie die Sängerin Gottes, seiner Werke und der Tugend sein soll. Inzwischen gefallen mir doch auch die Äußerungen jugendlicher Freude, wenn sie unschuldig ist, und Gleim und Hagedorn haben mich oft ergötzt.“ In wechselnder Stimmung war Wieland jedoch auch den unschuldigsten Scherzen so abgeneigt, dass er die genannten Dichter eines sträflichen Leichtsinns beschuldigte. Der Ernst seiner Natur zog ihn zu den englischen Poeten, zu Milton, Pope, Addison, Young, Thomson u. a. „Den Franzosen,“ schrieb Wieland, „bin ich, ihres flüchtigen und affenmäßigen Charakters wegen, recht gram, und noch mehr den Deutschen, die ihren Geist lieber nach diesen lächerlichen Geschöpfen bilden wollen, als nach den denkenden, männlich schönen und zuweilen himmlischen Britten.“

Aus einer schwärmerischen Überspannung seines Geistes ging Wielands Streben hervor, die Irreligiosität und den Leichtsinn zu bekämpfen. Er wollte der Welt zeigen, dass das Schöne im echt platonischen Sinne mit dem Guten einerlei sei. Auf keinen Dichter seiner Zeit lenkte sich Wielands Aufmerksamkeit entschiedener, als auf Klopstock. Von der enthusiastischen Verehrung jenes Sängers zeugten mehrere damalige Briefe Wielands. Ein Nachahmer Klopstocks ward er nicht, ungeachtet es in seiner Natur lag, leicht etwas anzunehmen von der Manier der Schriftsteller, die seinem Geschmack besonders zusagten. Wielands „Lobgesang auf die Liebe“, und ein Gedicht, „der Frühling“ überschrieben, zeigten unverkennbar den Einfluss, den Kleist auf sein poetisches Talent gehabt hatte. Er machte keinen Versuch, den Sänger der Messiade auf dem kühnen Fluge seiner Phantasie zu begleiten. Nur als Mensch wollte er ihm gleichen. Ihn beseelte ein gewisser moralischer Stolz, der noch genährt ward durch die Vergleichung des gewöhnlichen Lebens und Treibens der Menschen mit den erhabenen Mustern von Tugend und Seelengröße, die ihm ältere und neuere Schriftsteller vor Augen stellten. Mit Enthusiasmus hatte er als Knabe, wie früher erwähnt, den Cornelius Nepos gelesen. Noch höher begeisterte ihn als Jüngling die Schilderung jeder edlen Tat, während er sich von schlechten Handlungen mit Abscheu hinweg wandte.

Auch in der Poesie, wie im Leben, blieb ihm ein lebendiges Gefühl für das Reinsittliche. Den philosophischen und moralischen Gedichten gab er vor allen andern den Vorzug. Er schrieb darüber unter andern: „Ich schätze die heroischen Gedichte sehr hoch; aber ich überlasse es größeren Geistern, darin groß zu sein oder sich darin zu versuchen. Ich begnüge mich, die wenigen Nebenstunden, die mir meine Muse gleichsam entwendet, dazu zu benutzen, in philosophischen und moralischen Gedichten, und also in Absicht der Dichtkunst in einer kleinen Sphäre, die liebenswürdige Tugend zu preisen.“

Unter den Gedichten Wielands, die während seines Aufenthalts in Tübingen entstanden, war der „Anti-Ovid“, im Sommer 1752 verfasst, nicht bloß gegen den Leichtsinn der Römer, sondern auch der Franzosen gerichtet. Die Liebe begeisterte ihn, in diesem Lehrgedicht einen Gegenstand zu wählen, dem er, wie er in späteren Jahren gestand, damals kaum gewachsen war, da es ihm in seiner Einsamkeit, umgeben von seinen Büchern, an der nötigen Menschenkenntnis fehlte, die er nur aus der Beobachtung der Lebensverhältnisse schöpfen konnte.

Einige Monate früher, als der „Anti-Ovid“, im Mai 1752, entstanden Wielands „moralische Erzählungen.“ Bereits am Schluss des Jahres 1751 hatte er seine „moralischen Briefe“ herausgegeben. Von seinen bisherigen Gedichten unterschieden sich die hier genannten weniger durch ihren Gehalt, als durch die Form. Für die „moralischen Briefe“ hatte Wieland Alexandriner, für die „moralischen Erzählungen“ reimlose Jamben gewählt, und für den „Anti-Ovid“ ein freies Versmaß in wiederkehrenden Reimen. Unter solchen Beschäftigungen lebte Wieland weniger in der wirklichen Welt, als in dem Reich der Ideale, das ihm seine Phantasie vorzauberte. Seine Zukunft schien ihn wenig zu kümmern. In einer Art von Selbstcharakteristik, die er noch während seines Aufenthalts in Tübingen in einem Briefe an seine geliebte Sophie entwarf, gestand er, trotz seiner mannigfachen Fehler, sich „ein gutes Herz und einigen Geist“ zu, dabei glaubte er mit Wahrheit versichern zu können, dass es „sein Geist gewesen, der sein Herz zu einem so guten gemacht habe.“

Im Juni 1752 war Wieland aus Tübingen wieder in das elterliche Haus nach Biberach zurückgekehrt. Lebhaft missbilligte sein Vater die Art und Weise, wie er bisher seine Studien betrieben hatte. Über dem Versemachen hatte er seinen künftigen Beruf fast gänzlich aus den Augen verloren. Einer sogenannten Brotwissenschaft sich zu widmen, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Sehr abgeneigt war er daher dem väterlichen Plan, sich in Göttingen der Laufbahn eines akademischen Dozenten zu widmen. Wieland meinte, dass er dazu, wie zu manchem Andern, gar nicht passe. Er hoffte wohl noch einen Wirkungskreis zu finden, der mit seinen Fähigkeiten und Neigungen mehr harmonierte. Einer Lehrstelle an einem Gymnasium glaubte er gewachsen zu sein. Sein sehnlichster Wunsch war eine Professur an dem Carolinum zu Braunschweig, besonders deshalb, weil er dadurch mit Gärtner, Ebert, Zachariä u. a. talentvollen Männern, die in dem genannten Institut Lehrstellen bekleideten, in nähere Berührung zu kommen hoffte. Zur Erfüllung seines Lieblingswunsches zeigte sich jedoch keine Aussicht.

Von dem peinlichen Gefühl, seinen Eltern durch weitere Unterstützung beschwerlich zu fallen, ward Wieland befreit durch eine Einladung Bodmers, zu ihm nach Zürich zu kommen. Er hatte den jungen Autor, nach den poetischen Versuchen, die ihm Wieland gesendet, sehr liebgewonnen. Gegen die Reise nach der Schweiz, die im Herbst 1752 angetreten werden sollte, hatte Wielands Vater nichts einzuwenden. Er glaubte vielmehr, dass eine solche Entfernung seinen Sohn in mannigfacher Hinsicht heilsam sein möchte, besonders auch in Bezug auf seine Herzensangelegenheit, von der er sich keinen sonderlichen Ausgang versprach. Wieland aber wollte Biberach nicht verlassen, ohne seine geliebte Sophie noch einmal gesehen zu haben. Manche Umstände traten ein, die seine Hoffnung von einer Zeit zur andern verzögerten. Er versank darüber, wie er sich in einem seiner Briefe äußerte, „in einen Zustand von Untätigkeit und Verdrießlichkeit, der ihm oft zur Last ward.“ Eine Beurteilung von Bodmers „Noachide“ half ihm die langweilige Zeit einigermaßen verkürzen.

Genussreiche Tage versprach sich Wieland von dem Leben in Zürich. Da er seine dortigen Freunde nicht so bald wieder verlassen wollte, so wünschte er in der Schweiz durch eine Hofmeisterstelle sich die Mittel zu seiner Subsistenz zu sichern. Noch eh' er nach Zürich abgereist war, wandte er sich deshalb schriftlich an Bodmers Freund, den Ratsherrn Schinz, und bat ihn um seinen Rath. In Bodmers anmutig gelegener Wohnung, wo er am 13. Oktober 1752 eintraf, fand er einen freundlichen Empfang. Ehrfurcht, Liebe und Dankbarkeit fesselten ihn bald an den Mann, der durch Mittheilung seiner literarischen Schätze und durch seine belehrenden Gespräche sehr günstig auf Wieland einwirkte. Mit seiner Denk- und Empfindungsweise harmonierte Bodmers einfaches Leben, seine Zurückgezogenheit von der Welt und die Neigung zu literarischen Beschäftigungen. Auch nachdem sie längere Zeit zusammen gelebt, trat in ihrem freundschaftlichen Verhältnis keine wesentliche Störung ein. Noch in späteren Jahren nannte Wieland jene Periode die glücklichste seines Lebens.

In so heiterer Stimmung vollendete er seine schon zu Biberach angefangene „Abhandlung von den Schönheiten des epischen Gedichts Noah“, das sein väterlicher Freund Bodmer verfasst hatte. Bodmer ließ jene Abhandlung 1753 zu Zürich drucken, und bald nachher auch ein von Wieland verfasstes „Schreiben über die Würde und Bestimmung eines schönen Geistes.“ Auch zur Poesie kehrte Wieland in Zürich wieder zurück. Auf Bodmers Vorschlag schrieb er ein kleines Epos, „die Prüfung Abrahams“ betitelt. Zu seinen damals gedichteten „Briefen Verstorbener an ihre noch lebenden Freunde“ hatte er sich durch das von der englischen Dichterin Elisabeth Rowe herausgegebene Werk: „Friendship in death“ veranlasst gefunden.

Noch immer trug sich Wieland mit dem Gedanken, seine geliebte Sophie einst ganz die Seinige nennen zu können. Dass die Schwierigkeiten, zu ihrem Besitz zu gelangen, sich noch gehäuft hatten, ahnte er nicht. Versunken in seine poetischen Träume, fühlte er sich tief erschüttert durch einen Brief, in welchem Sophie ihr bisheriges Verhältnis zu ihm für aufgelöst erklärte. Dies Schreiben, das er zu Anfang des Dezember 1753 erhielt, meldete ihm zugleich Sophiens Vermählung mit dem Kurmainzischen Hofrat de la Roche. Diesem geistreichen und allgemein geachteten Manne hatte sie aus Gehorsam gegen ihre Eltern ihre Hand gereicht, und die Stimme ihres Herzens, die noch immer für Wieland sprach, wenig beachtet.

Die innige Teilnahme seiner Freunde musste ihm dies harte Schicksal ertragen helfen. Mit größerer Selbstüberwindung, als sich von seiner reizbaren Gemütsart erwarten ließ, billigte er in einem Briefe an die Geliebte ihren Entschluss, und wünschte ihr aufrichtig Glück zu ihrer Verbindung. Oft aber kehrte ihm noch die Klage um den Verlust seiner Sophie wieder. Auf ihren dereinstigen Besitz mochte er wohl mitgerechnet haben, als er einen Plan entwarf zur Errichtung einer Privaterziehungsanstalt, oder, wie er sie selbst nannte, einer „Akademie zur Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute.“ Durch das peinliche Gefühl, als Bodmers Haus- und Tischgenosse seinem Gönner noch länger zur Last zu fallen, ward Wieland bewogen, 1754 bei einem Herrn v. Grebel in Zürich eine Hauslehrerstelle anzunehmen. Weder die ausgezeichnete Achtung, die er in seinem neuen Verhältnis genoss, noch die große Rücksicht, die man auf seine kleinen Eigenheiten nahm, konnte in ihm den Schmerz um den Verlust seiner Geliebten mildern. Er sah sich in seinen schönsten Hoffnungen getäuscht, und versank in einen Trübsinn, den nichts zu erheitern vermochte. In dieser Stimmung nahm er seine Zuflucht zu philosophischen Studien. Mit großer Anstrengung las er fast Tag und Nacht in Platos Werken. Auch die Schriften mehrerer Mystiker und die Lebensbeschreibungen von Heiligen gehörten zu Wielands damaliger Lektüre. Dadurch neigte er sich zu einer immer strengeren Asketik hin. In solcher Stimmung schrieb er einem Freunde: „So einsiedlerisch ich hier Vielen scheine, bin ich es doch noch lange nicht so, wie ich es gern sein möchte. Melden Sie mir doch, ob es keine Wüste in Ihrer Gegend gibt. Ich habe schon seit manchen Jahren große Lust, ein Eremit zu werden; denn ich versichre Sie im Ernst, dass ich der Torheiten der Welt und meiner eigenen herzlich müde bin.“

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