Wieland hatte damals alle Anlage, ein religiöser Schwärmer zu werden. Die Lektüre von Youngs Nachtgedanken und von Klopstocks Mesias war geeignet, jene Stimmung zu unterhalten, und ihn über die Grenzen eines ruhigen Forschens weit hinaus zu führen. Sein Eifer für Glauben und Frömmigkeit kannte kein Maß und Ziel, und Toleranz war ihm ein völlig fremder Begriff. Über Ovid, Anakreon, Tibull und mehrere französische und englische Dichter, besonders aber Chaulien, Gay und Prior, sprach er in seinen 1754 herausgegebenen „Sympathien“ öffentlich ein Verdammungsurteil aus. Auf ähnliche Weise eiferte Wieland in den 1755 geschriebenen „Empfindungen eines Christen“ gegen die „schwärmerischen Anbeter des Bacchus und der Venus.“ Den Oberkonsistorialrat Sack in Berlin, dem er dies Werk zugeeignet hatte, forderte er dringend auf, „das Ärgernis zu rügen, das jene leichtsinnigen Witzlinge angerichtet.“

Ein milderer Ton, doch eine eigentümliche mystische Richtung war vorherrschend in mehreren „Hymnen“ Wielands, von denen er später nur den „Hymnus auf Gott“ in seine Werke aufnahm. Mit seinen „Erinnerungen an eine Freundin“ dem Inhalt nach verwandt war Wielands „Timoklea“, eine Frucht seiner philosophischen Studien, besonders der Lektüre des Plato und Shaftsbury. Wielands „Platonische Betrachtungen über den Menschen“ dankten ebenfalls jenen Studien ihren Ursprung. In diesen Schriften sowohl, als in zwei Aufsätzen, die er selbst als „Visionen“ bezeichnete, in dem „Gesicht des Mirza“ und in dem „Gesicht von einer Welt unschuldiger Menschen“ sprach Wieland mit ergreifender Wärme von der Tugend, Schönheit und Liebe im edelsten Sinne des Worts.

In seiner „Ankündigung einer Dunciade für die Deutschen“ unternahm er einen kritischen Feldzug gegen Gottsched, den damaligen Tonangeber des ästhetischen Geschmacks und gegen seine Anhänger. Aus der leidenschaftlichen Reizbarkeit seiner Natur versank er wieder in eine Art von Abspannung des Geistes, die mitunter einen sehr hohen Grad erreichte. „Ich verschlummere“, schrieb er 1756 einem Freunde, „wider meinen Willen einen großen Teil meiner Existenz. Ich fühle, dass mein Leib immer schwächer wird, und dass sowohl meine sehr blöden Augen, als mein Gehirn dem denkenden Wesen oft versagen. Zuweilen wünsche ich, dass ich ein halbes Dutzend munterer Seelen hätte, die der meinigen subordiniert wären, und die alles das nach meinem Sinne ausführten, was ich nicht kann. Dergleichen Wünsche sind fast alles, was mir von meiner ehemaligen jugendlichen Lebhaftigkeit übrig geblieben ist.“

Seinem Trübsinn ward Wieland entrissen, als er seinen bisher auf Bodmer und dessen Freunde beschränkten Umgang allmählich erweiterte. Geneigter als bisher ward er wieder den Freuden des geselligen Lebens. Außer dem bekannten Fabeldichter Meyer von Knonau, gehörten Geßner, der Verfasser der Idyllen, späterhin auch Zimmermann, der Autor des berühmten Buches über die Einsamkeit, zu Wielands vertrautesten Freunden. Mit Frauenzimmern verkehrte er wenig; er war sogar ihrem Umgange völlig abgeneigt. Seine geliebte Sophie hatte ihn verwöhnt, an das weibliche Geschlecht Ansprüche zu machen, die nicht jedes Mädchen erfüllen konnte.

In einer Art von Selbstcharakteristik meinte Wieland, sein Herz, trotz allen seinen Fehlern, sei doch noch das Beste an ihm. An Zimmermann schrieb er darüber: „Sie dürfen viel Gutes von meinem Herzen denken, ohne sich zu betrügen. Was Sie mein Genie nennen, sind sehr reizbare Fibern und eine daraus entspringende Lebhaftigkeit der Empfindungen, Imagination, Aktivität, Kühnheit, Neigung zum Wunderbaren, zum Ausschweifenden u. dergl. Verdient das, dass ich mich hochachte, oder dass ich mir selbst etwas darauf einbilde? Gewiss nicht! Aber dafür danke ich Gott, dass ich von Jugend an die Wahrheit geliebt, und für das, was gut, recht und moralisch schön ist, sehr empfindsam gewesen. Dieses ist für mich sehr glücklich, aber da ich es mit vielen Tausenden gemein habe, so ist es nichts Vorzügliches. Dass ich hypochondrisch bin, begreife ich. Schwach bin ich in der Tat, aber noch voll Leben. Ich liebe mehr die Aussichten in ein anderes, als in dieses Leben. Hier bin ich nur par devoir, nicht par inclination.“

Diese trübe Lebensansicht kehrte ihm noch oft wieder. Erst gereiftere Jahre, größere Erfahrung und eine gründlichere Welt- und Menschenkenntnis bewirkten eine merkwürdige Veränderung in Wielands Wesen. Er schien heiterer gestimmt. Seine Weiberscheu hatte sich verloren, und dem Platonismus in der Liebe huldigte er nicht mehr so unbedingt als früher. Auch sein hartes und unbilliges Urteil über mehrere alte und neuere Dichter nahm er zurück. Auf seine eigenen literarischen Erzeugnisse hatte jene Sinnesänderung den wohltätigsten Einfluss. Er beurteilte seine Arbeiten mit nachsichtsloser Strenge. Seinen Roman „Araspes und Panthea“, zu welchem ihm eine Erzählung Xenophon's den Stoff dargeboten hatte, nannte er in einem seiner damaligen Briefe „eine unreife und unvollendete Geburt.“ Entschiedenen Anteil nahm er an der deutschen Bühne. Fleißig wohnte er den theatralischen Vorstellungen der Ackermannschen Schauspielertruppe bei, die damals (1757) durch die Drangsale des Siebenjährigen Krieges aus Deutschland vertrieben, längere Zeit in der Schweiz und namentlich in Zürich sich aufhielt. In seinem Trauerspiel „Johanna Gray“ machte Wieland den ersten dramatischen Versuch. Statt der Alexandriner, des bisher allgemein üblichen Versmaßes, wählte er die fünffüßigen Jamben für seine Tragödie. Sie ward am 20. Juli 1758 zum ersten Mal in Winterthur, und später auch an andern Orten nicht ohne Beifall aufgeführt.

Auch in andern Gattungen der Poesie versuchte sich Wieland damals. Viel versprach er sich besonders von einem epischen Gedicht, zu welchem ihm einer seiner Lieblingsschriftsteller, Zachariä in Braunschweig, den Stoff dargeboten hatte, während ihm bei dem Entwurf seines Ideals vielleicht Friedrich II. vorschwebte, der damals im Kampfe mit ganz Europa durch Größe des Geistes und die glänzendsten Eigenschaften selbst seinen Feinden Bewunderung abnötigte. Sein „Cyrus“, wie das von Wieland beabsichtigte Gedicht hieß, sollte auf achtzehn Gesänge ausgedehnt werden. Auch seinen vertrautesten Freunden hatte Wieland seinen Plan verschwiegen. Als er jedoch zu Anfange des Jahrs 1758 die Ausführung seiner poetischen Idee begann, stieß er auf mancherlei Schwierigkeiten, und fürchtete sich an ein Unternehmen gewagt zu haben, dem er nicht gewachsen war. In einem seiner damaligen Briefe meinte Wieland, „er stehe zu tief unter einem Helden, um ihn würdig darstellen zu können.“ Selbst der Stil und die Versifikation kosteten ihm, nach seinem eignen Geständnis, unsägliche Mühe. Er fühlte, dass er bisher mehr in dem Reiche seiner Ideen, als in der wirklichen Welt gelebt. Ein gründliches Studium der Geschichte und Politik hielt er für unerlässlich, um seinem Werke den höchsten Grad von Vollendung zu geben. Fleißig studierte er Macchiavellis und Montesquieus Werke. Auch die Lektüre von Platos Republik beschäftigte ihn.

Das Resultat dieser Studien war Wielands erste politische Schrift: „Gedanken über den patriotischen Traum, die Eidgenossenschaft zu verjüngen.“ Diese Schrift erschien, während Wieland sich noch fleißig mit seinem „Cyrus“ beschäftigte. Eine neu aufkeimende Idee drohte dies Epos zu unterbrechen. Durch Lucian und Swift begeistert, entwarf Wieland den Plan zu einem satirischen Roman. Unter dem Titel: „Lucian's des Jüngern wahrhafte Geschichten“, wollte er in diesem, auf drei Bände berechneten Werke zwei Republiken, einen Staat verständiger Bienen, die seltsame Regierung, Sitten und Gebräuche eines Volks, Pagoden genannt, und ähnliche wunderbare Dinge schildern. Die Ausführung dieser Idee unterblieb. Von seinem „Cyrus“ hatte er indessen die ersten fünf Gesänge beinahe vollendet, und bei größerer Gemüthsruhe würde dies Werk noch rascher fortgeschritten sein.

Was ihn sehr bekümmerte, war die Sorge um seine fernere Subsistenz in Zürich. Seine bisherigen Zöglinge hatten anderweitige Bestimmungen erhalten, und Wieland musste daher an seine eigene Zukunft denken. Eine Zeit lang beschäftigte ihn die Idee der Herausgabe einer Wochenschrift, von deren Ertrag er in Zürich leben zu können hoffte. In einem seiner damaligen Briefe äußerte Wieland: er wolle alle seine Kräfte zusammennehmen, um jener periodischen Schrift die höchste Vollkommenheit zu geben. Aber seine schönsten Stunden, meinte er, gehörten doch dem „Cyrus“. Um sich in ungestörter Einsamkeit mit diesem Gedicht beschäftigen zu können, kam er auf den Gedanken, sich wieder in seine Heimat zu begeben. Einen bestimmten Lebensplan schien er an die Rückkehr in das elterliche Haus nicht geknüpft zu haben.

Der Wunsch, einige Jahre in völliger Muße und Unabhängigkeit zu leben, machte ihn gleichgültig gegen mehrere zum Teil vorteilhafte Anträge zu auswärtigen Lehrstellen. Längere Zeit schwankte Wieland, ob er sich nach Marseille begeben sollte, um dort in der sehr angesehenen Familie Semandi Unterricht zu erteilen. Seine Unentschlossenheit ward vermehrt durch einen Antrag Zimmermanns, der ihn dem Ratsherrn v. Sinner in Bern zum Erzieher seines einzigen Sohnes empfohlen hatte. Sein Empfang in Bern, wohin er sich am 13. Juni 1759 begab, übertraf in jeder Hinsicht seine Erwartungen. Gleichwohl behagte ihm das neue Verhältnis, in das er getreten war, nicht lange. Er liebte zu sehr die Einsamkeit, um für sie Ersatz zu finden in den Gesellschaftskreisen, in die er wider seinen Willen hineingezogen ward. Unmutig äußerte er sich darüber in mehreren Briefen. Aber auch seine Lehrerstelle behagte ihm nicht. Zum Unterricht, besonders in den ersten Elementen, schien ein Geist nicht geschaffen, der, wie Wieland selbst äußerte, „den Cyrus denken, und mit Shaftsbury, Diderot und Rousseau wetteifern wollte.“ Bereits nach einem Vierteljahre, im September 1759, gab er seine Hauslehrerstelle wieder auf.

Eine Art von Erwerbsquelle eröffnete sich Wieland durch philosophische Vorlesungen, die er „gegen ein jährliches Honorar von 200 Kronen“ einigen Jünglingen aus angesehenen Familien hielt. Er hatte an Freiheit und an Zeit viel gewonnen, da jene Vorlesungen ihm täglich nur zwei Stunden raubten. Demungeachtet rückte sein mehrfach erwähntes Epos, der „Cyrus“ nur langsam fort. Entmutigt durch den geringen Beifall, den die von ihm mitgeteilten Proben fanden, entwarf er den Plan zu einem philosophischen Gedicht über den Landbau. Die Ausführung unterblieb jedoch. Das einzige Produkt, das er während seines Aufenthalts in Bern vollendete, war sein mit großem Beifall aufgeführtes Trauerspiel „Clementine von Porretta.“ Aus seinem Lieblingsschriftsteller Richardson hatte Wieland den Stoff zu dieser Tragödie geschöpft. Ein Held, wie Grandison, musste ihn vor vielen andern interessieren zu einer Zeit, wo ihn das Gefühl einer Liebe ergriffen hatte, die ebenso platonisch, als jemals, und nicht minder schwärmerisch war.

Eine reizende Bernerin, Mariane Fels, war längst schon die Königin seines Herzens, als Julie Bondeli, die Tochter eines Diakonus in Bern, ihr den Sieg streitig machte. Julie war, glaubwürdigen Zeugnissen und ihrem noch erhaltenen Portrait in Lavaters Physiognomik zufolge, eine der hässlichsten ihres Geschlechts. Was die Natur ihr indes an Reizen versagt, hatte sie ihr durch Geistesgaben reichlich vergütet. Die gelehrtesten Männer ihrer Zeit erkannten dies, und standen mit ihr in Briefwechsel. Das Gerücht sagte von ihr, dass sie mehr gelesen und studiert, als irgend ein Frauenzimmer, und mit ausgebreiteten Kenntnissen in den verschiedenartigsten wissenschaftlichen Fächern ein sehr richtiges Urteil verbinde. Darin fühlte sich Wieland nicht getäuscht, als ihn die Neugier trieb, sie kennen zu lernen. Von dem begeisternden Eindruck, den Julie auf ihn machte, gab er in mehreren Briefen Rechenschaft. „Nie hab' ich,“ schrieb er unter andern, „ein Frauenzimmer gesehen, das bei einer außerordentlichen Gleichheit der Gemütsart, bei dem heitersten Humor und der größten moralischen Simplizität, die nur in ihrem Alter möglich scheint, mehr Lebhaftigkeit und unerschöpfliche Ressourcen im Umgange gehabt hätte, als sie. In diesen Stücken ist Sophie noch weiter hinter ihr, als Julie in Absicht der Schönheit hinter Sophien ist. Der aufgeklärteste Geist, den ich je an einem Frauenzimmer gesehen habe, und ein Herz, das der edelsten Freundschaft würdig ist.“

In einem späteren Briefe gestand Wieland, dass Julie weder eine Idee, noch Empfindung von der Liebe zu haben scheine, die in Romanen und Tragödien herrsche. Sie wolle Freunde haben, sie halte die Freundschaft für eine vernünftige und beständige Liebe, und weil sie nicht anders geliebt sein wolle, so hasse sie alles, was den Schein einer überspannten, fanatischen Leidenschaft trage. „Ich selbst,“ schrieb Wieland, „bin, wie ich glaube, in Absicht der Liebe der Einzige in meiner Art, und ich bin stolz genug zu glauben, dass meine Art zu lieben der Liebe der Geister wirklich so nahe kommt, als es unter dem Monde möglich ist. Ich liebe alle wahrhaft tugendhaften Frauen eben so sehr, wie ich die Tugend lieben würde, wenn sie sichtbar wäre. Das sind keine Großsprechereien. Wenn die Weisheit, die Tugend, die moralische Venus, eine weibliche Gestalt annimmt, so muss freilich der Instinkt, der uns zu diesen lieblichen Geschöpfen zieht, sich unter die reine geistige Liebe mischen, die unserem Geiste für das wahre Schöne, Gute und Erhabene natürlich ist. Aber darin besteht mein Privilegium, dass, wenn mein Gegenstand eine Julie ist (aber nicht eine Julie wie die Tochter des Augustus), die Liebe der Engel sich natürlicher und ungezwungener Weise zu der tierischen verhält, wie eine Weltkugel zu einem Sonnenstaube.“ Diesem Briefe fügte Wieland noch die charakteristische Äußerung bei: „Wir sind übereingekommen, dass jedes das Andere nach seiner eigenen, ihm natürlichen Weise, ohne den mindesten Zwang lieben solle — ich mit Enthusiasmus, weil meine Natur es so mit sich bringt, sie ohne Enthusiasmus, aus gleichem Grunde. Ich weissagte ihr, sie würde noch so gut Enthusiast werden, als ich; sie zweifelte und sagte, sie wünsche es, um mich glücklich machen zu können.“

Lebhaft beschäftigte sich Wieland oft mit dem Gedanken an eine eheliche Verbindung. Er gestand, alles in der Welt, was nicht mit den Grundsätzen der Rechtlichkeit streite, unbedenklich thun zu wollen, wenn er dadurch zu Juliens Besitz gelangen könnte. „Sie würde,“ schrieb er, „mich unaussprechlich glücklich machen. Aber ich sehe keine Möglichkeit. Ich müsste auf eine sehr anständige und vorteilhafte Art etabliert sein, wenn ich berechtigt sein sollte, eine solche Prätension zu machen, und bisher ist kein Anschein zu einem solchen Etablissement.“ Worauf sich Wielands Wünsche beschränkten, schilderte er in einem seiner damaligen Briefe mit den Worten: „Ich bin nicht für das gemacht, was man Welt nennt. Alle ihre Ergötzlichkeiten sind innere Plagen für mich, obgleich ich aus Gewohnheit daran Antheil nehme und vergnügt dabei scheine. Freiheit, Muße, Einsamkeit, ein Freund und eine Freundin bei mir — das ist die Situation, nach der mich dürstet, und zu der ich nie gelangen werde.“

Das Städtchen Zopfingen, im Kanton Bern gelegen, hielten Wielands Freunde für den passendsten Ort, um, wie er damals willens war, eine mit einer Buchdruckerei verbundene Buchhandlung zu errichten. Während er sich auf diese Weise einen anständigen Unterhalt zu verschaffen hoffte, wollte er zugleich auf die Bildung seiner Zeitgenossen kräftig einwirken durch interessante Verlagsartikel, zu denen er vorzüglich Übersetzungen der Klassiker, des Virgil, Horaz, Xenophon, Theokrit u. a. seiner Lieblingsschriftsteller rechnete. Auch durch einzelne Stücke aus der Philosophie und schönen Literatur hoffte er das Interesse des Publikums zu fesseln. Die bessern Köpfe Deutschlands für eine periodische Schrift zu gewinnen, war ein Gedanke, der, schon früher entstanden, wieder in ihm auftauchte. Wieland wollte in jenem Journal unter andern ein Gemälde des Menschen entwerfen, nach den verschiedenen Nuancen, die er durch das Klima, die Religion, Staatseinrichtung usw. erhalte; er wollte zeigen, dass der Mensch gebildet werden müsse, und dass die meisten Gesetzgeber und Moralisten sich bisher auf diese Kunst nicht gar zu wohl verstanden hätten. Auch Biographien und Charakteristiken ausgezeichneter Männer des Altertums sollten in seinem Journal einen Platz finden.

Mehrere Aufsätze, die er für seine Zeitschrift bestimmt, hatte Wieland teils ausgearbeitet, teils den Plan dazu entworfen, als ein Brief seiner Mutter ihn mit der Nachricht einer bestimmten Anstellung zu Biberach überraschte. Seiner Vaterstadt, von der er acht Jahre getrennt gewesen, in dem ihm angewiesenen Wirkungskreis so viel als möglich zu nützen, war der feste Entschluss, mit welchem Wieland am 20. März 1760 die Schweiz und seine dortigen Freunde verließ, in dankbarer Rückerinnerung an die frohen Jahre, die er in ihrer Mitte verlebt hatte. Schmerzlich war ihm vor allen der Abschied von Julie Bondeli. Nur die Hoffnung ihres Besitzes konnte ihn trösten.

Mit nicht zu grellen Farben hatte Wieland, noch vor seiner Abreise aus der Schweiz, einigen seiner Freunde die Verhältnisse geschildert, die ihn in seiner Vaterstadt erwarteten. Zum ersten Male musste er, so fremd dies auch seiner Natur war, eine Rolle spielen in den mannigfachen politischen Intrigen, welche die Wahl eines Bürgermeisters in Biberach herbeiführte. Wieland hatte dort die ziemlich einträgliche Stelle eines Kanzleidirektors erhalten. Abgesehen davon, dass dies Amt seinen Neigungen durchaus nicht entsprach, fürchtete er bereits nach zwei Jahren jene Stelle wieder zu verlieren durch einen langwierigen Prozess zwischen den evangelischen und katholischen Ratsmitgliedern seiner Vaterstadt. Von dem Wankelmut seiner Freunde und Gönner machte Wieland die trübsten Erfahrungen. Mehrere seiner damaligen Briefe enthielten rührende Geständnisse seiner unsicheren Lage und seiner durch heftige Gemütsbewegungen sehr erschütterten Gesundheit. Mit Schmerz ergriff ihn der oft wiederkehrende Gedanke, was er in einer andern Stellung, in Verhältnissen, die den Musen günstiger wären, hätte leisten können. In einem Briefe vom 16. März 1763 äußerte Wieland: „Ich möchte zuweilen eine Satire wider die beste Welt schreiben, wenn ich mir vorstelle, dass kein anderer Platz in der Welt für mich sein soll, als eine Stadtschreiber-, Konsulenten- und Ratsherrnstelle in diesem kleinen schwäbischen Reichsstädtchen. Denn es ist noch nicht entschieden, welche von diesen drei Personen, die sich ungefähr gleich gut für mich schicken, ich noch werde vorstellen müssen.“

In so trauriger Lage trat oft die Erinnerung an die Vergangenheit und an seinen Aufenthalt in der Schweiz vor Wielands Seele. Rastlos sann er auf Mittel, sich aus Verhältnissen zu befreien, die seinen Neigungen so wenig entsprachen, und ihm unsäglichen Verdruss bereiteten. Mitunter kam ihm die Idee, um eine Professur an einem Gymnasium in Berlin, Breslau, Gotha oder andern bedeutenden Orten sich zu bewerben. Die Einkünfte einer solchen Stelle, meinte Wieland, wären zwar gering, aber dafür sei ihm desto mehr Muße gegönnt, und er könne arbeiten, was er wollte. Selbst die spärliche Zeit, die ihm in Biberach seine Amtsgeschäfte gönnten, konnte er nicht so nützlich, als er wohl gewünscht hatte, für sich verwenden. Überall stieß er auf Hindernisse, die sich seiner höheren Ausbildung entgegenstellten. Am schmerzlichsten fühlte er in seiner Vaterstadt den Mangel einer bedeutenden Bibliothek.

„Hier gehen meine Talente für das Publikum verloren,“ klagte Wieland in einem Briefe an Zimmermann. „Unter solchen Zerstreuungen, bei einem solchen Amte, ohne Aufmunterung, was kann ich da tun? Wenn ich auch Zeit und Gemütsruhe und Muth genug hätte, etwas zu unternehmen, so verbietet mir der einzige Umstand, dass wir keine Bibliotheken haben, alle Unternehmungen von Wichtigkeit. Ich bin genötigt, immer aus mir selbst herauszuspinnen. Es sind schon viele Jahre her, dass ich mit einer philosophischen Geschichte nach einem besonderen Plan schwanger gehe. Die Art, wie ich nunmehr ein solches Werk ausführen würde, dürfte es zu einem nützlichen und angenehmen, vielleicht unentbehrlichen Buche machen. Ohne eine Bibliothek von den vollständigsten und kostbarsten Büchern zur Hand zu haben, ist an ein solches Werk nicht zu denken. Sollte es nicht schade sein, dass es nur darum unterbleiben soll, weil ich zu Biberach und nicht in Berlin oder an einem andern Orte bin, wo eine öffentliche Büchersammlung mir die Folianten und Quartanten darbietet, die man bei einer solchen Arbeit alle Augenblicke zum Nachschlagen braucht?“

Unter solchen Umständen blieb ihm kein Trost, als zu seinen trocknen und verdrießlichen Amtsarbeiten wieder zurückzukehren. Er unterzog sich diesen Arbeiten mit einer seltenen Ausdauer und Gewandtheit, die jedoch keine andere Folge für ihn hatte, als dass seine erprobte Tätigkeit noch mehr und fast übermäßig in Anspruch genommen ward. Oft fand ihn die Mitternacht noch an seinem Schreibtisch, wo er den Konzipienten und den Kopisten in Einer Person vorstellen musste, als sich die Arbeiten häuften. Dies war vorzüglich 1764 der Fall, wo der früher erwähnte Prozess durch zwei kaiserliche Kommissarien, die aus Wien nach Biberach gekommen waren, gütlich ausgeglichen ward.

Den Gedanken an eine eheliche Verbindung mit Julie Bondeli hatte Wieland aufgegeben. Beide schienen sich in dem, was sie eigentlich für einander fühlten, getäuscht zu haben. In ihrem Verhältnisse war eine Spannung eingetreten, welche Juliens Eifersucht veranlasst, und Wielands Reizbarkeit bis zu einem so hohen Grade gesteigert hatte, dass ein völliger Bruch fast unvermeidlich schien. In einem Briefe an Zimmermann rechtfertigte sich Wieland gegen allerlei Beschuldigungen, die, wie er äußerte, „nur durch Niedrigkeit und Bosheit ihm hätten angedichtet werden können.“ Ungeachtet mancher sehr leidenschaftlicher Äußerungen, die ihm sein Unmut über Juliens Benehmen eingab, blickte doch auch wieder das Gefühl noch nicht ganz erloschener Zärtlichkeit aus mehreren Stellen seines Briefes hervor. Entschlossen äußerte er jedoch am Schlusse seines Schreibens: „Ich werde allein bleiben, und so lange es Gott gefällt, ein Leben fortschleppen, das bei einer ununterbrochenen Folge von Unannehmlichkeiten, ohne Beimischung eines wahren Vergnügens, kurz genug sein wird.“

Eine ruhige Überlegung musste ihm sagen, dass es ein bedenklicher Schritt sei, in seiner damaligen Lage sich zu verheiraten. Ungeschwächt erhielt sich jedoch Zeitlebens ein herzliches Freundschaftsverhältnis zwischen Wieland und Julie Bondeli. „Den Beweis einer höheren für ihn sorgenden Vorsehung“ glaubte Wieland, nach seiner eignen Äußerung, in dem Zusammentreffen mannigfacher Umstände zu finden, die für sein Lebensschicksal entscheidend wurden. In dem kaum eine Stunde von Biberach entfernten Marktflecken Warthausen lernte Wieland den Grafen von Stadion kennen, in dessen nächster Umgebung er den Kurmainzischen Hofrat de la Roche, den Gatten seiner geliebten Sophie fand. Nach einem Raum von zehn Jahren begegnete ihm auf seinem Lebenswege seine ehemalige Braut, die ihm nun mit der innigsten herzlichsten Freundschaft entgegenkam. Ein gleicher Empfang ward ihm auch von ihrem Gatten zu Teil, einem vielseitig gebildeten Manne, der sich in seinen „Briefen über das Mönchswesen“, auch als Schriftsteller von einer beachtenswerten Seite gezeigt hatte. Wielands Charakter gereichte es zur Ehre, dass er in mehreren Briefen unparteiisch die Verdienste eines Mannes anerkannte, der ihm seine Geliebte entrissen hatte.

Zu dem geselligen Kreise, in welchen Wieland eingetreten war, gehörten, außer den bereits genannten Personen, des Grafen Stadion älteste Tochter, eine Gräfin v. Schall und deren Schwester, eine Stiftsdame in Buchau. Sehr wohl fühlte sich Wieland, wenn er von Biberach, wo er durchaus keine angemessene Gesellschaft fand, nach Warthausen eilte, um dort einige Tage zuzubringen. Für Geist und Herz fand er in seinen neuen Umgebungen volle Befriedigung. Fleißig benutzte er die an literarischen Schätzen reiche Bibliothek des Grafen Stadion. Hatte Wieland den Morgen sich mit dieser Büchersammlung beschäftigt, so unternahm er einen Spaziergang durch die reizende Umgegend, bis ihn die Tafel zu einem köstlichen Mahle einlud. Lesen und Gespräche der verschiedensten Art verkürzten ihm den übrigen Teil des Tages, welchen Abends gewöhnlich eine musikalische Unterhaltung beschloss.

Was Wieland jenem Kreise besonders verdankte, war die Erweiterung seiner Welt- und Menschenkenntnis, die durch sein zurückgezogenes Leben in Biberach, wo er den größten Teil des Tages an seinen Aktentisch gefesselt war, nicht sonderlich hatte gefördert werden können. Der feine Weltton trat ihm in dem Umgange mit geistreichen Männern und liebenswürdigen Frauen überall entgegen, zu einer Zeit, wo er in das praktische Leben eingetreten und zu der Überzeugung gekommen war, dass er, von den Träumen seiner Phantasie befangen, sich die Wirklichkeit ganz anders gedacht, als er sie jetzt fand.

Nach jenem freundlichen Asyl zog ihn aber auch seine Jugendgeliebte, die sich noch immer den früheren Platz in seinem Herzen bewahrt zu haben schien. Reizbar und für Liebe empfänglich, mochte es ihm manchen Kampf kosten, das äußerst zarte Verhältnis zu Sophien in der Reinheit zu bewahren, wie es sich, glaubwürdigen Zeugnissen zufolge, fortwährend erhielt. Wieland war sogar fähig, mit seiner Liebe und über sie zu scherzen, was er unter andern in einem Briefe tat, in welchem er mit der feinsten, gegen sich selbst gerichteten Ironie, Sophien eine Art von Liebeserklärung machte. In einem freundschaftlichen Verhältnisse stand er mit ihrem Gatten, der sich, ohne die merkwürdige Veränderung, die in Wielands ganzem Wesen vorgegangen war, schwerlich so innig an ihn angeschlossen haben würde. In einem damaligen Briefe gestand Wieland, dass er nichts von dem mehr sei, was er gewesen, „weder Enthusiast, noch Hexametrist, noch Asket, Prophet und Mystiker. Seit geraumer Zeit sei er von alle dem zurückgekommen, und befände sich ganz natürlich auf dem Punkte, von dem er vor zehn Jahren ausgegangen.“

An seinen Freund Zimmermann schrieb Wieland darüber: „Was am meisten dazu beigetragen hat, diese Verwandlung, oder, wenn Sie wollen, diese Herstellung meiner ursprünglichen Gestalt, woraus die Magie des Enthusiasmus mich verdrängt hatte, zu bewirken, das war hauptsächlich die Unzahl von Missgeschick, Not und Plagen, die mich seit der Rückkehr in mein Vaterland verfolgte. Da fühlte ich das Nichts all' der großen Worte, all' der glänzenden Phantome, die in einer süßen Einsamkeit oder an der Seite einer Gyon oder Rowe so verführerische Reize haben für ein empfindsames Herz, wie das meinige, und für eine Einbildungskraft, die um so tätiger war, da sie mich für alles, was den Sinnen abging, entschädigen musste.“

Zu einer heitern und ruhigen Gemütsstimmung konnte gleichwohl Wieland noch immer nicht gelangen, seit er, wie er sich in einem seiner Briefe darüber ausdrückte, „aus den Wolken auf die Erde herabgestiegen“ oder mit andern Worten seine idealen Träume mit der rauen Wirklichkeit vertauscht hatte. Seine Lage, seine Geschäfte waren geeignet, seinen Unmut zu nähren und zu steigern. Vergebens suchte er Trost in dem Studium der Philosophie, das ihn damals ernsthaft beschäftigte. Er wandte sich wieder zu poetischen Schöpfungen, und entwarf zu einer Zeit, wo seine Verstimmung den höchsten Grad erreicht zu haben schien, den Plan zu seinem Roman „Agathon.“ Die Vollendung dieses Werks erfreute ihn, weil er dadurch zu der Überzeugung gelangte, dass die Schwungkraft seines Geistes noch nicht so gelähmt wäre, als er geglaubt hatte. Die erste Idee zu seinem Roman hatte ihm der „Ion“ des Euripides gegeben. Aber Wieland hatte in seinem Helden sich selbst geschildert, nicht bloß dem Charakter, sondern auch den Hauptsituationen und dem ganzen Streben nach. Mit Grund konnte er daher in einem seiner Briefe behaupten: „Agathon sei eine wirkliche Person, die er vor allen am genauesten kenne.“ Nur die Nebenumstände hatte er erfunden. Agathons Seelengeschichte war im Wesentlichen Wielands eigene, und eine der treuesten Selbstschilderungen.

Noch ehe die vier Theile des „Agathon“ vollständig erschienen, hatte Wieland einen andern Roman, den „Don Sylvio von Rosalva“ herausgegeben. Nach seinem eignen Geständnisse war die Beschäftigung mit diesem satirischen Roman das einzige Mittel gewesen, ihn zu erheitern zu einer Zeit, wo Missgeschick, Plagen und schmerzliche Empfindungen von allen Seiten auf ihn eingedrungen waren. Durch die Schilderung ergötzlicher Torheiten suchte Wieland das Gefühl seiner Übel zu mildern und abzustumpfen. Cervantes war damals sein Lieblingsschriftsteller. Durch das wiederholte Lesen des „Don Quixote“ kam ihm die Idee, nach jenem Muster die herrschenden Modetorheiten zu verspotten, und besonders dem Aberglauben einen tödlichen Stoß zu versetzen.

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