V

Er erlebte noch im Jahre 58 den Tod Caraffas und den Aufruhr in Rom, wo vom wütenden Volke der Bildsäule des Papstes auf dem Kapitol der Kopf abgeschlagen, wie ein Ball durch die Straßen gestoßen und in die Tiber geworfen ward und die Gefängnisse der Inquisition gestürmt und verbrannt wurden. Er erlebte unter dem folgenden Papste neue Angriffe auf sich selbst, denen er jetzt mit dem Anerbieten, sein Amt niederzulegen, antwortete. »Es ist mir gestern gesagt worden«, schreibt er am 16. September 1560 an den Kardinal di Carpi, »in welcher Weise sich Ew. Herrlichkeit über den Bau des St. Peter ausgesprochen. Es könne nicht schlechter damit gehen, als es ginge. Das hat mich tief geschmerzt; einmal weil Ew. Herrlichkeit nicht von der wahren Lage der Dinge unterrichtet war, und dann, weil ich, wie es meines Amtes ist, mehr als irgendein Mensch auf Erden den Wunsch hege, daß alles in gutem Gange sei. Aber da vielleicht Eigennutz oder hohes Alter mich täuschen, und ich so, gegen meinen Willen freilich, dem Baue schaden könnte, so werde ich, sobald ich irgend dazu imstande bin, Seine Heiligkeit um meine Entlassung bitten, ja, damit nicht der kleinste Aufschub eintrete, ersuche ich Ew. Herrlichkeit, mich sofort meiner Mühe zu entheben, der ich mich, wie Sie wissen, ohne jede Vergütung 17 Jahre lang unterzogen habe, und es ist klar und offenbar, was während dieser Zeit von mir geleistet worden ist. Noch einmal: mit der Gewährung meiner Bitte würde mir eine ausgezeichnete Gnade zuteil werden, und somit küsse ich Ew. Herrlichkeit untertänigst die Hand.

Michelangelo Buonarroti.«
 

Der neue Papst, Pius der Vierte, ging nicht darauf ein. Im Gegenteil, es wurden Michelangelo die Einkünfte erstattet, die er unter Caraffa eingebüßt. Im Gefühl, die Wölbung der Kuppel nicht erleben zu können, arbeitete er damals bei sich im Hause ein genaues Tonmodell, nach welchem unter seiner Leitung jenes größere von Holz angefertigt wurde, das alle Maße aufs genaueste enthält und, als die Wölbung der Kuppel lange Jahre nach seinem Tode begann, nur im Kolossalen kopiert zu werden brauchte. Pius der Vierte war Michelangelo wohl gesinnt. Unter ihm wurden die Künste wieder aufgemuntert. Es war ein Medici, wenn auch aus der mailändischen Familie stammend, die sich Medichi schrieb und erst später ihren Namen dem der florentinischen gleich machte. Für ihn entwarf Michelangelo das im Dome von Mailand dem Marchese von Marignan, seinem Bruder, der Cosimos Truppen im letzten Kriege befehligt hatte, errichtete Denkmal.

Aber freilich, die Gewänder, die Caraffa auf die Figuren des Jüngsten Gerichtes hatte malen lassen, durfte Pius doch nicht wieder fortnehmen. Zuerst wollte Paul der Vierte das ganze Bild vernichtet haben. Die Verhüllungen, zu denen man sich dann entschloß, erscheinen so betrachtet beinahe als eine Rücksicht gegen den großen Meister. Als ihm davon gesprochen wurde (denn es scheint auch das geschehen zu sein, daß man ihm selbst gleichsam den Auftrag gab, die Gewänder aufmalen zu lassen), antwortete er ironisch: »das ist bald getan; der Papst soll nur die Welt in Ordnung bringen, mit Bildern ist das eine geringe Mühe, die halten still.« Daniele da Volterra tat die Arbeit, und was auf diese Weise geschah, ist nur ein geringer Anfang späterer Bemühungen; er bekleidete nur den San Biagio und die heilige Caterina. Volterra wäre nicht bis zu den letzten Tagen bei Michelangelo gewesen, wenn diese Malerei am Jüngsten Gerichte gegen dessen Willen durch ihn wäre vorgenommen worden, ja, er hätte sich nicht einmal dazu hergegeben.

Michelangelo stand in seinem 86. Jahre, als er jenen Brief an den Kardinal di Carpi schrieb. Die Sprache, die er führte, zeigt, wie wenig seine Feinde recht hatten, wenn sie ihn altersschwach und kindisch nannten. Noch deutlicher beweist der Verlauf, den die Sache nahm, wie fest er auftreten konnte. Die den Bau beaufsichtigende Kommission glaubte die Gelegenheit ihn beiseite zu schaffen, in einer seiner eigenen Anordnungen zu finden. Michelangelo hatte nach dem Tode des Architekten, den er, wenn er selbst zu kommen verhindert war, als seinen Vertreter zu senden pflegte, einen noch ganz jungen, aber fähigen Menschen, Luigi Gaeta, an dessen Stelle gebracht. Er sollte sie ausfüllen, bis sich eine geeignetere Persönlichkeit gefunden hätte. Die Kommission gab diesem Gaeta, ohne Michelangelo zu fragen, seine Entlassung, und Michelangelo erklärte auf einen solchen Eingriff in seine Rechte, daß er den Bau nicht mehr besuchen werde.

Das war, was man gewollt hatte. Ein Architekt, Nanni Bigio mit Namen, machte sich schon längst Rechnung auf Michelangelos Stelle, ein schmeichlerischer, lügenhafter Mensch, der sich hinter die Kommission gesteckt und ihr begreiflich gemacht hatte, wie er gerade der Mann sei, den man brauchen könnte. In allem würde nach ihrem Gusto verfahren werden von nun an, besonders in Geldangelegenheiten.

Nanni Bigio gehörte zur Partei Sangallos. Schon in früheren Jahren war es ihm gelungen, den Bau der Brücke von Santa Maria, der Michelangelo übertragen worden war, an sich zu reißen, und er hatte ein Werk zustande gebracht, das, wie Michelangelo richtig prophezeite, bald darauf vom Strome fortgenommen wurde. An Cosimo selbst hatte Nanni zu schreiben gewagt und ihn um seine Protektion bei der nächstens zu erfolgenden Neubesetzung von Michelangelos Stelle gebeten, wobei er vom Herzoge einfach zurückgewiesen ward. Ihn produzierte man jetzt als den Mann, dem die Oberleitung des Baues einstweilen anzuvertrauen sei, und alles ward auf das Schlaueste eingeleitet. Michelangelo wurde ganz aus dem Spiele gelassen. Er hatte ja erklärt, nicht mehr kommen zu wollen, und kam auch nicht mehr; er habe geäußert, versicherte einer der Kardinäle, man möge ihm mit dem Bau des St. Peters nicht mehr zur Last fallen.

Jetzt aber sendet Michelangelo Daniele da Volterra zu diesem Prälaten. Allerdings wünsche er eine Stellvertretung, allein Volterra solle sie übernehmen. Der Kardinal äußert sich sehr erfreut darüber, läßt jedoch hinterher, als sei gar nichts vorgefallen, statt Volterra Nanni Bigio bei dem Bau einführen, der sofort zu wirtschaften beginnt, Balken fortnimmt, Gerüste verändert und vollständig als Herr auftritt. Michelangelo hatte bis dahin die Sache leicht genommen. Wenn man ihm davon sprach, antwortete er: »Wer gegen Leute kämpft, die nichts sind, der kann keine großen Siege erstreiten, chi combatte con dappochi, non vince a nulla.«Als die Dinge nun aber zu toll wurden, rührte er sich. Der Papst war gerade auf dem Platze des Kapitols. Michelangelo erscheint vor ihm und macht solchen Lärm, daß seine Heiligkeit ihn in den Palast eintreten lassen muß. Jetzt erklärt er auf der Stelle, Rom zu verlassen und nach Florenz gehen zu wollen, wo ihm der Herzog die glänzendsten Anerbietungen mache, wenn hier nicht sofort eine Änderung eintrete. Der Papst beruhigt ihn und ruft die Kommission zusammen, welche sich dahin ausspricht, daß der Bau unter Michelangelos Leitung zugrunde gehen müsse. Pius aber, statt den Herren aufs Wort zu glauben, sendet einen derer, die in seiner Umgebung waren, nach dem St. Peter, um sich zu überzeugen, wie die Sachlage sei. Jetzt kommt die Wahrheit zutage. Nanni Bigio, dem nun, außer dem, was er am St. Peter verdorben, die ruinierte Brücke und verunglückte Hafenbauten bei Ancona vorgeworfen werden, wird auf schimpfliche Weise fortgewiesen und ein Breve vom Papste erlassen, des Inhaltes, daß für die Zukunft auch nicht in der geringsten Kleinigkeit von Michelangelos Anordnungen abgegangen werden solle.

Wer so auftrat, war kein Sterbender. Und um dieselbe Zeit schickt Michelangelo großartige Pläne nach Florenz zu einer unter der Protektion des Herzogs für die florentinische Gemeinde in Rom zu erbauenden Kirche. Nicht einen sandte er, sondern eine ganze Reihe Entwürfe zur Auswahl, die er, da die Hände nicht mehr recht fort wollten, durch einen jungen Bildhauer, Tiberio Calcagni, zeichnen ließ, denselben, der das Modell zur Peterskuppel ausgeführt und dem er seine letzte Marmorarbeit geschenkt hatte. Zu jener Zeit auch wurde ihm das Modell des von Vasari zu einer Residenz des Herzogs einzurichtenden Regierungspalastes von Florenz zugeschickt, damit er sein Gutachten abgäbe, und vom jungen Kardinal Medici ward er wegen der Brücke Trinita ebendort um Rat gefragt, während Caterina Medici aus Frankreich schreibt, Michelangelo möge, sei er noch so alt, ihr gegenüber diese Ausrede nicht vorbringen und die Reiterstatue ihres verstorbenen Gemahls übernehmen, für die 6000 Goldgulden bereit dalägen. Das letzte was Michelangelo für Rom tat, war die Umwandlung der ungeheueren in den Bädern des Diokletian erhalten gebliebenen Halle zu einer Kirche, die in der Folge dann aber so verändert worden ist, daß sie, wie sie heute dasteht, Michelangelos Entwürfen nicht mehr entspricht.

Warum man ihn in den letzten Zeiten vorzüglich in Florenz zu haben wünschte, war die Vollendung der Laurentianischen Bibliothek und der Sakristei wegen, die beide unfertig und vernachlässigt dastanden. Für die Bibliothek ordnete er dann noch den Bau der Treppe an, die Kapelle gab er auf. Es ist seltsam, wie man überall immer nur für das Neue Sinn hat. Um einen neuen Plan Michelangelos tat man das Äußerste, die Kapelle von San Lorenze aber blieb liegen, und niemand kümmerte sich darum. Die Geistlichen hatten einen Kamin mit offenem Feuer in ihr eingerichtet, und Staub und Asche lag auf den Figuren. Vasari machte einen Plan, wie die noch fehlenden Statuen und Malereien unter die jungen Florentiner Künstler zu verteilen wären, aber es erfolgte nichts. Statt sie vollenden zu lassen, erhob der Herzog sie später zum Versammlungsort der neu errichteten Akademie der schönen Künste, zu deren Ehrendirektor Michelangelo ernannt worden war. Es geschah ein Jahr vor seinem Tode. Kein einziger Künstler von Bedeutung hat diesem Institute etwas zu verdanken, dessen erster Direktor Cosimo selbst war. Wenn der alte Lorenzo, als er Bertoldo an die Spitze der Künstlerschule stellte, die unter seinen eigenen Augen arbeitete, sich selbst zu deren erstem Direktor hätte ernennen wollen, würde der bloße Gedanke die Florentiner zum Lachen gebracht haben. Das war jetzt anders. Die Zeiten der Ehrentitel waren gekommen, wo die Fürsten als Halbgötter dastanden, denen der Himmel bei der Geburt schon alle die Gaben mühelos umsonst verlieh, die von ihren Untertanen selbst die außerordentlichsten Geister nicht ohne angestrengte Lebensarbeit zu erwerben imstande waren.

Nur einer in Florenz, der, so niedrig er neben Michelangelo als Kraft steht, so hoch im Vergleiche zu den anderen durch die Originalität erscheint, mit der er arbeitete und sich sein Schicksal selber bereitete: Benvenuto Cellini, hat damals dort Werke hervorgebracht, die nach denen Michelangelos eigenes Dasein besitzen. Sein Perseus unter der Loggia dei Lanci, schräg gegenüber dem David am Tore des Palastes, ist die einzige Statue jener Zeit vielleicht, die frei vom Einflusse Michelangelos geschaffen wurde. Cellini ist eine kraftvoll unabhängige Natur gewesen und sein Perseus eine prachtvolle Arbeit. Man braucht nur den Stil, in dem er sein Leben geschrieben hat, mit der Schreibart Vasaris zu vergleichen, um zu fühlen, wie weit er diesen überragte. Michelangelo hielt große Stücke auf ihn. Er sah in Rom die Büste, die Cellini von Bindo Altoviti gemacht, und schrieb ihm einen ehrenvoll anerkennenden Brief darüber. Sie steht heute noch in dem der Familie gehörigen Palaste, wurde mir aber nicht gezeigt; die Büste des Herzogs jedoch, die in Bargello steht, läßt erkennen, wie Cellini dergleichen arbeitete. Streng an die Natur sich haltend im einzelnen, scharf sie wiedergebend und dennoch den Gesamteindruck über die Details stellend, hat er ein Meisterstück in ihr geliefert. Er war tätig in allen Künsten, die Malerei ausgenommen. Er schnitt die schönsten Stempel für Münzen, fertigte Schmuck, Panzer und Degenklingen und zugleich kolossale Statuen an, wenn sie begehrt wurden, und wußte, wenn die Zeiten auch das verlangten, als Architekt zu dienen. Im Kriege gegen Strozzi hatte ihm der Herzog eines der Tore von Florenz zuerteilt und war zufrieden mit seinen Leistungen als Kriegsbaumeister. Und dennoch, gerade wenn man einen solchen Mann mit Michelangelo vergleicht, tritt die Kluft zutage, die beide trennte. Cellini kräftig und genial darauf losarbeitend, aber ohne Plan, ohne Drang zu geistiger Höhe, ohne eine Ahnung des Einflusses, den Dante auf die Seele eines Künstlers ausüben kann, während Michelangelos Werke, um wieder die Worte der Vittoria Colonna zu brauchen, alle zusammen nur wie ein einziges dastehen.

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