Das Geheimnis der Trinität ist das Geheimnis des gesellschaftlichen, gemeinschaftlichen Lebens – das Geheimnis von ich und du.

»Wir bekennen, daß nur ein Gott ist, daß er aber nicht so einer ist, als wäre er einsam.« Concil. Chalced. (Carranza Summa 1559, p. 139). »Wenn einer behauptet, daß die Worte: Lasset uns Menschen machen nicht der Vater zum Sohne, sondern zu sich selbst allein gesprochen habe, so sei er verflucht.« Concil. Syrmi. (Ebend., p. 68). »Aus den Worten: Lasset uns Menschen machen erhellt, daß Gott mit einem ihm Nächsten hierüber sich unterhielt. Es muß also jemand ihm beigewohnt haben, mit dem er bei der Schöpfung der Welt sich besprach.« Athanasius (Contra Gentes Orat. Opp. Parisiis 1627, T. I. p. 54). »Ein Einsamer kann nicht die Worte: ›Lasset uns machen‹ sagen.« Petrus Lomb. (Lib. I. dist. 2. c. 3). Auch die Protestanten erklären noch diese Stelle so. »Lasset uns machen ist ein Wort eines bedachten Rats... Und aus den Worten erzwinget sich's abermal, daß in der Gottheit mehr denn eine Person sein müsse... Denn das Wörtlein (uns) zeiget an, daß der, der da redet, nicht alleine sei, wiewohl die Juden den Text verspotten, damit, daß also eine Weise sei zu reden, auch wo nicht mehr denn eine Person sei.« Luther (T. I, p. 19). Aber nicht nur Beratschlagungen und Gespräche, sondern auch Verabredungen, ja Verträge finden, gerade wie in der menschlichen Gesellschaft, zwischen den Hauptpersonen der Trinität statt. »Es bleibt nichts andres übrig, als (in betreff nämlich der Erlösung des Menschen) auf ein gewisses Übereinkommen, also gleichsam auf einen gewissen Vertrag zwischen dem Vater und dem Sohn zu schließen.« Buddeus (Comp. Inst. Th. dog. lib. IV. c. I. § 4. Not. 2). Da aber das wesentliche Band der göttlichen Personen die Liebe ist, so ist die Trinität das himmlische Vorbild des innigsten, des ehelichen Liebesbundes. »Bitten wir nun den Sohn Gottes, daß er durch seinen heiligen Geist, welcher ist der Zusammenhang und das Band der gegenseitigen Liebe zwischen dem ewigen Vater und Sohn, die Herzen der Braut und des Bräutigams zusammenbinde.« Orat. de conjugio. (Declam. Melanchth. T. III, p. 453.)

Die Unterschiede im göttlichen Wesen der Dreieinigkeit sind natürliche, physikalische Unterschiede. »Dem Vater allein ist es eigen, nicht daß er nicht geboren ist, sondern daß er einen Sohn gezeugt hat, und dem Sohne allein ist es eigen, nicht daß er nicht gezeugt hat, sondern daß er vom Wesen des Vaters geboren ist ... Wir sind Söhne Gottes, aber so ist es nicht dieser Sohn. Dieser nämlich ist wahrer und eigentlicher Sohn durch seinen Ursprung, nicht durch Adoption, der Wahrheit, nicht dem Namen nach, von Geburt, nicht durch Schöpfung.« Petrus Lomb. (Lib. I. dist. 26. c. 2. u. 4). »Der Vater ist das Prinzip des Sohns und Zeuger; und der Vater ist Vater und keines Sohn, und der Sohn ist Sohn und nicht Bruder.« Athanasius (Contra Arianos Orat. IL, Ed. cit. T. I, p. 320). »Wie ein leiblicher Sohn Fleisch und Blut und sein Wesen vom Vater hat: also hat auch der Sohn Gottes, vom Vater geboren, sein göttlich Wesen und Natur vom Vater von Ewigkeit.« Luther (T. IX, p. 408. Siehe auch Melanchthon, Loci praecip. Theol., Witeb. 1595, p. 30 und Augustin, Epist. 170. § 6, Ed. Antw. 1700). Daß auch in der Bibel der Sohn Gottes einen wirklichen Sohn bedeutet, das geht unzweideutig aus der Stelle hervor: »also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab.« Soll die Liebe Gottes, die uns diese Stelle vorhält, eine Wahrheit sein, so muß auch der Sohn eine und zwar, deutsch gesagt, physikalische Wahrheit sein. Darauf liegt der Akzent, daß er seinen Sohn für uns dahingab – darin nur der Beweis von der Größe seiner Liebe. Richtig trifft daher den Sinn der Bibel das Gesangbuch der evangelischen Brüdergemeinde, wenn es darin »von dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, der auch unser Vater ist«, also heißt:

Sein Sohn ist ihm nicht zu teuer,
Nein! er gibt ihn für mich hin,
Daß er mich vom ew'gen Feuer
Durch sein teures Blut gewinn'.

Also hast du die Welt geliebt,
Daß sich dein Herz drein ergibt,
Den Sohn, der deine Freud' und Leb'n,
In Not und Tod dahinzugeb'n.

Gott ist ein in sich dreifaches, dreipersönliches Wesen, heißt: Gott ist nicht nur ein metaphysisches, abstraktes, geistiges, sondern physikalisches Wesen. Der Zentralpunkt der Trinität ist der Sohn, denn der Vater ist Vater nur durch den Sohn, das Geheimnis der Zeugung aber das Geheimnis der Physik. Der Sohn ist das in Gott befriedigte Bedürfnis der Sinnlichkeit oder des Herzens, denn alle Herzenswünsche, selbst der Wunsch eines persönlichen Gottes und der Wunsch himmlischer Seligkeit sind sinnliche Wünsche – ja sinnliche Wünsche; denn das Herz ist wesentlich materialistisch, es befriedigt sich nur in einem Gegenstand, der gesehen und gefühlt wird. Dies erhellt besonders daraus, daß der Sohn auch inmitten der göttlichen Dreieinigkeit den menschlichen Leib zu einem wesentlichen, bleibenden Attribut hat. »Ambrosius: Es steht geschrieben Epheser 1: dem Fleisch nach ist ihm alles unterworfen. Chrysostomus: Der Vater befahl, daß Christus dem Fleisch nach vor allen Engeln angebetet werde. Theodoretus: Der Körper des Herrn stand zwar von den Toten auf, in göttlicher Glorie verherrlicht ... aber doch ist er ein Körper und hat dieselbe Form, wie früher.« (S. Konkordienbuchs-Anhang. »Zeugnisse der hl. Schrift und Altväter von Christo« und Petrus Lomb., lib. III. dist. 10. c. 1. 2. S. hierüber auch Luther, T. XIX, p. 464-468.) Übereinstimmend hiermit singt die evangelische Brüdergemeinde: »Will in Lieb' und Glauben dich stets umfassen, bis ich, wenn einst mein Mund wird erblassen, dich leiblich seh.« »Wir danken dir, Herr Jesu Christ, daß du gen Himmel g'fahren bist. Dein Abschied und was da geschehn, zielt auf ein fröhlichs Wiedersehn: Die Reise, die das Haupt getan, ist gleichfalls seiner Glieder Bahn.« »Dein' Augen, deinen Mund, den Leib für uns verwundt, drauf wir so fest vertrauen, das werd ich alles schauen.« Deswegen eben ist der Sohn Gottes der Lieblingssohn des menschlichen Herzens, der Bräutigam der Seele, der Gegenstand einer förmlichen, persönlichen Liebe. »Traure wegen der Liebe Jesu Christi, deines Bräutigams, bis daß du ihn sehen kannst.« De Modo bene vivendi. Sect. X. Siehe auch Scala Claust. (Pseudo-Bernhard.) »Daß wir Christus mit körperlichen Augen sehen werden, ist außer Zweifel.« J.F. Buddeus (Comp. Inst. Theol. dogm. lib. II. c. 3. § 10).

Der Unterschied zwischen dem sohnerfüllten oder sinnlichen und dem sohnlosen oder sinnlichkeitslosen Gott ist nichts weiter als der Unterschied zwischen dem mystischen und dem rationellen, vernünftigen Menschen. Der vernünftige Mensch lebt und denkt; er ergänzt den Mangel des Denkens durch das Leben, und den Mangel des Lebens durch das Denken, sowohl theoretisch, indem er aus der Vernunft selbst sich von der Realität der Sinnlichkeit überzeugt, als praktisch, indem er die Lebenstätigkeit mit der geistigen Tätigkeit verbindet. Was ich im Leben habe, brauche ich nicht im Geiste, nicht im metaphysischen Wesen, nicht in Gott zu setzen – Liebe, Freundschaft, Anschauung, die Welt überhaupt gibt mir, was mir das Denken nicht gibt, nicht geben kann, aber auch nicht geben soll. Aber eben deswegen lege ich im Denken die sinnlichen Herzensbedürfnisse beiseite, um die Vernunft nicht durch Begierden zu verdunkeln; in der Sonderung der Tätigkeiten besteht die Weisheit des Lebens und Denkens ich brauche keinen Gott, der mir durch eine mystische, imaginäre Physik den Mangel der wirklichen ersetzt. Mein Herz ist befriedigt, wenn ich geistig tätig bin – ich denke daher dem ungebärdigen, seine Grenzen überspringenden, sich in die Angelegenheiten der Vernunft ungebührlich einmischenden Herzen gegenüber kalt, indifferent, abstrakt, d. h. frei – ich denke also nicht, um mein Herz zu befriedigen, sondern um meine durch das Herz nicht befriedigte Vernunft zu befriedigen; ich denke nur im Interesse der Vernunft, aus reinem Erkenntnistriebe, will von Gott nur den Genuß der lautern, unvermischten Intelligenz. Notwendig ist daher der Gott des rationellen Kopfes ein andrer, als der Gott des nur sich selbst im Denken, in der Vernunft befriedigen wollenden Herzens. Und dies will eben der mystische Mensch, der nicht das läuternde Feuer der scheidenden und begrenzenden Kritik verträgt; denn sein Kopf ist stets umnebelt von den Dämpfen, die aus der ungelöschten Brunst seines begehrlichen Gemüts aufsteigen. Er kommt nie zum abstrakten, d. h. interesselosen, freien Denken, aber eben deswegen auch nie zur Anschauung der Dinge in ihrer einfachen Natürlichkeit, Wahrheit und Wirklichkeit; er identifiziert daher, ein geistiger Hermaphrodit, unmittelbar, ohne Kritik das männliche Prinzip des Denkens und das weibliche der sinnlichen Anschauung, d. h. er setzt sich einen Gott, mit dem er in der Befriedigung seines Erkenntnistriebes unmittelbar zugleich seinen Geschlechtstrieb, d. h. den Trieb nach einem persönlichen Wesen befriedigt. So ist auch nur aus der Unzucht eines mystischen Hermaphroditismus, aus einem wollüstigen Traume, aus einer krankhaften Metastase des Zeugungsstoffes in das Hirn das Monstrum der Schellingschen Natur in Gott entsprossen; denn diese Natur repräsentiert, wie gezeigt, nichts weiter als die das Licht der Intelligenz verfinsternden Begierden des Fleisches.

In betreff der Trinität noch diese Bemerkung. Die ältern Theologen sagten, daß die wesentlichen Attribute Gottes als Gottes schon aus dem Lichte der natürlichen Vernunft erhellten. Warum anders aber kann die Vernunft aus sich selbst das göttliche Wesen erkennen, als weil das göttliche Wesen nichts andres ist als das eigne objektive Wesen der Intelligenz? Von der Trinität aber sagten sie, daß sie nur aus der Offenbarung erkennbar sei. Warum nicht aus der Vernunft? Weil sie der Vernunft widerspricht, d. h. weil sie kein Vernunftbedürfnis, sondern ein sinnliches, gemütliches Bedürfnis ausdrückt. Übrigens heißt: Etwas stammt aus der Offenbarung, überhaupt nur soviel als: Etwas ist uns nur auf dem Wege der Tradition zugekommen. Die Dogmen der Religion sind entsprungen zu gewissen Zeiten, aus bestimmten Bedürfnissen, unter bestimmten Verhältnissen und Vorstellungen; deswegen den Menschen einer spätem Zeit, in der diese Verhältnisse, Bedürfnisse, Vorstellungen verschwunden, etwas Unverständliches, Unbegreifliches, nur Überliefertes, d. h. Geoffenbartes. Der Gegensatz von Offenbarung und Vernunft reduziert sich nur auf den Gegensatz von Geschichte und Vernunft, nur darauf, daß die Menschheit zu einer gewissen Zeit nicht mehr kann, was sie zu einer andern Zeit recht gut vermochte, gleichwie auch der Mensch als Individuum nicht gleichgültig zu jeder Zeit, sondern nur in den Momenten besondrer Aufforderung von außen und Aufregung von innen sein Vermögen entfaltet. So entstehen die Werke des Genies immer nur unter ganz besondern, nur einmal so zusammentreffenden innern und äußern Bedingungen; sie sind άπαξ λεγόμενα. »Einmal ist alles Wahre nur.« Daher dem Menschen in spätem Jahren oft die eignen Werke ganz fremd und unbegreiflich vorkommen. Er weiß jetzt nicht mehr, wie er sie erzeugte und erzeugen konnte, d. h. er kann sie sich jetzt nicht mehr aus sich erklären, noch weniger wieder hervorbringen. Das soll aber auch nicht sein. Solche Repetition wäre unnötig, und, weil unnötig, geistlos. Wir wiederholen es: »Einmal ist alles Wahre nur.« Nur was einmal, geschieht notwendig, und nur, was notwendig, ist wahr. Die Not ist das Geheimnis jeder wahren Schöpfung. Nur wo Not, da wirkt Natur, und nur wo Natur, da wirkt Genie, der Geist der unfehlbaren Wahrheit. So töricht es daher wäre, wenn wir in reifern Jahren die Werke unsrer Jugend, weil ihr Inhalt und Ursprung uns fremd und unbegreiflich geworden, aus einer besondern Inspiration von oben her ableiten wollten; so töricht ist es, den Lehren und Vorstellungen einer vergangnen Zeit deswegen, weil die nachgekommenen Menschen sie nicht mehr in ihrer Vernunft finden, einen die menschlichen Kräfte übersteigenden, einen über- und außermenschlichen, d. h. imaginären, illusorischen Ursprung zu vindizieren.

Die Schöpfung aus Nichts drückt die Ungöttlichkeit, Wesenlosigkeit, d. i. die Nichtigkeit der Welt aus. Das Nichts, aus dem die Welt geschaffen, ist ihr eignes Nichts.

Erschaffen ist nämlich, was einst nicht gewesen ist, einst nicht sein wird, was folglich auch nicht sein kann, was wir denken können als nicht-seiend, kurz, was den Grund seines Seins nicht in sich selbst hat, nicht notwendig ist. »Da die Dinge aus ihrem Nichtsein hervorgebracht werden, so können sie absolut nicht sein, und es ist folglich ein Widerspruch, daß sie notwendig sind.« Duns Scotus (bei Rixner, Geschichte der Philosophie B. II, S. 78). Aber nur notwendige Existenz ist Existenz. Wenn ich nicht notwendig bin, nicht als notwendig mich fühle, so fühle ich, daß es eins ist, ob ich bin oder nicht bin, daß also meine Existenz eine wertlose, nichtige ist. Ich bin nichts und ich bin nicht notwendig – ist im Grunde einerlei. »Die Schöpfung ist ein Akt des bloßen göttlichen Willens, welcher das ins Sein ruft, was vorher Nichts war und an sich selbst auch sowohl Nichts ist als aus Nichts ist.« Albertus M. (De mirab. scient. Dei, P. II. Tr. I. Qu. 4. Art. 5, memb. II). Aber dadurch, daß die Welt als nicht notwendig gesetzt wird, soll nur das außer- und überweltliche Wesen, d. i. das Wesen des Menschen als das allein notwendige, allein reale Wesen bewährt werden. Indem das eine als nichtig, als zeitlich, wird notwendig das andere als das Wesenhafte, Seiende, Ewige gesetzt. Die Erschaffung ist der Beweis, daß Gott ist, ausschließlich wahrhaft ist. »Was angefangen hat vom Nichtsein und als nicht seiend gedacht werden kann, und, wenn es nicht durch etwas andres besteht, ins Nichtsein zurückfällt, und was hat ein vergangnes Sein, welches nicht mehr ist, und ein zukünftiges Sein, welches noch nicht ist, das hat kein eigentliches und absolutes Sein. Du aber, Gott, bist, was du bist. Du nur bist eigentlich und schlechtweg, denn du hast kein vergangnes und zukünftiges, sondern nur gegenwärtiges Sein, und kannst nicht als einst nicht seiend gedacht werden.« S. Anselmus Cant. (Proslogium c. 22). »Heiliger Gott! Du hast Himmel und Erde nicht aus dir gemacht, denn sonst wären sie dir gleich. Aber es war sonst nichts außer dir, woraus du sie machen konntest. Also hast du sie aus Nichts gemacht.« Augustinus (Confess. lib. XII. c. 7). »Wahrhaft ist nur Gott, weil er unveränderlich; denn alle Veränderung macht Sein zu Nichtsein. Wenn aber nur er allein unveränderlich, so ist alles, was er gemacht hat, weil er es aus Nichts, d.h. aus dem, was gar nicht ist, gemacht hat, veränderlich.« Derselbe (De nat. boni adv. Manich. c. 1. u. 19). »Die Kreatur darf in nichts Gott gleich gesetzt werden, wenn sie aber keinen Anfang des Seins und der Dauer hätte, so würde sie hierin Gott gleichgesetzt.« Albertus M. (L. c. Quaest. incidens I). Das Positive, Wesenhafte der Welt ist nicht das, was die Welt zur Welt macht, was sie von Gott unterscheidet – dieser Unterschied ist gerade ihr Endlichkeit und Nichtigkeit –, sondern vielmehr das, was nicht sie selbst, was Gott in ihr ist. »Alle Kreaturen seind ein lauter nicht... haben kein Wesen, denn ihr Wesen schwebt an der Gegenwärtigkeit Gottes. Abkehrte sich Gott einen Augenblick, sie würden zunicht.« (Predigten vor und zu Tauleri Zeiten, ed. c. p. 29. S. auch Augustin z.B. Confess. lib. VII. c. 11.) Ganz richtig vom Standpunkt der Religion aus, denn Gott ist das Wesen der Welt, das aber als ein von der Welt unterschiednes, persönliches Wesen vorgestellt wird. – Die Welt ist und besteht, so lange als Gott will. Die Welt ist vergänglich, aber der Mensch ewig. »So lange er will, bleibt und besteht alles durch seine Kraft, aber das Ende hängt von seinem Willen ab.« Ambrosius (Hexaem. lib. 1. c. 5). »Die von Gott geschaffnen Geister hören niemals zu existieren auf. Die himmlischen Körper aber werden so lange erhalten, als Gott ihre Existenz will.« Buddeus (L. c, lib. II c. 2. § 47). »So schaffet der liebe Gott nicht alleine, sondern das er schaffet, das hält er auch bei seinem Wesen, so lange traun, als er selbst will, daß es nicht mehr sein soll. Wie denn auch die Zeit kommen wird, daß nicht mehr Sonne, Mond und Sternen sein werden.« Luther (T. IX, p. 418). »Das Ende wird ehe kommen, denn wir denken.« Derselbe (T. XI, p. 536).

Vermittelst der Schöpfung der Welt aus Nichts gibt sich der Mensch die Gewißheit, daß die Welt nichts ist und vermag gegen den Menschen. »Wir haben einen Herrn, der größer ist denn die ganze Welt, wir haben einen so mächtigen Herrn, daß wenn er nur spricht, alle Dinge geboren werden... Wofür sollten wir uns denn fürchten, weil uns der günstig ist?« Ders. (T. VI, p. 293). Daher ist identisch mit dem Glauben an die Schöpfung aus Nichts der Glaube an das ewige Leben des Menschen, an den Sieg über den Tod, die letzte Naturschranke des Menschen – an die Auferstehung der Toten. »Vor 6 000 Jahren war die ganze Welt Nichts; wer hat nun die Welt gemacht?... Derselbige Gott und Schöpfer kann dich auch von den Toten erwecken; er will es tun und kann es tun.« Luther (T. XI, p. 426. S. auch 421 etc.). »Wir Christen größer und mehr sind, denn alle Kreaturen, nicht in oder von uns, sondern durch die Gabe von Gott in Christo, gegen welchen die Welt nichts ist, noch vermag.« Ders. (T. XI, p. 377).

 

Die Kreation hat nur einen egoistischen Zweck und Sinn. »Der Zweck der Erschaffung der Welt war allein wegen Israels. Die Welt ist der Israeliten wegen erschaffen worden und seind dieselben die Frucht, die übrigen Völker aber seind ihre Schalen.« »Wann die Israeliten nicht wären, so käme kein Regen herunter in die Welt und ginge die Sonne nicht auf, wofern es nicht ihrentwegen geschehe, wie (Jerem. 33, 25) gesagt wird: Halt ich meinen Bund nicht mit Tag und Nacht?« »Er (Gott) ist unser Verwandter, und wir seind seine Verwandten ... Wer einem Israeliten einen Backenstreich gibt, der tut soviel, als wann er der göttlichen Majestät einen Backenstreich gäbe.« Eisenmengers (Entdecktes Judentum, I. T. Kap. 14). Die Christen tadelten die Juden ob dieses Hochmuts, aber nur deswegen, weil das Reich Gottes von ihnen genommen und den Christen übertragen worden sei. Daher finden wir bei den Christen dieselbigen Gedanken und Gesinnungen als bei den Israeliten. »Wisse, wie sich Gott also dein annimmt, daß deine Feinde seine Feinde sind.« Luther(T. VI, p. 99). »Wer mich schmähet, schmähet Gott.« (T. XI, p. 538.) »Gott leidet und wird verachtet und verfolget in uns.« (T. IV, p. 577.) »Die Christen sind's, um welcher willen Gott der ganzen Welt verschonet... Der Vater läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und Guten und lasset regnen über Gerechte und Ungerechte. Doch geschieht solches alles um der Frommen und Dankbarn willen.« (T. XVI, p. 506.) »Die ganze Natur ist zum Nutzen der Frommen und ihretwegen erschaffen.« Melanchthon (Epist. sel. a. C. Peucero ed., Witeb. 1565, p. 558). »Die christliche Kirche ist vor allen Dingen erschaffen, ihretwegen ist die Welt gemacht.« (Hermas in Pastore.) »Alles ist für den Menschen, der Mensch für Christus, Christus für Gott. Gott hat die Welt gemacht für die Auserwählten; Gott hat bei der Schöpfung keinen andern Zweck gehabt, als die Gründung der Kirche.« (Malebranche bei Mosheim ad Cudworth. Syst. Int. S. V. c. 5. § 4.) Daher auch der Glaube der Christen, daß sie nach göttlichem Rechte die Besitzer der ganzen Erde oder Welt, die Gottlosen und Ungläubigen aber unrechtmäßige Besitzer ihrer Länder seien. Ein Glaube, der sich übrigens auch bei den Muhamedanern findet. »Le monde«, sagten auch sie, »est à nous avec tout ce qui paroît à la surface du globe.« (Oelsner, Effets de la Religion de Mohammed, Paris 1810, p. 52.) So macht der Mensch Gott zum Schöpfer der Welt, um sich zum Zweck, zum Herrn der Welt zu machen. So bestätigt sich auch an diesem Beispiel, daß das Gottesbewußtsein nichts andres als das Selbstbewußtsein des Menschen, daß Gott nur in abstracto, d. h. in Gedanken ist, was der Mensch in concreto, d. h. in Wirklichkeit ist.

 

Die Vorsehung ist das religiöse Bewußtsein des Menschen von seinem Unterschiede von den Tieren, von der Natur überhaupt.

»Sorget Gott für die Ochsen?« (Paulus, 1. Kor. 9, 9). »Nein! Auf uns bezieht sich seine Sorge, nicht auf die Ochsen, Pferde, Esel, die zu unserm Nutzen erschaffen sind.« J. L. Vives Val., (de Verit. rel. ehr., Bas. 1544, p. 108). »Die Vorsehung Gottes hat in allen andern Kreaturen den Menschen als ihr Ziel im Auge. Matth. 10, 31. Ihr seid besser denn viele Sperlinge. Rom 8, 20. Der Sünde des Menschen wegen ist die Natur der Eitelkeit unterworfen.« M. Chemnitii (Loci theol., Francof. 1608, P. I. p. 312). »Sorget Gott für die Ochsen? Ebensowenig als für die übrigen unvernünftigen Wesen. Gleichwohl sagt die Schrift (Weish. 6), daß er für alles sorgt. Eine allgemeine Vorsehung und Sorge hat er also für alles Erschaffne, aber eine besondre nur für die vernünftigen Wesen.« Petrus Lomb. (Lib. I. dist. 39. c. 3). Hier haben wir wieder ein Beispiel, wie die christliche Sophistik ein Produkt des christlichen Glaubens ist, insbesondre des Glaubens an die Bibel als das Wort Gottes. Gott kümmert sich nicht um die Ochsen; Gott kümmert sich um alles, also auch um die Ochsen. Das sind Widersprüche; aber das Wort Gottes darf sich nicht widersprechen. Wie kommt nun der Glaube aus diesem Widerspruch heraus? Nur dadurch, daß er zwischen die Position und Negation des Subjekts ein Prädikat einschiebt, welches selbst zugleich eine Position und Negation, d.h. selbst ein Widerspruch, eine theologische Illusion, ein Sophisma, eine Lüge ist. So hier das Prädikat: allgemein. Eine allgemeine Vorsehung ist eine illusorische, in Wahrheit keine. Nur die spezielle Vorsehung ist Vorsehung – Vorsehung im Sinne der Religion. »Der fleischliche Sinn«, sagt ganz richtig Calvin, »bleibt nur bei einer allgemeinen Vorsehung stehen und glaubt, daß die im Anfang der Schöpfung den Dingen von Gott eingepflanzte Kraft zu ihrer Erhaltung hinreiche. Aber der religiöse Sinn, der Glaube dringt tiefer ein und erkennt, daß Gott nicht mit einer allgemeinen, sondern speziellen Vorsehung für alles, was er erschaffen, bis zum kleinsten Sperling herab sorgt, daß kein Regentropfen ohne Gottes ausdrücklichen Willen fällt, kein Wind entsteht oder sich erhebt ohne seinen speziellen Befehl.« (Instit. Christ. Rel. lib. I. c. 16. Sect. 1. 5. 7.)[1]

Die allgemeine Vorsehung, die Vorsehung, welche sich ebensogut auf die unvernünftigen als vernünftigen Wesen erstreckt, welche den Menschen nicht von den Lilien auf dem Felde und von den Vögeln in der Luft unterscheidet, ist nichts andres als die Vorstellung der personifizierten, mit Verstand begabten Natur – eine Vorstellung, die man ohne Religion haben kann. Das religiöse Bewußtsein gesteht dies selbst dadurch ein, daß es sagt: wer die Vorsehung leugnet, hebt die Religion auf, setzt den Menschen auf gleichen Fuß mit den Tieren – also erklärt, daß die Vorsehung, an der auch die Tiere Anteil haben, in Wahrheit keine Vorsehung ist. Wie der Gegenstand der Vorsehung, so ist auch die Vorsehung beschaffen, die Vorsehung daher, welche die Pflanzen und Tiere zu ihrem Objekt hat, selbst pflanzlicher und tierischer Art. Die Vorsehung ist nichts andres als die innere Natur eines Dings – diese innere Natur ist sein Genius, sein Schutzgeist –, die Notwendigkeit, daß es ist. Je höher, je wertvoller ein Wesen ist, desto mehr Grund zu sein hat es, desto notwendiger ist es, desto weniger dem Zufall preisgegeben. Jedes Wesen ist aber nur dadurch notwendig, wodurch es sich von andern Wesen unterscheidet – der Unterschied ist der Grund des Daseins. So ist der Mensch nur dadurch notwendig, wodurch er sich von den Tieren unterscheidet – die Vorsehung daher nichts andres als das Bewußtsein des Menschen von der Notwendigkeit seiner Existenz, von dem Unterschied seines Wesens von den übrigen natürlichen Wesen, folglich nur die Vorsehung erst, welche dem Menschen diesen seinen Unterschied vergegenständlicht, Vorsehung. Diese Vorsehung ist aber die spezielle, d. h. die Vorsehung der Liebe, denn nur die Liebe interessiert sich für das Spezielle eines Wesens. Vorsehung ohne Liebe ist eine Vorstellung ohne Basis, ohne Realität. Die Wahrheit der Vorsehung, die wahre Vorsehung ist die Liebe. Gott liebt die Menschen, nicht die Tiere, die Pflanzen; denn nur um der Menschen willen tut er außerordentliche Taten, Taten der Liebe – Wunder. Wo keine Gemeinschaft, ist keine Liebe. Welches Band sollte aber die Tiere, überhaupt die übrigen natürlichen Wesen mit Gott verknüpfen? Gott erkennt sich nicht in ihnen; denn sie erkennen ihn nicht: worin ich mich aber nicht finde, wie kann ich das lieben? »Gott, der da verheißet, redet nicht mit Eseln und Ochsen, wie Paulus saget: Sorget Gott für die Ochsen? sondern mit der verständigen Kreatur, erschaffen nach seinem Ebenbilde, auf daß sie mit ihm ewig leben soll.« Luther (Th. II, S. 156).[2] Erst im Menschen ist Gott bei sich; erst im Menschen beginnt die Religion, beginnt die Vorsehung; denn diese ist nicht etwas von jener Unterschiednes, sondern vielmehr die Religion ist selbst die Vorsehung des Menschen. Wer die Religion, d.h. den Glauben an sich verliert, den Glauben an den Menschen, den Glauben an die unendliche Bedeutung seines Wesens, an die Notwendigkeit seiner Existenz, der verliert die Vorsehung. Nur der ist verlassen, der sich selbst verläßt; nur der verloren, der verzweifelt; nur der ohne Gott, der ohne Glauben, d.i. ohne Mut ist. Worein setzt denn die Religion die wahren Beweise der Vorsehung? in die Erscheinungen der Natur, die und wie sie uns außer der Religion in der Astronomie, in der Physik, in der Naturgeschichte Gegenstand sind? Nein! in die Erscheinungen, welche nur Gegenstand der Religion, Gegenstand des Glaubens sind, welche nur den Glauben der Religion an sich, d.h. an die Wahrheit und Realität des Menschen ausdrücken – in die religiösen Begebenheiten, Mittel und Institute, die Gott ausschließlich zum Heile des Menschen geordnet, kurz, in die Wunder; denn auch die kirchlichen Gnadenmittel, die Sakramente gehören in die Klasse der Wunder der Vorsehung. »Obgleich die Betrachtung der ganzen Natur uns an Gott erinnert, so sollen wir doch zuerst unsern Sinn und Blick auf alle die Zeugnisse richten, in denen sich Gott der Kirche offenbarte, als auf die Ausführung aus Ägypten, auf die am Sinai ertönende Stimme, auf den die Toten erweckenden und den erweckten Christus usw. Beständig mögen daher die Geister diese Zeugnisse in Erwägung ziehen und, durch sie bestärkt, den Artikel von der Schöpfung bedenken und dann erst die der Natur eingedrückten Spuren Gottes betrachten.« Melanchthon (Loci de creat., p. 62, Witeberg 1595). »Mögen andere die Schöpfung bewundern: ich bewundre mehr die Erlösung. Wunderbar ist es, daß unser Fleisch und Gebein von Gott gebildet ist, aber noch wunderbarer ist es, daß Gott selbst Fleisch von unserm Fleisch und Bein von unserm Bein werden wollte.« J. Gerhard. (Medit. sacrae, Med. 15). »Die Heiden kennen Gott nicht weiter, denn daß er ein Schöpfer ist.« Luther (T. II, p. 327). Daß die Vorsehung zu ihrem wesentlichen Zweck und Gegenstand nur den Menschen hat, das geht am deutlichsten daraus hervor, daß dem religiösen Glauben alle Dinge und Wesen um des Menschen willen erschaffen sind. »Wir Herren sind nicht allein der Vögel, sondern aller lebendigen Kreaturen und alle Dinge uns zu Dienst gegeben und nur unsertwillen geschaffen sindLuther (T. IX, p. 281). Sind aber die Dinge um des Menschen willen erschaffen, so werden sie auch nur um des Menschen willen erhalten. Und sind die Dinge bloße Mittel für den Menschen, so stehen sie nicht unter dem Schutze eines Gesetzes, sie sind dem Menschen gegenüber rechtlos. Diese Rechtlosigkeit der Dinge offenbart das Wunder.

 

Die Negation der Vorsehung ist die Negation Gottes. »Wer die Vorsehung aufhebt, hebt das ganze Wesen Gottes auf und sagt eigentlich nichts andres, als daß kein Gott ist... Wenn Gott sich nicht um Menschliches kümmert, sei es nun mit oder ohne Wissen, so gibt es keine Ursache zur Religion, denn es ist kein Heil zu hoffenJoa. Trithemius (Tract. de provid. Dei). »Wenn ein Gott ist, so ist er ja als Gott vorsehend, denn die Gottheit kann ihm nur zugeschrieben werden, wenn er das Vergangene behält, das Gegenwärtige weiß und das Zukünftige voraussieht.[3] Wenn er (Epikur) also die Vorsehung aufhob, so leugnete er auch, daß ein Gott ist. Wenn er aber die Existenz Gottes zugab, so hat er auch zugleich die Vorsehung zugegeben. Eines kann nicht ohne das andre sein und gedacht werden.« Lactantius (bei Petavius, Theolog. Dog. T. I. lib. VIII. c. 1. § 4). »Aristoteles gerät fast auf die Meinung, daß, ob er gleich Gott nicht ausdrücklich einen Narren nennt, er ihn doch für einen solchen halte, der von unsern Sachen nichts wisse, nichts von unsern Vorhaben erkenne, verstehe, sehe, nichts betrachte als sich selbst... Aber was geht uns ein solcher Gott oder Herr an? was vor Nutzen haben wir davon?« Luther (in Walchs Philos. Lexikon, Art. Vorsehung). Die Vorsehung ist daher der unwidersprechlichste, augenfälligste Beweis, daß es sich in der Religion, im Wesen Gottes selbst um gar nichts andres handelt, als um den Menschen, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie, der Inhalt, der Gehalt des unendlichen Wesens das »endliche« Wesen ist. Gott sieht den Menschen, heißt: der Mensch sieht sich nur selbst in Gott. Gott sorgt für den Menschen, heißt: die Sorge des Menschen für sich selbst ist sein höchstes Wesen. Die Wirklichkeit Gottes wird abhängig gemacht von der Tätigkeit Gottes: ein nicht tätiger Gott ist kein wirklicher Gott. Aber keine Tätigkeit ohne Gegenstand: erst der Gegenstand macht die Tätigkeit aus einem bloßen Vermögen zu wirklicher Tätigkeit. Dieser Gegenstand ist der Mensch. Wäre nicht der Mensch, so hätte Gott keine Ursache zur Tätigkeit. Also ist der Mensch das Bewegungsprinzip, die Seele Gottes. Ein Gott, der nicht den Menschen sieht und hört, nicht den Menschen in sich hat, ist ein blinder und tauber, d. h. müßiger, leerer, inhaltsloser Gott. Also ist die Fülle des göttlichen Wesens die Fülle des menschlichen – also die Gottheit Gottes die Menschheit. Ich für mich – das ist das trostlose Geheimnis des Epikureismus, des Stoizismus, des Pantheismus; Gott für mich – dies ist das trostreiche Geheimnis der Religion, des Christianismus. Ist der Mensch um Gottes, oder Gott um des Menschen willen? Allerdings ist der Mensch in der Religion um Gottes willen, aber nur weil Gott um des Menschen willen ist. Ich für Gott, weil Gott für mich.

Die Vorsehung ist identisch mit der Wundermacht, die supernaturalistische Freiheit von der Natur, die Herrschaft der Willkür über das Gesetz.

»Die berauben ebenso Gott seiner Ehre, als den Menschen seiner Ruhe, welche die Vorsehung in so enge Grenzen einschließen, als wenn sie nach einem ewigen Naturgesetz alles in freiem Laufe gehen ließe; denn nichts wäre erbärmlicher, als der Mensch, wenn er jeder Bewegung des Himmels, der Luft, der Erde, der Gewässer ausgesetzt wäre, wenn nicht alles, was dem Wohl des Menschen entgegen ist, von Gottes freiem Willen abhinge, wenn er also nicht die Kreaturen zu jedem beliebigen Zweck gebrauchen und verwenden könnte.« Calvin (a. a. O. lib. I. cap. 16. Sect. 3, 7). »Die göttliche Vorsehung wirkt bald durch Mittel (d. h. die Naturursachen), bald ohne Mittel, bald wider alle Mittel.« (Ders. cap. 17. Sect. 1.) »Obgleich Gott die Natur erhält, so hat er doch einst wider die Ordnung der Natur die Sonne zurückgehen lassen usw. Er ist also nicht in seinen Wirkungen, wie die Stoiker faseln, an die Naturursachen gebunden, sondern regiert nach freistem Ratschluß die Natur. Gar vieles tut die erste Ursache ohne und wider die natürlichen Ursachen, weil sie ein freitätiges Wesen ist.« Melanchthon (Loci de causa peccati, p. 82, 83. zit. Ausg.). »Die heilige Schrift lehrt, daß Gott in der Tätigkeit der Vorsehung ein freies Wesen ist, daß er, sooft er auch die Ordnung seines Werks beobachtet, doch an diese Ordnung nicht gebunden ist, sondern vielmehr 1) alles, was er durch die natürlichen Ursachen (causas secundas) tut, auch ohne sie durch sich selbst tun kann, 2) aus den natürlichen Ursachen eine andere Wirkung hervorbringen kann, als ihre Beschaffenheit und Natur mit sich bringt, 3) wenn die natürlichen Ursachen in Tätigkeit sind, doch ihre Wirkung verhindern, verändern, mildern, verschärfen kann. In der Handlungsweise der göttlichen Vorsehung findet also keine stoische Verkettung der Ursachen statt.« M. Chemnitius (a. a. O. p. 316, 317). »Gott herrscht über die Natur mit unbeschränkter Freiheit. Wir müssen Gott schlechterdings diese Ehre lassen, daß er uns helfen kann und will, auch wenn wir von der ganzen Natur verlassen sind, auch im Widerspruch mit der Folgenreihe aller natürlichen Ursachen.« C. Peucerus (De praecip. Divinat. gener., Servestae 1591, p. 44). »Wie reimet sich das? die Luft gibt Speise und Nahrung, und allhier die Steine oder Felse fließen mit Wasser; es ist eine wunderbare Gabe. Wie es denn auch seltsam und wunderbarlich ist, daß Körner aus der Erde wachsen. Wer kann diese Kunst, und wer hat diese Gewalt? Gott hat sie, der kann solche unnatürliche Dinge tun, auf daß wir daraus uns einbilden mögen, was er für ein Gott sei und was er für Gewalt habe, auf daß wir an ihm nicht verzageten oder verzweifelten, sondern festiglich glaubeten und ihm vertraueten, daß er auch könne das Leder an der Tasche zu Gold machen und aus Staub eitel Korn auf dem Boden machen und die Luft mir zum Keller voll Weins machen. Das soll man ihm vertrauen, daß er eine solche große Gewalt habe und wir wissen mögen, wir haben einen solchen Gott, der diese Kunst könne, und daß es um ihn alles regene und schneie mit Wunderwerken.« Luther (T. III, p. 594).

Die Allmacht der Vorsehung ist die Allmacht des von allen Determinationen und Naturgesetzen sich entbindenden menschlichen Gemüts. Diese Allmacht realisiert das Gebet. Das Gebet ist allmächtig.

»Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen... Des Gerechten Gebet vermag viel. Elias war ein Mensch, gleichwie wir, und er betete ein Gebet, daß es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. Und er betete abermal, und der Himmel gab den Regen und die Erde brachte ihre Frucht.« Jakobi 5, 15-18. »So ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein solches mit dem Feigenbaum tun, sondern so ihr werdet sagen zu diesem Berge: hebe dich auf und wirf dich ins Meer, so wird es geschehen. Und alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubet, so werdet ihr es empfangen.« Matthäi 21, 21. 22. Daß unter diesen Bergen, die die Kraft des Gebets oder Glaubens überwindet, nicht nur so im allgemeinen res difficillimae, wie die Exegeten sagen, welche diese Stelle nur für eine sprüchwörtliche, hyperbolische Redensart der Juden erklären, sondern vielmehr der Natur und Vernunft nach unmögliche Dinge zu verstehen sind, dies beweist eben das Exempel mit dem augenblicklich verdorrten Feigenbaum, auf den sich diese Stelle bezieht. Es ist hier unbezweifelbar ausgesprochen die Allmacht des Gebets, des Glaubens, vor welcher die Macht der Natur in nichts verschwindet. »Es ändern sich auf Gebete die Folgen natürlicher Ursachen, wie es bei Hiskia, dem König von Juda, der Fall war, zu welchem, weil er nach dem Lauf der natürlichen Ursachen hätte sterben müssen, der Prophet Gottes sagte: Du wirst sterben und nicht leben bleiben; aber dieser Lauf der Natur wurde auf das Gebet des Königs abgeändert.« J. L, Vives (a. a. O., p. 132). »Die Natur weicht den Gebeten des Moses, Elias, Elisa, Jesaias und anderer Frommen, wie Christus sagt Matth. 21: ›Alles, was ihr bittet, werdet ihr empfangen, so ihr glaubt.‹« Melanchth. (Loci de creatione). Celsus fordert die Christen auf, dem Kaiser nicht den Kriegsdienst zu verweigern. Darauf erwidert Origenes, daß die Christen durch ihre Gebete die Teufel, die Friedensstörer und Urheber der Kriege, zu Boden werfen und daher den Königen mehr nützen, als die, welche für den Staat mit den Waffen kämpfen. (Adv. Celsum. S. Gelenio interpr. lib. VIII.) »In England wurde die Geistlichkeit, weil das Gebet der Kirche mehr vermöge als die Waffen, durch Eduard den Bekenner von der Dänensteuer freigesprochen.« Eichhorn (Allg. Gesch. der Cultur u. Literat, des neuern Europas, 1796, I. B., S. 397). Die menschliche Not ist die Notwendigkeit des göttlichen Willens. Der Mensch ist im Gebete das Aktive, das Bestimmende, Gott das Passive, das Bestimmte. Gott tut den Willen des Menschen. »Gott tut den Willen derer, die ihn fürchten, und er gibet seinen Willen in unsern Willen... Nun saget aber der Text hier klar genug, daß Lot an keinem andern Orte in derselben ganzen Grenze stehen sollte, ohne alleine auf dem Berge. Aber solchen seinen Willen ändert Gott, dieweil ihn Lot fürchtet und betet.« »Und haben wir solcher Zeugnisse in der Schrift mehr, die da beweisen, daß sich Gott lenken läßt und seinen Willen unserm Willen unterwirft.« »Also war dies die geordnete Gewalt Gottes, daß die Sonne ihren Umgang und gewöhnlichen Lauf behielte: da aber Josua in seiner Not zu dem Herrn rief und der Sonnen gebot, sie sollte innehalten und stille stehen, stund sie stille auf Josuä Wort. Was nun dieses für ein groß Wunderwerk sei, darum frage die Astronomos.« Luther (T. II, p. 226). »Herr, ich stecke hie und da in großer Not und Fahr Leibes und der Seelen, darf derhalben deiner Hülfe und Trostes. Item: ich muß das und jenes haben; darum bitte ich, du wollest mir's geben.« »Wer so bettelt und unverschämt anhält, der tut recht und unser Herr Gott hat's gern, denn er ist nicht so eckel als wir Menschen.« Ders. (T. XVI, p. 150).

 

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Anmerkungen:
  1. Dieses und das folgende Kapitel sind – wie freilich Calvin überhaupt – sehr lesenswürdige, interessante Dokumente von dem häßlichen, heuchlerischen Egoismus und Obskurantismus des theologischen Geistes.
  2. »Ich glaube«, sagt Moses Maimonides (in H. Grotii Philosoph. Sententiae de Fato, Amst. 1648, p. 311-325), »daß die Vorsehung Gottes unter den Wesen unter dem Monde allein für die Individuen der menschlichen Gattung sorgt. Die Meinung, welche die göttliche Vorsehung auf gleiche Weise für die Tiere und Menschen sorgen läßt, ist eine verderbliche. Der Prophet Habakuk (1, 14) sagt: Und lässest die Menschen gehen, wie Fische im Meere, wie Gewürm, das keinen Herrn hat, und zeigt damit deutlich an, daß die Individuen der Tiergeschlechter keine Gegenstände der göttlichen Vorsehung sind (extra curam Dei posita). Die Vorsehung hängt vom Verstande ab und richtet sich nach dem Verstand. So viel teil am Verstande ein Wesen hat, so viel teil hat es auch an der göttlichen Vorsehung. Selbst in betreff der Menschen ist daher die Vorsehung nicht gleich, sondern so verschieden, als die Geister der Menschen verschieden sind. Die Vorsehung richtet sich bei jedem Menschen nach seinen geistigen und moralischen Eigenschaften. Je mehr Geist, desto mehr Vorsehung.« Das heißt: die Vorsehung drückt nichts aus als den Wert des Menschen, sie ist nichts von seiner Qualität, seiner Natur Verschiedenes; es ist daher der Sache nach ganz eins, ob eine Vorsehung ist oder nicht ist, denn wie der Mensch, so die Vorsehung. Die Vorsehung ist eine fromme Vorstellung – sehr häufig indes auch eine bloße Phrase – die, wie alle religiösen Vorstellungen, bei Lichte besehen, sich in das Wesen der Natur oder des Menschen auflöst.
  3. Auch hieraus erhellt, daß der Inhalt, das Wesen Gottes die Welt ist, aber als Gegenstand der menschlichen Denk- und Einbildungskraft, die Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges verknüpft.
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