Der Glaube ist die Freiheit und Seligkeit des Gemüts in sich selbst. Das sich in dieser Freiheit betätigende, vergegenständlichende Gemüt, die Reaktion des Gemüts gegen die Natur ist die Willkür der Phantasie. Die Glaubensgegenstände widersprechen daher notwendig der Natur, notwendig der Vernunft, als welche die Natur der Dinge repräsentiert.

»Was ist mehr wider den Glauben, als nicht glauben wollen, was man nicht mit der Vernunft begreifen kann? Der Glaube an Gott, sagt der selige Papst Gregorius, hat gar kein Verdienst, wenn ihm die menschliche Vernunft Beweise liefert.« Bernardus (Ad dom. Papam Innocentium). »Daß eine Jungfrau gebiert, das wird weder durch die Vernunft erschlossen, noch durch die Erfahrung bewiesen. Würde es durch die Vernunft erschlossen, so wäre es nicht wunderbar.« Concil. Toletan. XI. Art. IV. (Carranza Summa.) »Warum ist es unglaublich, daß wider die gewöhnliche Entstehungsweise der Natur Maria gebar und Jungfrau blieb, wenn wider den gewöhnlichen Lauf der Natur das Meer sah und floh und in seine Quelle der Strom des Jordans zurückfloß? Nicht unglaublich ist es also, daß eine Jungfrau gebiert, wenn wir lesen, daß ein Fels Wasser von sich gab und die Meereswoge wie ein Berg feststand.« Ambrosius (Epist. lib. X. Ep. 81). »Wunderbar, Brüder, ist, was von diesem Sakrament gesagt wird. Das fordert notwendig Glauben, das schließt alle Vernunft aus.« Bernardus (De Coena Dom.). »Warum verlangst du hier die Ordnung der Natur in dem Leib Christi, da er selbst wider die Naturordnung von einer Jungfrau geboren ist?« Petrus Lomb. (Lib. IV. dist. 10 c. 2). »Es gereicht dem Glauben zur Ehre, zu glauben, was über die Vernunft ist, denn hier verleugnet der Mensch seinen Verstand und alle seine Sinne.« (Ebend., Addit. Henrici de Vurimaria, dist. 12. c. 5.) »Alle Artikel in unserm Glauben für der Vernunft närrisch und lächerlich scheinen... Da seind wir Christen große Narren für der Welt, daß wir gläuben, Maria sei dieses Kindes rechte Mutter und sei doch eine reine Jungfrau. Denn solches ist nicht allein wider alle Vernunft, sondern auch wider Gottes Schöpfung, der zu Adam und Eva gesagt hat: seid fruchtbar und mehret euch.« »Darum soll man nicht darnach sehen, ob ein Ding möglich sei; sondern also soll man sagen: Gott hat's gesagt, derhalben wird es geschehen, wenn es schon unmöglich wäre. Denn ob ich's gleich nicht sehen noch greiffen kann, so ist es doch der Herr, der aus einem unmöglichen ein mögliches und aus nichts alles machen kannLuther (T. XVI, p. 570, 148, 149). »Was ist wunderbarer, als daß Gott und Mensch eine Person ist? daß er Gottes und Mariens Sohn und doch nur ein Sohn ist? Wer wird dieses Geheimnis jemals und in Ewigkeit begreifen, daß Gott Mensch ist, daß eine Kreatur Schöpfer und der Schöpfer eine Kreatur ist?« Ders. (T. VII, p. 128). Der wesentliche Gegenstand des Glaubens ist daher das Wunder – aber nicht das gemeine sinnliche Wunder, das selbst den frechen Augen der Neugierde und des Unglaubens Gegenstand ist, überhaupt nicht die Erscheinung, sondern das Wesen des Wunders, nicht das Faktum, sondern die Wundermacht, das Wesen, welches die Wunder wirkt, im Wunder sich beglaubigt und offenbart. Und diese Wundermacht ist dem Glauben eine stets gegenwärtige; selbst der Protestantismus glaubt an die ununterbrochene Fortdauer der Wunderkraft, nur leugnet er die Notwendigkeit, daß sie sich jetzt noch zum Behufe dogmatischer Zwecke in besondern sinnlichen Zeichen äußere. »Etliche gesagt haben, daß die Zeichen sein gewesen Offenbarung des Geistes im Anfange der Christenheit und haben nun auf gehöret. Das ist nicht recht; denn es ist noch itzund eben solche Kraft, und ob sie gleich nicht im Gebrauch gehet, liegt doch nicht daran. Denn wir haben noch die Macht, solche Zeichen zu tun.« »Sintemal aber das Evangelium nun ausgebreitet und aller Welt kund worden ist, ist es nicht vonnöten, Zeichen zu tun, wie zu der Apostel Zeiten. Wenn es aber die Not erfordern würde, und sie das Evangelium ängsten und dringen wollten, so müßten wir wahrlich dran und müßten auch Zeichen tun.« Luther (T. XIII, p. 642, 648). Das Wunder ist dem Glauben so wesentlich, so natürlich, daß ihm selbst die natürlichen Erscheinungen Wunder sind, und zwar Wunder nicht im physikalischen, sondern im theologischen, supranaturalistischen Sinne. »Gott hat im Anfang gesprochen: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut etc. Dasselbe Wort, das der Schöpfer gesprochen hat, bringet die Kirschen herfür aus dem dürren Reis und den Kirschbaum aus dem kleinen Kern. – Gottes Allmächtigkeit ist es, so das schaffet, daß aus den Eiern junge Hühner und Gänse werden. – Also predigt uns Gott täglich von der Toten Auferstehung und hat uns so viel Exempel und Erfahrung dieses Artikels fürgestellt, wie viel Kreaturen sind.« Luther (T. X, p. 432. S. auch T. III, p. 586, 592 und Augustin z. B. Enarr. in Ps. 90. Sermo. II. c. 6). Wenn daher der Glaube keine besondere Wunder verlangt und braucht, so kommt das nur daher, daß ihm im Grunde alles Wunder, alles Wirkung der göttlichen Wunderkraft ist. Der religiöse Glaube hat keine Anschauung von der Natur. Die Natur, die und wie sie für uns existiert, hat für ihn keine Existenz. Der Wille Gottes ist ihm allein der Grund, das Band, die Notwendigkeit der Dinge. »Gott... könnte uns wohl zu Menschen schaffen, wie Adam und Eva, durch sich selbst, ohne Vater und Mutter; wie er wohl könnte regieren ohne Fürsten; wie er wohl könnte ohne Sonne und Sterne ein Licht, ohne Pflügen und Ackern und andre Arbeit uns Brot geben. Aber er will's nicht tun.«. Luther (T. XVI, p. 614). Allerdings »gebrauchet also Gott gewisse Mittel und führet seine Wunderwerke also, daß er gleichwohl des Dienstes der Natur und Mittel darzu gebrauchet«. Daher sollen wir auch – freilich aus sehr natürlichen Gründen – »die Mittel und Werkzeuge der Natur nicht verwerfen«. »So mag man auch wohl Arzenei gebrauchen, ja man soll sie gebrauchen, denn sie ist ein geschaffen Mittel, die Gesundheit dadurch zu erhalten.« Luther (T. I, p. 508). Aber – und das allein entscheidet – es ist nicht notwendig, daß ich ein natürliches Mittel gebrauche, um zu genesen; ich kann auch unmittelbar durch Gott gerettet werden. Was Gott gewöhnlich vermittelst der Natur tut, das kann er auch ohne, ja wider die Natur tun und tut er wirklich in außerordentlichen Fällen, wenn er will. »Gott hätte«, sagt ebendaselbst Luther, »wohl leichtlich Noah und die Tiere durch ein ganz Jahr ohne Speisen erhalten können, wie er Mosen, Eliam und Christum 40 Tage ohne alle Speise erhalten hat.« Ob er es oft oder selten tut, ist gleichgültig; es ist genug, wenn er es auch nur einmal tut; was einmal geschieht, kann unzähligemale geschehen. Das einzelne Wunder hat allgemeine Bedeutung, die Bedeutung eines Exempels. »Diese Tat, als der Durchgang durch das Rote Meer, ist zur Figur, zum Exempel und Beispiel geschehen, uns anzuzeigen, daß es uns auch also gehen werde.« Luther (T. III, p. 596). »Diese Wunder sind vor uns, die wir erwählet sind, geschrieben.« Ders. (T. IX, p. 142). Die natürlichen Mittel, deren sich Gott bedient, wenn er keine Wunder tut, haben nicht mehr Bedeutung, als die natürlichen Mittel, die er anwendet, wenn er Wunder tut. Wenn die Tiere, so es Gott will, ebensogut ohne Speisen leben können, als mit Speisen, so ist die Speise an sich ebenso unnötig zur Erhaltung des Lebens, so gleichgültig, so wesenlos, so willkürlich, wie der Kot, mit dem Christus die Blinden heilte, als der Stab, mit dem Moses das Meer teilte, denn »Gott hätte es ebensogut ohne den Stab tun können«. »Der Glaube ist stärker denn Himmel und Erde oder alle Kreaturen.« »Der Glaube machet aus Wässer eitel Steine, auch aus Feuer machet er Wasser, und aus Wasser kann er Feuer zurichten.« Luther (T. III, p. 564, 565). Das heißt: für den Glauben existiert keine Schranke, kein Gesetz, keine Notwendigkeit, keine Natur, existiert nur der Wille Gottes, gegen den alle Kräfte und Dinge nichts sind. Wenn daher der Gläubige dennoch in Not und Elend zu natürlichen Mitteln seine Zuflucht nimmt, so folgt er nur der Stimme seiner natürlichen Vernunft. Das dem Glauben eingeborne, dem Glauben nicht widersprechende, nicht von außen, sei's nun mit oder ohne Wissen und Willen aufgedrungene Arzneimittel wider alles Übel und Elend ist einzig und allein das Gebet; denn »das Gebet ist allmächtig«. Luther (T. IX, p. 27). Wozu also noch ein natürliches Mittel? Ist ja doch selbst im Falle der Anwendung eines solchen die Wirkung desselben keineswegs seine eigne, sondern die Wirkung des übernatürlichen Willens Gottes oder vielmehr die Wirkung der Glaubens-, der Gebetskraft; denn das Gebet, der Glaube bestimmt den Willen Gottes. »Dein Glaube hat dir geholfen.« So macht der Glaube das natürliche Mittel, das er in der Praxis anerkennt, in der Theorie wieder zunichte, indem er die Wirkungen desselben zu einer Wirkung Gottes macht, d. h. zu einer Wirkung, die ebensogut auch ohne dieses Mittel hätte stattfinden können. Die natürliche Wirkung ist daher nichts andres als ein umständliches, ein verblümtes, verstecktes Wunder – ein Wunder, das aber nicht den Schein eines Wunders hat und eben deswegen nicht von den natürlichen Augen, sondern nur von den Augen des Glaubens als ein Wunder aufgenommen wird. Nur im Ausdruck, aber nicht in der Sache findet ein Unterschied statt zwischen einer unmittelbaren oder mittelbaren, wunderbaren oder natürlichen Wirkung Gottes. Bedient sich Gott oder der Glaube eines natürlichen Mittels, so spricht er anders, als er denkt; bedient er sich eines Wunders, so spricht er, wie er denkt, in beiden Fällen aber denkt er dasselbe. In der mittelbaren Wirkung Gottes ist der Glaube mit sich im Zwiespalt, denn die Sinne verneinen hier, was der Glaube bejaht; im Wunder dagegen ist er mit sich einig, denn da fällt die Erscheinung mit dem Wesen, der Sinn mit dem Glauben, der Ausdruck mit der Sache zusammen. Das Wunder ist der Terminus technicus des Glaubens. Die Auferstehung Christi ist die persönliche, d.i. fleischliche Unsterblichkeit als eine sinnliche, unbezweifelbare Tatsache.

»Christus ist auferstanden, es ist eine vollendete Tatsache. – Er zeigte sich selbst seinen Schülern und Gläubigen: betastet wurde die Festigkeit seines Körpers... Bestätigt ist der Glaube nicht nur in dem Herzen, sondern auch in den Augen der Menschen.« Augustinus (Sermones ad pop., S. 242. c. 1, S. 361. c. 8. S. hierüber auch Melanchthon, Loci: de resurr. Mort.). »Die Philosophi, so unter andern haben die besten sein wollen, es dafür gehalten haben, daß durch den Tod die Seele vom Leib erlöst würde, nachdem sie also aus dem Leibe, als aus einem Gefängnis los wäre, käme sie in die Sammlung der Götter, und würde von allen leiblichen Beschwerungen erledigt. Von einer solchen Unsterblichkeit haben ihnen die Philosophi träumen lassen, wiewohl sie dieselbige nicht für gewiß genugsam haben halten, noch verteidigen können. Die heil. Schrift aber lehret von der Auferstehung und dem ewigen Leben anders und stellet uns die Hoffnung derselben so gewiß für Augen, daß wir darüber nicht können zweifelnLuther (T. I, p. 459).

 

Das Christentum machte den Menschen zu einem außerweltlichen, übernatürlichen Wesen.

»Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.« Hebräer 13, 14. »Dieweil wir im Leibe wohnen, so wallen wir dem Herrn.« Paulus (2. Kor. 5). »So wir nun aber im Leibe, welcher ja eigentlich unser ist, wallen und frembde sein und unser Leben in diesem Leibe nichts andres ist, denn eine Pilgerschaft, wie viel mehr sein die Güter, so wir um des Leibes willen haben, als Äcker, Häuser, Geld etc., nichts andres denn eitel frembde Dinge und Pilgerschaften.« »Derohalben müssen wir auch in diesem Leben gleich wie Fremdlinge leben, bis daß wir das rechte Vaterland erreichen, und ein besser Leben überkommen mögen, welches ewig ist.« Luther (T. II, p. 240, 370 a). »Unser Wandel (nicht Wandel, sondern unser Heimatsrecht, πολίτευμα, civitas oder jus civitatis) ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilands Jesu Christi, des Herrn, welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe, nach der Wirkung, damit er kann auch alle Dinge ihm unterwürfig machen.« Philipper 3,20.21. »Die Welt erzeugt weder den Menschen, noch ist der Mensch ein Teil der Welt.« Lactantius (Div. Inst. üb. II. c. 6). »Der Himmel gehört zur Welt: der Mensch aber ist über der Welt.« Ambrosius (Epist. lib. VI. Ep. 38). »Erkenne, o Mensch, deine Würde, erkenne die Herrlichkeit der menschlichen Natur. Du hast zwar den Körper mit der Welt gemein, aber du hast auch etwas Erhabneres und bist schlechterdings nicht mit den übrigen Geschöpfen zu vergleichen.« Bernardus (Opp. Basil. 1552, p. 79). »Der Christ erhebt sich über die ganze Welt; er bleibt selbst nicht im Himmelsgewölbe stehen, sondern überfliegt auch die überhimmlischen Räume im Geiste und bringt so, von heiliger Begeisterung gleichsam außer die Welt versetzt, Gott seine Gebete dar.« Origenes (Contra Celsum, ed Hoeschelio, p. 370). »Was tust du, Bruder, in der Menschenwelt, der du größer bist als Gotteswelt?« Hieronymus (Ad Heliod. de laude vitae solit.). »Diese ganze Welt hat nicht so viel Wert als eine einzige Seele, denn Gott opferte sich nicht für die ganze Welt, sondern für die menschliche Seele. Höher ist also der Wert der Seele, die nur durch Christi Blut erlöst werden konnte.« Meditat. devotiss. c. II. (Pseudo-Bernhard.) »Augustin sagt: ein größeres Werk ist die Rechtfertigung des Sünders, als die Schöpfung von Himmel und Erde, denn Himmel und Erde werden vergehen, aber das Heil und die Rechtfertigung der Vorherbestimmten werden bleiben. Augustin hat recht. Wohl ist das Gut des Ganzen ein größeres Gut, als das besondere Gut eines einzelnen, wenn beide der Gattung nach eins sind, aber das Gut der Gnade eines einzigen ist größer als das natürliche Gut der ganzen Welt.« Thomas Aq. (Summ. Prima Secundae Partis. Qu. 113. 9). »Wieviel besser ist's, ich verliere die ganze Welt, denn daß ich Gott verliere, der die Welt geschaffen hat und unzählige Welten schaffen kann, der besser ist denn hunderttausend und unzählige Welt. Denn was ist doch für eine Vergleichung Zeitliches gegen Ewiges? ... ›Eine Seele ist besser denn die ganze Welt‹.« Luther (T. XIX, p. 21).

 

Der Zälibat und das Mönchtum – natürlich nur in ihrer ursprünglichen, religiösen Bedeutung und Gestalt – sind sinnliche Erscheinungen, notwendige Folgen von dem supernaturalistischen, extramundanen Wesen des Christentums.

Allerdings widersprechen sie auch – der Grund davon ist selbst implicite in dieser Schrift ausgesprochen – dem Christentum; aber nur, weil das Christentum selbst ein Widerspruch ist. Sie widersprechen dem exoterischen, praktischen, aber nicht dem esoterischen, theoretischen Christentum; sie widersprechen der christlichen Liebe, inwiefern diese sich auf den Menschen bezieht, aber nicht dem christlichen Glauben, nicht der christlichen Liebe, inwiefern sie nur um Gottes willen die Menschen liebt, sich auf Gott, als das außerweltliche, übernatürliche Wesen, bezieht. Vom Zälibat und Mönchtum steht nun freilich nichts in der Bibel. Und das ist sehr natürlich. Im Anfang des Christentums handelte es sich nur um die Anerkennung Jesu als des Christus, des Messias, nur um die Bekehrung der Heiden und Juden. Und diese Bekehrung war um so dringender, je näher man sich die Zeit des Gerichts und Weltuntergangs dachte – also periculum in mora. Es fehlte überhaupt Zeit und Gelegenheit zum Stilleben, zur Kontemplation des Mönchtums. Notwendig waltete daher damals eine mehr praktische und auch liberalere Gesinnung vor, als in der späten Zeit, wo das Christentum bereits zu weltlicher Herrschaft gelangt und damit der Bekehrungstrieb erloschen war. (Siehe hierüber Carranza Summa, ed. cit., p. 256.) Sowie einmal das Christentum sich weltlich realisierte, so mußte sich auch notwendig die supernaturalistische, überweltliche Tendenz des Christentums zu einer selbst weltlichen Scheidung von der Welt ausbilden. Und diese Gesinnung der Absonderung vom Leben, vom Leibe, von der Welt, die erst hyper-, dann antikosmische Tendenz ist echt biblischen Sinnes und Geistes. Außer den bereits angeführten und andern allgemein bekannten Stellen mögen noch folgende als Beispiele dastehen. »Wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben.« Johannes 12, 25. »Ich weiß, daß in mir, d.i. in meinem Fleische wohnet nichts Gutes.« Römer 7, 18. 14. (»Veteres enim omnis vitiositatis in agendo origines ad corpus referebant.« J. G. Rosenmüller, Scholia.) »Weil nun Christus für uns im Fleisch gelitten hat, so wappnet euch auch mit demselbigen Sinne, denn wer im Fleisch leidet, der höret auf von Sünden.« l. Petri 4, 1. »Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein.« Philipper 1, 23. »Wir sind aber getrost und haben viel mehr Lust, außer dem Leibe zu wallen und daheim zu sein bei dem Herrn.« 2. Korinth. 5, 8. Die Scheidewand zwischen Gott und Mensch ist demnach der Leib (wenigstens der sinnliche, wirkliche Leib), der Leib also, als ein Hindernis der Vereinigung mit Gott, etwas Nichtiges, zu Negierendes. Daß unter der Welt, welche im Christentum negiert wird, keineswegs nur das eitle Genußleben, sondern die wirkliche, objektive Welt zu verstehen ist, das geht auf eine populäre Weise schon aus dem Glauben hervor, daß bei der Ankunft des Herrn, d.h. der Vollendung der christlichen Religion, Himmel und Erde vergehen werden.

Nicht zu übersehen ist der Unterschied zwischen dem Glauben der Christen und dem Glauben der heidnischen Philosophen an den Untergang der Welt. Der christliche Weltuntergang ist nur eine Krisis des Glaubens – die Scheidung des Christlichen von allem Antichristlichen, der Triumph des Glaubens über die Welt, ein Gottesurteil, ein antikosmischer, supernaturalistischer Akt. »Der Himmel jetzund und die Erde werden durch sein Wort gesparet, daß sie zum Feuer behalten werden am Tage des Gerichts und Verdammnis der gottlosen Menschen.« 2. Petri 3, 7. Der heidnische Weltuntergang ist eine Krisis des Kosmos selbst, ein gesetzmäßiger, im Wesen der Natur begründeter Prozeß. »Der Ursprung der Welt enthält nicht minder Sonne und Mond und den Wechsel der Gestirne und die Ursprünge des Lebens, als die Elemente der künftigen Veränderungen der Erde. Darunter befindet sich die Überschwemmung, welche ebensogut als der Winter, der Sommer, durch das Weltgesetz kommt.« Seneca (Nat. Qu. lib. III. c. 29). Es ist das der Welt immanente Lebensprinzip, das Wesen der Welt selbst, welches diese Krisis aus sich erzeugt. »Wasser und Feuer sind die Herren der Erde. Von ihnen kommt ihr Ursprung, von ihnen ihr Untergang.« (Ibid. c. 28.) »Alles, was ist, wird einst nicht sein, aber nicht zugrunde gehen, sondern nur aufgelöst werden.« (Ders., Epist. 71.)

Die Christen schlossen sich von dem Weltuntergang aus. »Und er wird senden Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels bis zu dem andern.« Matthäi 24,31. »Und ein Haar von eurem Haupt soll nicht umkommen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfähet zu geschehen, so sehet auf und hebet eure Häupter auf, darum daß sich eure Erlösung nahet.« Lukas 21, 18. 27-28. »So seid nun wacker allezeit und betet, daß ihr würdig werden möget zu entfliehen diesem allen, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.« Ebend. 36. Die Heiden dagegen identifizierten ihr Schicksal mit dem Schicksal der Welt. »Dieses Universum, welches alles Menschliche und Göttliche in sich faßt... wird einst ein Tag zerstreuen und in die alte Verwirrung und Finsternis versenken. Nun gehe einer hin und beklage einzelne Seelen. Wer ist so hochmütig und maßlos anmaßend, daß er von diesem allgemeinen Los der Vergänglichkeit eine Ausnahme für sich und die Seinigen allein in Anspruch nehmen möchte?« (Cons. ad Polyb. c. 20 u. 21.) »Also wird einst alles Menschliche ein Ende haben... Nicht Mauern, nicht Türme werden schützen. Nichts werden die Tempel den Flehenden helfen.« (Nat. Quaest. lib. III. c. 29.) Hier haben wir also wieder den charakteristischen Unterschied des Heidentums und Christentums. Der Heide vergaß sich über der Welt, der Christ die Welt über sich. Wie aber der Heide seinen Untergang mit dem Untergang der Welt, so identifizierte er auch seine Wiederkunft und Unsterblichkeit mit der Unsterblichkeit der Welt. Dem Heiden war der Mensch ein gemeines, dem Christen ein auserlesnes Wesen, diesem die Unsterblichkeit ein Privilegium des Menschen, jenem ein Kommungut, das er sich nur vindizierte, indem und wiefern er auch andere Wesen daran teilnehmen ließ. Die Christen erwarteten demnächst den Weltuntergang, weil die christliche Religion kein kosmisches Entwicklungsprinzip in sich hat – alles, was sich entwickelte im Christentum, entwickelte sich nur im Widerspruch mit seinem ursprünglichen Wesen –, weil mit der Existenz Gottes im Fleisch, d.h. mit der unmittelbaren Identität des Wesens der Gattung mit dem Individuum alles erreicht, der Lebensfaden der Geschichte abgeschnitten, kein andrer Gedanke der Zukunft übrig war, als der Gedanke an eine Repetition, an die Wiederkunft des Herrn. Die Heiden dagegen verlegten den Weltuntergang in die ferne Zukunft,[1] weil sie, lebend in der Anschauung des Universums, nicht um ihretwillen Himmel und Erde in Bewegung setzten, weil sie ihr Selbstbewußtsein erweiterten und befreiten durch das Bewußtsein der Gattung, die Unsterblichkeit nur setzten in die Fortdauer der Gattung, die Zukunft also nicht sich reservierten, sondern den kommenden Generationen übrigließen. »Die Zeit wird kommen, wo sich unsre Nachkommen wundern, daß wir so offenbare Dinge nicht wußten.« Seneca (Nat. Quaest. lib. 7. c. 25). Wer die Unsterblichkeit in sich setzt, hebt das geschichtliche Entwicklungsprinzip auf. Die Christen warten zwar nach Petrus einer neuen Erde und eines neuen Himmels. Aber mit dieser christlichen, d.i. überirdischen Erde ist nun auch das Theater der Geschichte für immer geschlossen, das Ende der wirklichen Welt gekommen. Die Heiden dagegen setzen der Entwicklung des Kosmos keine Grenze, sie lassen die Welt nur untergehen, um wieder verjüngt als wirkliche Welt zu erstehen, gönnen ihr ewiges Leben. Der christliche Weltuntergang war eine Gemütssache, ein Objekt der Furcht und Sehnsucht, der heidnische eine Sache der Vernunft und Naturanschauung.

 

Die unbefleckte Jungfräulichkeit ist das Prinzip des Heils, das Prinzip der neuen, christlichen Welt.

»Eine Jungfrau erzeugte das Heil der Welt, eine Jungfrau gebar das Leben aller... Eine Jungfrau trug den, welchen diese Welt nicht fassen kann... Durch den Mann und das Weib wurde das Fleisch aus dem Paradies verstoßen, durch die Jungfrau aber mit Gott verbunden.« Ambrosius (Epist. lib. X. Epist. 82; s. auch Epist. 81). »Die Keuschheit verbindet den Menschen mit dem Himmel. Gut ist die eheliche Keuschheit, aber besser die Enthaltsamkeit des Witwenstandes, das beste aber die jungfräuliche Unbescholtenheit.« (De Modo bene viv. S. 22. Pseudo-Bernh.) »Denke stets daran, daß das Weib den Bewohner des Paradieses aus seiner Besitzung vertrieben hat.« Hieronymus (Epist. Nepotiano). »Christus selbst bewies an sich, daß das jungfräuliche Leben das wahre und vollkommene ist. Daher er es uns zwar nicht zu einem ausdrücklichen Gesetze machte, denn nicht alle fassen dieses Wort, wie er selbst sagte, aber er belehrte uns durch die TatJoan. Damascenus (Orthod. fidei, lib. IV. c. 25). »Welcher Herrlichkeit wird nicht mit Recht die Jungfrauschaft vorgezogen? Der Englischen? Der Engel hat die Jungfräulichkeit, aber nicht Fleisch; er ist hierin mehr glücklich, als stark.« Bernhardus (Epist. 113 ad Sophiam Virginem).

Wenn nun aber die Enthaltung von der Befriedigung des Geschlechtstriebes, die Negation der Geschlechtsdifferenz und folglich der Geschlechtsliebe – denn was ist diese ohne jene? – das Prinzip des christlichen Himmels und Heils ist, so ist notwendig die Befriedigung des Geschlechtstriebes, der Geschlechtsliebe, worauf sich die Ehe gründet, die Quelle der Sünde und des Übels. So ist es auch. Das Geheimnis der Erbsünde ist das Geheimnis der Geschlechtslust. Alle Menschen sind in Sünden empfangen, weil sie mit sinnlicher, d.i. natürlicher Freude und Lust empfangen wurden. Der Zeugungsakt ist, als ein genußreicher, sinnlicher, ein sündiger Akt. Die Sünde pflanzt sich fort von Adam an bis auf uns herab, lediglich weil die Fortpflanzung der natürliche Erzeugungsakt ist. Dies also das Geheimnis der christlichen Erbsünde. »Wie fern der Wahrheit steht der, welcher behauptet, daß die Wollust (voluptas) ursprünglich von Gott dem Menschen anerschaffen sei... Wie kann die Wollust uns zum Paradies zurückführen, sie, die allein uns aus dem Paradies getrieben hat?« Ambrosius (Ep. lib. X. Epist. 82). »Die Wollust selbst kann schlechterdings nicht ohne Schuld sein.« Petrus Lomb. (Lib. IV. dist. 31. c. 5). »Wir alle sind in Sünden geboren und haben, aus Fleisches Lust empfangen, die ursprüngliche Schuld mitgebracht.« Gregorius (Petrus Lomb., lib. II. dist. 30. c. 2). »Fest halte und zweifle nicht daran, daß jeder Mensch, der durch den Beischlaf des Mannes und Weibes gezeugt wird, mit der Erbsünde geboren wird... Hieraus erhellt, was die Erbsünde ist, nämlich die sündhafte Begierde, welche in alle mit Begierde erzeugte Menschen durch Adam überging.« (Ibid. c. 3. S. auch dist. 31. c. 1.) »Die Ursache der Sünde stammt aus dem FleischAmbrosius (Ibid.). »Christus ist ohne Sünde, ohne angeerbte und ohne eigene; er kam auf die Welt ohne Wollust fleischlicher Begierde; bei ihm fand keine geschlechtliche Vermischung statt... Jeder Gezeugte ist ein VerdammterAugustinus (Serm. ad. pop., S. 294. c. 10. 16). »Der Mensch ist geboren vom Weibe und deswegen mit Schuld.« Bernardus (De consid., lib. II. S. auch desselben Epist. 174. Edit. cit.). »Alles, was vom Manne und Weibe zur Welt geboren wird, das ist sündhaftig, unter Gottes Zorn und Fluch, zum Tode verdammt.« »Alle Menschen, von Vater und Mutter geboren, sind Kinder des Zorns von Natur, wie St. Paulus Ephes. 2 zeuget.« »Wir haben von Natur eine unflätige, sündliche Empfängnis und Geburt.« Luther (T. XVI, p. 246, 573). Es erhellt aus diesen Beispielen zur Genüge, daß die »fleischliche Vermischung« – auch der Kuß ist eine fleischliche Vermischung, eine Voluptas – die Grundsünde, das Grundübel der Menschheit, und folglich die Basis der Ehe, der Geschlechtstrieb, ehrlich herausgesagt, ein Produkt des Teufels ist. Wohl ist die Kreatur als Geschöpf Gottes gut, aber so, wie sie erschaffen worden, so existiert sie ja längst schon nicht mehr. Der Teufel hat die Kreatur Gott abspenstig gemacht und bis in den Grund hinein verdorben. »Verflucht sei der Acker um deinetwillen.« Der Fall der Kreatur ist übrigens nur eine Hypothese, wodurch sich der Glaube den lästigen, beunruhigenden Widerspruch, daß die Natur ein Produkt Gottes ist und dennoch so, wie sie wirklich ist, sich nicht mit Gott, d.h. dem christlichen Gemüte zusammenreimen läßt, aus dem Sinne schlägt.

Allerdings hat das Christentum nicht das Fleisch als Fleisch, die Materie als Materie für etwas Sündhaftes, Unreines erklärt, im Gegenteil aufs heftigste gegen die Ketzer, welche dieses aussprachen und die Ehe verwarfen, geeifert (siehe z.B. Augustin, contra Faustum, lib. 29. c. 4, lib. 30. c. 6; Clemens Alexandrinus, Stromata, lib. III und den hl. Bernhard: Super Cantica. Sermo 66) – übrigens, auch ganz abgesehen von dem Haß gegen die Ketzer, der so häufig die heilige christliche Kirche inspirierte und so weltklug machte, aus Gründen, aus denen keineswegs die Anerkennung der Natur als solcher folgte, und unter Beschränkungen, d.i. Negationen, welche diese Anerkennung der Natur zu einer nur scheinbaren, illusorischen machen. Der Unterschied zwischen den Ketzern und den Rechtgläubigen ist nur der, daß diese indirekt, verschlagen, heimlich sagten, was jene unumwunden, direkt, aber eben deswegen auf eine anstößige Weise aussprachen. Von der Materie läßt sich die Lust nicht absondern. Die materielle Lust ist nichts weiter als, sozusagen, die Freude der Materie an sich selbst, die sich selbst betätigende Materie. Jede Freude ist Selbstbetätigung, jede Lust Kraftäußerung, Energie. Jede organische Funktion ist im normalen Zustande mit Wollust verbunden – selbst das Atmen ist ein wollüstiger Akt, der nur deswegen nicht als solcher empfunden wird, weil er ein ununterbrochener Prozeß ist. Wer daher nur die Zeugung, die fleischliche Vermischung als solche, überhaupt das Fleisch als solches für rein, aber das sich selbst genießende Fleisch, die mit sinnlicher Lust verknüpfte fleischliche Vermischung für Folge der Erbsünde und folglich selbst für Sünde erklärt, der anerkennt nur das tote, aber nicht lebendige Fleisch, der macht uns einen blauen Dunst vor, der verdammt, verwirft den Zeugungsakt, die Materie überhaupt, aber unter dem Scheine, daß er sie nicht verwirft, daß er sie anerkennt. Die nicht heuchlerische, nicht verstellte – die offenherzige, aufrichtige Anerkennung der Sinnlichkeit ist die Anerkennung des sinnlichen Genusses. Kurz, wer, wie die Bibel, wie die Kirche, nicht die Fleischeslust anerkennt – versteht sich die natürliche, normale, vom Leben unzertrennliche –, der anerkennt nicht das Fleisch. Was nicht als Selbstzweck – keineswegs darum auch als letzter Zweck – anerkannt wird, das wird nicht anerkannt. Wer mir den Wein nur als Arznei erlaubt, verbietet mir den Genuß des Weines. Komme man nicht mit der freigebigen Spendung des Weines auf der Hochzeit zu Kana. Denn diese Szene versetzt uns ja unmittelbar durch die Verwandlung des Wassers in Wein über die Natur hinaus, auf das Gebiet des Supernaturalismus. Wo, wie im Christentum, als der wahre, ewige Leib ein supernaturalistischer, spiritualistischer Leib gesetzt wird, d.h. ein Leib, von dem alle objektiven, sinnlichen Triebe, alles Fleisch, alle Natur weggelassen ist, da wird die wirkliche, d.h. die sinnliche, fleischliche Materie negiert, als nichtig gesetzt.

Allerdings hat das Christentum nicht die Ehelosigkeit – freilich später für die Priester – zu einem Gesetze gemacht. Aber eben deswegen, weil die Keuschheit oder vielmehr die Ehe-, die Geschlechtslosigkeit die höchste, überschwenglichste, supernaturalistischste, die χατ' έξοχήν himmlische Tugend ist, so kann und darf sie nicht zu einem gemeinen Pflichtobjekt erniedrigt werden; sie steht über dem Gesetze, sie ist die Tugend der christlichen Gnade und Freiheit. »Christus ermahnt die zur Ehelosigkeit Tauglichen, daß sie diese Gabe gehörig pflegen; derselbe Christus befiehlt aber denen, die die Keuschheit außer der Ehe nicht behaupten können, daß sie in keuscher Ehe leben.« Melanchthon (Resp. ad Coloniens). »Die Jungferschaft ist nicht befohlen, sondern angeraten, weil sie gar zu erhaben ist.« (De modo bene viv., S. 21.) »Seine jungfräuliche Tochter verheiraten, ist eine gute, aber sie nicht verheiraten, ist eine bessere Handlung. Was also gut ist, das muß man nicht fliehen, was aber besser ist, erwählen. Daher wird die Jungferschaft nicht vorgeschrieben, sondern nur vorgeschlagen. Und deswegen sagt der Apostel sehr gut: In betreff der Jungfrauen habe ich keine Vorschrift, aber ich gebe meinen Rat. Wo Vorschrift, da ist Gesetz, wo Rat, da ist Gnade. Vorgeschrieben ist nämlich die Keuschheit, angeraten die Jungferschaft. Aber auch die Witwe hat kein Gebot, sondern nur einen Rat erhalten, jedoch einen nicht einmal gegebnen, sondern oft wiederholten Rat.« Ambrosius (Liber de viduis). Das heißt: die Ehelosigkeit ist kein Gesetz im gemeinen oder jüdischen, aber ein Gesetz im christlichen Sinne oder für den christlichen Sinn, welcher die christliche Tugend und Vollkommenheit sich zu Gewissen, zu Gemüte zieht, kein gebieterisches, sondern vertrauliches, kein offenbares, sondern ein heimliches, esoterisches Gesetz – ein bloßer Rat, d.h. ein Gesetz, das sich nicht als Gesetz auszusprechen wagt, ein Gesetz nur für den feiner Fühlenden, nicht für die große Masse. Du darfst heiraten; jawohl! ohne alle Furcht, eine Sünde zu begehen, d.h. eine offenbare, namhafte, plebejische Sünde; aber desto besser tust du, wenn du nicht dich verheiratest; indes das ist nur mein unmaßgeblicher, freundschaftlicher Rat. Omnia licent, sed non omnia expediunt. Was im Vordersatze zugegeben, das wird im Nachsatz widerrufen. Licet, sagt der Mensch, non expedit, sagt der Christ. Aber nur was für den Christen gut, ist für den Menschen, wofern er ein christlicher sein will, das Maß des Tuns und Lassens. Quae non expediunt, nec licent – so schließt das Gefühl des christlichen Adels. Die Ehe ist daher nur eine Indulgenz gegen die Schwachheit oder vielmehr Stärke des Fleisches, ein Naturnachlaß des Christentums, ein Abfall von dem wahrhaft, dem vollendet christlichen Sinn; aber insofern gut, löblich, heilig selbst, als sie das beste Arzneimittel gegen die Fornicatio ist. Um ihrer selbst willen, als Selbstgenuß der Geschlechtsliebe, wird sie nicht anerkannt, nicht geheiligt; – also ist die Heiligkeit der Ehe im Christentum nur Scheinheiligkeit, nur Illusion, denn was man nicht um sein selbst willen anerkennt, wird nicht anerkannt, aber mit dem trügerischen Scheine, daß es anerkannt wird. Die Ehe ist sanktioniert, nicht um das Fleisch zu heiligen und zu befriedigen, sondern um das Fleisch zu beschränken, zu unterdrücken, zu töten – um durch den Teufel den Teufel auszutreiben. »Was bewegt alle Männer und Weiber zur Ehe und zur Unzucht? Die fleischliche Vermischung, deren Begierde der Herr der Unzucht gleichsetzte... Daher die vorzügliche Heiligkeit der Jungfrau, weil sie gar nichts mit der Unzucht Verwandtes an sich hat.« Tertullianus (De exhort. cast.c.9). »In betreff der Ehe selbst hast du etwas Besseres geraten, als du gestattet hast.« Augustinus (Confess. lib. X.c.30). »Es ist besser freien, denn Brunst leiden.« 1. Korinth.7,9. »Aber wie viel besser ist«, sagt Tertullian, diesen Spruch entwickelnd, »weder freien noch Brunst leiden. Ich kann sagen, was erlaubt wird, ist nichts Gutes.« (Ad Uxorem, lib. I.c.3.) »Die Ehe ist ein untergeordnetes Gut, welches keinen Lohn verdient, sondern nur die Bedeutung eines Arzneimittels hat. Die erste Ehe, die Ehe im Paradiese, war vorgeschrieben, aber die zweite Ehe, die nach dem Paradies, ist nur aus Nachsicht erlaubt; denn wir haben von dem Apostel gehört, daß die Ehe dem Menschengeschlecht zur Vermeidung der Unzucht erlaubt ist.« Petrus Lomb. (Lib.IV.dist.26.c.1 u. 2). »Magister Sententiarum saget recht, der Ehestand sei im Paradiese geordnet zum Dienste, nach der Sünde aber zur Arzenei.« Luther (T.I, p.349). »Wo man Ehe und Jungfrauschaft gegeneinanderhält, so ist freilich die Keuschheit eine edlere Gabe denn die Ehe.« Ders. (T.X, p.319). »Welche die Schwachheit der Natur nicht zum Ehestande zwinget, sondern sind solche Leute, daß sie des Ehestands entraten können, die tun recht, daß sie sich vom Ehestande enthalten.« Ders. (T.V, p.538). Die christliche Sophistik wird dagegen erwidern, daß nur die nicht christliche Ehe, nur die nicht vom Geiste des Christentums konsekrierte, d. h. mit frommen Bildern verblümte Natur unheilig sei. Allein wenn die Ehe, wenn die Natur erst durch die Beziehung auf Christus geheiligt wird, so ist eben damit nicht ihre Heiligkeit, sondern nur die Heiligkeit des Christentums ausgesprochen, so ist die Ehe, die Natur an und für sich selbst unheilig. Und was ist denn der Heiligenschein, womit das Christentum die Ehe umgibt, um den Verstand zu benebeln, anders als eine fromme Illusion? Kann der Christ seine ehelichen Pflichten erfüllen, ohne nolens volens der heidnischen Liebesgöttin zu opfern? Jawohl. Der Christ hat zum Zweck die Bevölkerung der christlichen Kirche, nicht die Befriedigung der Liebe. Der Zweck ist heilig, aber das Mittel an sich selbst unheilig. Und der Zweck heiligt, entschuldigt das Mittel. Conjugalis concubitus generandi gratia non habet culpam. Der Christ, wenigstens der wahre, negiert also, wenigstens soll er negieren, die Natur, indem er sie befriedigt; er will nicht, er verschmäht vielmehr das Mittel für sich selbst, er will nur den Zweck in abstracto; er tut mit religiösem, supranaturalistischem Abscheu, was er, aber widerwillig, mit natürlicher, sinnlicher Lust tut. Der Christ gesteht sich nicht offenherzig seine Sinnlichkeit ein, er verleugnet vor seinem Glauben die Natur und hinwiederum vor der Natur seinen Glauben, d. h. er desavouiert öffentlich, was er im geheimen tut. O wie viel besser, wahrer, herzensreiner waren in dieser Beziehung die Heiden, die aus ihrer Sinnlichkeit kein Hehl machten, während die Christen leugnen, daß sie das Fleisch befriedigen, indem sie es befriedigen! Und noch heute halten die Christen theoretisch an ihrer himmlischen Ab- und Zukunft fest; noch heute verleugnen sie aus supranaturalistischer Affektation ihr Geschlecht und gebärden sich bei jedem derb sinnlichen Bilde, bei jeder nackten Statue, als wären sie Engel, noch heute unterdrücken sie, selbst mit polizeilicher Gewalt, jedes offenherzige, freimütige Selbstbekenntnis selbst auch der unverdorbensten Sinnlichkeit, aber nur um durch das öffentliche Verbot sich den geheimen Genuß der Sinnlichkeit zu würzen. Was ist also, kurz und gut gesagt, der Unterschied der Christen und Heiden in dieser delikaten Materie? Die Heiden bestätigten, die Christen widerlegten ihren Glauben durch ihr Leben. Die Heiden tun, was sie wollen, die Christen, was sie nicht wollen, jene sündigen mit, diese wider ihr Gewissen, jene einfach, diese doppelt, jene aus Hypertrophie, diese aus Atrophie des Fleisches. Das spezifische Laster der Heiden ist das ponderable sinnliche Laster der Unzucht, das der Christen das imponderable theologische Laster der Heuchelei – jener Heuchelei, wovon der Jesuitismus zwar die auffallendste, weltgeschichtlichste, aber gleichwohl nur eine besondere Erscheinung ist. »Die Theologie macht sündhafte Leute«, sagt Luther – Luther, dessen positive Eigenschaften einzig sein Herz und Verstand, soweit sie natürlich, nicht durch die Theologie verdorben waren. Und Montesquieu gibt den besten Kommentar zu diesem Ausspruch Luthers, wenn er sagt: La dévotion trouve, pour faire de mauvaises actions, des raisons, qu'un simple honnête homme ne saurait trouver. (Pensées div.)

 

Der christliche Himmel ist die christliche Wahrheit. Was vom Himmel, ist vom wahren Christentum ausgeschlossen. Im Himmel ist der Christ davon frei, wovon er hier frei zu sein wünscht, frei von dem Geschlechtstrieb, frei von der Materie, frei von der Natur überhaupt.

»In der Auferstehung werden sie weder freien, noch sich freien lassen; sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Himmel.« Matthäi 22, 30. »Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise, aber Gott wird diesen und jene hinrichten« (χατα γήσει, entbehrlich machen). l.Korinth. 6, 13. »Davon sage ich aber, lieben Brüder, daß Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben, auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche.« (Ebend., 15, 50.) »Sie wird nicht mehr hungern, noch dürsten, es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne oder irgendeine Hitze.« Offenb. Joh. 7, 16. »Und wird keine Nacht da sein und nicht bedürfen einer Leuchte oder des Lichts der Sonne.« Ebend. 22, 5. »Essen, Trinken, Wachen, Schlafen, Ruhen, Arbeiten und den übrigen Naturnotwendigkeiten unterworfen sein – das ist ein großes Elend und Betrübnis für den frommen Menschen, der gern vollkommen und frei von aller Sünde wäre. O wenn doch nicht diese Notwendigkeiten wären, sondern allein geistliche Gemütserquickungen, die wir ach! so selten kosten.« Thomas a. K. (De imit. lib. I. c. 22. u. 25. S. hierüber auch z. B. S. Gregorii Nyss. de anima et resurr., Lipsiae 1837, p. 98, p. 144, p. 153). Wohl ist die christliche Unsterblichkeit im Unterschiede von der heidnischen nicht die Unsterblichkeit des Geistes, sondern die des Fleisches, d. h. des ganzen Menschen. »Den heidnischen Philosophen galt die Wissenschaft, die Intelligenz für etwas Unsterbliches und Unvergängliches. Wir aber, welche die göttliche Offenbarung erleuchtet hat, wissen, daß nicht nur der Geist, sondern auch die gereinigten Affekte, und nicht nur die Seele, sondern auch der Körper seiner Zeit zur Unsterblichkeit gelangen wird.« Baco de Verul. (De augm. Scien, lib. I). Celsus warf deswegen den Christen ein desiderium corporis, ein Verlangen nach dem Körper, vor. Aber dieser unsterbliche Körper ist, wie schon bemerkt, ein immaterieller, d. h. durchaus gemütlicher, eingebildeter Leib – ein Leib, welcher die direkte Negation des wirklichen, natürlichen Leibes ist. Und es handelt sich daher in diesem Glauben nicht sowohl um die Anerkennung oder Verklärung der Natur, der Materie als solcher, als vielmehr um die Realität des Gemüts, um die Befriedigung des unbeschränkten, phantastischen, supranaturalistischen Glückseligkeitstriebes, welchem der wirkliche, objektive Leib eine Schranke ist.

Was die Engel eigentlich sind, denen die himmlischen Seelen gleichen werden, darüber gibt die Bibel ebensowenig, wie über andere wichtige Dinge, bestimmte Aufschlüsse; sie werden nur von ihr Geister, πνευματα, genannt und als über dem Menschen stehende Wesen (hominibus superiores) bezeichnet. Die spätem Christen sprachen sich, und mit vollem Rechte, auch hierüber bestimmter aus, jedoch verschiedentlich. Die einen gaben ihnen Körper, die andern nicht – eine übrigens nur scheinbare Differenz, da der englische Leib nur ein phantastischer ist. Was jedoch den Körper der Auferstehung betrifft, so hatten sie hierüber nicht nur verschiedne, sondern auch sehr entgegengesetzte Vorstellungen – Widersprüche, die aber in der Natur der Sache liegen, sich notwendig ergeben aus dem Grundwiderspruch des religiösen Bewußtseins, welcher sich in dieser Materie, wie gezeigt, darin offenbart, daß es im Wesen derselbe individuelle Leib, den wir vor der Auferstehung hatten, und doch wieder ein anderer – ein anderer und doch wieder derselbe sein soll. Und zwar derselbe Leib selbst bis auf die Haare, »da auch nicht ein Haar zugrunde gehen wird, wie der Herr sagt: kein Haar von eurem Haupte soll umkommen«. Augustinus und Petrus Lomb. (Lib. IV. dist. 44. c. 1). Jedoch zugleich wieder so derselbe, daß alles Lästige, alles dem naturentfremdeten Gemüte Widersprechende beseitigt wird. »Die Fehler werden, wie Augustin sagt, wegfallen, doch das Wesen wird bleiben. Das übermäßige Wachsen aber der Nägel und Haare gehört zu den Überflüssigkeiten und Fehlern der Natur; denn wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, so würden seine Nägel und Haare nur bis zu einer bestimmten Größe wachsen, wie es bei den Löwen und Vögeln der Fall ist.« (Addit. Henrici ab Vurimaria, ibid. Edit. Basileae 1513.) Welch determinierter, naiver, treuherziger, zuversichtlicher, harmonischer Glaube! Der auferstandne Körper als derselbe und doch zugleich ein andrer, neuer Leib hat auch wieder Haare und Nägel – sonst wäre er ein verstümmelter, einer wesentlichen Zierde beraubter Körper, folglich die Auferstehung keine vollständige Wiederherstellung – und zwar dieselben Nägel und Haare, aber zugleich jetzt so beschaffen, daß sie mit dem Wesen des Körpers im Einklang sind. Dort ist ihnen der Trieb des Wachstums genommen, dort überschreiten sie nicht das Maß der Schicklichkeit. Dort brauchen wir daher nicht mehr die Haare und Nägel abzuschneiden – ebensowenig als die beschwerlichen Triebe der übrigen Fleischesglieder, weil schon an und für sich der himmlische Leib ein abstrakter, verschnittener Leib ist. Warum gehen denn die gläubigen Theologen der neuern Zeit nicht mehr in derlei Spezialitäten ein, wie die ältern Theologen? Warum? weil ihr Glaube selbst nur ein allgemeiner, unbestimmter, d. h. nur geglaubter, vorgestellter, eingebildeter Glaube ist, weil sie aus Furcht vor ihrem mit dem Glauben längst zerfallenen Verstande, aus Furcht, ihren schwachsinnigen Glauben zu verlieren, wenn sie bei Lichte, d. h. im Detail, die Dinge betrachten, die Konsequenzen, d. h. die notwendigen Bestimmungen ihres Glaubens, unterdrücken, vor dem Verstande verheimlichen.

 

Was der Glaube im Diesseits der Erde verneint, bejaht er im Himmel des Jenseits; was er hier aufgibt, gewinnt er dort hundertfältig wieder. Im Diesseits handelt es sich um die Negation, im Jenseits um die Position des Leibes. Hier ist die Hauptsache die Absonderung der Seele vom Leibe, dort die Hauptsache die Wiedervereinigung des Leibes mit der Seele. »Ich will nicht allein der Seele nach, sondern auch dem Leibe nach leben. Das Korpus will ich mithaben; ich will, daß der Leib wieder zur Seele kommen und mit ihr vereinigt werden soll.« Luther (T. VII, p. 90). Im Sinnlichen ist der Christ übersinnlich, aber dafür im Übersinnlichen sinnlich. Die himmlische Seligkeit ist daher keineswegs nur eine spirituelle, geistige, sondern ebensosehr auch leibliche, sinnliche – ein Zustand, wo alle Wünsche erfüllt sind. »Woran dein Herz wird Lust und Freude suchen, das soll reichlich dasein. Denn es heißt: Gott soll selbst alles in allem sein. Wo aber Gott ist, da müssen alle Güter mit sein, so man nur immer wünschen kann.« »Willst du scharf sehen und hören durch Wände und Mauren und so leicht sein, daß du in einem Nu mögest sein wo du willst, hier unten auf Erden oder droben an den Wolken, das soll alles ja sein: und was du mehr erdenken kannst, was du haben wolltest an Leib und Seele, das sollst du alles reichlich haben, wenn du ihn hast.« Luther (T. X, p. 380, 381). Essen, Trinken, Freien findet freilich nicht im christlichen Himmel statt, wie im Himmel der Muhamedaner; aber nur deswegen, weil mit diesen Genüssen Bedürfnis, mit Bedürfnis aber Materie, d. i. Not, Leidenschaft, Abhängigkeit, Unseligkeit verbunden ist. »Dort wird die Bedürftigkeit selbst sterben. Dann wirst du wahrhaft reich sein, wann du nichts mehr bedürfen wirst.« Augustin (Serm. ad pop., S. 77. c. 9). »Die Genüsse dieser Erde sind nur Arzneimittel«, sagt derselbe ebenda; »wahre Gesundheit ist nur im unsterblichen Leben.« Das himmlische Leben, der himmlische Leib ist so frei und unbeschränkt, wie der Wunsch, so allmächtig wie die Phantasie. »Der Körper der zukünftigen Auferstehung wäre unvollkommen selig, wenn er nicht Speisen zu sich nehmen könnte, unvollkommen selig, wenn er Speisen bedürfte.« Augustin (Epist. 102. § 6. Edit. cit.). Aber gleichwohl ist das Sein in einem Körper ohne Last, ohne Schwere, ohne Häßlichkeit, ohne Krankheit, ohne Sterblichkeit mit dem Gefühl des höchsten körperlichen Wohlseins verbunden. – Selbst die Erkenntnis Gottes im Himmel ist frei von der Anstrengung des Denkens und Glaubens, ist sinnliche, unmittelbare Erkenntnis – Anschauung. Zwar sind die Christen darüber uneinig, ob auch Gottes Wesen mit körperlichen Augen geschaut werden könne. (S. z. B. Augustin, Serm. ad pop., S. 277 u. Buddeus, Comp. Inst. Th. lib. II. c. 3. § 4.) Aber in dieser Differenz haben wir nur wieder den Widerspruch zwischen dem abstrakten und wirklichen Gott; jener ist freilich kein Gegenstand der Anschauung, wohl aber dieser. »Fleisch und Blut ist sonst die Mauer zwischen mir und Christo, die wird denn auch hinweggerissen werden ... Dort wird alles gewiß sein. Denn die Augen werden es in jenem Leben sehen, der Mund schmecken und die Nase riechen, der Schatz wird leuchten an Seel' und Leben ... wird der Glaube aufhören und ich werde es für meinen Augen sehenLuther (T. IX, p. 595). Es erhellt hieraus auch zugleich wieder, daß das Wesen Gottes, wie er Gegenstand des religiösen Gemüts ist, nichts andres ist als das Wesen der Phantasie. Die himmlischen Wesen sind übersinnlich sinnliche, immateriell materielle Wesen, d. h. Wesen der Phantasie; aber sie sind Gott ähnliche, Gott gleiche, ja mit Gott identische Wesen; folglich ist auch Gott ein übersinnlich sinnliches, ein immateriell materielles Wesen; denn wie das Nachbild, so das Vorbild!

 

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Anmerkungen:
  1. Übrigens stellten sich auch die Epikureer (Lucret. lib. V u. II) den Weltuntergang nahe vor, aber dadurch wird doch nicht der angegebene Unterschied zwischen dem heidnischen und dem christlichen Weltuntergang aufgehoben.
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