2. Kapitel. Die Kraft des Hauses

»In einer Unterredung mit Frau Campan bemerkte Napoleon Bonaparte: »Die alten Erziehungssysteme scheinen nichts wert zu sein; was ist nötig, um das Volk richtig zu erziehen?« »Mütter,« erwiderte Frau Campan. Über diese Antwort war der Kaiser betroffen. »Ja,« sagte er, »das ist ein ganzes Erziehungssystem in einem Wort. Lassen Sie es Ihre Sorge sein, Mütter aufzuziehen, die ihre Kinder zu erziehen verstehen!«

Aimé Martin.

Das Haus ist die erste und einflußreichste Schule des Charakters. Hier erhält jeder seine beste oder schlechteste Erziehung; denn hier nimmt er die Prinzipien auf, die ihn durch das Leben begleiten und die erst mit dem Tode aufhören.

Eine landläufige Redensart besagt: »Manieren machen den Mann;« und eine andere: »Der Geist macht den Mann;« aber richtiger als beide ist eine dritte: »Das Haus macht den Mann.« Denn die häusliche Bildung geht nicht nur auf Manieren und Geist, sondern auch auf den Charakter. Es ist vor allem das Haus, welches das Herz öffnet, die Gewohnheiten bildet, den Geist erweckt und den Charakter zum Guten oder Schlechten anleitet.

Aus dieser Quelle, sei sie rein oder trübe, entspringen die Prinzipien und Maximen, welche die Gesellschaft beherrschen. Sogar die Gesetze sind nur ein Reflex des häuslichen Lebens, Alles was an Ansichten im Familienleben in den Geist der Kinder gepflanzt wurde, geht später hinaus in die Welt und wird zur öffentlichen Meinung; denn die Völker gehen aus den Kindern hervor, und diejenigen, welche die Kinder am Gängelband führen, können einen größeren Einfluß ausüben, als diejenigen, welche die Zügel der Regierung in Händen halten.

Häusliches Leben sollte naturgemäß das soziale vorbereiten: Geist und Charakter sollten ihre erste Bildung zu Hause empfangen. Hier werden die Individuen, die später die Gesellschaft bilden, jedes für sich behandelt und erzogen. Aus der Familie treten sie ins Leben, und aus den Knaben werden Bürger. Deshalb darf das Haus als die einflußreichste Schule der Zivilisation betrachtet werden. Denn am Ende läßt sich die Zivilisation in der Hauptsache auf eine Frage individueller Bildung zurückführen; und je nachdem die Mitglieder der Gesellschaft in der Jugend gut oder schlecht erzogen worden sind, wird auch das Gemeinwesen, das sie bilden, mehr oder weniger human und zivilisiert sein.

Die Erziehung auch des weisesten Mannes muß unfehlbar wichtig beeinflußt werden durch die moralische Einwirkung seiner Umgebung in seinen Jugendjahren. Er kommt hilflos zur Welt und hängt hinsichtlich seiner Ernährung und Pflege ganz von seiner Umgebung ab. Von dem allerersten Atemzug an beginnt seine Erziehung. Als eine Mutter einst einen Geistlichen fragte, wann sie die Erziehung ihres damals vierjährigen Kindes beginnen sollte, erwiderte er: »Frau, wenn Sie nicht schon begonnen haben, so haben Sie vier Jahre verloren. Von dem ersten Lächeln an, das auf der Wange eines Kindes erglänzt, beginnt schon Ihre Pflicht!«

Doch auch in diesem Falle hatte die Erziehung schon begonnen; denn das Kind lernt ohne Anstrengung durch bloße Nachahmung, gleichsam durch die Poren der Haut. »Ein Feigenbaum, der einen anderen ansieht, trägt Frucht«, sagt ein arabisches Sprichwort. Und so ist es mit den Kindern: Ihr erster großer Lehrer ist das Beispiel.

Wie unbedeutend die Einflüsse, welche den Charakter bilden helfen, auch zu sein scheinen, so dauern sie doch durch das ganze Leben an. Der Charakter des Kindes ist der Kern in dem des Mannes; alle spätere Erziehung lagert sich nur darum an, die Form des Kristalls bleibt dieselbe. So erweist sich das Wort des Dichters im großen und ganzen als wahr: »Das Kind ist der Vater des Mannes«, oder, wie Milton es ausspricht, »Die Kindheit zeigt den Mann, wie Morgenrot den Tag«. Diejenigen Triebe, die am längsten dauern und am tiefsten wurzeln, haben immer ihren Ursprung im frühesten Kindesalter. Zu dieser Zeit wird der Keim zu Tugenden öder Lastern, zu Gefühlen oder Gesinnungen eingepflanzt, welche den Charakter lebenslang bestimmen. Das Kind wird sozusagen auf die Schwelle einer neuen Welt gelegt, und alles was es sieht, ist neu und wunderbar. Zuerst begnügt es sich damit, sie anzustarren; aber allmählich beginnte es zu sehen, zu beobachten, zu vergleichen, zu lernen, und Eindrücke und Gedanken zu bewahren, und unter weiser Leitung macht es wahrhaft wunderbare Fortschritte. Lord Brougham hat bemerkt, daß ein Kind vom achtzehnten bis dreißigsten Monat mehr von der Welt, von seinen eigenen Fähigkeiten, von der Natur anderer Körper und sogar von seinem und anderer Geist lernt, als es sich sein ganzes übriges Leben hindurch aneignet. Die Kenntnisse, die ein Kind sich in dieser Periode erwirbt, und die Ideen, die sein Geist faßt, sind so wichtig, daß, wenn sie später ausgelöscht würden, die ganze Gelehrsamkeit eines ergrauten Professors zu Cambridge oder eines hervorragenden Dozenten in Oxford soviel wie nichts bedeuten und ihren Besitzer nicht befähigen würde, seine Existenz auch nur um eine Woche zu verlängern.

In der Kindheit ist der Geist am empfänglichsten für Eindrücke und gleich bereit, sich beim ersten Funken zu entzünden. Da werden Ideen schnell aufgefaßt und lebenslänglich bewahrt. So soll Scott seine erste Neigung für Balladen durch die Deklamationen seiner Mutter und Großmutter empfangen haben, lange bevor er lesen konnte. Die Kindheit ist wie ein Spiegel, der im späteren Leben die ersten Bilder wieder reflektiert. Der erste Eindruck des Kindes bleibt immer bestehen. Die erste Freude, der erste Kummer, der erste Erfolg, der erste Mißerfolg, die erste Leistung malen den Vordergrund des Lebensbildes.

Unterdessen schreitet die Bildung des Charakters – des Temperaments, des Willens und der Gewohnheiten – fort, auf dem so sehr das Glück der Menschen im späteren Leben beruht. Obgleich der Mensch mit einer gewissen selbsttätigen Kraft begabt ist, zu seiner eigenen Entwicklung beizutragen, unabhängig von den ihn umgebenden Umständen, und auf das Leben um sich einzuwirken, so ist doch die Richtung, die seinem Charakter in frühester Jugend gegeben worden ist, von immenser Bedeutung. Man stelle den geistig bedeutendsten Philosophen inmitten täglichen Elends, täglicher Sittenlosigkeit und Gemeinheit, und er wird unmerklich zur Roheit herabsinken. Wieviel empfänglicher ist das allen Eindrücken zugängliche und hilflose Kind in solcher Umgebung! Es ist unmöglich, eine edle Natur, empfindlich gegenüber dem Schlechten, rein an Geist und Herz, inmitten Roheit, Elend und Verworfenheit heranzubilden.

So wird ein Haus, die Pflegestätte von Kindern, die zu Männern und Frauen heranwachsen, gut oder schlecht sein, je nach den Mächten, die dort herrschen. Wenn der Geist der Liebe und Pflichttreue vorherrscht, – wenn Kopf und Herz weise regieren – wenn das tägliche Leben ehren- und tugendhaft ist, – wenn die Leitung zart, gütig und liebevoll ist, dann dürfen wir aus einem solchem Hause gesunde, nützliche und glückliche Wesen erwarten, welche, wenn sie die nötige Stärke gewonnen haben, fähig sind, den Fußtapfen ihrer Eltern zu folgen, aufrecht zu wandeln, sich weise zu beherrschen und zu der Wohlfahrt ihrer Umgebung beizutragen.

Andererseits werden sie, wenn sie von Unwissenheit, Roheit und Selbstsucht umgeben sind, unwillkürlich denselben Charakter annehmen und zu rohen, unwissenden Leuten heranwachsen, die für die Gesellschaft um so gefährlicher sind, wenn sie mitten in die mannigfachen Versuchungen dessen, was man Zivilisation nennt, hineingestellt werden. »Gib dein Kind einem Sklaven zur Erziehung,« sagte ein alter Grieche, »und du wirst zwei Sklaven statt des einen haben.«

Das Kind muß nachahmen, was es sieht. Alles ist ihm ein Vorbild – für Manieren, Gesten, Sprache, Gewohnheiten, Charakter. »Für das Kind,« sagt Friedrich Richter, »ist die wichtigste Lebensepoche die Kindheit, wo es anfängt, sich durch die Gemeinschaft mit anderen zu bilden und zu färben. Jeder neue Erzieher bewirkt weniger als sein Vorgänger, bis schließlich, wenn wir das ganze Leben als eine Erziehungsanstalt ansehen, ein Weltumsegler weniger von allen Nationen, die er gesehen hat, als von seiner Amme beeinflußt ist«. Vorbilder sind deshalb von der größten Bedeutung für die Bildung des Kindes; und wenn wir edle Charaktere haben wollen, so müssen wir ihnen edle Vorbilder bieten. Das Vorbild aber, das sich am meisten vor dem Auge des Kindes befindet, ist die Mutter.

»Eine gute Mutter ist hundert Lehrer wert«, sagt George Herbert. Zu Haufe ist sie »ein Magnetstein für alle Kerzen und ein Leitstern für alle Augen.« Ihr wird beständig nachgeahmt. Sie ist gleichsam eine »Welt von Lebensregeln«. Aber ein Beispiel ist weit mehr denn eine Regel. Es ist eine Belehrung durch die Tat. Es lehrt ohne Wort und verdeutlicht es oft besser, als es die Zunge vermag. Angesichts eines bösen Beispiels haben die besten Regeln nur geringen Wert. Das Beispiel wird befolgt, nicht die Vorschrift. Eine Lehre, die mit der Praxis nicht übereinstimmt, ist noch schlimmer als nutzlos, da sie nur dazu dient, das feigste aller Laster, die Heuchelei, zu lehren. Sogar Kinder haben darin schon ein Urteil, und die Lehren der Eltern, die das eine sagen und das entgegengesetzte tun, werden schnell durchschaut. Die Predigt jenes Klosterbruders, der über die Tugend der Ehrlichkeit mit einer gestohlenen Gans im Ärmel predigte, war nichts wert.

Durch die Nachahmung von Handlungen wird der Charakter langsam und unmerklich, aber schließlich doch entscheidend gebildet. Die einzelnen Handlungen mögen an sich unbedeutend erscheinen; aber so sind sie auch im täglichen Leben. Sie fallen so unmerklich wie Schneeflocken; jede Schneeflocke bringt an der schon angehäuften Masse keine fühlbare Veränderung hervor, und dennoch bildet die Anhäufung von Schneeflocken eine Lawine. So werden schließlich wiederholte Handlungen, eine auf die andere folgend, zur festen Gewohnheit, sie bestimmen die Handlungsweise des Individuums zum Guten oder Bösen und bilden so, mit einem Wort, den Charakter. Weil die Mutter weit mehr als der Vater die Handlungsweise und das Betragen des Kindes beeinflußt, so ist ihr gutes Beispiel zu Hause von um so größerer Bedeutung. Man versteht leicht, warum das so sein muß. Das Haus ist der Wirkungsbereich der Frau, ihr Königreich, wo sie die Herrschaft ausübt. Ihre Macht über die Kleinen ist unbeschränkt. Sie schauen in allem zu ihr empor. Die Mutter ist das Beispiel und Vorbild, das sie beständig vor Augen haben, und das sie unbewußt beobachten und nachahmen. Cowley vergleicht den Einfluß frühzeitigen Beispiels und früh in den Geist gepflanzter Ideen mit Buchstaben, die in die Rinde eines jungen Baumes geschnitten wurden, und mit der Zeit wachsen und größer werden. Die zu dieser Zeit gemachten Eindrücke werden niemals ausgelöscht und waren sie auch noch so geringfügig. Die hier eingepflanzten Ideen gleichen einer in den Boden gestreuten Saat, die da eine Zeitlang liegt und keimt und dann in Taten, Gedanken und Gewohnheiten aufgeht. So lebt die Mutter wieder in den Kindern auf. Diese bilden sich allmählich nach ihrer Weise, ihrer Sprache, ihrer Lebensweise und ihrem Betragen. Die Gewohnheiten der Mutter werden die der Kinder, und ihr Charakter wird sichtbar in diesen wiederholt.

Die Mutterliebe ist die sichtbare Vorsehung unserer Gattung. Ihr Einfluß ist beständig und allgemein. Er beginnt mit der Erziehung des menschlichen Wesens von der Schwelle des Lebens an und setzt sich kraft des mächtigen Einflusses fort, den jede gute Mutter lebenslang über ihre Kinder ausübt. Auch wenn sie in die Welt getreten sind und jeder an den Arbeiten, Sorgen und Versuchungen teilnimmt, wenden sie sich immer zur Mutter um Trost, wenn nicht um Rat, zu Zeiten der Unruhe und Bedrängnis. Die reinen und guten Gedanken, die sie ihnen als Kindern eingepflanzt hat, werden zu guten Handlungen, lange nachdem sie tot ist; und wenn von der Toten auch nichts mehr als ihr Gedächtnis blieb, so wachsen ihre Kinder heran und segnen sie. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, daß Glück oder Elend, Erleuchtung oder Unwissenheit, Zivilisation oder Barbarei in der Welt in hohem Grade von der Ausübung jener weiblichen Kraft in ihrem Königreiche, dem Hause, abhängt. Emerson sagt offen und wahr: »Ein hinreichendes Maß der Zivilisation gibt der Einfluß guter Frauen.« Die Nachwelt liegt in der Person des Kindes im Mutterschoße vor uns. Was aus dem Kinde vielleicht wird, hängt hauptsächlich von der Erziehung und dem Beispiel ab, das es von seinem ersten und einflußreichsten Lehrer empfängt.

Die Frau vor allen andern erzieht zur Menschlichkeit. Der Mann ist das Hirn, aber die Frau das Herz der Menschheit; er ist Urteil, sie Gefühl; er ist Kraft, sie Anmut, Zierde und Trost. Auch der Verstand der besten Frau scheint hauptsächlich durch ihre Neigungen zu wirken. Und wenn den Mann der Intellekt beherrscht, so kultiviert die Frau die Gefühle, welche den Charakter hauptsächlich bestimmen. Während er das Gedächtnis füllt, nimmt sie das Herz ein. Sie lehrt uns lieben, was er uns nur glaubhaft macht, und hauptsächlich durch sie gelangen wir zur Tugend.

Es gibt viele Beispiele, wo die Eindrücke auf den Geist des Kindes erst nach einer Periode der Selbstsucht und des Lasters zu guten Taten wurden. Alles was die Eltern tun, um in ihren Kindern einen wahrhaften und tugendhaften Charakter zu entwickeln, scheint zuweilen vergeblich zu sein. Und dennoch kommt es bisweilen vor, daß lange nachdem die Eltern zur Ruhe gegangen sind, das gute Beispiel, die gute Lehre, die sie ihren Söhnen und Töchtern in der Kindheit gaben, aufgeht und Frucht tragt. Eins der bemerkenswertesten dieser Beispiele liefert der Pastor John Newton, der Freund des Dichters Cowper. Lange nach dem Tode seiner Eltern und nachdem er als Jüngling und Seemann ein lasterhaftes Leben geführt hatte, erwachte in ihm das Gefühl seiner Verworfenheit, und da fielen ihm die Lehren wieder ein, die ihm seine Mutter als Kind gegeben hatte. Ihre Stimme schien aus dem Grabe zu ihm zu sprechen und führte ihn sanft zur Tugend und zum Guten zurück.

Ein anderes Beispiel ist das von John Randolph, dem amerikanischen Staatsmanne, der einst sagte: »Ich würde Atheist sein, hätte ich nicht eine Erinnerung gehabt, das Andenken an die Zeit, wo meine verstorbene Mutter meine kleinen Hände in die ihrigen zu schließen pflegte und mich auf den Knien beten ließ: »Vater unser, der Du bist im Himmel!« Aber solche Beispiele müssen im allgemeinen als selten betrachtet werden. Wie der Charakter in der Jugend geleitet wurde, so bleibt er auch und erreicht mit dem Mannesalter seine schließliche Form, »Lebe so lange wie du willst,« sagte Southey, »die ersten zwanzig Jahre sind die längste Hälfte deines Lebens,« und sie sind bei weitem die wichtigsten nach ihren Folgen. Als der erschöpfte Verleumder und Lüstling Dr. Walcot auf seinem Totenbette lag, fragte ihn einer seiner Freunde, ob er sonst noch etwas für ihn tun könne. »Ja,« sagte der Sterbende begierig, »gib mir meine Jugend zurück.« Gib sie ihm, und er wird bereuen und ein neues Leben beginnen. Aber es war zu spät! Sein Leben war gebunden und gefesselt durch die Ketten der Gewohnheit.

Gretry, der berühmte Komponist, stellte die Bedeutung der Frau als Erzieherin des Charakters so hoch, daß er eine gute Mutter als das »Meisterwerk der Natur« bezeichnete. Und er hatte recht; denn gute Mütter tragen noch mehr als die Väter zu einer beständigen Erneuerung der Menschheit bei und schaffen die sittliche Atmosphäre des Hauses, die Nahrung für das moralische Sein des Mannes, gleichwie die physische Atmosphäre zur Erhaltung seines Körpers beiträgt. Durch gute Laune, Heiterkeit und Güte, die von Klugheit geleitet sind, umgibt die Frau die Hausbewohner mit einer Atmosphäre der Heiterkeit, Zufriedenheit und Friedlichkeit, die das Wachstum der reinsten wie der männlichsten Naturen begünstigt.

Die ärmlichste Häuslichkeit, in der eine tugendhafte, sparsame, heitere und ordentliche Frau herrscht, kann so eine Stätte der Bequemlichkeit, Tugend und des Glückes werden, der Schauplatz jeder edlen Beziehung im Familienleben; es kann dem Mann durch viele süße Erinnerungen teuer werden; es ist ein Heiligtum für das Herz, ein Zufluchtsort in den Stürmen des Lebens, ein süßer Ruheplatz nach der Arbeit, ein Trost im Unglück, ein Stolz im Gedeihen und eine Freude zu allen Zeiten.

Ein gutes Heim ist so die beste aller Schulen, nicht nur in der Jugend, sondern auch im Alter. Hier lernen Junge und Alte am besten Heiterkeit, Geduld, Selbstbeherrschung und den Geist des Gehorsams und der Pflichterfüllung. Isaak Walton sagt von George Herberts Mutter, daß sie ihre Familie mit kluger Sorgfalt, weder streng noch herbe, regiert habe, aber mit solcher Sanftheit und Teilnahme an den Erholungen und Vergnügungen der Jugend, daß diese sich wiederum bewogen fühlte, viel Zeit in ihrer Gesellschaft zuzubringen, was wiederum sie selbst sehr befriedigte. Das Haus ist die echte Schule der Höflichkeit, deren bester praktischer Lehrer die Frau ist. »Ohne die Frauen würden die Männer nur ungeschlachte Geschöpfe sein,« sagt das provenzalische Sprichwort. Von dem Hause strahlt die Philanthropie aus, wie von einem Zentrum. »Das kleine Gemeinwesen zu lieben, dem wir in der Gesellschaft angehören,« sagt Burke, »ist der Keim aller Menschenliebe.« Die Weisesten und Besten haben sich nicht geschämt, es für ihre größte Freude und Glückseligkeit zu erklären, unter ihren Kindern in dem unverletzlichen Kreise des Hauses zu sitzen. Ein Leben der Reinheit und Pflichterfüllung ist nicht die unbedeutendste Vorbereitung auf ein Leben öffentlicher Arbeit und Pflicht, und wer sein Haus liebt, wird nicht weniger innig sein Vaterland lieben und ihm dienen.

Aber wenn das Haus als die Pflegestätte des Charakters die beste aller Schulen sein kann, so kann es auch die schlechteste sein. Wie unberechenbar ist das Unheil, das Unwissenheit zu Hause in dem Zwischenraum von der Kindheit bis zum Mannesalter anrichten kann! Wieviel moralisches und physisches Elend kann zwischen dem ersten und letzten Atemzuge durch unverständige Mütter und Wärterinnen angerichtet werden! Überlasse ein Kind der Pflege einer wertlosen und unwissenden Frau, und keine Bildung im späteren Leben kann dein Versehen wieder gut machen. Wenn die Mutter träge, lasterhaft oder unordentlich ist, wenn in ihrem Hause Zank, Hader und Unfrieden herrschen und es eine Stätte des Elends wird – ein Ort, den man eher flieht als aufsucht – so werden die Kinder, die dort zu ihrem Unglück erzogen werden, moralisch verkrüppelt und mißgebildet – eine Ursache des Elends für sich und andere.

Napoleon Bonaparte pflegte zu sagen: »das spätere gute oder schlechte Betragen eines Kindes hängt ganz und gar von der Mutter ab.« Er schrieb selbst sein Emporkommen im Leben zum großen Teile der Erziehung seines Willens, seiner Energie und Selbstbeherrschung durch seine Mutter zu. »Niemand vermochte ihn zu beherrschen,« sagt einer seiner Biographen, »als seine Mutter, die vermittelst einer Mischung von Zärtlichkeit, Strenge und Gerechtigkeit ihm Liebe, Achtung, und Gehorsam beibrachte; von ihr lernte er die Tugend des Gehorchens.«

Ein merkwürdiges Beispiel zu der Abhängigkeit des Charakters der Kinder von dem der Mütter ist in einem Schulberichte Tufnells erwähnt. Die Tatsache, welche er bemerkt, ist so gut begründet, daß sie sogar einer kaufmännischen Berechnung zugrunde gelegt wird »Man berichtete mir,« sagte er, »daß in einer großen Fabrik, wo viele Kinder beschäftigt wurden, der Geschäftsführer sich stets, bevor er einen Knaben engagierte, nach dem Charakter der Mutter erkundigte. Fiel die Auskunft zufriedenstellend aus, so war er ziemlich sicher, daß ihre Kinder sich anständig benehmen würden. Nach dem Charakter des Vaters wurde nicht weiter gefragt«.

Es ist auch bemerkt worden, daß in den Fällen, wo der Vater auf Abwege geriet – ein Trunkenbold wurde und »auf den Hund geriet« – wenn nur die Mutter klug und tüchtig war, die Familie zusammengehalten wurde und die Kinder sich ehrenhaft durchs Leben schlugen, wohingegen im umgekehrten Falle, wo die Mutter auf üble Wege kam, die Beispiele von Erfolgen der Kinder im spätem Leben auch bei tüchtiger Leitung des Vaters verhältnismäßig selten sind.

Der größte Teil des Einflusses, den Frauen auf die Bildung des Charakters ausüben, bleibt natürlich unbekannt. Sie leisten ihre beste Arbeit in der ruhigen Abgeschlossenheit des Hauses und der Familie, durch stetige Anstrengung und geduldige Beharrung auf dem Pfade der Pflicht. Über ihre größten Triumphe hört man nichts, weil sie privater und häuslicher Natur sind, und nur selten vernehmen wir etwas in den Biographien hervorragender Männer, welchen Anteil die Mütter an der Bildung ihres Charakters und an ihrer Richtung zum Guten hatten. Dennoch bleiben sie in dieser Beziehung nicht unbelohnt. Der von ihnen ausgeübte, wenn auch nicht berechenbare Einfluß überlebt sie und pflanzt sich für immer fort, seine Folgen immer mehr ausbreitend. Wir hören nicht so oft von großen Frauen wie von großen Männern. Wir hören meistens von guten Frauen; und es ist wahrscheinlich, daß sie ein größeres Werk tun, wenn sie den Charakter der Männer und Frauen zum Guten lenken, als wenn sie berühmte Bilder malten, berühmte Bücher schrieben oder berühmte Opern komponierten. »Es ist ganz richtig,« sagte Joseph de Maistre, »daß Frauen keine Meisterwerke hervorgebracht haben. Sie haben keine Ilias geschrieben, kein befreites Jerusalem, keinen Hamlet, keine Phädra, kein verlorenes Paradies, keinen Tartüff; sie haben keine Peterskirche erbaut, keinen Messias geschaffen, keinen Apollo von Belvedere gemeißelt, kein Jüngstes Gericht gemalt; sie haben weder die Algebra, noch das Teleskop noch die Dampfmaschine erfunden, aber sie haben etwas weit Größeres und Besseres als dies getan; denn zu ihren Füßen wurden wahrhafte und tugendhafte Menschen erzogen, die besten Erzeugnisse der Welt.« –

De Maistre spricht in seinen Briefen und Schriften von seiner Mutter mit der größten Liebe und Verehrung. Ihr edler Charakter machte in seinen Augen alle andern Frauen verehrungswürdig. Er spricht von ihr als von seiner »erhabenen Mutter, einem Engel, dem Gott für kurze Zeit einen Körper schenkt«. Ihr schrieb er die Richtung seines Charakters und seine Neigung zum Guten zu; und als er zu reiferen Jahren herangewachsen als Gesandter am Hofe zu Petersburg wirkte, erwähnt er ihr edles Beispiel und Vorbild als den herrschenden Einfluß in seinem Leben. Einer der reizendsten Züge im Charakter Samuel Johnsons war, trotz seiner rauhen und stacheligen Außenseite, die Zärtlichkeit, mit der er stets von seiner Mutter sprach, einer Frau von scharfem Verstand, die in seinen Geist, wie er selbst anerkennt, die ersten religiösen Eindrücke pflanzte. Er war gewohnt, auch zu Zeiten größter Bedrängnis von seinen spärlichen Mitteln reichlich zu ihrer Bequemlichkeit beizutragen und eine seiner letzten Handlungen kindlicher Liebe war die, daß er »Rasselas« schrieb, um mit dem Honorar ihre kleinen Schulden und die Kosten ihres Begräbnisses zu bezahlen.

George Washington war erst elf Jahre alt – als der Älteste von fünf Kindern – als sein Vater starb und seine Mutter als Witwe zurückließ. Sie war eine Frau von seltener Vortrefflichkeit, voller Geistesgegenwart, mit guten Geschäftskenntnissen, eine tüchtige Hausfrau, und von großer Charakterstärke. Sie hatte ihre Kinder aufzuziehen und zu bilden, einen großen Haushalt und ausgedehnte Besitzungen zu verwalten, was sie alles mit vollem Erfolge durchführte. Ihr Verstand, ihr Fleiß, ihre Zärtlichkeit, Emsigkeit und Wachsamkeit befähigten sie, jedes Hindernis zu überwinden. Als den reichsten Lohn ihrer Mühe und Arbeit hatte sie das Glück, ihre Kinder mit den schönsten Hoffnungen in die Welt treten und dort ihren Platz in einer Weise ausfüllen zu sehen, die ihnen wie ihrer Mutter, der einzigen Lehrerin ihrer Grundsätze, Gewohnheiten und Lebensführung, gleicherweise Ehre machte.

Cromwells Biograph sagt wenig über den Vater des Protektors, verweilt dagegen bei dem Charakter seiner Mutter. Er schildert sie als eine Frau von ungewöhnlicher Kraft und Entschlossenheit, »eine Frau,« wie er sagt, »welche die glorreiche Fähigkeit der Selbsthilfe besaß, wenn anderer Beistand ihr mangelte; bereit für alle – auch die härtesten Anforderungen des Geschicks; gleichgroß an Geist und Energie wie Milde und Geduld, die mit ihrer Hände Arbeit fünf Töchtern eine Mitgift schaffte, groß genug, daß sie in ebenso ehrenwerte, aber reichere Familien heiraten konnten; deren einziger Stolz die Rechtschaffenheit und deren Leidenschaft die Liebe war; die in dem prächtigen Palaste von Whitehall den einfachen Geschmack bewahrte, der sie in der alten Brauerei zu Huntingdon auszeichnete, und deren einzige Sorge inmitten des Glanzes die Sicherheit ihres Sohnes in seiner gefährlichen Stellung war.

Wir sprachen von Napoleons Mutter als von einer Frau von großer Charakterstärke; dies war auch die Mutter des Herzogs von Wellington, der ihr Sohn in Gesichtszügen, Gestalt und Charakter auffallend ähnelte, während sich sein Vater besonders als komponierender und ausübender Musiker hervortat. Aber seltsamerweise hielt Wellingtons Mutter ihn für einen Dummkopf und liebte ihn aus irgend einem Grunde nicht so wie ihre andern Kinder, bis seine großen Taten sie zwangen, stolz auf ihn zu sein.

Unter Staatsmännern, Rechtsgelehrten und Geistlichen finden wir der Mütter der Staatskanzler Bacon, Erskine und Brougham Erwähnung getan – alles Frauen von großen Fähigkeiten und bei der ersteren von großer Gelehrsamkeit, sowie auch der Mütter von Canning, Curran und Präsident Adams, von Herbert, Paley und Wesley. Lord Brougham spricht in Ausdrücken, die nahe an Ehrfurcht grenzen, von seiner Großmutter, der Schwester des Professors Robertson, welche es hauptsächlich war, die seinem Geist die starke Wißbegierde einflößte und die ersten Grundlagen jener beharrlichen Energie bei der Erforschung jeder Art von Wissen, welche besonders charakteristisch für ihn ist.

Cannings Mutter war eine Irländerin von großer natürlicher Begabung, und ihr begabter Sohn bewahrte ihr bis an sein Lebensende die größte Liebe und Achtung Sie war eine Frau von ungewöhnlicher Geisteskraft. »Wahrlich,« sagt Cannings Biograph, »wären wir nicht durch direkte Quellen von dieser Tatsache überzeugt, so könnten wir unmöglich seine tiefe und rührende Verehrung für sie betrachten, ohne zu schließen, daß der Gegenstand dieser unwandelbaren Anhänglichkeit seltene und hervorragende Eigenschaften haben mußte. Sie galt in dem Kreise, in dem sie lebte, als eine Frau von großer Geisteskraft. Ihre Unterhaltung war lebhaft und anregend und durch eine besondere Originalität des Stils und eine Wahl neuer und auffallender Gesprächsstoffe ausgezeichnet, die außerhalb dem Bereiche gewöhnlicher Gespräche lagen. Leuten, die sie nur flüchtig kannten, konnte die Energie ihres Wesens als etwas exzentrisch erscheinen.«

Curran spricht mit großer Liebe von seiner Mutter als von einer Frau von starkem, ursprünglichem Verstand, deren weisem Rate, großer Frömmigkeit und Lehren von ehrenhaftem Ehrgeiz, den sie eifrigst ihren Kindern einzuprägen suchte, er hauptsächlich seine Erfolge im Leben zuschrieb. »Das einzige Erbe,« pflegte er zu sagen, »dessen ich mich von meinem armen Vater rühmen kann, ist eine so wenig anziehende Erscheinung wie die seinige war; und wenn die Welt mir je etwas Wertvolleres zugeschrieben hat als Gesicht und Gestalt oder irdische Güter, so verdanke ich dies einer andern und lieberen Person, die mir als Kind einen Teil von dem Schatze ihres Geistes gab«.

Als der Expräsident Adams einer Prüfung in einer Mädchenschule zu Boston beiwohnte, überreichten ihm die Zöglinge eine Adresse, die ihn tief bewegte; und indem er dies eingestand, benutzte er die Gelegenheit, auf den dauernden Einfluß hinzuweisen, den weibliche Erziehung und Gesellschaft auf seinen Charakter ausgeübt hatten. »Als Kind,« sagte er, »erfreute ich mich vielleicht des größten Segens, den ein Mensch haben kann, nämlich einer Mutter die besorgt und fähig war, den Charakter ihrer Kinder richtig zu bilden. Von ihr empfing ich alles, was an religiöser und sittlicher Belehrung mein Leben durchdrang – ich will nicht sagen, daß sie vollkommen war oder so, wie sie hätte sein sollen, aber ich lasse ihrem Andenken nur Gerechtigkeit angedeihen, wenn ich zugebe, daß jede Unvollkommenheit oder jede Abirrung von dem, was sie mich lehrte, mein Fehler war und nicht der ihrige.«

Die Wesleys waren mit ihren Eltern ganz besonders durch die Bande natürlicher Pietät verbunden, obwohl die Mutter mehr als der Vater ihren Geist beeinflußte und ihren Charakter entwickelte. Der Vater war ein Mann von starkem Willen, behandelte indessen seine Familie bisweilen rauh und tyrannisch; während die Mutter bei großer Verstandesschärfe und feuriger Wahrheitsliebe doch sanft, überzeugend, friedfertig und einfach war. Sie war die Lehrerin und heitere Gefährtin ihrer Kinder, die sich allmählich nach ihrem Beispiel bildeten. Durch die Richtung, die sie dem Geiste ihrer Sühne in religiösen Angelegenheiten gab, nahmen diese die Tendenz an, die ihnen schon frühe den Namen »Methodisten« eintrug. In einem Brief an ihren Sohn Samuel, der damals, 1709, Schüler in Westminster war, schrieb sie: »Ich möchte Dir dringend raten, Deine Tätigkeit in eine gewisse Methode zu bringen, vermittelst deren Du jeden kostbaren Augenblick besser benützen kannst und es sehr leicht finden wirst, Deine jeweiligen Pflichten zu erfüllen.« Diese »Methode« beschrieb sie dann und ermahnte ihren Sohn, »in allen Dingen nach Grundsätzen zu handeln;« und die Gesellschaft, welche die Brüder John und Charles später in Oxford gründeten, ist wohl zum großen Teile das Resultat ihrer Ermahnungen.

Auch bei Dichtern, Schriftstellern und Künstlern hat der Einfluß des Gefühls und Geschmacks ihrer Mutter ohne Zweifel auf das Genie der Söhne eine sehr große Wirkung ausgeübt, und wir finden dies besonders ausgeprägt im Leben von Gray, Thomson, Scott, Southey, Bulwer, Schiller und Goethe. Gray erbte seine gütige, liebenswürdige Natur fast gänzlich von seiner Mutter, während sein Vater rauh und unfreundlich war. Gray war tatsächlich ein weibischer Mann – scheu, zurückhaltend und energielos – aber von ganz untadelhaftem Leben und Charakter. Die Mutter des Dichters erhielt die Familie, nachdem ihr unwürdiger Gemahl sie verlassen hatte; bei ihrem Tod setzte ihr Gray auf ihrem Grabe zu Stoke Poges eine Grabschrift, worin er sie beschrieb als »die sorgsame, zärtliche Mutter vieler Kinder, von denen nur eins das Unglück hatte, sie zu überleben.« Der Dichter wurde nach seinem eigenen Wunsche neben ihrem Grabe beigesetzt.

Goethe dankte – wie Schiller – die Richtung seines Geistes und Charakters seiner Mutter, die eine Frau von außerordentlichen Gaben war. Sie war voll schlagfertigen Mutterwitzes und besaß in hohem Grade die Kunst, junge und tätige Geister anzuregen und sie über die Kunst des Lebens aus dem reichen Schatze ihrer Erfahrung zu belehren.[1] Nach einer längeren Unterredung mit ihr sagte ein enthusiastischer Besucher: »Jetzt verstehe ich, wie Goethe der Mann geworden ist, der er ist!« Goethe selbst pflegte liebevoll ihr Andenken. »Sie war des Lebens wert,« sagte er einst von ihr; und als er Frankfurt besuchte, ging er zu jedem Einzelnen, der freundlich zu seiner Mutter gewesen war, und dankte ihm.

Ary Scheffers Mutter – deren schöne Züge der Maler in seinen Bildern, der Beatrice, der heiligen Monika und andern Werken darzustellen liebte – ermutigte sein Kunststudium und versah ihn in großer Selbstverleugnung mit den dazu nötigen Mitteln. Während sie in Dordrecht in Holland wohnte, sandte sie ihn zum Studium erst nach Lille und dann nach Paris; ihre Briefe an ihn während seiner Abwesenheit waren immer voll gesunden mütterlichen Rates und warmer weiblicher Sympathie. »Wenn Du mich nur sehen könntest,« schrieb sie bei Gelegenheit, »wie ich Dein Porträt küsse und es dann nach einer Weile wieder aufnehme und Dich mit einer Träne im Auge, ›meinen geliebten Sohn‹ nenne, so würdest Du verstehen, was es mich kostet, bisweilen die ernste Sprache der Autorität zu gebrauchen und Dir Augenblicke des Schmerzes zu verursachen .... Arbeite fleißig, sei vor allem bescheiden und demütig; und wenn Du findest, daß Du andere übertriffst, so vergleiche das, was Du getan hast, mit der Natur selbst, oder mit dem Ideal deines Geistes, und Du wirst durch den augenscheinlichen Kontrast vor den Wirkungen des Stolzes und der Selbstüberhebung gesichert sein.«

Lange Jahre später, als Ary Scheffer selbst Großvater war, erinnerte er sich mit Liebe des Rates seiner Mutter und wiederholte ihn seinen Kindern. Und so lebt die Kraft des guten Beispiels von Generation zu Generation fort und hält die Welt immer frisch und jung. Als er im Jahre 1846 an seine Tochter, Frau Marjolin schrieb, erinnerte er sich wieder des Rates seiner verstorbenen Mutter und er sagte: »das Wort muß – behalte es wohl im Gedächtnis, liebes Kind; Deine Großmutter ließ es selten außer acht. In Wahrheit trägt unser ganzes Leben hindurch nicht gute Früchte, was nicht durch der Hände Arbeit oder die Ausübung unserer Selbstverleugnung erworben wurde. Mit einem Wort, man muß immer Opfer bringen, um Behagen und Glück zu erlangen. Nun, da ich nicht mehr zu jung bin, erkläre ich, daß wenige Abschnitte meines Lebens mir so viel Befriedigung gewährten wie die, wo ich Opfer brachte oder mir Vergnügungen versagte. ›Das Entsagen‹ ist das Motto des Weisen. Selbstverleugnung ist die Tugend, von der uns Jesus Christus ein Beispiel gab.«

Der französische Historiker Michelet macht in der Vorrede zu einem seiner berühmtesten Bücher, das nach seinem Erscheinen der Gegenstand heftiger Angriffe wurde, folgende rührende Bemerkung über seine Mutter: »Während ich dies alles schrieb, dachte ich an eine Frau, deren starker und ernster Geist mich in diesen Kämpfen nicht zu stützen verfehlt hätte. Ich verlor sie vor 30 Jahren, da ich noch ein Kind war; trotzdem lebt sie immer in meinem Gedächtnis fort durch mein ganzes Leben. Sie litt mit mir in meiner Armut und konnte mein besseres Los nicht teilen. Als ich noch jung war, betrübte ich sie, und jetzt kann ich sie nicht trösten. Ich weiß nicht einmal, wo ihre Asche ruht, denn ich war zu arm, um ihr ein Grab zu kaufen. Und doch schulde ich ihr so viel. Ich fühle tief, daß ich der Sohn eines Weibes bin. Jeden Augenblick finde ich in meinen Gedanken und Worten, nicht zu gedenken meiner Mienen und Gebärden, meine Mutter wieder. Das Blut meiner Mutter flößt mir Sympathie ein für vergangene Zeiten und zarte Erinnerung für die, welche nicht mehr sind. Was für ein Liebeszeichen könnte ich ihr geben – der ich mich dem Greisenalter nähere – für das viele Gute, das ich ihr danke? Etwas, wofür sie mir gedankt hätte: diesen Protest zugunsten der Frauen und Mütter.«[2]

Aber wenn eine Mutter den dichterischen oder künstlerischen Geist ihres Sohnes sehr zum Guten beeinflussen kann, vermag sie auch eine schlimme Wirkung hervorzubringen. So lassen sich die Charaktereigenschaften Lord Byrons – seine wetterwendischen Neigungen, sein Abscheu vor jedem Zwang, die Bitterkeit seines Hasses und das Ungestüm seines Grolls – in nicht geringem Grade auf die schädlichen Einflüsse zurückführen, die seine launische, heftige und eigensinnige Mutter von der Geburt an auf ihn ausübte. Sie schmähte ihren Sohn sogar wegen seines körperlichen Gebrechens; und es ereignete sich bei ihren heftigen Streitigkeiten nicht selten, daß sie ein Schüreisen oder eine Feuerzange ergriff und es ihm nachschleuderte, wenn er entfloh.[3] Diese unnatürliche Behandlung gab Byrons Leben eine gewisse Verbitterung; und von Sorgen bedrückt, unglücklich, groß und doch schwach, trug er in sich das Gift seiner Mutter mit herum, das er in seiner Kindheit eingesogen hatte.

Eine törichte Mutter kann auch einen begabten Sohn verderblich beeinflussen, wenn sie seinen Geist mit ungesunden Gefühlen erfüllt. So soll Lamartines Mutter ihn mit ganz irrigen Ideen über das Leben erzogen haben, die sie der Schule Rousseaus und Bernardin de St. Pierre entnahm, wodurch seine schon von Natur große Sentimentalität übertrieben anstatt unterdrückt wurde, und er wurde lebenslänglich ein Opfer der Rührseligkeit, Affektiertheit und Unvorsichtigkeit. Es mutet fast lächerlich an, wenn wir Lamartine in seinen »Confidences« sich selbst als eine »Statue jugendlicher Männlichkeit, zum Vorbild für Jünglinge errichtet«, vorstellen sehen. Wie er der verzogene Liebling seiner Mutter war, so war er schließlich auch der verhätschelte Liebling Frankreichs, was bitter und traurig ist. Sainte-Beuve sagt von ihm: »Er besaß die reichsten Gaben, die er aber nicht zusammenhalten konnte und die er alle verschwenderisch verschleuderte, außer der Gabe der Beredsamkeit, die unerschöpflich schien und die er bis zu seinem Ende wie eine Zauberflöte ertönen ließ.«

Wir sagten oben, daß Washingtons Mutter sich ausgezeichnet auf Geschäfte verstand; der Besitz einer solchen Eigenschaft ist nicht nur mit echter Weiblichkeit sehr wohl verträglich, sondern er ist auch in gewissem Grade für das Gedeihen und die Behaglichkeit jeder Familie notwendig. Geschäftsgewohnheiten beziehen sich nicht nur auf den Handel, sondern auch auf die praktischen Dinge im täglichen Leben, auf alles, was angeordnet, organisiert, besorgt und getan werden muß. Und in dieser Beziehung ist die Führung einer Familie oder eines Haushalts ebenso eine Geschäftsangelegenheit, wie die Führung eines Ladens oder Kontors. Sie erfordert Methode, Genauigkeit, Organisation, Fleiß, Sparsamkeit, Disziplin, Takt, Kenntnisse und die Fähigkeit, Mittel und Zweck einander anzupassen. Alles dies ist für ein Geschäft wesentlich, und daher müssen Geschäftsgewohnheiten von Frauen, die zu Hause Erfolg haben wollen – mit anderen Worten: eine glückliche Häuslichkeit erzielen wollen – ebenso eifrig gepflegt werden wie von Männern in Angelegenheiten des Gewerbes, des Handels oder der Industrie.

Indessen hat bis jetzt die Meinung vorgeherrscht, daß Frauen mit solchen Dingen nichts zu tun hätten, daß Geschäftsgewohnheiten und -kenntnisse nur dem Manne zukämen. Man denke z. B. an das Rechnen. Bright sagte von Knaben: »Bringt einem Knaben gründlich Arithmetik bei, und er ist ein gemachter Mann.« Und warum? Weil er dadurch Methode, Genauigkeit, und Wert, Verhältnisse und Beziehungen der Zahlen kennen lernt. Aber wieviele Mädchen lernen Arithmetik richtig? – Nur sehr wenige. Und was ist die Folge davon? Wenn das Mädchen heiratet, und versteht nicht mit Zahlen umzugehen, so kann sie über Einnahme und Ausgabe nicht Buch führen, und es werden sich wahrscheinlich Irrtümer ergeben, welche die häusliche Zufriedenheit stören. Eine Frau, die ihr Geschäft nicht versteht – das heißt ihre häuslichen Angelegenheiten nicht in Übereinstimmung mit den einfachsten Grundsätzen der Arithmetik halten kann – kann aus bloßer Unwissenheit Extravaganzen begehen, die dem Frieden und der Behaglichkeit ihrer Familie äußerst nachteilig sind.

Folgerichtigkeit, die Seele des Geschäfts, ist auch zu Hause von großer Wichtigkeit. Eine Arbeit kann nur bei Folgerichtigkeit durchgeführt werden. Die Folgerichtigkeit verlangt Pünktlichkeit, eine zweite geschäftliche Eigenschaft von großer Bedeutung. Die unpünktliche Frau wie der unpünktliche Mann verursacht Ärger, weil sie Zeit verbraucht und vergeudet und die Überlegung herausfordert, daß wir für sie nicht von genügender Wichtigkeit sind, um sie zur Pünktlichkeit zu veranlassen. Für den Geschäftsmann ist Zeit Geld; aber für die Hausfrau bedeutet die Methode mehr, sie ist Friede, Behaglichkeit und häusliches Gedeihen.

Die Klugheit ist eine weitere wichtige Geschäftstugend für die Frauen wie für die Männer. Die Klugheit ist praktische Weisheit und entsteht durch Pflege des Urteils. Sie weiß alles passend und geschickt einzurichten; sie urteilt weise über das Rechte, was getan werden muß und wie es zu geschehen hat. Sie berechnet Mittel, Ordnung, Zeit und Folge des Geschehens. Die Klugheit lernt von der Erfahrung und wird beschleunigt durch Wissen.

Aus diesen und anderen Gründen müssen geschäftliche Gewohnheiten von den Frauen gepflegt werden, damit sie im täglichen Leben und in der täglichen Arbeit wirksam mitarbeiten können. Andererseits brauchen Frauen wie Wärterinnen, Pflegerinnen und Erzieherinnen von Kindern alle die Hilfe und Unterstützung, welche geistige Bildung ihnen verleihen kann, um die Kräfte des Hauses richtig zu leiten.

Bloß instinktive Liebe ist nicht ausreichend. Der Instinkt, welcher die niedrigeren Geschöpfe erhält, braucht keine Pflege; aber die menschliche Intelligenz, welche in einer Familie beständig gebraucht wird, muß erzogen werden. Die Sorge um die physische Gesundheit der heranwachsenden Generation ist durch die Vorsehung der Frau übertragen worden; und in der physischen Natur liegen die moralische und die geistige mit eingeschlossen. Nur dadurch, daß die Frau in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen handelt, welche sie natürlich kennen muß, um ihnen folgen zu können, können die Segnungen körperlicher und geistiger Gesundheit zu Hause gesichert werden. Ohne die Kenntnis dieser Gesetze findet die mütterliche Liebe nur zu oft ihre Belohnung in dem Sarge des Kindes.[4]

Es ist daher nur die Wahrheit, wenn man sagt, daß der Verstand, mit dem das Weib ebensogut wie der Mann begabt ist, zum Gebrauch und zur Übung gegeben wurde und nicht, um »unbenutzt an ihr zu rosten«. Solche Gaben werden nie ohne einen Zweck verliehen. Der Schöpfer ist wohl freigebig mit seinen Gaben, aber nie verschwenderisch. Die Frau war weder zu einem stumpfsinnigen Lasttier noch zu einer hübschen Zierde der Mußestunden des Mannes bestimmt. Sie ist ebensowohl für sich wie für andere da, und die ernsten und verantwortungsvollen Pflichten, die sie im Leben zu erfüllen hat, erfordern einen gebildeten Geist wie ein mitfühlendes Herz. Ihre höchste Mission liegt nicht darin, daß sie sich die nichtigen Fertigkeiten aneignet, mit welchen heute so viel nützliche Zeit vergeudet wird; denn wenn diese den an sich schon genügenden Reiz der Jugend und Schönheit erhöhen mögen, so sind sie doch für das praktische Leben von sehr geringem Wert.

Das höchste Lob, was die alten Römer einer edlen Matrone zu spenden wußten, war, daß sie zu Hause sitze und spinne – » Domum mansit, lanam fecit«. Zu unserer Zeit ist gesagt worden, daß soviel Chemie, um einen Topf Wasser zu kochen und soviel Geographie, um die verschiedenen Zimmer in einem Hause zu kennen, genug Wissenschaft für eine Frau wären, und Byron, dessen Sympathien für das weibliche Geschlecht sehr unvollkommener Natur waren, erklärte, daß er ihre Bibliothek auf die Bibel und das Kochbuch beschränken würde. Aber diese Ansicht von dem Charakter und dem Bildungsbedürfnis der Frau ist ebenso beschränkt und unvernünftig, wie die gegenteilige, jetzt so verbreitete, überspannt und unnatürlich ist: daß die Frau so erzogen werden müßte, daß sie dem Mann in allem gleichkäme; daß sie sich von ihm durch nichts als das Geschlecht unterscheiden, ihm auch an politischen Rechten gleichstehen, und sein Nebenbuhler in allem werden soll, was das Leben zu einem so milden und selbstsüchtigen Kampfe um Stellung, Macht und Geld macht.

Im allgemeinen ist die Erziehung und Disziplin, die man dem einen Geschlecht in früher Jugend angedeihen läßt, gewiß auch für das andere passend, und die Bildung und Kultur, die den Geist des Mannes erfüllt, wird sich auch als heilsam für die Frau erweisen. Alle Argumente, die bis jetzt zugunsten der höheren Bildung des Mannes vorgebracht worden sind, sprechen ebenso stark zugunsten der Frau. In allen Gebieten des Hauses wird die Bildung den Nutzen und die Wirksamkeit der Frau erhöhen. Sie wird ihr Achtsamkeit und Fürsorglichkeit verleihen, sie befähigen, die Erfordernisse des Lebens voraus zu sehen und ihnen gerecht zu werden, ihr bessere Haushaltungsmethoden vermitteln und ihr in jeder Beziehung Kraft geben. Eine geschulte Geisteskraft wird ihr einen besseren Schutz gegen Betrug und Täuschung gewähren, als es unschuldige und nichtsahnende Unwissenheit vermag; moralische und religiöse Bildung wird ihr einen größeren und nachhaltigeren Einfluß geben, als körperliche Reize, und in richtigem Selbstvertrauen und wahrer Selbständigkeit wird sie die echten Quellen häuslichen Behagens und Glücks entdecken.

Aber während Geist und Charakter der Frauen mit Rücksicht auf ihr eigenes Wohl gepflegt werden müssen, darf man bei ihrer Erziehung auch das Glück der anderen nicht außer acht lassen. Die Männer können nicht gesund an Geist und Moral sein, wenn es die Frauen nicht sind; und wenn, wie wir festhalten, der moralische Zustand eines Volkes hauptsächlich auf der Erziehung des Hauses beruht, so muß die Bildung der Frauen als eine Angelegenheit von nationaler Wichtigkeit angesehen werden. Nicht nur der moralische Charakter, sondern auch die geistige Kraft eines Mannes findet ihren besten Schutz und ihre Stütze in der moralischen Reinheit und geistigen Bildung der Frau; aber je mehr beider Kräfte entwickelt sind, desto harmonischer und wohlgeordneter ist die Gesellschaft – desto sicherer und gewisser ihre fortschreitende Entwicklung.

Als Napoleon I. vor hundert Jahren sagte, daß es Frankreich besonders an Müttern fehle, so meinte er damit, daß das französische Volk die häusliche Erziehung brauche, die von guten, tugendhaften und verständigen Frauen geleitet würde. Die erste französische Revolution bot in der Tat eins der auffallendsten Beispiele des sozialen Unheils dar, das sich aus dem Mangel des veredelnden Einflusses der Frauen ergibt. Als dieser große nationale Zusammenbruch eintrat, war die Gesellschaft von Laster und Ausschweifung durchsetzt; Moral, Religion, Tugend, alles war in dem Sumpfe der Sinnlichkeit untergegangen. Der Charakter der Frauen war entartet. Eheliche Treue war ein Spott, Mutterschaft ein Vorwurf; Familien und Haus waren in gleicher Weise verdorben. Die Reinheit der Familie band die Gesellschaft nicht länger zusammen. Frankreich hatte keine Mütter mehr; die Kinder warfen jeden Zügel ab, und die Revolution brach aus »mit dem Geheul und den wilden Gewalttaten der Frauen«.[5]

Aber die furchtbare Lehre wurde mißachtet, und immer wieder hat Frankreich den Mangel an jener Disziplin, Selbstbeherrschung, Selbstachtung schwer empfunden, die nur zu Hause gelernt werden kann. Man sagt, der dritte Napoleon soll die jüngste Machtlosigkeit Frankreichs, die es hilflos und blutend zu den Füßen seiner Besieger ließ, der Frivolität und dem Mangel an Grundsätzen des Volkes, wie seiner Vergnügungssucht zugeschrieben haben – Fehler, die er selber nicht wenig pflegte, wie man gestehen muß. Es scheint demnach, daß das, was Frankreich noch lernen muß, um gut und groß zu werden, das ist, was der erste Napoleon angab: häusliche Erziehung durch gute Mütter.

Der Einfuß der Frau ist überall derselbe. Ihre Beschaffenheit beeinflußt Moral, Sitten und Charakter des Volkes in jedem Lande. Wo sie entartet ist, da ist auch die Gesellschaft entartet; wo die Frau moralisch rein und gebildet ist, da befindet sich die Gesellschaft auf entsprechender Höhe.

So heißt also Frauen unterrichten soviel wie Männer unterrichten; ihren Charakter heben heißt den seinigen heben, ihre geistige Freiheit erweitern, bedeutet die der ganzen Gesellschaft erweitern und sichern. Denn Nationen sind nur Abkömmlinge der Häuslichkeiten, und Völker stammen von Müttern ab.

Aber wenn es feststeht, daß der Charakter einer Nation durch die Bildung und Veredlung der Frau gehoben wird, ist es mehr als zweifelhaft, ob irgend ein Vorteil daraus entspringt, wenn die Frau auf dem rauhen Gebiete des Geschäfts oder der Politik mit dem Mann in Wettbewerb tritt. Die Frauen können in der Welt ebensowenig die speziellen Arbeiten der Männer verrichten, wie die Männer die der Frauen. Und wo auch immer die Frau dem Hause und der Familie entzogen wurde, um andere Arbeit zu verrichten, ist das Resultat verhängnisvoll für die Gesellschaft geworden. Einige der besten Menschenfreunde haben in den letzten Jahren ihr Augenmerk darauf gerichtet, die Frauen von der gemeinsamen Arbeit mit Männern in Kohlenbergwerken, Textil- und Nagelfabriken, Ziegeleien abzuhalten.

Es ist jetzt noch im Norden nichts Ungewöhnliches, daß der Mann träge zu Hause liegt, während Mutter und Töchter in den Fabriken arbeiten; die Folge davon ist in vielen Fällen eine gänzliche Umkehr der häuslichen Ordnung, Disziplin und Herrschaft.[6]

Und schon seit vielen Jahren hat man in Paris jenen Zustand erreicht, den mehrere Frauen auch bei sich verwirklicht zu sehen wünschen. Die Frauen besorgen dort hauptsächlich das Geschäft – bedienen die boutique oder stehen dem comptoir vor – während die Männer auf den Boulevards herumlungern. Aber das Resultat ist Heimatlosigkeit, Entartung und häuslicher und sozialer Verfall.

Es gibt auch keinen Grund, anzunehmen, daß durch Verleihung politischer Macht die Frauen gehoben und veredelt würden. Es gibt indessen heutzutage viele, die an die Macht des Stimmrechts glauben und unendlich viel Gutes von der Emanzipation der Frauen erwarten. Es ist nicht nötig, diese Frage hier näher zu erörtern. Aber es genügt, darauf hinzuweisen, daß der Mangel politischer Macht bei den Frauen bei weitem ausgeglichen wird durch die, welche sie im Privatleben ausüben – dadurch, daß sie die Männer und Frauen erziehen, die alles Große in der Welt vollbringen. Der radikale Politiker Bentham sagte, daß der Mann, wenn er auch wollte, der Frau ihre Gewalt nicht nehmen könnte; denn sie regiere schon die Welt mit der ganzen Macht eines Despoten, obgleich die Macht, mit der sie hauptsächlich herrscht, die Liebe ist. Und den Charakter der ganzen menschlichen Gesellschaft zu bilden, ist gewiß eine weit größere Befugnis, als eine Wählerin zum Parlament oder Gesetzgeberin ausüben könnte. Es gibt indessen einen Zweig weiblicher Tätigkeit, der die größte Aufmerksamkeit aller wahren Reformerinnen erfordert, obgleich er bis jetzt unverantwortlich vernachlässigt worden ist. Wir meinen die sparsamere und bessere Zubereitung der Nahrung, deren Vergeudung jetzt aus Mangel an den einfachsten kulinarischen Kenntnissen geradezu skandalös ist. Wenn der Mann als ein Wohltäter der Menschheit angesehen wird, welcher da zwei Kornähren wachsen läßt, wo früher eine wuchs, so soll die Frau nicht weniger als öffentliche Wohltäterin angesehen werden, welche die Nährstoffe, welche menschliche Geschicklichkeit und Arbeit hervorgebracht haben, sparsam und möglichst gut verwertet. Die bessere Ausnutzung unserer Existenzmittel würde einer unmittelbaren Ausdehnung des Kulturlandes gleichkommen – ganz zu schweigen von der Zunahme an Gesundheit, Sparsamkeit und häuslicher Behaglichkeit. Wenn unsere weiblichen Reformatoren ihre Energie nach dieser Richtung hin betätigten, so würden sie den Dank aller Familien verdienen und den größten praktischen Philanthropen beigezählt werden.

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Anmerkungen:
  1. Goethe sagt selbst:
    »Vom Vater hab' ich die Statur,
    Des Lebens ernstes Führen;
    Vom Mütterchen die Frohnatur
    Und Lust zu fabulieren.«
  2. Michelet: »Über Priester, Frauen und Familien«.
  3. Frau Byron soll in einem Wutanfall gestorben sein, der sie beim Lesen ihrer Tapeziererrechnung befiel.
  4. Die Tatsache, daß über ein Drittel aller in England geborenen Kinder im Alter von unter fünf Jahren sterben, kann nur Unkenntnis der Naturgesetze, Unkenntnis der menschlichen Konstitution und Unkenntnis des Gebrauches von reiner Luft, reinem Wasser und der Zubereitung und Zuführung zuträglicher Nahrung zugeschrieben werden. Unter den Tieren herrscht keine solche Sterblichkeit.
  5. Beaumarchais' »Figaro«, das kurz vor dem Ausbruch der Revolution mit solchem Enthusiasmus in Frankreich aufgenommen wurde, kann als ein typisches Schauspiel angesehen werden; es stellt die durchschnittliche Moral der oberen wie der niederen Klassen hinsichtlich der Beziehungen der Geschlechter dar. »Ordne den Menschen ein wie du willst,« sagt Herbert Spencer, »nach Titeln, wie ›obere‹, ›mittlere‹, ›niedere‹ Klassen: du kannst doch nicht verhindern, daß sie Glieder derselben Gesellschaft sind, daß sie unter dem Einfluß desselben Geistes stehen und nach demselben Charaktertyp gebildet sind. Das mechanische Gesetz, daß Wirkung und Gegenwirkung gleich sind, hat sein Analogon in der Moral. Die Tat eines Mannes gegenüber einem anderen läuft schließlich darauf hinaus, dieselbe Wirkung auf beide hervorzubringen, sei die Tat nun gut oder schlecht. Bringe sie nur in Beziehung, so werden keine Kastenteilung, keine Unterschiede des Reichtums die Menschen abhalten, gleich zu werden. Dieselben Einflüsse, welche das Individuum schnell an die Gesellschaft anpassen, verursachen, wenn auch durch einen langsameren Prozeß, die allgemeine Gleichheit des Nationalcharakters. Und solange die gleichmachenden Einflüsse am Werke sind, ist es töricht, anzunehmen, daß irgend ein Teil der Gemeinschaft von dem übrigen moralisch verschieden wäre. Wenn du in einer Klasse Korruption siehst, so sei versichert, daß sie in allen herrscht, sei versichert, daß sie das Symptom schlechter sozialer Zusammensetzung ist. Wenn ein Teil des Körpers entartet ist, so kann der andere nicht gesund bleiben.Social Statics, Kap. XX, § 7.
  6. Vor längeren Jahren schrieb der Verfasser folgende Stelle, nicht ohne praktische Kenntnis des Themas; ungeachtet der großen Verbesserung in dem Lose der Fabrikarbeiter, welche besonders den edlen Bestrebungen Lord Shaftesbury zu danken ist, gilt die Beschreibung noch heute im großen und ganzen. »So viel auch das Fabrikwesen zu dem Wohlstande des Landes beigetragen haben mag, so hat es doch auf die häuslichen Verhältnisse des Volkes einen verderblichen Einfluß ausgeübt. Es dringt in das Heiligtum des Hauses ein und zerreißt die Bande der Familie und der Gesellschaft. Es entzieht dem Manne das Weib und den Eltern die Kinder. Besonders ist es seine Tendenz, den Charakter der Frau zu erniedrigen. Deren eigentliches Amt ist die Erfüllung der häuslichen Pflichten – die Führung des Haushalts, Erziehung der Kinder, Verwaltung der Mittel, Besorgung der Einkäufe. Aber die Fabrik entzieht sie allen diesen Pflichten. Das Haus bleibt nicht länger eine Heimstätte. Die Kinder wachsen unerzogen und vernachlässigt auf. Die feineren Empfindungen werden abgestumpft. Die Frau ist nicht mehr das sanfte Weib, der Gefährte und Freund des Mannes, sondern sein Mitarbeiter und Mitpackesel. Sie ist Einflüssen ausgesetzt, die ihr nur zu oft jene Bescheidenheit der Gesinnung und des Betragens rauben, die eine der besten Schutzwachen der Tugend ist. Ohne Urteil und leitende Grundsätze erlangen Fabrikarbeiter früh das Gefühl der Unabhängigkeit. Bereit, den ihnen von ihren Eltern auferlegten Zwang abzuschütteln, verlassen sie das Haus und werden schnell in die Laster ihrer Genossen eingeweiht. Die physische wie moralische Atmosphäre, in der sie leben, erregt ihre tierischen Begierden, der Einfluß bösen Beispiels wirkt ansteckend auf sie und das Unheil verbreitet sich immer mehr!         The Union, Januar 1843.
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