Außer dem bisher besprochenen Eigentum im beschränkten Sinne wird unserem ehrfürchtigen Gemüte ein anderes Eigentum vorgehalten, an welchem Wir Uns noch weit weniger »versündigen sollen«. Dies Eigentum besteht in den geistigen Gütern, in dem »Heiligtume des Innern«. Was ein Mensch heilig hält, damit soll kein anderer sein Gespötte treiben, weil, so unwahr es immer sein und so eifrig man den daran Hängenden und Glaubenden »auf liebevolle und bescheidene Art« von einem wahren Heiligen zu überzeugen suchen mag, doch das Heilige selbst allezeit daran zu ehren ist: der Irrende glaubt doch an das Heilige, wenn auch an ein unrichtiges, und so muß sein Glaube an das Heilige wenigstens geachtet werden.

In roheren Zeiten, als die unseren sind, pflegte man einen bestimmten Glauben und die Hingebung an ein bestimmtes Heiliges zu verlangen und ging mit den Andersgläubigen nicht auf's sanfteste um; seit jedoch die »Glaubensfreiheit« sich mehr und mehr ausbreitete, zerfloß der »eifrige Gott und alleinige Herr« allgemach in ein ziemlich allgemeines »höchstes Wesen«, und es genügte der humanen Toleranz, wenn nur Jeder »ein Heiliges« verehrte.

Auf den menschlichsten Ausdruck gebracht, ist dies Heilige »der Mensch selbst« und »das Menschliche«. Bei dem trügerischen Scheine, als wäre das Menschliche ganz und gar unser Eigenes und frei von aller Jenseitigkeit, womit das Göttliche behaftet ist, ja als wäre der Mensch so viel als Ich oder Du, kann sogar der stolze Wahn entstehen, daß von einem »Heiligen« nicht länger die Rede sei, und daß Wir Uns nun überall heimisch und nicht mehr im Unheimlichen, d. h. im Heiligen und in heiligen Schauern fühlten: im Entzücken über den »endlich gefundenen Menschen« wird der egoistische Schmerzensruf überhört und der so traulich gewordene Spuk für unser wahres Ich genommen.

Aber »Humanus heißt der Heilige« (s. Goethe), und das Humane ist nur das geläutertste Heilige.

Umgekehrt spricht sich der Egoist aus. Darum gerade, weil Du etwas heilig hältst, treibe Ich mit Dir mein Gespötte und, achtete Ich auch Alles an Dir, gerade dein Heiligtum achte Ich nicht.

Bei diesen entgegengesetzten Ansichten muß auch ein widersprechendes Verhalten zu den geistigen Gütern angenommen werden: der Egoist insultiert sie, der Religiöse (d. h. jeder, der über sich sein »Wesen« setzt) muß sie konsequenterweise – schützen. Welcherlei geistige Güter aber geschützt und welche ungeschützt gelassen werden sollen, das hängt ganz von dem Begriffe ab, den man sich vom »höchsten Wesen« macht, und der Gottesfürchtige z. B. hat mehr zu schirmen, als der Menschenfürchtige (der Liberale).

An den geistigen Gütern werden Wir im Unterschiede von den sinnlichen auf eine geistige Weise verletzt, und die Sünde gegen dieselbe besteht in einer direkten Entheiligung, während gegen die sinnliche eine Entwendung oder Entfremdung stattfindet: die Güter selbst werden entwertet und entweiht, nicht bloß entzogen, das Heilige wird unmittelbar gefährdet. Mit dem Worte »Unehrerbietigkeit« oder »Frechheit« ist Alles bezeichnet, was gegen die geistigen Güter, d. h. gegen Alles, was Uns heilig ist, verbrochen werden kann, und Spott, Schmähung, Verachtung, Bezweiflung u. dergl. sind nur verschiedene Schattierungen der verbrecherischen Frechheit.

Daß die Entheiligung in der mannigfachsten Art verübt werden kann, soll hier übergangen und vorzugsweise nur an jene Entheiligung erinnert werden, welche durch eine unbeschränkte Presse das Heilige mit Gefahr bedroht.

Solange auch nur für Ein geistiges Wesen noch Respekt gefordert wird, muß die Rede und Presse im Namen dieses Wesens geknechtet werden; denn ebenso lange könnte der Egoist durch seine Äußerungen sich gegen dasselbe »vergehen«, woran er eben wenigstens durch die »gebührende Strafe« verhindert werden muß, wenn man nicht lieber das richtigere Mittel dagegen ergreifen will, die vorbeugende Polizeigewalt, z. B. der Zensur.

Welch ein Seufzen nach Freiheit der Presse! Wovon soll die Presse denn befreit werden? Doch wohl von einer Abhängigkeit, Angehörigkeit und Dienstbarkeit! Davon aber sich zu befreien, ist eben die Sache eines Jeden, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß wenn Du Dich aus der Dienstbarkeit erlöst hast, auch das, was Du verfassest und schreibst, Dir eigen gehören werde, statt im Dienste irgend einer Macht gedacht und aufgesetzt worden zu sein. Was kann ein Christgläubiger sagen und drucken lassen, das freier wäre von jener Christgläubigkeit, als er selbst es ist? Wenn Ich etwas nicht schreiben kann und darf, so liegt die nächste Schuld vielleicht an Mir. So wenig dies die Sache zu treffen scheint, so nahe findet sich dennoch die Anwendung. Durch ein Preßgesetz ziehe oder lasse Ich meinen Veröffentlichungen eine Grenze ziehen, über welche hinaus das Unrecht und dessen Strafe folgt. Ich selbst beschränke Mich.

Sollte die Presse frei sein, so wäre gerade nichts so wichtig, als ihre Befreiung von jedem Zwange, der ihr im Namen eines Gesetzes angetan werden könnte. Und daß es dazu komme, müßte eben Ich selbst vom Gehorsam gegen das Gesetz Mich entbunden haben.

Freilich, die absolute Freiheit der Presse ist wie jede absolute Freiheit ein Unding. Von gar Vielem kann sie frei werden, aber immer nur von dem, wovon auch Ich frei bin. Machen Wir Uns vom Heiligen frei, sind Wir heillos und gesetzlos geworden, so werden's auch unsere Worte werden.

So wenig Wir in der Welt von jedem Zwange losgesprochen werden können, so wenig läßt sich unsere Schrift demselben entziehen. Aber so frei als Wir sind, so frei können Wir auch jene machen.

Sie muß also Unser eigen werden, statt, wie bisher, einem Spuk zu dienen.

Man bleibt sich unklar bei dem Rufe nach Preßfreiheit. Was man angeblich verlangt, ist dies, daß der Staat die Presse freigeben solle; was man aber eigentlich, und ohne es selbst zu wissen, haben will, ist dies, daß die Presse vom Staate frei oder den Staat los werde. Jenes ist eine Petition an den Staat, dieses eine Empörung gegen den Staat. Als eine »Bitte um Recht«, selbst als ein ernstes Fordern des Preßfreiheitsrechtes setzt sie den Staat als den Geber voraus und kann nur auf ein Geschenk, eine Zulassung, ein Oktroyieren hoffen. Wohl möglich, daß ein Staat so unsinnig handelt, das geforderte Geschenk zu gewähren; es ist aber Alles zu wetten, daß die Beschenkten das Geschenk nicht zu gebrauchen wissen werden, solange sie den Staat als eine Wahrheit betrachten: sie werden sich an diesem »Heiligen« nicht vergehen und gegen Jeden, der dies wagen wollte, ein strafendes Preßgesetz aufrufen.

Mit Einem Worte, die Presse wird von dem nicht frei, wovon Ich nicht frei bin.

Weise Ich Mich hierdurch etwa als einen Gegner der Preßfreiheit aus? Im Gegenteil, Ich behaupte nur, daß man sie nie bekommen wird, wenn man nur sie, die Preßfreiheit, will, d. h. wenn man nur auf eine unbeschränkte Erlaubnis ausgeht. Bettelt nur immerfort um diese Erlaubnis: Ihr werdet ewig darauf warten können, denn es ist Keiner in der Welt, der sie Euch geben könnte. Solange Ihr für den Gebrauch der Presse Euch durch eine Erlaubnis, d. h. Preßfreiheit, »berechtigen« lassen wollt, lebt Ihr in eitler Hoffnung und Klage.

»Unsinn! Du, der Du solche Gedanken, wie sie in deinem Buche stehen, hegst, kannst sie ja selbst leider nur durch einen glücklichen Zufall oder auf Schleichwegen zur Öffentlichkeit bringen; gleichwohl willst Du dagegen eifern, daß man den eigenen Staat so lange dränge und überlaufe, bis er die verweigerte Druckerlaubnis gibt?« Ein also angeredeter Schriftsteller würde aber vielleicht – denn die Frechheit solcher Leute geht weit – Folgendes erwidern: »Erwägt eure Rede genau! Was tue Ich denn, um Mir für mein Buch Preßfreiheit zu verschaffen? Frage Ich nach der Erlaubnis, oder suche Ich nicht vielmehr ohne alle Frage nach Gesetzlichkeit eine günstige Gelegenheit, und ergreife sie in völliger Rücksichtslosigkeit gegen den Staat und seine Wünsche? Ich – es muß das schreckenerregende Wort ausgesprochen werden – Ich betrüge den Staat. Unbewußt tut Ihr dasselbe. Ihr redet ihm von euren Tribünen aus ein, er müsse seine Heiligkeit und Unverletzlichkeit aufgeben, er müsse den Angriffen der Schreibenden sich preisgeben, ohne daß er deshalb Gefahr zu fürchten brauche. Aber Ihr hintergeht ihn; denn es ist um seine Existenz getan, sobald er seine Unnahbarkeit einbüßt. Euch freilich könnte er die Schreibefreiheit wohl gestatten, so wie England es getan hat; Ihr seid Staatsgläubige und unvermögend, gegen den Staat zu schreiben, so viel Ihr immer auch an ihm zu reformieren und seinen „Mängeln abzuhelfen« haben mögt. Aber wie, wenn Staatsgegner das freie Wort sich zu Nutze machten, und gegen Kirche, Staat, Sitte und alles »Heilige« mit unerbittlichen Gründen losstürmten? Ihr wäret dann die Ersten, welche unter schrecklichen Ängsten die Septembergesetze ins Leben riefen. Zu spät gereute Euch dann die Dummheit, welche Euch früher so bereit machte, den Staat oder die Staatsregierung zu beschwatzen und zu betören. – Ich aber beweise durch meine Tat nur zweierlei. Einmal dies, daß die Preßfreiheit immer an »günstige Gelegenheiten« gebunden, mithin niemals eine absolute Freiheit sein werde; zweitens aber dies, daß, wer sie genießen will, die günstige Gelegenheit aufsuchen und womöglich erschaffen muß, indem er gegen den Staat seinen eigenen Vorteil geltend macht, und sich und seinen Willen für mehr hält als den Staat und jede »höhere Macht«. Nicht im, sondern allein gegen den Staat kann die Preßfreiheit durchgesetzt werden; sie ist, soll sie hergestellt werden, nicht als Folge einer Bitte, sondern als das Werk einer Empörung zu erlangen. Jede Bitte und jeder Antrag auf Preßfreiheit ist schon eine, sei es bewußte oder unbewußte, Empörung, was nur die philisterhafte Halbheit sich nicht gestehen will und kann, bis sie zusammenschauernd es am Erfolge deutlich und unwiderleglich sehen wird. Denn die erbetene Preßfreiheit hat freilich im Anfange ein freundliches und wohlmeinendes Gesicht, da sie nicht im entferntesten gesonnen ist, jemals die »Preßfrechheit« aufkommen zu lassen; nach und nach wird aber ihr Herz verhärteter, und die Folgerung schmeichelt sich bei ihr ein, daß ja doch eine Freiheit keine Freiheit sei, wenn sie im Dienste des Staates, der Sitte oder des Gesetzes steht. Zwar eine Freiheit vom Zensurzwange, ist sie doch keine Freiheit vom Gesetzeszwange. Es will die Presse, einmal vom Freiheitsgelüste ergriffen, immer freier werden, bis der Schreibende sich endlich sagt: Ich bin doch dann erst gänzlich frei, wenn Ich nach Nichts frage; das Schreiben aber ist nur frei, wenn es mein eigenes ist, das Mir durch keine Macht oder Autorität, durch keinen Glauben, keine Scheu diktiert wird; die Presse muß nicht frei sein – das ist zuwenig –, sie muß mein sein: – Preßeigenheit oder Preßeigentum, das ist's, was Ich Mir nehmen will."

»Preßfreiheit ist ja nur Preßerlaubnis, und der Staat wird und kann Mir freiwillig nie erlauben, daß Ich ihn durch die Presse zermalme.«

»Fassen Wir es nun schließlich, indem Wir die obige, durch das Wort „Preßfreiheit« noch schwankende Rede verbessern, lieber so: Preßfreiheit, die laute Forderung der Liberalen, ist allerdings möglich im Staate, ja sie ist nur im Staate möglich, weil sie eine Erlaubnis ist, der Erlaubende folglich, der Staat, nicht fehlen darf. Als Erlaubnis hat sie aber ihre Grenze an eben diesem Staate, der doch billigerweise nicht mehr wird erlauben sollen, als sich mit ihm und seiner Wohlfahrt verträgt: er schreibt ihr diese Grenze als das Gesetz ihres Daseins und ihrer Ausdehnung vor. Daß ein Staat mehr als ein anderer verträgt, ist nur ein quantitativer Unterschied, der jedoch allein den politischen Liberalen am Herzen liegt: sie wollen in Deutschland z. B. nur eine »ausgedehntere, weitere Gestattung des freien Wortes«. Die Preßfreiheit, welche man nachsucht, ist eine Sache des Volkes, und ehe das Volk (der Staat) sie nicht besitzt, eher darf Ich davon keinen Gebrauch machen. Vom Gesichtspunkte des Preßeigentums aus verhält sich's anders. Mag mein Volk der Preßfreiheit entbehren, Ich suche Mir eine List oder Gewalt aus, um zu drucken – die Druckerlaubnis hole Ich Mir nur von – Mir und meiner Kraft."

»Ist die Presse mein eigen, so bedarf Ich für ihre Anwendung sowenig einer Erlaubnis des Staates, als Ich diese nachsuche, um meine Nase zu schneuzen. Mein Eigentum ist die Presse von dem Augenblicke an, wo Mir nichts mehr über Mich geht: denn von diesem Moment an hört Staat, Kirche, Volk, Gesellschaft u. dergl. auf, weil sie nur der Mißachtung, welche Ich vor Mir habe, ihre Existenz verdanken, und mit dem Verschwinden dieser Geringschätzung selbst erlöschen: sie sind nur, wenn sie über Mir sind, sind nur als Mächte und Mächtige. Oder könnt Ihr Euch einen Staat denken, dessen Einwohner allesamt sich nichts aus ihm machen? der wäre so gewiß ein Traum, eine Scheinexistenz, als das „einige Deutschland«.

»Die Presse ist mein eigen, sobald Ich selbst mein eigen, ein Eigener bin: dem Egoisten gehört die Welt, weil er keiner Macht der Welt gehört.«

»Dabei könnte meine Presse immer noch sehr unfrei sein, wie z. B. in diesem Augenblick. Die Welt ist aber groß, und man hilft sich eben, so gut es geht. Wollte Ich vom Eigentum meiner Presse ablassen, so könnte Ich's leicht erreichen, daß Ich überall so viel drucken lassen dürfte, als meine Finger produzierten. Da Ich aber mein Eigentum behaupten will, so muß Ich notwendig meine Feinde übers Ohr hauen. „„Würdest Du ihre Erlaubnis nicht annehmen, wenn sie Dir gegeben würde?«" Gewiß, mit Freuden; denn ihre Erlaubnis wäre Mir ein Beweis, daß Ich sie betört und auf den Weg des Verderbens gebracht habe. Um ihre Erlaubnis ist Mir's nicht zu tun, desto mehr aber um ihre Torheit und ihre Niederlage. Ich werbe nicht um ihre Erlaubnis, als schmeichelte Ich Mir, gleich den politischen Liberalen, daß Wir beide, sie und Ich, neben- und miteinander friedlich auskommen, ja wohl gar einer den andern heben und unterstützen können, sondern Ich werbe darum, um sie an derselben verbluten zu lassen, damit endlich die Erlaubenden selbst aufhören. Ich handle als bewußter Feind, indem Ich sie übervorteile und ihre Unbedachtsamkeit benutze."

»Mein ist die Presse, wenn Ich über ihre Benutzung durchaus keinen Richter außer Mir anerkenne, d. h. wenn Ich nicht mehr durch die Sittlichkeit oder die Religion oder den Respekt vor den Staatsgesetzen u. dergl. bestimmt werde zu schreiben, sondern durch Mich und meinen Egoismus!« –

Was habt Ihr nun ihm, der Euch eine so freche Antwort gibt, zu erwidern? – Wir bringen die Frage am sprechendsten vielleicht in folgende Stellung: Wessen ist die Presse, des Volkes (Staates) oder mein? Die Politischen ihrerseits beabsichtigen nichts weiter, als die Presse von persönlichen und willkürlichen Eingriffen der Machthaber zu befreien, ohne daran zu denken, daß sie, um wirklich für Jedermann offen zu sein, auch von den Gesetzen, d. h. vom Volkswillen (Staatswillen) frei sein müßte. Sie wollen aus ihr eine »Volkssache« machen.

Zum Eigentum des Volkes geworden ist sie aber noch weit davon entfernt, das meinige zu sein, vielmehr behält sie für Mich die untergeordnete Bedeutung einer Erlaubnis. Das Volk spielt den Richter über meine Gedanken, für die Ich ihm Rechenschaft schuldig oder verantwortlich bin. Die Geschworenen haben, wenn ihre fixen Ideen angegriffen werden, ebenso harte Köpfe und Herzen, als die stiersten Despoten und deren knechtische Beamten.

In den »Liberalen Bestrebungen« behauptet E. Bauer, daß die Preßfreiheit im absolutistischen und im konstitutionellen Staate unmöglich sei, im »freien Staate« hingegen ihre Stelle finde. »Hier,« heißt es, »ist es anerkannt, daß der Einzelne, weil er nicht mehr einzelner, sondern Mitglied einer wahrhaften und vernünftigen Allgemeinheit ist, das Recht hat, sich auszusprechen.« Also nicht der Einzelne, sondern das »Mitglied« hat Preßfreiheit. Muß aber der Einzelne sich zum Behuf der Preßfreiheit erst über seinen Glauben an das Allgemeine, das Volk, ausweisen, hat er diese Freiheit nicht durch eigene Gewalt, so ist sie eine Volksfreiheit, eine Freiheit, die ihm um seines Glaubens, seiner »Mitgliedschaft« willen verliehen wird. Umgekehrt, gerade als Einzelnem steht Jedem die Freiheit offen, sich auszusprechen. Aber er hat nicht das »Recht«, jene Freiheit ist allerdings nicht sein »heiliges Recht«. Er hat nur die Gewalt; aber die Gewalt allein macht ihn zum Eigner. Ich brauche keine Konzession zur Preßfreiheit, brauche nicht die Bewilligung des Volkes dazu, brauche nicht das »Recht« dazu und keine »Berechtigung«. Auch die Preßfreiheit, wie jede Freiheit, muß Ich Mir »nehmen«, das Volk »als eben der einzige Richter« kann sie Mir nicht geben. Es kann sich die Freiheit, welche Ich Mir nehme, gefallen lassen oder sich dagegen wehren: geben, schenken, gewähren kann es sie nicht. Ich übe sie trotz dem Volke, rein als Einzelner, d. h. Ich kämpfe sie dem Volke, meinem – Feinde, ab, und erhalte sie nur, wenn Ich sie ihm wirklich abkämpfe, d. i. Mir nehme. Ich nehme sie aber, weil sie mein Eigentum ist.

Sander, gegen welchen E. Bauer spricht, nimmt (Seite 99) die Preßfreiheit »als das Recht und die Freiheit des Bürgers im Staate« in Anspruch. Was tut E. Bauer anders? Auch ihm ist sie nur ein Recht des freien Bürgers.

Auch unter dem Namen eines »allgemein menschlichen Rechtes« wird die Preßfreiheit gefordert. Dagegen war der Einwand gegründet: Nicht jeder Mensch wisse sie richtig zu gebrauchen; denn nicht jeder Einzelne sei wahrhaft Mensch. Dem Menschen als solchen verweigerte sie niemals eine Regierung: aber der Mensch schreibt eben nichts, weil er ein Gespenst ist. Sie verweigerte sie stets nur Einzelnen, und gab sie Andern, z. B. ihren Organen. Wollte man also sie für Alle haben, so mußte man gerade behaupten, sie gebühre dem Einzelnen, Mir, nicht dem Menschen oder nicht dem Einzelnen, sofern er Mensch sei. Ein Anderer als ein Mensch (z. B. ein Tier) kann ohnehin von ihr keinen Gebrauch machen. Die französische Regierung z. B. bestreitet die Preßfreiheit nicht als Menschenrecht, sie fordert aber vom Einzelnen eine Kaution dafür, daß er wirklich Mensch sei; denn nicht dem Einzelnen, sondern dem Menschen erteilt sie die Preßfreiheit.

Gerade unter dem Vorgeben, daß es nicht menschlich sei, entzog man Mir das Meinige: das Menschliche ließ man Mir ungeschmälert.

Die Preßfreiheit kann nur eine verantwortliche Presse zuwege bringen, die unverantwortliche geht allein aus dem Preßeigentum hervor.

Für den Verkehr mit Menschen wird unter allen, welche religiös leben, ein ausdrückliches Gesetz obenangestellt, dessen Befolgung man wohl sündhafter Weise zuweilen zu vergessen, dessen absoluten Wert aber zu leugnen man sich niemals getraut; dies ist das Gesetz der – Liebe, dem auch Diejenigen noch nicht untreu geworden sind, die gegen ihr Prinzip zu kämpfen scheinen und ihren Namen hassen; denn auch sie haben der Liebe noch, ja sie lieben inniger und geläuterter, sie lieben »den Menschen und die Menschheit.«

Formulieren Wir den Sinn dieses Gesetzes, so wird er etwa folgender sein: Jeder Mensch muß ein Etwas haben, das ihm über sich geht. Du sollst dein »Privatinteresse« hintansetzen, wenn es die Wohlfahrt Anderer, das Wohl des Vaterlandes, der Gesellschaft, das Gemeinwohl, das Wohl der Menschheit, die gute Sache u. dgl. gilt! Vaterland, Gesellschaft, Menschheit usw. muß Dir über Dich gehen, und gegen ihr Interesse muß dein »Privatinteresse« zurückstehen; denn Du darfst kein – Egoist sein.

Die Liebe ist eine weitgehende religiöse Forderung, die nicht etwa auf die Liebe zu Gott und den Menschen sich beschränkt, sondern in jeder Beziehung obenansteht. Was Wir auch tun, denken, wollen, immer soll der Grund davon die Liebe sein. So dürfen Wir zwar urteilen, aber nur »mit Liebe«. Die Bibel darf allerdings kritisiert werden und zwar sehr gründlich, aber der Kritiker muß vor allen Dingen sie lieben und das heilige Buch in ihr sehen. Heißt dies etwas anderes als: er darf sie nicht zu Tode kritisieren, er muß sie bestehen lassen, und zwar als ein Heiliges, Unumstößliches? – Auch in unserer Kritik über Menschen soll die Liebe unveränderter Grundton bleiben. Gewiß sind Urteile, welche der Haß eingibt, gar nicht unsere eigenen Urteile, sondern Urteile des Uns beherrschenden Hasses, »gehässige Urteile«. Aber sind Urteile, welche Uns die Liebe eingibt, mehr unsere eigenen? Sie sind Urteile der Uns beherrschenden Liebe, sind »liebevolle, nachsichtige« Urteile, sind nicht unsere eigenen, mithin gar nicht wirkliche Urteile. Wer vor Liebe zur Gerechtigkeit brennt, der ruft aus: fiat iustitia, pereat mundus. Er kann wohl fragen und forschen, was denn die Gerechtigkeit eigentlich sei oder fordere und worin sie bestehe, aber nicht, ob sie etwas sei.

Es ist sehr wahr »Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm«. (1. Joh. 4, 16.) Der Gott bleibt in ihm, er wird ihn nicht los, wird nicht gottlos, und er bleibet in Gott, kommt nicht zu sich und in seine eigene Heimat, bleibt in der Liebe zu Gott und wird nicht lieblos.

»Gott ist die Liebe! Alle Zeit und alle Geschlechter erkennen in diesem Worte den Mittelpunkt des Christentums.« Gott, der die Liebe ist, ist ein zudringlicher Gott: er kann die Welt nicht in Ruhe lassen, sondern will sie beseligen. »Gott ist Mensch geworden, um die Menschen göttlich zu machen.« Er hat seine Hand überall im Spiele, und nichts geschieht ohne sie; überall hat er seine »besten Absichten«, seine »unbegreiflichen Pläne und Ratschlüsse«. Die Vernunft, welche er selbst ist, soll auch in der ganzen Welt befördert und verwirklicht werden. Seine väterliche Fürsorge bringt Uns um alle Selbständigkeit. Wir können nichts Gescheites tun, ohne daß es hieße: das hat Gott getan! und können Uns kein Unglück zuziehen, ohne zu hören: das habe Gott verhängt; Wir haben nichts, was Wir nicht von ihm hätten: er hat alles »gegeben«. Wie aber Gott, so macht's der Mensch. Jener will partout die Welt beseligen, und der Mensch will sie beglücken, will alle Menschen glücklich machen. Daher will jeder »Mensch« die Vernunft, welche er selbst zu haben meint, in Allen erwecken: Alles soll durchaus vernünftig sein. Gott plagt sich mit dem Teufel und der Philosoph mit der Unvernunft und dem Zufälligen. Gott läßt kein Wesen seinen eigenen Gang gehen, und der Mensch will Uns gleichfalls nur einen menschlichen Wandel führen lassen.

Wer aber voll heiliger (religiöser, sittlicher, humaner) Liebe ist, der liebt nur den Spuk, den »wahren Menschen«, und verfolgt mit dumpfer Unbarmherzigkeit den Einzelnen, den wirklichen Menschen, unter dem phlegmatischen Rechtstitel des Verfahrens gegen den »Unmenschen«. Er findet es lobenswert und unerläßlich, die Erbarmungslosigkeit im herbsten Maße zu üben; denn die Liebe zum Spuk oder Allgemeinen gebietet ihm, den nicht Gespenstischen, d. h. den Egoisten oder Einzelnen, zu hassen; das ist der Sinn der berühmten Liebeserscheinung, die man »Gerechtigkeit« nennt.

Der peinlich Angeklagte hat keine Schonung zu erwarten, und Niemand deckt freundlich eine Hülle über seine unglückliche Blöße. Ohne Rührung reißt der strenge Richter die letzten Fetzen der Entschuldigung dem armen Angeschuldigten vom Leibe, ohne Mitleid schleppt der Kerkermeister ihn in seine dumpfe Wohnung, ohne Versöhnlichkeit stößt er den Gebrandmarkten nach abgelaufener Strafzeit wieder unter die verächtlich anspeienden Menschen, seine guten, christlichen, loyalen Mitbrüder! Ja, ohne Gnade wird ein »todeswürdiger« Verbrecher auf das Blutgerüst geführt, und vor den Augen einer jubelnden Menge feiert das gesühnte Sittengesetz seine erhabene – Rache. Eines kann ja nur leben, das Sittengesetz, oder der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungestraft leben, da ist das Sittengesetz untergegangen, und wo dieses waltet, müssen jene fallen. Ihre Feindschaft ist unzerstörbar.

Es ist gerade das christliche Zeitalter das der Barmherzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menschen zukommen zu lassen, was ihnen gebührt, ja sie dahin zu bringen, daß sie ihren menschlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat also für den Verkehr obenan gestellt: dies und dies ist das Wesen des Menschen und folglich sein Beruf, wozu ihn entweder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) sein Menschsein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungseifer. Daß die Kommunisten und Humanen mehr als die Christen vom Menschen erwarten, bringt sie keineswegs von demselben Standpunkte weg. Dem Menschen soll das Menschliche werden! War es den Frommen genug, daß ihm das Göttliche zu Teil wurde, so verlangen die Humanen, daß ihm das Menschliche nicht verkümmert werde. Gegen das Egoistische stemmen sich beide. Natürlich, denn das Egoistische kann ihm nicht bewilligt oder verliehen werden (Lehen), sondern er muß es selbst sich verschaffen. Jenes erteilt die Liebe, dieses kann Mir allein von Mir gegeben werden.

Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rücksichtsvollen Benehmen, dem Füreinandertun. Wie man sich's schuldig war, sich selig zu machen oder die Seligkeit, das höchste Wesen in sich aufzunehmen und zu einer vérité (einer Wahrheit und Wirklichkeit) zu bringen, so war man's Andern schuldig, ihr Wesen und ihren Beruf ihnen realisieren zu helfen: man war's eben in beiden Fällen dem Wesen des Menschen schuldig, zu seiner Verwirklichung beizutragen.

Allein man ist weder sich schuldig, etwas aus sich, noch Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man ist seinem und Anderer Wesen nichts schuldig. Der auf das Wesen gestützte Verkehr ist ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirklichem. Verkehre Ich mit dem höchsten Wesen, so verkehre Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Wesen des Menschen, so verkehre Ich nicht mit den Menschen.

Die Liebe des natürlichen Menschen wird durch die Bildung ein Gebot. Als Gebot aber gehört sie dem Menschen als solchem, nicht Mir; sie ist mein Wesen, von dem man viel Wesens macht, nicht mein Eigentum. Der Mensch, d. h. die Menschlichkeit, stellt jene Forderung an Mich; die Liebe wird gefordert, ist meine Pflicht. Statt also wirklich Mir errungen zu sein, ist sie dem Allgemeinen errungen, dem Menschen, als dessen Eigentum oder Eigenheit: »dem Menschen, d. h. jedem Menschen ziemt es zu lieben: Lieben ist die Pflicht und der Beruf des Menschen usw.«

Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindizieren und sie aus der Macht des Menschen erlösen.

Was ursprünglich mein war, aber zufällig, instinktmäßig, das wurde Mir als Eigentum des Menschen verliehen; Ich wurde Lehnsträger, indem Ich liebte, wurde der Lehnsmann der Menschheit, nur ein Exemplar dieser Gattung, und handelte liebend nicht als Ich, sondern als Mensch, als Menschenexemplar, d. h. menschlich. Der ganze Zustand der Kultur ist das Lehnswesen, indem das Eigentum das des Menschen oder der Menschheit ist, nicht das meinige. Ein ungeheurer Lehnsstaat wurde gegründet, dem Einzelnen Alles geraubt, »dem Menschen« Alles überlassen. Der Einzelne mußte endlich als »Sünder durch und durch« erscheinen.

Soll Ich etwa an der Person des Andern keine lebendige Teilnahme haben, soll seine Freude und sein Wohl Mir nicht am Herzen liegen, soll der Genuß, den Ich ihm bereite, Mir nicht über andere eigene Genüsse gehen? Im Gegenteil, unzählige Genüsse kann Ich ihm mit Freuden opfern, Unzähliges kann Ich Mir zur Erhöhung seiner Lust versagen, und was Mir ohne ihn das Teuerste wäre, das kann Ich für ihn in die Schanze schlagen, mein Leben, meine Wohlfahrt, meine Freiheit. Es macht ja meine Lust und mein Glück aus, Mich an seinem Glücke und seiner Lust zu laben. Aber Mich, Mich selbst opfere Ich ihm nicht, sondern bleibe Egoist und – genieße ihn. Wenn ich ihm Alles opfere, was Ich ohne die Liebe zu ihm behalten würde, so ist das sehr einfach und sogar gewöhnlicher im Leben, als es zu sein scheint; aber es beweist nichts weiter, als daß diese eine Leidenschaft in Mir mächtiger ist, als alle übrigen. Dieser Leidenschaft alle andern zu opfern, lehrt auch das Christentum. Opfere Ich aber einer Leidenschaft andere, so opfere Ich darum noch nicht Mich, und opfere nichts von dem, wodurch Ich wahrhaft Ich selber bin, nicht meinen eigentlichen Wert, meine Eigenheit. Wo dieser schlimme Fall eintritt, da sieht's um nichts besser mit der Liebe aus, als mit irgend welcher andern Leidenschaft, der Ich blindlings gehorche. Der Ehrgeizige, der vom Ehrgeiz fortgerissen wird und gegen jede Warnung, welche ein ruhiger Augenblick in ihm erzeugt, taub bleibt, der hat diese Leidenschaft zu einer Zwingherrin anwachsen lassen, wider die er jede Macht der Auflösung verloren gibt: er hat sich selbst aufgegeben, weil er sich nicht auflösen, mithin nicht aus ihr erlösen kann: er ist besessen.

Ich liebe die Menschen auch, nicht bloß einzelne, sondern jeden. Aber Ich liebe sie mit dem Bewußtsein des Egoismus; Ich liebe sie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe, weil Mir das Lieben natürlich ist, weil Mir's gefällt. Ich kenne kein »Gebot der Liebe«. Ich habe Mitgefühl mit jedem fühlenden Wesen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung erquickt auch Mich: töten kann Ich sie, martern nicht. Dagegen sinnt der hochherzige, tugendhafte Philisterfürst Rudolf in den Mysterien von Paris, weil ihn die Bösen »entrüsten«, auf ihre Marter. Jenes Mitgefühl beweist nur, daß das Gefühl der Fühlenden auch das meinige, mein Eigentum, ist, wogegen das erbarmungslose Verfahren des »Rechtlichen« (z. B. gegen den Notar Ferrand) der Gefühllosigkeit jenes Räubers gleicht, welcher nach dem Maße seiner Bettstelle den Gefangenen die Beine abschnitt oder ausreckte: Rudolfs Bettstelle, wonach er die Menschen zuschneidet, ist der Begriff des »Guten«. Das Gefühl für Recht, Tugend usw. macht hartherzig und intolerant. Rudolf fühlt nicht wie der Notar, sondern umgekehrt, er fühlt, daß »dem Bösewicht Recht geschieht«; das ist kein Mitgefühl.

Ihr liebt den Menschen, darum peinigt Ihr den einzelnen Menschen, den Egoisten; eure Menschenliebe ist Menschenquälerei.

Sehe Ich den Geliebten leiden, so leide Ich mit, und es läßt Mir keine Ruhe, bis Ich Alles versucht habe, um ihn zu trösten und aufzuheitern; sehe Ich ihn froh, so werde auch Ich über seine Freude froh. Daraus folgt nicht, daß Mir dieselbe Sache Leiden oder Freude verursacht, welche in ihm diese Wirkung hervorruft, wie schon jeder körperliche Schmerz beweist, den Ich nicht wie er fühle: ihn schmerzt sein Zahn, Mich aber schmerzt sein Schmerz.

Weil Ich aber die kummervolle Falte auf der geliebten Stirn nicht ertragen kann, darum, also um Meinetwillen, küsse Ich sie weg. Liebte Ich diesen Menschen nicht, so möchte er immerhin Falten ziehen, sie kümmerten Mich nicht; Ich verscheuche nur meinen Kummer.

Wie nun, hat irgendwer oder irgendwas, den und das Ich nicht liebe, ein Recht darauf, von Mir geliebt zu werden? Ist meine Liebe das Erste oder ist sein Recht das Erste? Eltern, Verwandte, Vaterland, Volk, Vaterstadt usw., endlich überhaupt die Mitmenschen (»Brüder, Brüderlichkeit«) behaupten ein Recht auf meine Liebe zu haben und nehmen sie ohne Weiteres in Anspruch. Sie sehen sie als ihr Eigentum an und Mich, wenn Ich dasselbe nicht respektiere, als Räuber, der ihnen entzieht, was ihnen zukommt und das Ihre ist. Ich soll lieben. Ist die Liebe ein Gebot und Gesetz, so muß Ich dazu erzogen, herangebildet und, wenn Ich dagegen Mich vergehe, gestraft werden. Man wird daher einen möglichst starken »moralischen Einfluß« auf Mich ausüben, um Mich zum Lieben zu bringen. Und es ist kein Zweifel, daß man die Menschen zur Liebe aufkitzeln und verführen kann wie zu andern Leidenschaften, z. B. gleich zum Hasse. Der Haß zieht sich durch ganze Geschlechter, bloß weil die Ahnen des einen zu den Guelfen, die des andern zu den Ghibellinen gehörten.

Aber die Liebe ist kein Gebot, sondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigentum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigentum, dann lasse Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie usw., die sich meine Liebe nicht zu erwerben wissen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich stelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.

Die eigennützige Liebe steht weit von der uneigennützigen, mystischen oder romantischen ab. Lieben kann man alles Mögliche, nicht bloß Menschen, sondern überhaupt einen »Gegenstand« (den Wein, sein Vaterland usw.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müssen sie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), romantisch dadurch, daß ein Sollen in sie eintritt, d. h. daß der »Gegenstand« Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewissen, Eid an ihn gebunden werde. Nun ist der Gegenstand nicht mehr für Mich, sondern Ich bin für ihn da.

Nicht als meine Empfindung ist die Liebe eine Besessenheit – als jene behalte Ich sie vielmehr im Besitz als Eigentum –, sondern durch die Fremdheit des Gegenstandes. Die religiöse Liebe besteht nämlich in dem Gebote, in dem Geliebten einen »Heiligen« zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen; für die uneigennützige Liebe gibt es absolut liebenswürdige Gegenstände, für welche mein Herz schlagen soll, z. B. die Mitmenschen, oder den Ehegatten, die Verwandten usw. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Geliebten, und bemüht sich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen »Menschen«) zu machen.

Der Geliebte ist ein Gegenstand, der von Mir geliebt werden soll. Er ist nicht Gegenstand meiner Liebe darum, weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, sondern ist Gegenstand der Liebe an und für sich. Nicht Ich mache ihn zu einem Gegenstande der Liebe, sondern er ist von Haus aus ein solcher, denn daß er es etwa durch meine Wahl geworden ist, wie Braut, Ehegatte u. dergl., tut hier nichts zur Sache, da er auch so immer als einmal Erwählter ein eigenes »Recht auf meine Liebe« erhalten hat, und Ich, weil Ich ihn geliebt habe, auf ewig ihn zu lieben verpflichtet bin. Er ist also nicht ein Gegenstand meiner Liebe, sondern der Liebe überhaupt: ein Gegenstand, der geliebt werden soll. Die Liebe kommt ihm zu, gebührt ihm, oder ist sein Recht, Ich aber bin verpflichtet, ihn zu lieben. Meine Liebe, d. h. die Liebe, welche Ich ihm zolle, ist in Wahrheit seine Liebe, die er nur als Zoll von Mir eintreibt.

Jede Liebe, an welcher auch nur der kleinste Flecken von Verpflichtung haftet, ist eine uneigennützige und so weit dieser Flecken reicht, ist sie Besessenheit. Wer dem Gegenstande seiner Liebe etwas schuldig zu sein glaubt, der liebt romantisch oder religiös.

Familienliebe z. B., wie sie gewöhnlich als »Pietät« aufgefaßt wird, ist eine religiöse Liebe; Vaterlandsliebe, als »Patriotismus« gepredigt, gleichfalls. All unsere romantische Liebe bewegt sich in demselben Zuschnitt: überall die Heuchelei oder vielmehr Selbsttäuschung einer »uneigennützigen Liebe «, ein Interesse am Gegenstande um des Gegenstandes willen, nicht um Meinet- und zwar allein um Meinetwillen.

Die religiöse oder romantische Liebe unterscheidet sich von der sinnlichen Liebe zwar durch die Verschiedenheit des Gegenstandes, aber nicht durch die Abhängigkeit des Verhaltens zu ihm. In letzterer Beziehung sind beide Besessenheit; in der ersteren aber ist der eine Gegenstand profan, der andere heilig. Die Herrschaft des Gegenstandes über Mich ist in beiden Fällen dieselbe, nur daß er einmal ein sinnlicher, das andere Mal ein geistiger (gespenstischer) ist. Mein eigen ist meine Liebe erst, wenn sie durchaus in einem eigennützigen und egoistischen Interesse besteht, mithin der Gegenstand meiner Liebe wirklich mein Gegenstand oder mein Eigentum ist. Meinem Eigentum bin Ich nichts schuldig und habe keine Pflicht gegen dasselbe, so wenig Ich etwa eine Pflicht gegen mein Auge habe; hüte Ich es dennoch mit größter Sorgsamkeit, so geschieht das Meinetwegen.

An Liebe fehlte es dem Altertum so wenig als der christlichen Zeit; der Liebesgott ist älter, als der Gott der Liebe. Aber die mystische Besessenheit gehört den Neuen an.

Die Besessenheit der Liebe liegt in der Entfremdung des Gegenstandes oder in meiner Ohnmacht gegen seine Fremdheit und Übermacht. Dem Egoisten ist nichts hoch genug, daß er sich davor demütigte, nichts so selbständig, daß er ihm zu Liebe lebte, nichts so heilig, daß er sich ihm opferte. Die Liebe des Egoisten quillt aus dem Eigennutz, flutet im Bette des Eigennutzes und mündet wieder in den Eigennutz.

Ob dies noch Liebe heißen kann? Wißt Ihr ein anderes Wort dafür, so wählt es immerhin; dann mag das süße Wort der Liebe mit der abgestorbenen Welt verwelken; Ich wenigstens finde für jetzt keines in unserer christlichen Sprache, und bleibe daher bei dem alten Klange und »liebe« meinen Gegenstand, mein – Eigentum.

Nur als eines meiner Gefühle hege Ich die Liebe, aber als eine Macht über Mir, als eine göttliche Macht (Feuerbach), als eine Leidenschaft, der Ich Mich nicht entziehen soll, als eine religiöse und sittliche Pflicht – verschmähe Ich sie. Als mein Gefühl ist sie mein; als Grundsatz, dem Ich meine Seele weihe und »verschwöre«, ist sie Gebieterin und göttlich, wie der Haß als Grundsatz teuflisch ist: eins nicht besser als das andere. Kurz die egoistische Liebe, d. h. meine Liebe ist weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teuflisch.

»Eine Liebe, die durch den Glauben beschränkt ist, ist eine unwahre Liebe. Die einzige dem Wesen der Liebe nicht widersprechende Beschränkung ist die Selbstbeschränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge, das Gesetz der Intelligenz verschmäht, ist theoretisch eine falsche, praktisch eine verderbliche Liebe.« Also die Liebe ist ihrem Wesen nach vernünftig!So denkt Feuerbach; der Gläubige hingegen denkt: die Liebe ist ihrem Wesen nach gläubig. Jener eifert gegen die unvernünftige, dieser gegen die ungläubige Liebe. Beiden kann sie höchstens für ein splendidum vitium gelten. Lassen nicht beide die Liebe bestehen, auch in der Form der Unvernunft und Ungläubigkeit? Sie wagen nicht zu sagen: unvernünftige oder ungläubige Liebe ist ein Unsinn, ist nicht Liebe, so wenig sie sagen mögen: unvernünftige oder ungläubige Tränen sind keine Tränen. Muß aber auch die unvernünftige usw. Liebe für Liebe gelten, und sollen sie gleichwohl des Menschen unwürdig sein, so folgt einfach nur dies: Liebe ist nicht das Höchste, sondern Vernunft oder Glaube; lieben kann auch der Unvernünftige und der Ungläubige; Wert hat die Liebe aber nur, wenn sie die eines Vernünftigen oder Gläubigen ist. Es ist ein Blendwerk, wenn Feuerbach die Vernünftigkeit der Liebe ihre »Selbstbeschränkung« nennt; der Gläubige könnte mit demselben Rechte die Gläubigkeit ihre »Selbstbeschränkung« nennen. Unvernünftige Liebe ist weder »falsch« noch »verderblich«; sie tut als Liebe ihre Dienste.

Gegen die Welt, besonders gegen die Menschen, soll Ich eine bestimmte Empfindung annehmen, und ihnen von Anfang an mit der Empfindung der Liebe, »mit Liebe entgegenkommen«. Freilich offenbart sich hierin weit mehr Willkür und Selbstbestimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt von allen möglichen Empfindungen bestürmen lasse und den krausesten, zufälligsten Eindrücken ausgesetzt bleibe. Ich gehe vielmehr an sie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichsam einem Vorurteil und einer vorgefaßten Meinung; Ich habe mein Verhalten gegen sie Mir im voraus vorgezeichnet, und fühle und denke trotz all ihrer Anfechtungen nur so über sie, wie Ich zu fühlen einmal entschlossen bin. Wider die Herrschaft der Welt sichere Ich Mich durch den Grundsatz der Liebe; denn was auch kommen mag, Ich – liebe. Das Häßliche z. B. macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entschlossen zu lieben, bewältige Ich diesen Eindruck, wie jede Antipathie.

Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus aus determiniert und – verurteilt habe, ist eben eine bornierte Empfindung, weil sie eine prädestinierte ist, von welcher Ich selber nicht loskommen oder Mich loszusagen vermag. Weil vorgefaßt, ist sie ein Vorurteil. Ich zeige Mich nicht mehr gegenüber der Welt, sondern meine Liebe zeigt sich. Zwar beherrscht die Welt Mich nicht, desto unabwendbarer aber beherrscht Mich der Geist der Liebe. Ich habe die Welt überwunden, um ein Sklave dieses Geistes zu werden.

Sagte Ich erst, Ich liebe die Welt, so setze Ich jetzt ebenso hinzu: Ich liebe sie nicht, denn Ich vernichte sie, wie Ich Mich vernichte: Ich löse sie auf. Ich beschränke Mich nicht auf Eine Empfindung für die Menschen, sondern gebe allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie sollte Ich's nicht in aller Grellheit auszusprechen wagen? Ja, Ich benutze die Welt und die Menschen! Dabei kann Ich Mich jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derselben Mir selber entrissen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele lieben und die verzehrendste Glut der Leidenschaft in meinem Herzen brennen lassen, ohne den Geliebten für etwas Anderes zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenschaft, an der sie immer von Neuem sich erfrischt. All meine Sorge um ihn gilt nur dem Gegenstande meiner Liebe, nur ihm, den meine Liebe braucht, nur ihm, dem »Heißgeliebten«. Wie gleichgültig wäre er Mir ohne diese – meine Liebe. Nur meine Liebe speise Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn: Ich genieße ihn.

Wählen Wir ein anderes naheliegendes Beispiel. Ich sehe, wie die Menschen von einem Schwarm Gespenster in finsterem Aberglauben geängstigt werden. Lasse Ich etwa darum nach Kräften ein Tageslicht über den nächtlichen Spuk einfallen, weil Mir's die Liebe zu Euch so eingibt? Schreibe Ich aus Liebe zu den Menschen? Nein, Ich schreibe, weil Ich meinen Gedanken ein Dasein in der Welt verschaffen will, und sähe Ich auch voraus, daß diese Gedanken Euch um eure Ruhe und euren Frieden brächten, sähe Ich auch die blutigsten Kriege und den Untergang vieler Generationen aus dieser Gedankensaat aufkeimen: – Ich streute sie dennoch aus. Macht damit, was Ihr wollt und könnt, das ist eure Sache und kümmert Mich nicht. Ihr werdet vielleicht nur Kummer, Kampf und Tod davon haben, die Wenigsten ziehen daraus Freude. Läge Mir euer Wohl am Herzen, so handelte Ich wie die Kirche, indem sie den Laien die Bibel entzog, oder die christlichen Regierungen, welche sich's zu einer heiligen Pflicht machen, den »gemeinen Mann vor bösen Büchern zu bewahren«.

Aber nicht nur nicht um Euret-, auch nicht einmal um der Wahrheit willen spreche Ich aus, was Ich denke. Nein –

Ich singe, wie der Vogel singt,

Der in den Zweigen wohnet:

Das Lied, das aus der Kehle dringt,

Ist Lohn, der reichlich lohnet.

Ich singe, weil – Ich ein Sänger bin. Euch aber gebrauche Ich dazu, weil Ich – Ohren brauche.

Wo Mir die Welt in den Weg kommt – und sie kommt Mir überall in den Weg – da verzehre Ich sie, um den Hunger meines Egoismus zu stillen. Du bist für Mich nichts als – meine Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeiset und verbraucht werde. Wir haben zueinander nur Eine Beziehung, die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des Nutzens. Wir sind einander nichts schuldig, denn was Ich Dir schuldig zu sein scheine, das bin Ich höchstens Mir schuldig. Zeige Ich Dir eine heitere Miene, um Dich gleichfalls zu erheitern, so ist Mir an Deiner Heiterkeit gelegen, und meinem Wunsche dient meine Miene; tausend Anderen, die Ich zu erheitern nicht beabsichtige, zeige Ich sie nicht.

Zu derjenigen Liebe, welche sich auf das »Wesen des Menschen« gründet oder in der kirchlichen und sittlichen Periode als ein »Gebot« auf Uns liegt, muß man erzogen werden. In welcherlei Art der moralische Einfluß, das Hauptingredienz unserer Erziehung, den Verkehr der Menschen zu regeln sucht, soll hier wenigstens an Einem Beispiele mit egoistischen Augen betrachtet werden.

Die Uns erziehen, lassen sich's angelegen sein, frühzeitig Uns das Lügen abzugewöhnen und den Grundsatz einzuprägen, daß man stets die Wahrheit sagen müsse. Machte man für diese Regel den Eigennutz zur Basis, so würde Jeder leicht begreifen, wie er das Vertrauen zu sich, welches er bei Andern erwecken will, durch Lügen verscherze, und wie richtig sich der Satz erweise: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Zu gleicher Zeit würde er jedoch auch fühlen, daß er nur demjenigen mit der Wahrheit entgegenzukommen habe, welchen er befugt, die Wahrheit zu hören. Durchstreicht ein Spion verkleidet das feindliche Lager und wird gefragt, wer er sei, so sind die Fragenden allerdings befugt, nach dem Namen sich zu erkundigen, der Verkleidete gibt aber ihnen das Recht nicht, die Wahrheit von ihm zu erfahren; er sagt ihnen, was er mag, nur nicht das Richtige. Und doch heischt die Moral: »Du sollst nicht lügen!« Durch die Moral sind jene dazu berechtigt, die Wahrheit zu erwarten; aber von Mir sind sie nicht dazu berechtigt, und Ich erkenne nur das Recht an, welches Ich erteile. In eine Versammlung von Revolutionären drängt sich die Polizei ein und fragt den Redner nach seinem Namen; Jedermann weiß, daß die Polizei dazu das Recht hat, allein vom Revolutionär hat sie's nicht, da er ihr Feind ist: er sagt ihr einen falschen Namen und – belügt sie. Auch handelt die Polizei nicht so töricht, daß sie auf die Wahrheitsliebe ihrer Feinde rechnete; im Gegenteil glaubt sie nicht ohne Weiteres, sondern »rekognosziert«, wenn sie kann, das quästionierte Individuum. Ja der Staat verfährt überall ungläubig gegen die Individuen, weil er in ihrem Egoismus seinen natürlichen Feind erkennt: er verlangt durchweg einen »Ausweis«, und wer sich nicht ausweisen kann, der verfällt seiner nachspürenden Inquisition. Der Staat glaubt und vertraut dem Einzelnen nicht, und stellt sich so selbst mit ihm auf den Lügen-Komment: er traut Mir nur, wenn er sich von der Wahrheit meiner Aussage überführt hat, wozu ihm oft kein anderes Mittel bleibt als der Eid. Wie deutlich beweist auch dieser, daß der Staat nicht auf unsere Wahrheitsliebe und Glaubwürdigkeit rechnet, sondern auf unser Interesse, unseren Eigennutz: er verläßt sich darauf, daß Wir Uns nicht durch einen Meineid werden mit Gott überwerfen wollen.

Nun denke man sich einen französischen Revolutionär im Jahre 1788, der unter Freunden das bekanntgewordene Wort fallen ließe: die Welt hat nicht eher Ruhe, als bis der letzte König am Darm des letzten Pfaffen hängt. Damals hatte der König noch alle Macht, und als die Äußerung durch einen Zufall verraten wird, ohne daß man jedoch Zeugen aufstellen kann, fordert man vom Angeklagten das Geständnis. Soll er gestehen oder nicht? Leugnet er, so lügt er und – bleibt straflos; gesteht er, so ist er aufrichtig und – wird geköpft. Geht ihm die Wahrheit über Alles, wohlan so sterbe er. Nur ein elender Dichter könnte es versuchen, aus seinem Lebensende eine Tragödie herzustellen; denn welches Interesse hat es, zu sehen, wie ein Mensch aus Feigheit erliegt? Hätte er aber den Mut, kein Sklave der Wahrheit und Aufrichtigkeit zu sein, so würde er etwa so fragen: Wozu brauchen die Richter zu wissen, was Ich unter Freunden gesprochen habe? Wenn Ich wollte, daß sie's wüßten, so würde Ich's ihnen gesagt haben, wie Ich's meinen Freunden sagte. Ich will nicht, daß sie's wissen. Sie drängen sich in mein Vertrauen, ohne daß Ich sie dazu berufen und zu meinen Vertrauten gemacht habe; sie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will. So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch euren Willen brechen wollt, und versucht eure Künste. Ihr könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle und ewigem Verdammnis drohen, könnt Mich so mürbe machen, daß Ich einen falschen Schwur leiste, aber die Wahrheit sollt Ihr nicht aus Mir herauspressen, denn Ich will Euch belügen, weil Ich Euch keinen Anspruch und kein Recht auf meine Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, »welcher die Wahrheit ist«, noch so drohend auf Mich herabsehen, mag das Lügen Mir noch so sauer werden, Ich habe dennoch den Mut der Lüge, und selbst wenn ich meines Lebens überdrüssig wäre, selbst wenn Mir nichts willkommener erschiene, als euer Henkerschwert, so sollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch eure Pfaffenkünste zum Verräter an seinem Willen macht. Als Ich jene hochverräterischen Worte sprach, da wollte Ich, daß Ihr nichts davon wissen solltet; denselben Willen behalte Ich jetzt bei und lasse Mich durch den Fluch der Lüge nicht schrecken.

Sigismund ist nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er sein Fürstenwort brach, sondern er brach das Wort, weil er ein Wicht war; er hätte sein Wort halten können, und wäre doch ein Wicht, ein Pfaffenknecht gewesen. Luther wurde, von einer höhern Macht getrieben, seinem Mönchsgelübde untreu: er wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als Besessene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Bekenner der göttlichen Wahrheit, d. h. des wahren Glaubens, des echt katholischen erscheinen wollte; Luther, um aufrichtig und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugnis für das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen die »höhere Wahrheit« aufrichtig zu sein. Nur entbanden jenen die Pfaffen, dieser entband sich selbst. Was beachteten beide anders, als was in jenen apostolischen Worten enthalten ist: »Du hast nicht Menschen, sondern Gott belogen?« Sie logen den Menschen, brachen vor den Augen der Welt ihren Eid, um Gott nicht zu lügen, sondern zu dienen. So zeigen sie Uns einen Weg, wie man's mit der Wahrheit vor den Menschen halten soll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen ein – Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürstenwort!

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