Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig änderten und schrieben: Ein Meineid und Lüge um – Meinetwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es scheint allerdings so, nur gleicht es darin ganz und gar dem »um Gottes willen«. Denn wurde nicht jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüste um seinetwillen erfüllt, alle Autodafés seinetwegen gehalten, alle Verdummung seinetwegen eingeführt, und bindet man nicht noch heute schon bei den zarten Kindern durch religiöse Erziehung den Geist um Gottes willen? Brach man nicht heilige Gelübde um seinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch Missionäre und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Protestanten oder Katholiken usw. zum Verrat am Glauben ihrer Väter zu bringen – um seinetwillen? Und das sollte bei dem um Meinetwillen schlimmer sein? Was heißt denn Meinetwegen? Da denkt man gleich an »schnöden Gewinn«. Wer aber aus Liebe zu schnödem Gewinne handelt, tut das zwar seinetwegen, wie es überhaupt nichts gibt, was man nicht um sein[er] selbst willen täte, unter andern auch Alles, was zu Gottes Ehre geschieht; jedoch ist er, für den er den Gewinn sucht, ein Sklave des Gewinnes, nicht erhaben über Gewinn, ist Einer, welcher dem Gewinn, dem Geldsack angehört, nicht sich, ist nicht sein eigen. Muß ein Mensch, den die Leidenschaft der Habgier beherrscht, nicht den Geboten dieser Herrin folgen, und wenn ihn einmal eine schwache Gutmütigkeit beschleicht, erscheint dies nicht eben nur als ein Ausnahmsfall gerade derselben Art, wie fromme Gläubige zuweilen von der Leitung ihres Herrn verlassen und von den Künsten des »Teufels« berückt werden? Also ein Habgieriger ist kein Eigener, sondern ein Knecht, und er kann nichts um seinetwillen tun, ohne es zugleich um seines Herrn willen zu tun, – gerade wie der Gottesfürchtige.

Berühmt ist der Eidbruch, welchen Franz II. gegen Kaiser Karl V. beging. Nicht etwa später, als er sein Versprechen reiflich erwog, sondern sogleich, als er den Schwur leistete, nahm ihn König Franz in Gedanken sowohl, als durch eine heimliche, vor seinen Räten urkundlich unterschriebene Protestation zurück: er sprach einen vorbedachten Meineid aus. Seine Freilassung zu erkaufen zeigte sich Franz nicht abgeneigt, nur schien ihm der Preis, welchen Karl darauf setzte, zu hoch und unbillig. Betrug sich auch Karl knickerig, als er möglichst viel zu erpressen suchte, so war es doch lumpig von Franz, seine Freiheit um ein niedrigeres Lösegeld einhandeln zu wollen, und seine späteren Handlungen, worunter noch ein zweiter Wortbruch vorkommt, beweisen sattsam, wie ihn der Schachergeist geknechtet hielt und zum lumpigen Betrüger machte. Indes was sollen Wir zu dem Vorwurf seines Meineides sagen? Zunächst doch wieder dies, daß nicht der Meineid ihn schändete, sondern seine Filzigkeit, daß er nicht Verachtung verdiente für seinen Meineid, sondern des Meineides sich schuldig machte, weil er ein verächtlicher Mensch war. Franzens Meineid aber für sich betrachtet erheischt eine andere Beurteilung. Man könnte sagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der Freigebung auf ihn setzte, nicht entsprochen. Allein hätte Karl wirklich ihm Vertrauen geschenkt, so würde er ihm den Preis genannt haben, dessen er die Freilassung wert achte, dann aber hätte er ihn in Freiheit gesetzt und erwartet, daß Franz die Loskaufungssumme bezahle. Karl hegte kein solches Zutrauen, sondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen seinen Eid zu handeln; Franz aber täuschte nur diese – leichtgläubige Berechnung. Als Karl sich durch einen Eid seines Feindes zu versichern glaubte, da gerade befreite er diesen von jeder Verbindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges Gewissen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz, nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewissenhaftigkeit: er entließ ihn nur aus dem Madrider Gefängnis, um ihn desto sicherer in dem Gefängnisse der Gewissenhaftigkeit, dem großen durch die Religion um den Menschengeist gezogenen Kerker, festzuhalten: er schickte ihn, festgeschlossen in unsichtbaren Ketten, nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkommen suchte und die Ketten zersägte. Kein Mensch hätte es ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn er war in Feindes Gewalt; jeder gute Christ aber ruft Wehe über ihn, daß er auch aus Gottes Banden sich losmachen wollte. (Der Papst entband ihn erst später seines Eides.)

Es ist verächtlich, ein Vertrauen, das Wir freiwillig hervorrufen, zu täuschen; aber Jeden, der Uns durch einen Eid in seine Gewalt bekommen will, an der Erfolglosigkeit seiner zutrauenslosen List verbluten zu lassen, macht dem Egoismus keine Schande. Hast Du Mich binden wollen, so erfahre denn, daß Ich deine Bande zu sprengen weiß.

Es kommt darauf an, ob Ich dem Vertrauenden das Recht zum Vertrauen gebe. Wenn der Verfolger meines Freundes Mich fragt, wohin dieser sich geflüchtet habe, so werde Ich ihn sicherlich auf eine falsche Fährte bringen. Warum fragt er gerade Mich, den Freund des Verfolgten? Um nicht ein falscher, verräterischer Freund zu sein, ziehe Ich's vor, gegen den Feind falsch zu sein. Ich könnte freilich aus mutiger Gewissenhaftigkeit antworten: Ich wolle es nicht sagen (so entscheidet Fichte den Fall); dadurch salvierte Ich meine Wahrheitsliebe und täte für den Freund so viel als – nichts, denn leite Ich den Feind nicht irre, so kann er zufällig die rechte Straße einschlagen, und meine Wahrheitsliebe hätte den Freund preisgegeben, weil sie Mich hinderte an dem – Mute zur Lüge. Wer an der Wahrheit ein Idol, ein Heiliges hat, der muß sich vor ihr demütigen, darf ihren Anforderungen nicht trotzen, nicht mutig widerstehen, kurz er muß dem Heldenmut der Lüge entsagen. Denn zur Lüge gehört nicht weniger Mut als zur Wahrheit, ein Mut, an welchem es am meisten Jünglingen zu gebrechen pflegt, die lieber die Wahrheit gestehen und das Schafott dafür besteigen, als durch die Frechheit einer Lüge die Macht der Feinde zu Schanden machen mögen. Jenen ist die Wahrheit »heilig«, und das Heilige fordert allezeit blinde Verehrung, Unterwerfung und Aufopferung. Seid Ihr nicht frech, nicht Spötter des Heiligen, so seid Ihr zahm und seine Diener. Man streue Euch nur ein Körnchen Wahrheit in die Falle, so pickt Ihr sicherlich darnach, und man hat den Narren gefangen. Ihr wollt nicht lügen? Nun so fallt als Opfer der Wahrheit und werdet – Märtyrer! Märtyrer – wofür? Für Euch, für die Eigenheit? Nein, für eure Göttin, – die Wahrheit. Ihr kennt nur zweierlei Dienst, nur zweierlei Diener: Diener der Wahrheit und Diener der Lüge. Dient denn in Gottes Namen der Wahrheit!

Andere wieder dienen auch der Wahrheit, aber sie dienen ihr »mit Maß« und machen z. B. einen großen Unterschied zwischen einer einfachen und einer beschworenen Lüge. Und doch fällt das ganze Kapitel vom Eide mit dem von der Lüge zusammen, da ein Eid ja nur eine stark versicherte Aussage ist. Ihr haltet Euch für berechtigt zu lügen, wenn Ihr nur dazu nicht noch schwört? Wer's genau nimmt, der muß eine Lüge so hart beurteilen und verdammen als einen falschen Schwur. Nun hat sich aber ein uralter Streitpunkt in der Moral erhalten, der unter dem Namen der »Notlüge« abgehandelt zu werden pflegt. Niemand, der dieser das Wort zu reden wagt, kann konsequenter Weise einen »Noteid« von der Hand weisen. Rechtfertige Ich meine Lüge als eine Notlüge, so sollte Ich nicht so kleinmütig sein, die gerechtfertigte Lüge der stärksten Bekräftigung zu berauben. Was Ich auch tue, warum sollte Ich's nicht ganz und ohne Vorbehalt (reservatio mentalis) tun? Lüge Ich einmal, warum dann nicht vollständig, mit ganzem Bewußtsein und aller Kraft lügen? Als Spion müßte Ich dem Feinde jede meiner falschen Aussagen auf Verlangen beschwören; entschlossen, ihn zu belügen, sollte Ich plötzlich feige und unentschlossen werden gegenüber dem Eide? Dann wäre Ich von vornherein zum Lügner und Spion verdorben gewesen; denn Ich gäbe ja dem Feinde freiwillig ein Mittel in die Hände, Mich zu fangen. – Auch fürchtet der Staat den Noteid und läßt deshalb den Angeklagten nicht zum Schwure kommen. Ihr aber rechtfertigt die Furcht des Staates nicht; Ihr lügt, aber schwört nicht falsch. Erweiset Ihr z. B. Einem eine Wohltat, ohne daß er's wissen soll, er aber vermutet's und sagt's Euch auf den Kopf zu, so leugnet Ihr; beharrt er, so sagt Ihr: »wahrhaftig nicht!« Ging's ans Schwören, da würdet Ihr Euch weigern, denn Ihr bleibt aus Furcht vor dem Heiligen stets auf halbem Wege stehen. Gegen das Heilige habt Ihr keinen eigenen Willen. Ihr lügt mit – Maß, wie Ihr frei seid »mit Maß«, religiös »mit Maß« (die Geistlichkeit soll nicht »übergreifen«, wie jetzt hierfür der fadeste Streit von Seiten der Universität gegen die Kirche geführt wird), monarchisch gesinnt »mit Maß« (Ihr wollt einen durch die Verfassung, ein Staatsgrundgesetz, beschränkten Monarchen), Alles hübsch temperiert, lau und flau, halb Gottes, halb des Teufels.

Es herrschte auf einer Universität der Komment, daß von den Studenten jedes Ehrenwort, welches dem Universitäts-Richter gegeben werden mußte, für null und nichtig angesehen wurde. Die Studenten sahen nämlich in der Abforderung desselben nichts als einen Fallstrick, dem sie nicht anders entgehen könnten, als durch Entziehung aller Bedeutsamkeit desselben. Wer ebendaselbst einem Kommilitonen sein Ehrenwort brach, war infam; wer es dem Universitäts-Richter gab, lachte im Verein mit eben diesen Kommilitonen den Getäuschten aus, der sich einbildete, daß ein Wort unter Freunden und unter Feinden denselben Wert habe. Weniger eine richtige Theorie als die Not der Praxis hatte dort die Studierenden so zu handeln gelehrt, da sie ohne jenes Auskunftsmittel erbarmungslos zum Verrat an ihren Genossen getrieben worden wären. Wie aber das Mittel praktisch sich bewährte, so hat es auch seine theoretische Bewährung. Ein Ehrenwort, ein Eid ist nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfangen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h. ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man zu trauen kein Recht hat; denn der Feind gibt Uns das Recht nicht.

Übrigens erkennen die Gerichte des Staats nicht einmal die Unverbrüchlichkeit eines Eides an. Denn hätte Ich Einem, der in Untersuchung kommt, geschworen, nichts wider ihn auszusagen, so würde das Gericht trotz dem, daß ein Eid Mich bindet, meine Aussagen fordern und im Weigerungsfalle Mich so lange einsperren, bis Ich Mich entschlösse, – eidbrüchig zu werden. Das Gericht »entbindet Mich meines Eides«; – wie großmütig! Kann Mich irgendeine Macht des Eides entbinden, so bin Ich selber doch wohl die allererste Macht, die darauf Anspruch hat.

Als Kuriosität und um an allerlei übliche Eide zu erinnern, möge hier derjenige eine Stelle finden, welchen Kaiser Paul den gefangenen Polen (Kosciuszko, Potocki, Niemcewicz usw. ), als er sie freiließ, zu leisten befahl: »Wir schwören nicht bloß dem Kaiser Treue und Gehorsam, sondern versprechen auch noch, unser Blut für seinen Ruhm zu vergießen; Wir verpflichten Uns, alles zu entdecken, was Wir jemals für seine Person oder sein Reich Gefahrdrohendes erfahren; wir erklären endlich, daß, in welchem Teile des Erdkreises wir uns auch befinden, ein einziges Wort des Kaisers genügen solle, Alles zu verlassen und uns sogleich zu ihm zu begeben.«

In Einem Gebiete scheint das Prinzip der Liebe längst vom Egoismus überflügelt worden zu sein und nur noch des sichern Bewußtseins, gleichsam des Sieges mit gutem Gewissen, zu bedürfen. Dies Gebiet ist die Spekulation in ihrer doppelten Erscheinung als Denken und als Handel. Man denkt frisch darauf los, was auch herauskommen möge, und man spekuliert, wie Viele auch unter unseren spekulativen Unternehmungen leiden mögen. Aber wenn es endlich zum Klappen kommt, wenn auch der letzte Rest von Religiosität, Romantik oder »Menschlichkeit« abgetan werden soll, dann schlägt das religiöse Gewissen und man bekennt sich wenigstens zur Menschlichkeit. Der habgierige Spekulant wirft einige Groschen in die Armenbüchse und »tut Gutes«, der kühne Denker tröstet sich damit, daß er zur Förderung des Menschengeschlechts arbeite und daß seine Verwüstung der Menschheit »zu Gute komme«, oder auch, daß er »der Idee diene«; die Menschheit, die Idee ist ihm jenes Etwas, von dem er sagen muß: es geht Mir über Mich.

Es ist bis auf den heutigen Tag gedacht und gehandelt worden um – Gottes willen. Die da sechs Tage durch ihre eigennützigen Zwecke alles niedertraten, opferten am siebenten dem Herrn, und die hundert »gute Sachen« durch ihr rücksichtsloses Denken zerstörten, taten dies doch im Dienste einer andern »guten Sache« und mußten – außer an sich – noch an einen Andern denken, welchem ihre Selbstbefriedigung zu Gute käme, an das Volk, die Menschheit u. dgl. Dieses Andere aber ist ein Wesen über ihnen, ein höheres oder höchstes Wesen, und darum sage Ich, sie mühen sich um Gottes willen.

Ich kann daher auch sagen, der letzte Grund ihrer Handlungen sei die – Liebe. Aber nicht eine freiwillige, nicht ihre eigene, sondern eine zinspflichtige, oder des höhern Wesens (d. h. Gottes, der die Liebe selbst ist) eigene Liebe, kurz nicht die egoistische, sondern die religiöse, eine Liebe, die aus ihrem Wahne entspringt, daß sie einen Tribut der Liebe entrichten müssen, d. h. daß sie keine »Egoisten« sein dürfen.

Wollen Wir die Welt aus mancherlei Unfreiheit erlösen, so wollen Wir das nicht ihret- sondern Unsertwegen: denn da Wir keine Welterlöser von Profession und aus »Liebe« sind, so wollen Wir sie nur Andern abgewinnen. Wir wollen sie Uns zu eigen machen; nicht Gott (der Kirche), nicht dem Gesetze (Staate) soll sie länger leibeigen sein, sondern unser eigen; darum suchen Wir sie zu »gewinnen«, für Uns »einzunehmen,« und die Gewalt, welche sie gegen Uns wendet, dadurch zu vollenden und überflüssig zu machen, daß Wir ihr entgegenkommen, und Uns ihr, sobald sie Uns gehört, gleich Uns »ergeben«. Ist die Welt unser, so versucht sie keine Gewalt mehr gegen Uns, sondern nur mit Uns. Mein Eigennutz hat ein Interesse an der Befreiung der Welt, damit sie – mein Eigentum werde.

Nicht die Isoliertheit oder das Alleinsein ist der ursprüngliche Zustand des Menschen, sondern die Gesellschaft. Mit der innigsten Verbindung beginnt unsere Existenz, da Wir schon, ehe Wir atmen, mit der Mutter zusammenleben; haben Wir dann das Licht der Welt erblickt, so liegen Wir gleich wieder an der Brust eines Menschen, seine Liebe wiegt Uns im Schoße, leitet Uns am Gängelbande und kettet Uns mit tausend Banden an seine Person. Die Gesellschaft ist unser NaturZustand. Darum wird auch, je mehr Wir Uns fühlen lernen, der früher innigste Verband immer lockerer, und die Auflösung der ursprünglichen Gesellschaft unverkennbarer. Die Mutter muß das Kind, welches einst unter ihrem Herzen lag, von der Straße und aus der Mitte seiner Spielgenossen holen, um es wieder einmal für sich zu haben. Es zieht das Kind den Verkehr, den es mit Seinesgleichen eingeht, der Gesellschaft vor, in welche es nicht eingegangen, in der es vielmehr nur geboren ist.

Die Auflösung der Gesellschaft aber ist der Verkehr oder Verein. Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, zum Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist – tot als Verein, ist der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d. h. er ist – Gesellschaft, Gemeinschaft. Ein sprechendes Exempel dieser Art liefert die Partei.

Daß eine Gesellschaft, z. B. die Staatsgesellschaft, Mir die Freiheit schmälere, das empört Mich wenig. Muß Ich Mir doch von allerlei Mächten und von jedem Stärkeren, ja von jedem Nebenmenschen die Freiheit beschränken lassen, und wäre Ich der Selbsterrscher aller R . . . . . ., Ich genösse doch der absoluten Freiheit nicht. Aber die Eigenheit, die will Ich Mir nicht entziehen lassen. Und gerade auf die Eigenheit sieht es jede Gesellschaft ab, gerade sie soll ihrer Macht unterliegen.

Zwar nimmt eine Gesellschaft, zu der Ich Mich halte, Mir manche Freiheit, dafür gewährt sie Mir aber andere Freiheiten; auch hat es nichts zu sagen, wenn Ich selbst Mich um diese und jene Freiheit bringe (z. B. durch jeden Kontrakt). Dagegen will Ich eifersüchtig auf meine Eigenheit halten. Jede Gemeinschaft hat, je nach ihrer Machtfülle, den stärkeren oder schwächeren Zug, ihren Gliedern eine Autorität zu werden und Schranken zu setzen: sie verlangt und muß verlangen einen »beschränkten Untertanen-Verstand«, sie verlangt, daß ihre Angehörigen ihr untertan, ihre »Untertanen« seien, sie besteht nur durch Untertänigkeit. Dabei braucht keineswegs eine gewisse Toleranz ausgeschlossen zu sein, im Gegenteil wird die Gesellschaft Verbesserungen, Zurechtweisungen und Tadel, soweit solche auf ihren Gewinn berechnet sind, willkommen heißen; aber der Tadel muß »wohlmeinend«, er darf nicht »frech und unehrerbietig« sein, mit andern Worten, man muß die Substanz der Gesellschaft unverletzt lassen und heilig halten. Die Gesellschaft fordert, daß ihre Angehörigen nicht über sie hinausgehen und sich erheben, sondern »in den Grenzen der Gesetzlichkeit« bleiben, d. h. nur so viel sich erlauben, als ihnen die Gesellschaft und deren Gesetz erlaubt.

Es ist ein Unterschied, ob durch eine Gesellschaft meine Freiheit oder meine Eigenheit beschränkt wird. Ist nur jenes der Fall, so ist sie eine Vereinigung, ein Übereinkommen, ein Verein; droht aber der Eigenheit Untergang, so ist sie eine Macht für sich, eine Macht über Mir, ein von Mir Unerreichbares, das Ich zwar anstaunen, anbeten, verehren, respektieren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar deshalb nicht kann, weil Ich resigniere. Sie besteht durch meine Resignation, meine Selbstverleugnung, meine Mutlosigkeit, genannt – Demut. Meine Demut macht ihr Mut, meine Unterwürfigkeit gibt ihr die Herrschaft.

In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner wesentlichen Verschiedenheit. Der Letztere kann ebenso wenig entstehen oder bestehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemessener Freiheit sich verträgt. Beschränkung der Freiheit ist überall unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden; man kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man so fliegen möchte, denn man wird von der eigenen Schwere nicht frei; man kann nicht eine beliebige Zeit unter dem Wasser leben, wie ein Fisch, weil man der Luft nicht entraten und von diesem notwendigen Bedürfnis nicht frei werden kann u. dgl. Wie die Religion und am entschiedensten das Christentum den Menschen mit der Forderung quälte, das Unnatürliche und Widersinnige zu realisieren, so ist es nur als die echte Konsequenz jener religiösen Überspanntheit und Überschwenglichkeit anzusehen, daß endlich die Freiheit selbst, die absolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und so der Unsinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. – Allerdings wird der Verein sowohl ein größeres Maß von Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für »eine neue Freiheit« gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem dem Staats- und Gesellschaftsleben eigenen Zwange entgeht; aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl noch genug enthalten. Denn sein Zweck ist eben nicht – die Freiheit, die er im Gegenteil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit. Auf diese bezogen ist der Unterschied zwischen Staat und Verein groß genug. Jener ist ein Feind und Mörder der Eigenheit, dieser ein Sohn und Mitarbeiter derselben, jener ein Geist, der im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will, dieser mein Werk, mein Erzeugnis; der Staat ist der Herr meines Geistes, der Glauben fordert und Mir Glaubensartikel vorschreibt, die Glaubensartikel der Gesetzlichkeit; er übt moralischen Einfluß, beherrscht meinen Geist, vertreibt mein Ich, um sich als »mein wahres Ich« an dessen Stelle zu setzen, kurz der Staat ist heilig und gegen Mich, den einzelnen Menschen, ist er der wahre Mensch, der Geist, das Gespenst; der Verein aber ist meine eigene Schöpfung, mein Geschöpf, nicht heilig, nicht eine geistige Macht über meinen Geist, so wenig als irgend eine Assoziation, welcher Art sie auch sei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen sein mag, sondern sie ohne alle Garantie meiner steten Kritik bloßstelle und gar keine Bürgschaft für ihren Bestand zulasse, so und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine Zukunft dem Vereine und verschwöre ihm meine Seele, wie es beim Teufel heißt und beim Staate und aller geistigen Autorität wirklich der Fall ist, sondern Ich bin und bleibe Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch unendlich mehr als der Verein.

Jene Gesellschaft, welche der Kommunismus gründen will, scheint der Vereinigung am nächsten zu stehen. Sie soll nämlich das »Wohl Aller« bezwecken, aber Aller, ruft Weitling unzählige Male aus, Aller! Das sieht doch wirklich so aus, als brauchte dabei Keiner zurückzustehen. Welches wird denn aber dieses Wohl sein? Haben Alle ein und dasselbe Wohl, ist Allen bei Ein und Demselben gleich wohl? Ist dem so, so handelt sich's vom »wahren Wohl«. Kommen Wir damit nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewaltherrschaft beginnt? Das Christentum sagt: Seht nicht auf irdischen Tand, sondern sucht euer wahres Wohl, werdet – fromme Christen: das Christsein ist das wahre Wohl. Es ist das wahre Wohl »Aller«, weil es das Wohl des Menschen als solchen (dieses Spuks) ist. Nun soll das Wohl Aller doch auch mein und dein Wohl sein? Wenn Ich und Du aber jenes Wohl nicht für unser Wohl ansehen, wird dann für das, wobei Wir Uns wohlbefinden, gesorgt werden? Im Gegenteil, die Gesellschaft hat ein Wohl als das »wahre Wohl« dekretiert, und hieße dies Wohl z. B. redlich erarbeiteter Genuß, Du aber zögest die genußreiche Faulheit, den Genuß ohne Arbeit vor, so würde die Gesellschaft, die für das »Wohl Aller« sorgt, für das, wobei Dir wohl ist, zu sorgen sich weislich hüten. Indem der Kommunismus das Wohl Aller proklamiert, vernichtet er gerade das Wohlsein derer, welche seither von ihren Renten lebten und sich dabei wahrscheinlich wohler befanden, als bei der Aussicht auf die strengen Arbeitsstunden Weitlings. Dieser behauptet daher, bei dem Wohle von Tausenden könne das Wohl von Millionen nicht bestehen, und jene müßten ihr besonderes Wohl aufgeben »um des allgemeinen Wohles willen«. Nein; man fordere die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr besonderes zu opfern, denn man kommt mit diesem christlichen Anspruch nicht durch; die entgegengesetzte Mahnung, ihr eigenes Wohl sich durch Niemand entreißen zu lassen, sondern es dauernd zu gründen, werden sie besser verstehen. Sie werden dann von selbst darauf geführt, daß sie am besten für ihr Wohl sorgen, wenn sie sich mit Andern zu diesem Zwecke verbinden, d. h. »einen Teil ihrer Freiheit opfern«, aber nicht dem Wohle Aller, sondern ihrem eigenen. Eine Appellation an die aufopfernde Gesinnung und die selbstverleugnende Liebe der Menschen sollte endlich ihren verführerischen Schein verloren haben, nachdem sie hinter einer Wirksamkeit von Jahrtausenden nichts zurückgelassen als die heutige – Misere. Warum denn immer noch fruchtlos erwarten, daß die Aufopferung Uns bessere Zeiten bringen soll; warum nicht lieber von der Usurpation sie hoffen? Nicht mehr von den Gebenden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, sondern von den Nehmenden, den Aneignenden (Usurpatoren), den Eignern. Der Kommunismus und, bewußt oder unbewußt, der den Egoismus lästernde Humanismus zählt immer noch auf die Liebe.

Ist einmal die Gemeinschaft dem Menschen Bedürfnis und findet er sich durch sie in seinen Absichten gefördert, so schreibt sie ihm auch, weil sein Prinzip geworden, sehr bald ihre Gesetze vor, die Gesetze der – Gesellschaft. Das Prinzip der Menschen erhebt sich zur souveränen Macht über sie, wird ihr höchstes Wesen, ihr Gott, und als solcher – Gesetzgeber. Der Kommunismus gibt diesem Prinzip die strengste Folge, und das Christentum ist die Religion der Gesellschaft, denn Liebe ist, wie Feuerbach richtig sagt, obgleich er's nicht richtig meint, das Wesen des Menschen, d. h. das Wesen der Gesellschaft oder des gesellschaftlichen (kommunistischen) Menschen. Alle Religion ist ein Kultus der Gesellschaft, dieses Prinzipes, von welchem der gesellschaftliche (kultivierte) Mensch beherrscht wird; auch ist kein Gott der ausschließliche Gott eines Ichs, sondern immer der einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, sei es der Gesellschaft »Familie« (Lar, Penaten) oder eines »Volkes« (»Nationalgott«) oder »aller Menschen« (»er ist ein Vater aller Menschen«).

Somit hat man allein dann Aussicht, die Religion bis auf den Grund zu tilgen, wenn man die Gesellschaft und alles, was aus diesem Prinzipe fließt, antiquiert. Gerade aber im Kommunismus sucht dies Prinzip zu kulminieren, da in ihm Alles gemeinschaftlich werden soll, zur Herstellung der – »Gleichheit«. Ist diese »Gleichheit« gewonnen, so fehlt auch die »Freiheit« nicht. Aber wessen Freiheit? die der Gesellschaft! Die Gesellschaft ist dann Alles in Allem, und die Menschen sind nur »füreinander«. Es wäre die Glorie des – Liebes-Staates.

Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menschen angewiesen sein, als auf ihre »Liebesdienste«, ihre Barmherzigkeit, Erbarmen usw. Jener fordert Gegenseitigkeit (wie Du Mir, so Ich Dir), tut nichts »umsonst«, und läßt sich gewinnen und – erkaufen. Womit aber erwerbe Ich Mir den Liebesdienst? Es kommt auf den Zufall an, ob Ich's gerade mit einem »Liebevollen« zu tun habe. Der Dienst des Liebreichen läßt sich nur – erbetteln, sei es durch meine ganze beklagenswerte Erscheinung, durch meine Hilfbedürftigkeit, mein Elend, mein – Leiden. Was kann Ich ihm für seine Hilfleistung bieten? Nichts! Ich muß sie als – Geschenk annehmen. Liebe ist unbezahlbar, oder vielmehr: Liebe kann allerdings bezahlt werden, aber nur durch Gegenliebe (»Eine Gefälligkeit ist der andern wert«). Welche Armseligkeit und Bettelhaftigkeit gehört nicht dazu, Jahr aus Jahr ein Gaben anzunehmen, ohne Gegendienst, wie sie z. B. vom armen Tagelöhner regelmäßig eingetrieben werden. Was kann der Empfänger für jenen und seine geschenkten Pfennige, in denen sein Reichtum besteht, tun? Der Tagelöhner hätte wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit seinen Gesetzen, seinen Institutionen usw., die jener doch alle bezahlen muß, gar nicht existierte. Und dabei liebt der arme Wicht seinen Herrn doch.

Nein, die Gemeinschaft, als das »Ziel« der bisherigen Geschichte, ist unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von jeder Heuchelei der Gemeinschaft los und erkennen Wir, daß, wenn Wir als Menschen gleich sind, Wir eben nicht gleich sind, weil Wir nicht Menschen sind. Wir sind nur in Gedanken gleich, nur wenn »Wir« gedacht werden, nicht wie Wir wirklich und leibhaftig sind. Ich bin Ich, und Du bist Ich, aber Ich bin nicht dieses gedachte Ich, sondern dieses Ich, worin Wir alle gleich sind, ist nur mein Gedanke. Ich bin Mensch und Du bist Mensch, aber »Mensch« ist nur ein Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du sind sagbar, Wir sind unaussprechlich, weil nur Gedanken sagbar sind und im Sagen bestehen.

Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinschaft, sondern nach der Einseitigkeit. Suchen Wir nicht die umfassendste Gemeinde, die »menschliche Gesellschaft«, sondern suchen Wir in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unser Eigentum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Tiere nicht Unsersgleichen erblicken, so entspringt die Voraussetzung, daß die Andern Unsersgleichen seien, aus einer Heuchelei. Es ist Keiner Meinesgleichen, sondern gleich allen andern Wesen betrachte Ich ihn als mein Eigentum. Dagegen sagt man Mir, Ich soll Mensch unter »Mitmenschen« sein (Judenfrage S. 60), Ich soll in ihnen den Mitmenschen »respektieren«. Es ist Keiner für Mich eine Respektsperson, auch der Mitmensch nicht, sondern lediglich wie andere Wesen ein Gegenstand, für den Ich Teilnahme habe oder auch nicht, ein interessanter oder uninteressanter Gegenstand, ein brauchbares oder unbrauchbares Subjekt.

Und wenn Ich ihn gebrauchen kann, so verständige Ich wohl und einige Mich mit ihm, um durch die Übereinkunft meine Macht zu verstärken und durch gemeinsame Gewalt mehr zu leisten, als die einzelne bewirken könnte. In dieser Gemeinsamkeit sehe Ich durchaus nichts anderes, als eine Multiplikation meiner Kraft, und nur solange sie meine vervielfachte Kraft ist, behalte Ich sie bei. So aber ist sie ein – Verein.

Den Verein hält weder ein natürliches noch ein geistiges Band zusammen, und er ist kein natürlicher, kein geistiger Bund. Nicht Ein Blut, nicht Ein Glaube (d. h. Geist) bringt ihn zu Stande. In einem natürlichen Bunde, – wie einer Familie, einem Stamme, einer Nation, ja der Menschheit – haben die Einzelnen nur den Wert von Exemplaren derselben Art oder Gattung; in einem geistigen Bunde – wie einer Gemeinde, einer Kirche – bedeutet der Einzelne nur ein Glied desselbigen Geistes; was Du in beiden Fällen als Einziger bist, das muß – unterdrückt werden. Als Einzigen kannst Du Dich bloß im Vereine behaupten, weil der Verein nicht Dich besitzt, sondern Du ihn besitzest oder Dir zu Nutze machst.

Im Vereine, und nur im Vereine, wird das Eigentum anerkannt, weil man das Seine von keinem Wesen mehr zu Lehen trägt. Die Kommunisten führen nur konsequent weiter, was während der religiösen Entwicklung und namentlich im Staate längst vorhanden war, nämlich die Eigentumslosigkeit, d. h. das Feudalwesen.

Der Staat bemüht sich den Begehrlichen zu zähmen, mit andern Worten, er sucht dessen Begierde allein auf ihn zu richten und mit dem sie zu befriedigen, was er ihr bietet. Die Begierde um des Begehrlichen willen zu sättigen, kommt ihm nicht in den Sinn: im Gegenteil schilt er den die ungezügelte Begierde atmenden Menschen einen »egoistischen«, und der »egoistische Mensch« ist sein Feind. Er ist dies für ihn, weil die Befähigung, mit demselben zurecht zu kommen, dem Staate abgeht, der gerade den Egoisten nicht »begreifen« kann. Da es dem Staate, wie nicht anders möglich, lediglich um sich zu tun ist, so sorgt er nicht für meine Bedürfnisse, sondern sorgt nur, wie er Mich umbringe, d. h. ein anderes Ich aus Mir mache, einen guten Bürger. Er trifft Anstalten zur »Sittenverbesserung«. – Und womit gewinnt er die Einzelnen für sich? Mit Sich, d. h. mit dem, was des Staates ist, mit Staatseigentum. Er wird unablässig tätig sein, Alle seiner »Güter« teilhaftig zu machen, Alle mit den »Gütern der Kultur« zu bedenken: er schenkt ihnen seine Erziehung, öffnet ihnen den Zugang zu seinen Kulturanstalten, befähigt sie auf den Wegen der Industrie zu Eigentum, d. h. zu Lehen zu kommen usw. Für all dies Lehen fordert er nur den richtigen Zins eines steten Dankes. Aber die »Undankbaren« vergessen diesen Dank abzutragen – Wesentlich anders nun, als der Staat, kann es die »Gesellschaft« auch nicht machen.

In den Verein bringst Du deine ganze Macht, dein Vermögen, und machst Dich geltend,in der Gesellschaft wirst Du mit deiner Arbeitskraft verwendet; in jenem lebst Du egoistisch, in dieser menschlich, d. h. religiös, als ein »Glied am Leibe dieses Herrn«: der Gesellschaft schuldest Du, was Du hast, und bist ihr verpflichtet, bist von »sozialen Pflichten« – besessen, den Verein benutzest Du und gibst ihn, »pflicht- und treulos« auf, wenn Du keinen Nutzen weiter aus ihm zu ziehen weißt. Ist die Gesellschaft mehr als Du, so geht sie Dir über Dich; der Verein ist nur dein Werkzeug oder das Schwert, wodurch Du deine natürliche Kraft verschärfst und vergrößerst; der Verein ist für Dich und durch Dich da, die Gesellschaft nimmt umgekehrt Dich für sich in Anspruch und ist auch ohne Dich; kurz die Gesellschaft ist heilig, der Verein dein eigen: die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du.

Man wird gleichwohl mit dem Einwande nicht zurückhalten, daß Uns die geschlossene Übereinkunft wieder lästig werden und unsere Freiheit beschränken könne; man wird sagen, Wir kämen auch endlich darauf hinaus, daß »Jeder um des Allgemeinen willen einen Teil seiner Freiheit opfern müsse«. Allein um des »Allgemeinen« willen fiele das Opfer ganz und gar nicht, so wenig als Ich die Übereinkunft um des »Allgemeinen« oder auch nur um irgend eines andern Menschen willen schloß; vielmehr ging Ich auf sie nur um meines eigenen Nutzens willen, aus Eigennutz, ein. Was aber das Opfern betrifft, so »opfere« Ich doch wohl nur dasjenige, was nicht in meiner Gewalt steht, d . h. »opfere« gar nichts.

Auf das Eigentum zurückzukommen, so ist Eigentümer der Herr. Wähle denn, ob Du der Herr sein willst, oder die Gesellschaft Herrin sein soll! Davon hängt es ab, ob Du ein Eigner oder ein Lump sein wirst: Der Egoist ist Eigner, der Soziale ein Lump. Lumperei aber oder Eigentumslosigkeit ist der Sinn der Feudalität, des Lehnswesens, das seit dem vorigen Jahrhundert nur den Lehnsherrn vertauscht hat, indem es »den Menschen« an die Stelle Gottes setzte und vom Menschen zu Lehen annahm, was vorher ein Lehen von Gottes Gnaden gewesen war. Daß die Lumperei des Kommunismus durch das humane Prinzip zur absoluten oder lumpigsten Lumperei hinausgeführt wird, ist oben gezeigt worden, zugleich aber auch, wie nur so die Lumperei zur Eigenheit umschlagen kann. Das alte Feudalwesen wurde in der Revolution so gründlich eingestampft, daß seitdem alle reaktionäre List fruchtlos blieb und immer fruchtlos bleiben wird, weil das Tote – tot ist; aber auch die Auferstehung mußte in der christlichen Geschichte sich als eine Wahrheit bewähren und hat sich bewährt: denn in einem Jenseits ist mit verklärtem Leibe die Feudalität wiedererstanden, die neue Feudalität unter der Oberlehnsherrlichkeit »des Menschen«.

Das Christentum ist nicht vernichtet, sondern die Gläubigen haben Recht, wenn sie bisher von jedem Kampfe dagegen vertrauungsvoll annahmen, daß er nur zur Läuterung und Befestigung desselben dienen könne; denn es ist wirklich nur verklärt worden, und »das entdeckte Christentum« ist das – menschliche. Wir leben noch ganz im christlichen Zeitalter, und die sich daran am meisten ärgern, tragen gerade am eifrigsten dazu bei, es zu »vollenden«. Je menschlicher, desto lieber ist Uns die Feudalität geworden; denn desto weniger glauben Wir, daß sie noch Feudalität sei, desto getroster nehmen Wir sie für Eigenheit und meinen unser »Eigenstes« gefunden zu haben, wenn Wir »das Menschliche« entdecken.

Der Liberalismus will Mir das Meinige geben, aber nicht unter dem Titel des Meinigen, sondern unter dem des »Menschlichen« gedenkt er Mir's zu verschaffen. Als wenn es unter dieser Maske zu erreichen wäre! Die Menschenrechte, das teure Werk der Revolution, haben den Sinn, daß der Mensch in Mir Mich zu dem und jenem berechtige: Ich als Einzelner, d. h. als dieser, bin nicht berechtigt, sondern der Mensch hat das Recht und berechtigt Mich. Als Mensch kann Ich daher wohl berechtigt sein, da Ich aber, mehr als Mensch, nämlich ein absonderlicher Mensch bin, so kann es gerade Mir, dem Absonderlichen, verweigert werden. Haltet Ihr hingegen auf den Wert eurer Gaben, haltet sie im Preise, laßt Euch nicht zwingen, unter dem Preise loszuschlagen, laßt Euch nicht einreden, eure Ware sei nicht preiswürdig, macht Euch nicht zum Gespötte durch einen »Spottpreis«, sondern ahmt dem Tapfern nach, welcher sagt: Ich will mein Leben (Eigentum) teuer verkaufen, die Feinde sollen es nicht wohlfeilen Kaufes haben: so habt Ihr das Umgekehrte vom Kommunismus als das Richtige erkannt, und es heißt dann nicht: Gebt euer Eigentum auf! sondern: Verwertet euer Eigentum!

Über der Pforte unserer Zeit steht nicht jenes apollinische: »Erkenne Dich selbst«, sondern ein: Verwerte Dich!

Proudhon nennt das Eigentum »den Raub« (le vol). Es ist aber das fremde Eigentum – und von diesem allein spricht er – nicht minder durch Entsagung, Abtretung und Demut vorhanden, es ist ein Geschenk. Warum so sentimental als ein armer Beraubter das Mitleid anrufen, wenn man doch nur ein törichter, feiger Geschenkgeber ist. Warum auch hier wieder die Schuld Andern zuschieben, als beraubten sie Uns, da Wir doch selbst die Schuld tragen, indem Wir die Andern unberaubt lassen. Die Armen sind daran schuld, daß es Reiche gibt.

Überhaupt ereifert sich Niemand über sein Eigentum, sondern über fremdes. Man greift in Wahrheit nicht das Eigentum an, sondern die Entfremdung des Eigentums. Man will mehr, nicht weniger, sein nennen können, man will alles sein nennen. Man kämpft also gegen die Fremdheit, oder, um ein dem Eigentum ähnliches Wort zu bilden, gegen das Fremdentum. Und wie hilft man sich dabei? Statt das Fremde in Eigenes zu verwandeln, spielt man den Unparteiischen und verlangt nur, daß alles Eigentum einem Dritten (z. B. der menschlichen Gesellschaft) überlassen werde. Man reklamiert das Fremde nicht im eigenen Namen, sondern in dem eines Dritten. Nun ist der »egoistische« Anstrich weggewischt und alles so rein und – menschlich!

Eigentumslosigkeit oder Lumperei, das ist also das »Wesen des Christentums«, wie es das Wesen aller Religiosität (d. h. Frömmigkeit, Sittlichkeit, Menschlichkeit) ist, und nur in der »absoluten Religion« am klarsten sich verkündete und als frohe Botschaft zum entwicklungsfähigen Evangelium wurde. Die sprechendste Entwicklung haben Wir im gegenwärtigen Kampfe wider das Eigentum vor Uns, einem Kampfe, der »den Menschen« zum Siege führen und die Eigentumslosigkeit vollständig machen soll: die siegende Humanität ist der Sieg des – Christentums. Das so »entdeckte Christentum« aber ist die vollendete Feudalität, das allumfassende Lehnswesen, d. h. die – vollkommene Lumperei.

Also wohl noch einmal eine »Revolution« gegen das Feudalwesen? –

Revolution und Empörung dürfen nicht für gleichbedeutend angesehen werden. Jene besteht in einer Umwälzung der Zustände, des bestehenden Zustandes oder status, des Staats oder der Gesellschaft, ist mithin eine politische oder soziale Tat; diese hat zwar eine Umwandlung der Zustände zur unvermeidlichen Folge, geht aber nicht von ihr, sondern von der Unzufriedenheit der Menschen mit sich aus, ist nicht eine Schilderhebung, sondern eine Erhebung der Einzelnen, ein Emporkommen, ohne Rücksicht auf die Einrichtungen, welche daraus entsprießen. Die Revolution zielte auf neue Einrichtungen, die Empörung führt dahin, Uns nicht mehr einrichten zu lassen, sondern Uns selbst einzurichten, und setzt auf »Institutionen« keine glänzende Hoffnung. Sie ist kein Kampf gegen das Bestehende, da, wenn sie gedeiht, das Bestehende von selbst zusammenstürzt, sie ist nur ein Herausarbeiten Meiner aus dem Bestehenden. Verlasse Ich das Bestehende, so ist es tot und geht in Fäulnis über. Da nun nicht der Umsturz eines Bestehenden mein Zweck ist, sondern meine Erhebung darüber, so ist meine Absicht und Tat keine politische oder soziale, sondern, als allein auf Mich und meine Eigenheit gerichtet, eine egoistische.

Einrichtungen zu machen gebietet die Revolution, sich aufoder emporzurichten heischt die Empörung. Welche Verfassung zu wählen sei, diese Frage beschäftigte die revolutionären Köpfe, und von Verfassungskämpfen und Verfassungsfragen sprudelt die ganze politische Periode, wie auch die sozialen Talente an gesellschaftlichen Einrichtungen (Phalansterien u. dergl.) ungemein erfinderisch waren. Verfassungslos zu werden, bestrebt sich der Empörer.

Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich sinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Christentums ein. Man vermerkt es liberalerseits den ersten Christen übel, daß sie gegen die bestehende heidnische Staatsordnung Gehorsam predigten, die heidnische Obrigkeit anzuerkennen befahlen und ein »Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist« getrost geboten. Wie viel Aufruhr entstand doch zu derselben Zeit gegen die römische Oberherrschaft, wie aufwieglerisch bewiesen sich die Juden und selbst die Römer gegen ihre eigene weltliche Regierung, kurz wie beliebt war die »politische Unzufriedenheit«! Davon wollten jene Christen nichts wissen; wollten den »liberalen Tendenzen« nicht beitreten. Die Zeit war politisch so aufgeregt, daß man, wie's in den Evangelien heißt, den Stifter des Christentums nicht erfolgreicher anklagen zu können meinte, als wenn man ihn »politischer Umtriebe« bezichtigte, und doch berichten dieselben Evangelien, daß gerade er sich am wenigsten an diesem politischen Treiben beteiligte. Warum aber war er kein Revolutionär, kein Demagoge, wie ihn die Juden gerne gesehen hätten, warum war er kein Liberaler? Weil er von einer Änderung der Zustände kein Heil erwartete, und diese ganze Wirtschaft ihm gleichgültig war. Er war kein Revolutionär, wie z. B. Cäsar, sondern ein Empörer, kein Staatsumwälzer, sondern Einer, der sich emporrichtete. Darum galt es ihm auch allein um ein »Seid klug wie die Schlangen«, was denselben Sinn ausdrückt, als im speziellen Falle jenes »Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist«; er führte ja keinen liberalen oder politischen Kampf gegen die bestehende Obrigkeit, sondern wollte, unbekümmert um und ungestört von dieser Obrigkeit, seinen eigenen Weg wandeln. Nicht minder gleichgültig als die Regierung waren ihm deren Feinde, denn was er wollte, verstanden beide nicht, und er hatte sie nur mit Schlangenklugheit von sich abzuhalten. Wenn aber auch kein Volksaufwiegler, kein Demagog oder Revolutionär, so war er und jeder der alten Christen um so mehr ein Empörer, der über Alles sich emporhob, was der Regierung und ihren Widersachern erhaben dünkte, und von Allem sich entband, woran jene gebunden blieben, und der zugleich die Lebensquellen der ganzen heidnischen Welt abgrub, mit welchen der bestehende Staat ohnehin verwelken mußte: er war gerade darum, weil er das Umwerfen des Bestehenden von sich wies, der Todfeind und wirkliche Vernichter desselben; denn er mauerte es ein, indem er darüber getrost und rücksichtslos den Bau seines Tempels aufführte, ohne auf die Schmerzen des Eingemauerten zu achten.

Nun, wie der heidnischen Weltordnung geschah, wird's so der christlichen ergehen? Eine Revolution führt gewiß das Ende nicht herbei, wenn nicht vorher eine Empörung vollbracht ist!

Mein Verkehr mit der Welt, worauf geht er hinaus? Genießen will Ich sie, darum muß sie mein Eigentum sein, und darum will Ich sie gewinnen. Ich will nicht die Freiheit, nicht die Gleichheit der Menschen; Ich will nur meine Macht über sie, will sie zu meinem Eigentum, d. h. genießbar machen. Und gelingt Mir das nicht, nun, die Gewalt über Leben und Tod, die Kirche und Staat sich vorbehielten, Ich nenne auch sie die – meinige. Brandmarkt jene Offizier-Witwe, die auf der Flucht in Rußland, nachdem ihr das Bein weggeschossen, das Strumpfband von diesem abzieht, ihr Kind damit erdrosselt und dann neben der Leiche verblutet, – brandmarkt das Andenken der – Kindesmörderin. Wer weiß, wie viel dies Kind, wenn es am Leben blieb, »der Welt hätte nützen« können! Die Mutter ermordete es, weil sie befriedigt und beruhigt sterben wollte. Dieser Fall sagt eurer Sentimentalität vielleicht noch zu, und Ihr wißt nichts Weiteres aus ihm herauszulesen. Es sei; Ich Meinerseits gebrauche ihn als Beispiel dafür, daß meine Befriedigung über mein Verhältnis zu den Menschen entscheidet, und daß Ich auch der Macht über Leben und Tod aus keiner Anwandlung von Demut entsage.

Was überhaupt die »Sozialpflichten« anlangt, so gibt Mir nicht ein Anderer meine Stellung zu Andern, also weder Gott noch die Menschlichkeit schreibt Mir meine Beziehung zu den Menschen vor, sondern Ich gebe Mir diese Stellung. Sprechender ist dies damit gesagt: Ich habe gegen Andere keine Pflicht, wie Ich auch nur so lange gegen Mich eine Pflicht habe (z. B. die der Selbsterhaltung, also nicht Selbstmord), als Ich Mich von Mir unterscheide (meine unsterbliche Seele von meinem Erdendasein usw.).

Ich demütige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, daß alle Mächte nur meine Macht sind, die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derselben darf nur eins meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen, wie ein Jagdhund unsere Macht gegen das Wild ist, aber von Uns getötet wird, wenn er Uns selbst anfiele. Alle Mächte, die Mich beherrschen, setze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen sind durch Mich: Ich brauche sie nur nicht von neuem zu schaffen, so sind sie nicht mehr; »höhere Mächte« sind nur dadurch, daß Ich sie erhöhe und Mich niedriger stelle.

Somit ist denn mein Verhältnis zur Welt dieses: Ich tue für sie nichts mehr »um Gottes willen«, Ich tue nichts »um des Menschen willen«, sondern, was Ich tue, das tue Ich »um Meinetwillen«. So allein befriedigt Mich die Welt, während für den religiösen Standpunkt, wohin Ich auch den sittlichen und humanen rechne, es bezeichnend ist, daß Alles darauf ein frommer Wunsch (pium desiderium), d. h. ein Jenseits, ein Unerreichtes bleibt. So die allgemeine Seligkeit der Menschen, die sittliche Welt einer allgemeinen Liebe, der ewige Friede, das Aufhören des Egoismus usw. »Nichts in dieser Welt ist vollkommen«. Mit diesem leidigen Spruche scheiden die Guten von ihr und flüchten sich in ihr Kämmerlein zu Gott oder in ihr stolzes »Selbstbewußtsein«. Wir aber bleiben in dieser »unvollkommenen« Welt, weil Wir sie auch so brauchen können zu unserem – Selbstgenuß.

Mein Verkehr mit der Welt besteht darin, daß Ich sie genieße und so sie zu meinem Selbstgenuß verbrauche. Der Verkehr ist Weltgenuß und gehört zu meinem – Selbstgenuß.

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