IV.
Vaterlands- oder Deutschlands-Liebe

Die Deutschen lieben jetzt in den Deutschen das Deutsche mehr als sonst, wo sie noch nicht, wie die Muhammedaner, ihre Zeitrechnung von einer prophetischen Flucht datierten; gleich den letzten Zeilen abgehender Personen in Shakespeare reimen wir uns, wiewohl spät, nämlich aufeinander. Waren indes die einzelnen deutschen Völkerschaften einander fremde: so waren die einzelnen griechischen und die italienischen sichs auch; und daher, unbeschadet unsers Gehaltes an Liebe und Glut, dürfen wir die Ähnlichkeit eingestehen. Nur dann fiele jede schmeichelnde hinweg, so wie jede Enschuldigung, wenn jetzt die Bundesstaaten des Deutschlands – das sonst wie die Schildkröte zwischen zwei entgegengesetzten Schilden, zwischen dem preußischen und österreichischen, sich bewegte und bedeckte – sich nicht nach innen zu ebensowohl, wie andere Weltkörper-Systeme, um einen Schwerpunkt bildeten, als sie einen außer sich haben, oder wenn sie getrennte Gesellschaftsinseln, oder höchstens verknüpfte Turnier-Genossen würden, anstatt einer schönen Eidgenossenschaft auf der Ebene, oder eines von Napoleon und einem langen Frieden beschützten Fürstenbundes. Nie bleibe der Deutsche so weit hinter seinen feurigen Siegern zurück! Nie kehre die alte Erstarrung im neuen Keim-Monat um!

Doch zurück! In den Jahren 1770 bis 1780 hatten wir – nach abgetaner Gallomanie – einige Anglo- und noch mehr Germanomanie und schätzten uns höher. Während der französischen Revolution wollten wir nicht viel aus uns machen, sondern sagten: wir wären leider so so und halbe Sklaven. Später schwangen wir uns hoch über die Umwälzung empor. Seit den letzten Kriegen teilen wir wieder gern den gemeinschaftlichen Namen Franken und erinnern uns aus der Geschichte, daß die Mehrheit in Frankreich nicht Gallier, sondern versetzte Germanen sind. – Im ganzen war nie die Deutschlands-Liebe aus dem Mittelstande und aus dem Volke gewichen; dieses hielt sie lebendig im Herzen fest, jener sie auf dem Druckpapier; und nur die höchsten Klassen ließen sie öfters entfliehen. Darum waren wir aber eben mit dem Patriotismus daran wie die Ungarn mit dem Gelde: sie haben die Gold- und Silber-Gruben, und doch fast nur Papiergeld.

Herzberg bewies in einer gelehrten Abhandlung, daß die Deutschen alle bloß europäische Reiche gestiftet und bevölkert haben (was nachher deutsche Fürstentöchter schöner und unblutiger auf allen Thronen wiederholten, und Deutschland, wie die Tellus, mater deorum heißen konnte); also die deutschen Kriege in Europa immer Bürgerkriege sind, wiewohl in höherem Sinne jeder auf der Menschen-Erde immer einer zwischen Landes-Leuten ist.

Eine Nation kann nur stolz auf die Masse, nicht auf die Genies, d. h. auf die Ausnahmen sein; eine sich allmählich mit Armen oder Augen emporhebende Fleiß-Stadt hat, auch ohne einen einzelnen Stern vorzuzeigen, auf mehr echten Ruhm Anspruch als irgendeine andere, in welche der warme Glücks-Wind den Blumenstaub oder die Phönix-Asche irgendeines Genius zur Geburt einweht. Man kann überall geboren werden, z. B. in Bethlehem, aber nicht überall gepflegt; die Erhaltung eines Genius ist, wie in der Theologie, die zweite Schöpfung; und so hat die ästhetische Wiedergeburtsstadt Weimar die Ehre, die Geburtsstadt von vier großen Dichtern zu sein, so wie Jena die Ehre einer Entbindungsanstalt mehrerer Philosophen.

Was ist nun politisch das, worauf die deutsche Masse, nicht der einzelne, seine National-Ehre und -Liebe gründet? – Etwas sehr Verschiedenes von zwei verschiedenen Nationen. Denn wir – ohne das französische Feuer für persönlichen Glanz, das den Einzelnen so leicht in jedes siegende Ganze einflicht, und ohne das englische Trotzgefühl selbstständiger Freiheit, und überhaupt ohne jene Zündruten anderer Nationen, um Felsen zu sprengen – wir sag' ich, sind eben deshalb nicht imstande, die Augen zuzudrücken und von Europa nichts zu spüren als unser Auge; wir sind nicht imstande, unsern Blick so zu beschränken als unsere Macht; sondern wir vermögen nur, mit Verzicht auf Massen-Schimmer für das alte, in Poesie und Leben durch alle Länder und Jahrhunderte hindurchgehende deutsche Attribut der Rechtlichkeit und Redlichkeit zu leben, zu eifern und zu sterben. Denn nur der ruhigen wellenlosen Seele offenbart sich das Recht am reinsten wie eine nachgespiegelte Sonne. Unsere Freiheits-Liebe ist nur Rechtlichkeits-Liebe, nicht Glanz- und Raubsucht. Und solange dieser Sinn in uns nicht zu ermorden ist, werden wir Knechtschaft hassen und Vaterland lieben. Rechtlichkeit verknüpft die Deutschen – eigentlich die Menschen –, und wehe dem, der das Band durchschneidet, woran die Welt hängt und er selber! – Und Heil dem Fürsten, dem die Geschichte den neuen Beinamen »der Rechtliche« gewähren kann, und ich glaube, sie kann es seit zehn, besonders seit zwei Jahren.

 

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