Abschied für immer

Was bleibt, wenn du gehst? fragt Christa Schyboll

Das Wetter war passend. Es regnete und es war ungemütlich kalt. Ich stand am Bahnhof und hatte eine Freundin zu verabschieden. Für immer. Sie hatte Krebs im Endstadium und ich würde sie nicht mehr wieder sehen.

Ein Lebewohl für alle Zeiten. Ein letzter Hingang, der keine Worte mehr findet. Ein Abschied, der nur noch im Schweigen verweilen kann. Einer, der uns beide an eine Grenze führte, die eine letzte Aussprache verunmöglichte. Da gab es keinen Trost mehr, dass es vielleicht noch gut geht. Es würde nicht mehr gut gehen. Nicht mehr im Sinne des Lebens. Nicht mehr im Sinne einer lebendigen Freundschaft, die sich in die Arme schließen kann, die von kleinen Nöten, Sorgen oder Freuden erzählt. Da würde nichts mehr in den gemeinsamen Raum gestellt werden. Der Abschied war endgültig.

Der Zug fuhr ein. Ich trug das magere Köfferchen, das der mittlerweile auch ausgezehrten Gestalt der lieben Freundin entsprach. Ein letztes Umarmen, ein letzter Kuss. Kein "Mach es gut!“ Kein "Es wird schon werden!“ Alles hätte hohl geklungen. Lieber ehrlich bleiben miteinander in diesen letzten Sekunden. "Ich hab dich lieb!“ - "Ich dich auch!“ Das passte und war ehrlich und sagte alles. Mehr brauchte es nicht.

Der Schaffner pfiff schrill. Der Wind zerrte am Schirm. Der Regen nässte mein Gesicht. Die Tränen verschwammen darin. Der Zug setzte sich rasselnd in Bewegung. Wir hoben beide die Hände. Kein fröhliches Winke-Winke wie zu früheren Zeiten, als wir wussten: Bald sehen wir uns wieder. Nur ein ruhiges Händeheben. Eine Geste voller Hilflosigkeit. Aber auch eine Geste der Ergebenheit. Die offene Hand zum anderen. Die Ruhestellung, die zur endgültigen Ruhe passte.

Der Zug entfernte sich. Eine Sturmböe entriss mir den Schirm. Ich ließ ihn fliegen, wohin er wollte. Ich stellte mich dem Prasseln des Regens. Die Tränen flossen nun heftiger. Es tat gut, sie im Fluss mit den Elementen zu erleben.

Dann ging mein Herz auf. Die innere Sonne kam durch und setzte einen Kontrapunkt. Erinnerungen tauchten auf. Erinnerungen, nach denen ich nicht gewühlt hatte. Ihr Lachen war so herrlich stark gewesen. Und dann dieser Eifer, mit dem sie diskutierte, wenn sie das Unrecht anprangerte. Ihre Sturheit leuchtete auf und auch ihr Schmollmund, wenn ich ihren Argumenten nicht folgen konnte, weil sie mich noch nicht wirklich überzeugten. Dann wieder diese weichen Arme, die mich umfingen. Die Sonne in mir strahlte heller denn je, wenn ich an sie dachte. Sie war nun erst wenige Minuten von mir entfernt, lebend und zugleich dem Tod geweiht. Doch das, was ich im Herzen trug blieb unzerstörbar. Das würde kein Tod mir je entreißen.

— 13. Juni 2012
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