Der lange Weg

Der Weg vom Schmerz in den Trost. Von Christa Schyboll

“Scheiden tut weh“, sagt uns ein Sprichwort. Es stimmt in jenen Fällen, wo wir von lieb gewonnenen Menschen oder auch Dingen Abschied nehmen.

Ein schmerzliches Verlustgefühl breitet sich über uns, ob schon der Verlust in diesem Augenblick noch gar nicht eingetreten ist. Beobachtet man diese Empfindung genauer, so stellt sich häufig heraus, dass es noch gar nicht der Verlust ist, sondern die Angst vor dem Verlust, der uns schon im Voraus einen Schmerz verursacht.

Oftmals kommt es aber anders als man denkt. Man verabschiedet sich zwar mit einer gewissen Wehmut und Traurigkeit – und dann schlägt das Leben in seiner ganzen Fülle wieder zu. Wir sind abgelenkt. Häufig müssen wir gar nichts dafür tun, sondern es passiert von ganz alleine. Vor allem natürlich jenen Menschen, die sehr beschäftigt sind, viel um die Ohren haben und schon immer unter Zeitnot litten.

Auch wenn der Abschiedsschmerz im Augenblick des Ade-Sagens ein echter war, hat er zum Glück nicht immer eine längerfristige Kraft über uns – oder schmeisst seine Enterhaken aus, die schwerwiegend in unsere Seele einschlagen und uns noch lange Kummer bereiten. Bei manchen Dingen oder Menschen ist man umgekehrt vielleicht sogar ein wenig darüber erschüttert, dass trotz der heftigen Abschiedsszene der Alltag so dicht und normal weiterläuft.

Das hat Vorteile, weil man nicht durch Schmerzen lange blockiert ist und seine Kraft wieder anderen Dingen zuwenden kann. Aber es zeigt auch etwas über die Natur unserer Gefühle, die sich manchmal schneller verändert, als wir selbst es ahnen oder befürchten.

Bei Eltern, die ihre Kinder verlieren – oder Kinder, die ihre Eltern verlieren oder Partner, die eine außergewöhnliche Symbiose miteinander eingegangen sind oder schon lange leben, erst recht wenn ein solcher Abschied der Tod ist, funktioniert das oben Beschriebene in der Regel nicht. Hier kommt es zumeist zu tiefer Trauer, wenn die Verbindung liebevoll war. Die so genannte “Trauerarbeit“ fordert ihren Tribut und ist als seelische Schwerstarbeit zu verstehen.

Aber selbst im Tod schaffen es so manche Menschen, miteinander verbunden zu bleiben. Ein geheimnisvolles Band zwischen zwei Seelen, das sich jeder Beweisbarkeit entzieht - aber als real gefühlte Wahrheit für den Menschen ein wunderbarer Trost sein kann.

— 09. April 2012
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