Großmäuler

An der Grenze zwischen Entertainment und Peinlichkeit. Von Christa Schyboll

Ich gestehe es: So manche Großmäuler bringen mich nicht selten zum Lachen. Aber dieses Lachen ist in seiner Qualität so unterschiedlich, wie das Großmaul seine Reden ans kleine Volk verkündet.

Die eher bittere Art von Lachen, die fast an die Grenze von Verzweiflung kommen kann, passiert mir dann, wenn Großmäuler sich erdreisten, in ihrem Getöne so viele Luftblasen zu erzeugen, dass ich mir als Zuhörer vorkomme, wie freigesetzte Kohlensäure. Prahlereien können eben Substanz haben oder auch gänzlich substanzlos sein. Im letzteren Fall ist Peinlichkeit angesagt, die zwar viele Menschen dabei befällt, nicht aber das Großmaul selbst. Denn es hat bisher kein Organ für diese Peinlichkeit entwickelt, ist noch nicht imstande, eine selbstkritische Reflexion vorzunehmen, sondern badet sich in seinen Angebereien, deren Unterhaltungswert letztlich nur noch in der Frage liegt, wann die beschämende Blödheit sich endlich nun selbst entlarvt.

Aber dann gibt es auch Maulhelden, die einfach total witzig sind. Auch sie sind Schaumschläger, aber machen es mit Esprit und Geist und erzeugen andere Qualitäten von Lacher. Es tritt echte Belustigung ein, die trotz Übertreibungen Spaß macht. Man weiß den Wahrheitsgehalt dabei durchaus zu relativieren, fühlt genau, wo gemogelt wird, spürt bereits sogar die kleine Lüge, aber lässt sie deshalb großzügig durchgehen, weil der Unterhaltungswert das jetzt einmal kurz zulässt und bei allem im Vordergrund steht. Dreie gerade sein lassen, nennt man das auch.

Warum ist das so?, habe ich mich schon öfter gefragt. Warum kann ich das eine Großmaul nicht leiden und lache aber freudig über das andere, wohl wissend, dass auch hier mit Schummeleien oder kleinen Lügen gearbeitet wird? Es ist die Stimmung, der Witz, die Pfiffigkeit und die Atmosphäre, die es eben in die eine oder andere Richtung kippen lässt. Es ist aber auch der Inhalt und die Art und Weise. Wirkt es krass egoistisch oder doch allzu angeberisch, aufgesetzt, großspurig, kann beim Zuhören keine gute Stimmung aufkommen. Aber kommt jene Prise von Verve, Esprit und Humor dazu, der sich auch noch selbst dabei auf die Schippe nimmt, können selbst Maulhelden zum netten Entertainment werden, so lange sie es nicht damit übertreiben.

Die Grenze ist dabei ebenso individuell zu ziehen wie auch die Entlarvung dieser verschiedenen Typen von Aufschneidern oder Wichtigtuern. Sinnvoll ist: Nicht nur die Typen unterscheiden zu lernen, sondern auch klar zu realisieren, dass Unterhaltungswert nur eine Seite der Medaille ist und der Wahrheitsgehalt eine andere. Eine, die man bei alldem dabei nicht so ganz aus dem Blick verlieren sollte, um nicht am Ende für das fröhliche Entertainment noch eine ordentliche Zeche ganz anderer Art bezahlen zu müssen: nämlich dem des kompletten Reinfalls.

— 12. Juli 2012
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