A wie Angst

Ist Angst wirklich nur ein schlechter Ratgeber?, grübelt Christa Schyboll

Käme ein Alien zu Besuch, so würde ihm etwas Merkwürdiges unter den Menschen auffallen: Viele Menschen leben Draufgängerischer als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Andere, große Gruppen, leiden unter einer Angst, die anderen Generationen in dieser Artvöllig fremd war. Eine auf den ersten Blick merkwürdige Diskrepanz!

Käme ein Alien zu Besuch, so würde ihm etwas Merkwürdiges unter den Menschen auffallen:

Viele Menschen leben Draufgängerischer als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Andere, große Gruppen, leiden unter einer Angst, die anderen Generationen in dieser Artvöllig fremd war. Eine auf den ersten Blick merkwürdige Diskrepanz!

Während die Draufgänger die persönliche Angstgrenze "suchen" oder sie zumindest im Verfolgen ihrer Ziele billigend mit in Kauf nehmen, weil das Leben ihnen offenbar ohne Gefahr viel zu langweilig wäre, ist aber eine stark wachsende Gruppe der Menschheit seit längerem in einer zunehmend stärker werdenden Angstfalle drin. Letztere basiert aber nicht, wie seit Jahrtausenden üblich, auf den "natürlichen" Ängsten vor Unfall, Krankheit, Naturgewalten und Tod. Sondern sie basiert auf etwas schwer benennbarem, das mit der Komplexität der Welt und ihren rasanten Veränderungen zu tun hat.

Immer schwerer wird es, persönlich intellektuell und emotional dem schnellen Wandel noch zu folgen. Die Möglichkeiten moderner Technik tun ihr übriges dazu. Mal zum Segen in so manchem Bereich von Medizin oder Organisation usw., manchmal echt nur noch zum Verzweifeln, wenn selbst der Gebrauch eines modernen Dosenöffners zum komplexen Problem wird. Das ist zwar konkret dann weniger zunächst eine Frage der Angst, wie mehr die einer spontanen Genervtheit. Doch die Summe der vielen Komplexitäten, die uns immer schneller überrollen, bereiten mehr und mehr Menschen eine oft noch unbewusste, aber dennoch real erlebbare neue Form von Angst. Zunächst oft nur als Unbehagen spürbar oder der langsam erwachenden Bewusstheit immer größerer Kontrollverluste in vielen Bereichen.

Wandel und Neuerungen an sich sind Menschen im Laufe ihrer Entwicklungen nicht fremd und dementsprechend ist die Anpassungsfähigkeit bisher auch relativ groß gewesen. Nach einer gewissen Zeit der Adaption blickte man ja wieder durch und alles war in Ordnung.

Dies ändert sich aber nun rasant - und die Menschen spüren es. Die Möglichkeiten zur Kontrolle und zum Verständnis von Zusammenhängen gehen den meisten Menschen mehr und mehr verloren und sie fühlen sich - so sie noch über gesunde und kritische Wahrnehmung überhaupt verfügen - zu Recht in einem immer unverständlicheren Lebensraum. Stellvertretend sind hier nur die ungeheuerlichen Möglichkeiten von Nanotechnologie, Gentechnologie, globale Vernetzung, Mind-Control-Möglichkeiten zu nennen, die keineswegs nur eine Anpassung an etwas Neues bedeuten, sondern an etwas, dass wir nicht mehr durchschauen, beherrschen, bewerten und verstehen können. Es sprengt unser eigenes geistiges System. DAS macht den Unterschied zu den alten, natürlichen Ängsten aus, die es schon immer gab und die auch bleiben werden.

Die Möglichkeit von "selbstdenkenden" und "lernfähigen" technischen Systemen - auch wenn sie ehemals einmal von Menschen erfunden und programmiert wurden, schafft einen Raum der Unkontrollierbarkeit in vielen Bereichen, wo der Mensch mit seinen derzeitigen begrenzten Möglichkeiten allen Grund hat, ängstlich zu sein. Natürlich wird diese Ängstlichkeit immer wieder ausgeredet und gekontert mit den Möglichkeiten, dass man das auch zum Segen der Menschheit bei Krankheiten z.B. einsetzen könnte. Ja, …. auch, falls bezahlbar! Aber eben nicht nur!

Angst könnte -wie schon so häufig im Leben - sich durchaus als Rettung erweisen. Man sagt zwar, dass Angst kein guter Ratgeber ist, was in vielen Fällen bestimmter Ängste auch durchaus stimmt. Aber es gibt auch die umgekehrten Fälle, über die man weniger spricht: Angst als Motor für weisheitsvolles, vorausschauendes Handeln. Nicht alles, was möglich ist, muss automatisch auch als sinnvoll bewertet werden, sondern die Gefahrenabschätzung von neuen Möglichkeiten sollte nicht nur der technischen Machbarkeit unterliegen oder dem zu erwartenden Zugewinn von Geld und Macht für bestimmte Gruppen, sondern auf jeden Fall auch ethischen und psychosozialen Grundwerten prüfend unterworfen werden.

Angstfreie Menschen lassen alles zu. Sie haben keinen Gefahreninstinkt, sondern einen blinden Glauben daran, dass alles Machbare, das auch gemacht wird, automatisch schon "gut" sein wird. Insofern kann ein Mangel an Angst ein großes Defizit sein, das uns einmal "ungeheure" Zustände beschert.

— 03. August 2010
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