Schrecklich nette Begegnungen

Über den Umgang mit Antipathien im Alltag von Christa Schyboll

Nehmen wir mal an: Ich kann Frau B. nicht leiden. Sie mich vermutlich auch nicht. Wie der Teufel es will, begegnen wir uns ständig. Irgendwie haben wir auf geheimnisvolle Weise die gleichen Wege und Zeiten. Dass es sich dabei um ein unabgesprochenes Arrangement des Schicksals handelt, befürchten wir beide.

Da wir beide gut erzogen sind und uns trotzig nicht dem entwürdigenden Straßenwechsel aussetzen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu begegnen. Um dabei aber klar zu zeigen, dass man dafür auch die ausreichende psychische Stärke besitzt und sich nicht aneinander billig wegdrückt begrüßen wir uns. Wie durch einen inneren Zwang jedoch wird eine von uns beiden dazu dann aber angehalten, zum scheinheiligen Gruß, der uns selbst in diesem Augenblick aber fast heilig vorkommt, dann noch ein paar Worte dranzuhängen. Eine beliebige Frage nach dem Befinden, dem Göttergatten oder dem Rest dieser schrecklichen Familie.

Und schon passiert es uns wieder! Da stehen zwei alte Feindinnen, die nie gemeinsam in einem klaren Schlachtfeld miteinander waren und sind mal wieder wie zwangsverbunden.

Wir lächeln uns an, sprechen Small Talk und realisieren sofort: „Falsche Schuhe zum Kostüm“, „Unordentliche Frisur!“, „Geradezu billig aufgetragenes Make up!“ oder „Geistlose Ansprache! - Sie hält mich wohl für blöd!“

Während diesem Schnelldurchlauf von Gedanken lächeln wir zu unseren nachfragenden Worten, werden auch von der Gegenseite angelächelt und bekommen vielleicht oben drein noch ein Kompliment für die Schuhe, die Frisur oder das nette Aussehen. Oder wir geben das gleiche an die Gegenseite freundlich weiter, lächeln wieder und grüßen uns bis zum nächsten mal…

Drei Schritte weiter kommt die Wut hoch: Soviel Feigheit auf einem Platz innerhalb weniger Minuten ist schon ein starkes Stück! Die Tatsache, dass es sich dabei auch noch um eine Verdoppelung handelt, weil beide das gleiche Spiel spielten, macht das Ganze doppelt schlimm. Viel schlimmer als das jedoch ist die Realisation, wie oft dieses Spiel nicht nur gespielt wurde, sondern vermutlich noch weiter gespielt wird. Nicht nur von Frau B. und mir, sondern auch zwischen Herrn X und Frau Y, Frau Z und Herrn F.

Fast alle spielen es. Mehr oder minder bewusst. Es ist ein Ritus, der oftmals nicht einmal einen realen, handfesten negativen Hintergrund hat, sondern schlicht und einfach in der Tatsache der gegenseitigen Antipathie wurzelt. Die Chemie stimmt nicht. Schluss aus. Und während man bei anderen Chemieantipoden tatsächlich locker die Straße wechselt, sich in den nächsten Laden verdrückt, den Kopf gesenkt hält oder den Regenschirm aufspannt, gibt es aber immer wieder auch jene seltene Spezies, bei der man es eben nicht macht – aus welchen geheimnisvollen Gründen auch immer.

Die Zuverlässigkeit, dass dieses Spiel bis zum Tode weitergespielt wird, so man diese Begegnungsverkettung nicht durch einen äußeren Ortswechsel unterbricht, ist durchaus gegeben. Die Alternative wäre der innere Ortswechsel – d.h. eine klare Aussprache darüber, warum man sich dauernd anlächelt, obschon man sich ganz offensichtlich nicht leiden kann.

Durchaus machbar für die, die den Mut und die Stirn haben, das Unbegründbare zu begründen und das Unsagbare in Worte zu fassen.

Na denn viel Spaß!

— 22. November 2009
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