Der Fehler. Die Scham. Die Schmach.

Über die Lust an der Ausrede schreibt Christa Schyboll

Die Möglichkeit Fehler zu machen, ist für alle Menschen geradezu unendlich groß. Zumeist machen wir sie, weil wir es halt noch nicht besser können. Oder weil wir die Konsequenzen nicht vorher durchdenken können. Oder weil wir zu gutmütig oder einfältig sind – sprich regelrecht naiv. Oder weil uns stringentes Denken und konsequentes Handeln nicht so gegeben ist und wir oftmals mehr im Rate-Modus der Möglichkeiten verweilen und es drauf ankommen lassen, ob es gut oder schlecht für uns ausgeht.

Was? Na das, worum es geht, weshalb man besser keine Fehler machen sollte. Partnerschaft, Familie, Erziehung, Beruf, Karriere, Freundschaften… was auch immer. Die Themenpalette für Fehlerquoten ist erstaunlich groß. Darunter gibt es die lässlichen Fehler, über die wir hier nicht sprechen und jene Kardinalfehler, die uns aber in unserem Sein berühren – erst recht die Zeugen des Geschehens. Denn diese Fehler sind spannend!

Ein Fehler, den ich persönlich zu den Kardinalfehlern zählen würde ist das Fehlversagen durch Verdrängung. Also Betrug und Selbstbetrug in einem. Kardinalfehler sind schwerwiegende Fehler, weil sie unseren Charakter betreffen können. Und spätestens hier wird jede Schönrederei, Banalisierung des Schlimmen, Bagatellisierung zur Blamage, zur Peinlichkeit, der man sich so schnell wie möglich wieder entledigen will.

Diesen schwerwiegenden Selbstbetrug – an was wie auch immer versagt zu haben, mag man im Augenblick des Geschehens nicht einmal im Sinn gehabt haben. Denn zunächst ging es vermutlich nur darum, sein Gesicht vor den anderen zu wahren, die Zeuge dieser Minderleistung wurden. Bei eigenem Fehlversagen erwischt zu werden, empfinden wir fast alle immer wieder neu als heikel bis abscheulich, obschon wir doch wissen, dass es ständig fast allen Menschen passiert. Trotzdem können so viele oft nicht dazu stehen. Sie schämen sich.

Sie schämen sich für die schlichte Tatsache, nicht perfekt zu sein. Sie schämen sich, weil ihr Anspruch an sich selbst höher ist als die eigene Fähigkeit, dem auch immer gerecht zu werden. Dabei bemühen sie sich doch so darum, möglichst perfekt zu wirken. Man will eben doch mehr sein, als man schon ist. Der Schuss geht oft nach hinten los… einfach, weil wir es alle nicht sind!

Und nun beginnt das Spiel. Wie verstecke ich nun meine gefühlte Minderwertigkeit vor meinen Mitmenschen am besten, wo sie doch gerade Zeuge wurden, dass da etwas nicht in Ordnung ist? Wieder einmal ein Fauxpas in einem sensiblen Moment. Wie kaschiere ich, was soeben passiert ist? Manches kann man einfach "übergehen" und "so tun", als sei nichts passiert, solange niemand einen darauf anspricht. Glück gehabt. Nochmals gut gegangen. Demnächst mehr Aufmerksamkeit.

Oft aber gibt es unliebsam Wachsame, denen fast nichts entgeht. Wie unangenehm! Nicht, dass sie die Schwächen der anderen suchen, ja geradezu drauf lauern (doch, solche gibt es auch – sind aber hier nicht gemeint!), sondern sie haben einen untrüglich wachen Blick dafür und sind hellhörig mit Sinnen, die nicht die Akustik betreffen.

Da ist es dann nichts mehr mit Verdrängung. Da braucht es schon eine saftige "Ausrede", warum, weshalb, wieso… Dabei wäre es viel entspannter ehrlich zu sagen: "Das tut mir leid! Das und das ist mir gerade passiert." So leicht wäre in vielen Fällen das Verständnis der anderen da – man müsste sie notfalls daran erinnern, zu welchen eigenen Missgeschicken auch sie schon fähig waren, die Schamesröte übers Gesicht fluten ließen.

Doch Achtung: Man verwechsele das hier Gemeinte nicht mit den Bagatellen des Alltags! Es geht hier nicht um ein zerbrochenes Glas, eine bekleckerte Krawatte oder ein nicht so gelungener Einwurf, sondern um etwas, das Seele und Gemüt eben auf jener Ebene zu entlarven droht, wo sie stehen: Nämlich unter jenem Level, der gerne suggeriert wird!

Seltener geschieht es, dass ein Eingeständnis herzerfrischend spontan kommt! Die, die selbstbewusst zu sich stehen, um ihre sonstigen Kräfte und Talente recht genau wissen, die können es in der Regel schon etwas besser. Ihnen fällt kein Zacken aus der Krone, weil sie ihre Stärken und Schwächen bewusster wahrnehmen und dazu stehen können. Ihr Selbstbewusstsein nährt sich eben nicht aus dem Schein – oder dem scheinen wollen – sondern aus dem Sein in seinen bunten Facetten von Können und Versagen. Viele andere, von lauten oder leisen Selbstzweifeln gequält, beginnen jedoch erst einmal mit "Ansprachen" zur Sache. Bagatellisieren zum Beispiel auch dort, wo es leider keine Trivialität ist, sondern ein grober Verstoß gegen zwischenmenschliche Gepflogenheiten.

Was da passiert wird zum dreifachen Betrug: An sich selbst, an den Zeugen, an der Sache. Und die Zeugen des Geschehens, was machen die? Sie schweigen oft betreten. Umso betretener, je unerwarteter und heftiger das zwischenmenschliche Versagen war und umso stärker hätte es doch gewichtet werden müssen.

Bei schlichten Gemütern mögen Ausreden funktionieren. Bei hellwachen, besonders bei sensiblen Menschen funktioniert das nicht – auch wenn sie aus peinlicher Betroffenheit nichts sagen. Kein weiteres Öl auf das gerade beginnende psychische Inferno! Das bessert nichts. Es steht ihnen eher der Sinn danach, erst einmal selbst in Ruhe darüber nachdenken, welche Reaktion angemessen ist. Und sie wollen sich auch nicht als Richter über andere aufspielen, weil sie doch wissen: Auch ich bin nicht perfekt. Auch mir können vertrackte Situationen passieren. Der Zeitpunkt, es in Ruhe anzusprechen und aufzuklären, wird schon noch kommen. Das Finden der Zeit-Qualität ist die Hoffnung!

Beginnt man in solchen Fällen mit der Ehrlichkeit vor sich selbst, kann der Weg noch ein guter werden. Doch wer sich noch selbst immer weiter belügt, weil er sich selbst anders nicht erträgt, hat kaum eine Chance auf Wahrhaftigkeit.

Unser Leben bietet uns viele Chancen, die Wahrheit immer wieder neu zu üben; denn Fehler machen wir alle noch wahrlich genug.

— 13. Juni 2022
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