Baden gehen

Sommer, Sonne, Frust. Von Christa Schyboll

Mir war heiß. Ich brauchte Abkühlung. Die zum Beispiel gibt’s ihm Rhein. Aber da sind Unterströmungen. Vielleicht wäre das meine letzte Abkühlung. Dann besser ins Schwimmbad.

Schwimmbäder sind besser zu kontrollieren in Bezug aufs eigene Überleben. Dachte ich. Und so sattelte ich mein Fahrrad. Der Fahrtwind kühlte ein wenig. Doch das bedeutete, dass ich entsprechend schnell fahren musste. Denn sonst kühlte nichts. Also strampelte ich, was das Zeug hielt. Meine voll gepackte Badetasche schlenkerte bedrohlich. Mehr Wind ließ sich nicht hervorlocken. Ich schwitzte noch mehr durch die Anstrengung. Also fuhr ich wieder langsamer. Aber das nervte. Ich wollte ins Wasser. Am besten schon vor zwei Stunden. Noch weitere 25 Minuten waren zu radeln. Hätte ich doch bloß das Auto genommen! Ich Idiot. In diesem Wetter eine solche Zusatzanstrengung!

25 Minuten entsprechen in etwa einem gefühlten Menschenzeitalter wenn man schwitzt. Oder wenn man ins Wasser will. Oder wenn man nicht immer mit Geduld gesegnet ist. So wie ich. Aber irgendwann kommt man an. Ich bin am Schwimmbad.

Ich sehe eine unübersehbare Flut von Fahrrädern. Freie Ständer? Ein frommer Wunsch, der an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist. Freie Autoparkplätze? Weit über einen Kilometer vor dem Bad stehen sie am Straßenrand. Eine bunte Schlange. In Halteverbotszonen. Das wird teuer. Und dass die Politessen kommen, ist finanzpolitisch Ehrensache. Mein schönes armes Rad! Ich stelle es zu den Liegenden. Vermutlich standen auch sie ehemals. Meines wird wohl auch bald liegen. Fast sieht es aus wie ein Kunstwerk. Wie sie so verrenkt in der Sonne in allen Farben blitzen!

Die nächste Schlange. Vor der Kasse. Oh, das wird dauern. Sie ist für meine Körpergröße unübersehbar lang. Der Lärm, der aus den beiden Becken und von der Wiese dringt, verspricht Überfülle und drangvolle Enge. Erst recht, wenn sich die Schlange, an deren Ende ich stehe, sich dort auch noch zusätzlich niedergelassen hat. Eine Monsterschlange. Die Anzeigetafel zeigt 35,9 Grad. Die Sonne brennt. Als hätte sie einen afrikanischen Sommerauftrag. Niemand verlässt das Schwimmbad.

Ich werde zum Problem der anderen

Geduld. Geduld. Ich sehe von weitem, wie sich die Frau aus dem Kassenhäuschen entfernt. Verdammt! Sie wird doch wohl jetzt keine kleine Zwischenpause machen! Aber ich bin sehr geduldig und schaue dabei ungeduldig auf meine Uhr. Wie lange bleibt sie weg? 3,5 Minuten. Zu kurz für eine Pause. Zu lang für eine Warteschlange. Was kann man denn in 3,5 Minuten eigentlich erledigen? Es bleibt ihr Geheimnis. Es geht nur schleppend weiter. Bedrohlich stockend. Die Zeit rennt weg. Die Geduld auch. Die Sonne brennt. Die Kinder schreien. So als wären sie allein auf der Welt. Sind sie ja auch. Sie nehmen die ausgebrannten Erwachsenen nicht wahr. Sie toben einfach nur. Sind fröhlich. Sind Kinder. Mein Gott, wäre ich doch ein Kind!

Aber ich bin ein Teil der Warteschlange. Sie verkürzt sich. Schuppe für Schuppe. Schlangen brauchen! Dann bin ich an der Kasse. Mein Portemonnaie! Ich finde es nicht. "Mach schon!" brummt einer hinter mir. Ich werde nervös. Wo ist mein Geld. Mein Schwimmbadgeld. Außerdem sind meine Papiere im Portemonnaie. Soll man nicht. Weiß ich doch. Hab ich aber. Aber jetzt finde ich es nicht. Die Frau an der Kasse schaut mich genervt an. Hinter mir werden die Stimmen lauter. "Was ist denn da los?", "Warum geht es schon wieder nicht weiter.", "He, Mädel, bezahl endlich." "Ja, doch, Sekunde". "Sekunde, Sekunde! - Wird das endlich?"

Ich kann sie verstehen. Ich bin in Panik. Wo ist meine Geldbörse mit den Papieren? Die Kassenfrau befiehlt barsch: "Suchen Sie bitte außerhalb der Reihe und lassen Sie die anderen vor." Die anderen vorlassen! Das fehlt mir noch! Nach dieser langen Wartezeit. Aber ich muss es tun. Ich trete zur Seite. Und damit aus der Schlange. Sie schließt sich sofort. Wie eine Fleisch fressende Pflanze nach Fliegenbesuch. Mir rinnt der Schweiß in Strömen den Nacken herunter. Ich fluche. Eine dumme Bemerkung aus dem Seitenbauch der Schlange. "Na, na, ist doch so schönes Wetter. Und Sie fluchen?"

Ich bin verzweifelt. Führerschein, Krankenkarte, Personalausweis, Geld. Alles futsch. Kann doch nicht sein. Ich kippe den Inhalt meiner kompletten Badetasche neben die Schlange. Die Schlange zuckt. "Typisch Weiber!" --- "Schau mal, was da alles liegt."

Pubertierende. Einer zückt das Handy. Roter Ersatz-BH, Lippenstift, Sonnenöl, Wasserflasche, zwei Bücher, drei Bleistifte, Hefte, zwei Handtücher, Bürste, Lesebrille, Sonnenbrillenetui, Ersatz-Bikini, Badeschlappen, Badekappe, Shampoo, Strohmatte, Sonnenkäppi, braungefleckte Tüte mit zermatschtem Obst, Kaugummi, ein Radiergummi, ein Spitzer, nun ja, ich schreibe noch immer mit Bleistift, Handy, Ipad, Kopfhörer. Die Tasche ist leer. Der Fuzzi zielt noch immer auf meine Habe. Und auf mich. Der andere Fuzzi lacht sich schlapp. Die Alte! Dieser Kram. "Schau mal. Echt scharf. Stell’s ins Netz!"

Drastische Warnungen und mit den Nerven fertig

"Wage dich!" Schrei ich von unten. Ich schüttele mein Badelaken aus. Da! Da isses. Mein Geld. Meine Papiere. Oh Gott! Dieser Schreck. Alles da. Nichts passiert. Doch, das Handyclip! Ich nun im Internet. Aber das ist noch zu klären! Ich drohe mit Anzeige. Ich puste mich auf. Der Fuzzi lacht. Ich drohe nochmals. Der andere beschwichtigt. "Hey, Alte, reg dich nicht so auf. Passiert schon nix!" Ich drohe hinterher. Ob es was nützt, weiß ich nicht. Ich will in die Schlange. Sie mauert. Sie will mich nicht. Sie will geschlossen bleiben. Aber jetzt habe ich doch mein Geld und könnte sofort bezahlen. Einer hat Mitleid. Er lässt mich rein. Die Frau an der Kasse schüttelt den Kopf. Ich zahle. Ich bin endlich drin.

Und ich bin fertig. Fix und fertig. Ich will ins Wasser. Wegen Überfüllung geschlossen. Ja, das gibt es. Eine unübersehbare Menge Köpfe. Wasser ist nicht zu sehen. Man ahnt es nur an den Bewegungen. Irgendwo muss es sein.

Zeit, sich einen ruhigen Platz auf der Wiese zu suchen. Den gibt es nicht. Auch keinen unruhigen. Es gibt eigentlich gar keinen mehr. Es gibt nur freie Graszipfel für unsichtbare Fußabdrücke. Wo soll ich mich denn ausbreiten? Also minimal. So für eine Handtuchkörperlänge. Geht nicht. Ich brauche einen Trick. Ich muss schauen, wo gerade keine Handtuchwächter liegen. Da muss ich Platz schaffen. So vorsichtig, dass es nicht auffällt. Andere Handtücher näher zusammenrücken. Ich hab doch bezahlt. Mein Gott, ist das heiß. Ich will ins Wasser. Ich verdurste. Meine Wasserflasche ist längst leer. Die Schlange am Erfrischungsbüdchen dreifach so lang wie die Schlange am Eingang.

"Hallo?"…. Ich höre eine Stimme. Sie ist ganz weit weg. Sie ruft immer "Hallo!" Ich bin ganz weit weg. Weg von wo? Von mir. Weit weg. "Hallo?" Sie gibt nicht auf. Aber niemand nennt meinen Namen. Weiß der Teufel, wen sie meinen. Mich nicht. Nun schlägt mir jemand sanft ins Gesicht. Was soll das denn! Das ist nicht angenehm. "Hallo, Sie! Trinken Sie!"…. Trinken? Wasser? Ich komme zurück. Ich schlage die Augen auf. "Sie sind kollabiert!"… Ich bin zusammengebrochen? Von was nur? Ich wollte doch nur eine kleine Runde schwimmen….

— 06. August 2013
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