Bildung

Der Deutschen liebstes Schmuddelkind? spekuliert Christa Schyboll

Pisa, sechs, setzen! Oha! Und das beim Volk der Dichter und Denker. Gut, vielleicht stehen wir nicht mehr überall „ungenügend“ da vor den Augen der ganzen Welt. Dennoch ist die Zahl eine Art Wahrheitssynonym für unseren geistigen Abgang - besonders im Hinblick auf unsere lange geistige Tradition.

Verdient haben wir uns das gewiss selbst. Erarbeitet auch. Vor allem durch Verweigerung ausreichender geistiger Arbeit in der richtigen Art und Weise. Immerhin haben wir es mit unserer Bildung aber materiell so weit geschafft, uns per Soziallasten ins Abseits zu manövrieren. Und der Kollaps winkt uns schon fröhlich zu, wenn die Alterspyramide ihrem Höhepunkt zustrebt. Ist das ein wünschenswertes Ergebnis für ein ehedem kluges Volk? Die ganze Welt findet es geil, an unserem finanziellen Status sozial irgendwie teilzuhaben. Ist ja auch schön! Und letztlich konnten wir es nur erreichen, weil wir ehedem einmal ziemlich clevere und gebildete Menschen waren.

Waren? Nun ja, manche sind es heute noch. Die Zahl jedoch verdünnt sich mit den Jahrzehnten enorm. Was nun Bildung ist, wäre zunächst zu untersuchen. Vielleicht kommen wir dann auch darauf, was es nicht ist und warum kaum ein Abiturient die Mulde einem richtigen Bundesland zuzuordnen wüsste oder Schiller vielleicht in der Realschule doch eher mit dem Hamburger Fischmarkt in Verbindung gebracht wird. Wenn überhaupt! Aber das hätte ja noch Wahrheitsnähe und wäre schon erstaunlich gut.

Lassen wir zwei echte Bildungskenner zu Wort kommen. Pestalozzi meint, der Zweck der Bildung bestehe in einer allgemeinen Emporbildung der inneren Kräfte der Menschennatur zu reiner Menschenweisheit. Fragen Sie heute mal jemanden, was unter inneren Kräften da gemeint sein könnte. Vermutlich werden Ihnen lapidar ein paar Organe benannt. Die Leber zum Beispiel, die kennt fast jeder, wenngleich nicht ihre halbwegs genaue Lage. Oder die Gebildeten verweisen vielleicht schon schlau auf die Interaktion von Hormonen und Blutkreislauf und bestehen darauf, dass das doch auch innere Kräfte seien.

Nehmen wir Kant, der die Auffassung vertritt, Bildung sei ein Weg zur Erlangung von Mündigkeit. Damit meinte er wohl, dass man durch Wissen und Lernen alleine noch keine Bildung erreiche. Lediglich eine Komponente von Bildung sei Lernen. Daten und Fakten lediglich abzurufen, führe ganz sicherlich nicht zur individuellen Handlungskompetenz. Schaut man sich das jährliche Haare raufen deutscher Unternehmer an, die gerne gut gebildete junge Menschen aller Schulabschlüsse für die entsprechenden Berufe weiterbilden möchten, so fragt man sich, was aus all den alten Idealen geworden ist und woran es denn liegt, dass trotz langer Schuljahre heute nicht mehr in ausreichendem Maße Bildung vermittelt werden kann. Sind es die Lehrpläne oder Lehrmethoden im Zusammenhang mit den veränderten Schülergenerationen und ihren ganz anderen Interessen und Ausrichtungen? Passt das einfach nicht zusammen und die Bildungswerkstatt Deutschland hat keine passenden Antworten gefunden, was uns Pisa immer wieder bestätigt?

Wir brauchen neue Lebensbewältigungsstrategien für unser neues Jahrhundert, die viel intelligenter die Ressourcen der Kinder und Jugendlichen fördern, als es in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Dass junge Menschen anders und anderes lernen, ist in Ordnung und natürlich. Aber es darf nicht daran scheitern, dass dabei die notwendigsten Grundlagen nicht mehr vermittelbar sind. Interdisziplinäres Arbeiten, soziale Kompetenz, Kreativität und Entscheidungsfähigkeit stehen mehr denn je auf der Forderungsliste eines modernen Arbeitslebens. Der Typus des Alleinmachers ist out und die Ellenbogenkarriere hat hoffentlich bald ausgedient, so dass jeder seine Chance erhält.

Komplexe Fragen und Probleme, die ernst genommen werden müssen und einen Paradigmenwechsel in Sachen Bildung unumgänglich machen. Die besten Antworten dazu bekommt man vor allen in Situationen der Not. Aber vielleicht sind wir klug genug, sie schon vorher zu finden und jene zu verhindern wissen.

— 04. August 2010
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