Kinderbücher

Freude, Phantasie und Förderung der Kompetenzen. Von Christa Schyboll

Kinder, die Bücher mit Spannung, persönlicher Zuwendung, gemeinsam erlebten Gedanken-Abenteuern und Freude verknüpfen, werden automatisch einen ganz anderen Zugang zum Lesenlernen entwickeln als Kinder, die es gewohnt sind, vom Fernseher zugedröhnt zu werden. Denn der Mensch strebt nach dem, was schön ist und gut tut.

Wohl den Kindern, die reichhaltig mit wunderschönen Kinderbüchern aufwachsen dürfen. Wohl ihrer Entwicklung, die sich auf andere Weise spannend und gesund vollzieht, wenn sie im Geiste einen eigenen Bilderreichtum beim Zuhören von Geschichten oder Lesen von Kinderbüchern entwickeln können und nicht bloß dem Surrogat flimmernder Bilder ausgesetzt sind. Kinder, die nicht rechtzeitig ans Lesen (und vorher ans Zuhören von kleinen Geschichten und schönen Bildern) herangeführt werden und stattdessen „nur“ fernsehen kennen lernen, entgeht dabei nicht nur eine ungeheure Fülle an Lernstoff und spannender Unterhaltung. Auch fehlen keinesfalls nur allein das Sprachtraining oder das Erüben von Lesefähigkeiten. Auch mangelt es nicht nur an der Entwicklung der eigenen Ausdruckskraft in ihrer Vielfältigkeit und den Eigenfarben oder am Training selbst erarbeiteter Sinnzusammenhänge, sondern vor allem wird auch die gesunde Anregung der Phantasie verpasst, die doch später für Problemlösungen auf allen Gebieten des Lebens eine so starke und unbezahlbare Stütze ist.

Kinder, die viele gute Geschichten hören und später lesen, arbeiten ganz natürlich wie auch automatisch an der komplexen Verschaltung ihrer Synapsen, also ihrer neuronaler Verknüpfung von beispielsweise Nervenzellen, deren ausgebildete Komplexität unter anderem später mit darüber entscheidet, wie geschickt der Mensch im Leben seine diffizilen Aufgaben meistert. An dieser Förderung haben wir selbst einen großen Anteil. Und das Lesen guter Bücher ist ein hervorragender!

Kinder, die viel und früh fernsehen, lesen oftmals weniger. Das hängt nicht nur allein mit der anderen Prioritätensetzung des zeitlichen Tagesablaufs zusammen. Denn Fernsehen macht oft auch müde und träge und verführt dazu, die eigenen Talente und Anlagen brach liegen zu lassen. Der Fernseher als Babysitter ist bis heute in vielen Familien bei stressgeplagten oder sonst wie überforderten Eltern Usus. Wüssten sie alle, was ihren Kindern aber stattdessen an wertvoller und preiswerter Förderung zugleich entgeht, würden viele von ihnen die Schwerpunkte früh anders setzen. „Früh“ heißt aber nicht etwa, Kinder zur Unzeit zu einer intellektuellen Lese-Leistung zu trainieren, wenn sie ihre Kräfte noch für den Organ- und Körperaufbau brauchen. Sondern „früh“ meint, zuerst mit dem Vorlesen und dem gemeinsamen Betrachten von Bilderbüchern zu beginnen. Die Freude daran gemeinsam zu erleben und dies langsam und gesund zu steigern, wie es den ganz persönlichen Anforderungen des Kindes entspricht. Kein Kind muss vor dem Schulalter lesen lernen, um nicht später doch eine begeisterte „Leseratte“ zu werden. Aber Kinder, die Bücher mit Spannung, persönlicher Zuwendung, gemeinsam erlebten Gedanken-Abenteuern und Freude verknüpfen, werden automatisch einen ganz anderen Zugang zum Lesenlernen entwickeln als Kinder, die es gewohnt sind, vom Fernseher zugedröhnt zu werden. Natürliche Leselust ist die Folge. Denn der Mensch strebt nach dem, was schön ist und gut tut.

Lesen macht später dann auch deshalb mehr Spaß, weil man es flüssig und leicht beherrscht. Es trägt zudem dazu bei, dass wir die komplexe Welt mit ihren mannigfaltigen Erscheinungen ganz anders anschauen und entdecken lernen, als Menschen, die allzu sehr durch mediales Konsumverhalten bereits früh abgestumpft sind. Selbst Lesen lässt auch Fragen ganz anderer Art in der Seele entstehen, die gern nach Antworten sucht und nicht müde wird, sie zu finden. Vorgezeichnete Bilder, die immerzu bereits im Kleinkindalter fix und fertig vor dem eigenen Auge stehen, lassen einfach keinen Spielraum für eine eigene innere Bild-Entwicklung. Bei jeder Sendung ist man gezwungen, sein Gehirn auf die Abläufe von Sprache und Bild zugleich einzustellen. Da bleibt kein Raum zum Innehalten, Ausruhen, Reflektieren oder zum Erzeugen ganz eigener Phantasien. Kinder in einer Bild vor gestanzten Welt.

Kinderbücher können gefühlte Abenteuer sein. Sie gehören nach wie vor zu den wertvollsten Geschenken, die man einem Kind machen kann. Der Kinderbuchtag am 4. Februar sollte uns mahnen, aber auch froh machen, dass wir mit so vielen schönen Büchern ein so hervorragendes Mittel an der Hand haben, die innewohnenden Talente aus jedem Kind auch herauszulocken. Wir sollten dankbar für jeden Autor sein, der wunderbare Kinderbücher verfasst, die doch viel mehr als nur eine phantastische Unterhaltung sind. Sie fördern Kunst, Intelligenz, Ästhetik, Urteilskraft und innere Schönheit in den Kindern. Sie fördern die Klarheit und die Phantasie. Kinderbücher sind stille Pädagogen, die Wunderbares an unseren Kindern zu leisten vermögen. Und somit sind Kinderbücher ein vortreffliches Rüstzeug für ein eigenes reiches und erfülltes Leben.

— 09. August 2013
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