Kopfhirn und Bauchhirn

Über Gedanken und Gefühle. Von Christa Schyboll

Angst, Spannung, Erregung, Aufregung und Bedrohungsgefühle, aber auch positive-prickelnde Angst-Empfindungen, wie die berühmten Schmetterlinge, verursachen oft ein unangenehmes Grummeln im Bauch - lange bevor unser Gehirn entsprechende Signale sendet. Warum eigentlich?

Wer kennt es nicht, dieses unangenehme Grummeln im Bauch, wenn Angst oder Ärger droht. Man denke beispielsweise an einen nächtlichen Alleingang durch eine unsichere Gegend mit spärlicher Beleuchtung, dann plötzliche Schritte, die näher und näher kommen… Die Phantasie läuft auf Hochtouren. Das Gefühl von Bedrohung kann sich in Panik steigern. Und oft ist es unser Bauch, der uns als erstes Organ diese Bedrohung signalisiert. Oder eine Prüfungssituation in Schule oder Beruf. Großes Publikum; man selbst in Unsicherheit und Zweifel über das eigene Können und dann, bevor der Angstschweiß ausbricht, dieses flaue elende Gefühl im Magen.

Der eine Mensch mag dann zu leichten Krämpfen neigen, einem anderen droht Montezuma mit Ungemach oder auch gleich eine heftige Übelkeit. An all dem scheint der Kopf wenig beteiligt, ja quasi manchmal sogar wie ausgeschaltet zu wirken.

Bei solchen Situationen haben wir es mit einer vorübergehenden Dominanz des Enterischen Nervensystems zu tun, das man umgangssprachlich auch Bauchhirn nennt. Es handelt sich um ein erst vor wenigen Jahrzehnten entdecktes komplexes Geflecht aus Nervenzellen in unserem Bauchraum – genauer, im Gastrointestiltrakt. Die lokalisierte Zahl der Neuronen entspricht in etwa der des Rückenmarks.

Dieses dumpfe, warnende Bauchhirn zeigt seit Menschengedenken uns allen zwar immer wieder sein Vorhandensein, aber man glaubte doch noch bis vor kurzem, dass letztlich allein das Kopfhirn all diese Ergebnisse alleine steuert, die sich in Bezug auf Angst, Spannung, Erregung, Aufregung, Bedrohungsgefühle gern deutlich in der Magen- Darmgegend zeigen. Dazu gehören aber durchaus auch positive-prickelnde Angst-Empfindungen, wie die berühmten Schmetterlinge im Bauch, wenn sich frisch Verliebte aufeinander freuen oder sonst eine wunderschöne, nicht alltägliche Überraschung auf uns wartet. Oder wenn wir uns freiwillig und gern in abenteuerliche Situationen in Hobby, Sport oder Freizeit begeben, die wir lieben und die uns dennoch auch ein wenig zu überfordern drohen. Man denke an die Stunt-Aktivitäten viele Menschen und befrage sie einmal nach ihren Reaktionen im Bauch.

Nun ist man dank neuester Forschungen des ETH Zürich wieder ein Stück schlauer. Die ETH Zürich ist eine der weltweit führenden technisch-naturwissenschaftlichen Hochschulen. Professor Wolfgang Langhans und Urs Meyer bestätigen mit ihrem Forscherteam in der Fachzeitschrift "Journal of Neuroscience" (Mai 2014): Das Gehirn kontrolliert nicht nur die Vorgänge in der Bauchhöhle, sondern der Bauch sendet auch Signale zurück ans Gehirn.“ Entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Vagusnerv zu. Er ist verantwortlich für die Signale in beiden Richtungen über afferente Nervenstränge.

Wenn das Herz in die Hose rutscht

Laborversuche mit Ratten anlässlich dieser neuen Forschungen zeigten, dass bei einer Kappung dieser Nervenstränge unser Kopfhirn beispielsweise keine Nachrichten mehr vom Bauchhirn erhielt – umgekehrt aber das Kopfhirn die inneren Organe durchaus weiter zu steuern wusste. Dennoch wurden trotz der Kappung die Tiere nicht völlig furchtlos und wurden zudem dann auch einem weiteren Konditionierungsprogramm unterzogen. Die Einzelheiten der Studie sprengen an dieser Stelle den Rahmen des Artikels, sind aber im Journal of Neuroscience nachzulesen.

Interessant an diesen Studien sind unsere eigenen menschlichen Erfahrungen mit der Angst oder der Anspannung, wenn uns in prekären Situationen das "Herz in den Bauch (oder Hose) rutscht", wie der Volksmund zu sagen pflegt. Für die Medizin bedeuten diese Nachweise wichtige Impulse beispielsweise bei einer effektiven Behandlung des Post-Traumatischen Stresssyndrom (PTSD). Nach Auskunft der Forscher könnte "Die Stimulation des Vagusnervs Patienten mit PTSD dabei helfen, die auslösenden Reize wieder mit etwas Neutralem zu assoziieren." Auch Epilepsie oder bei bestimmten Indikationen auch bei Depressionen könnten diese Ergebnisse zu neuartigen Therapien führen.

Man weiß, dass es sowohl angeborene Ängste bei Menschen gibt, wie aber auch welche, die erst durch Erlebnisse und Prägungen entstanden sind. Beides ist unterschiedlich zu behandeln, da verschiedene Signalsysteme im Gehirn berührt sind Hier könnte nach den neuen Forschungsergebnissen über die Funktionsweise des Bauchhirns ebenfalls eine andere Behandlungsweise zu entscheidenden neuen Ansätzen führen, wenn man die Interaktion von beiden komplexen Nervengeflechten noch besser verstehen lernt. Verhaltensmuster könnten verändert werden, die man bisher allein dem Kopfhirn zuordnete und wo aber der "Bauch" ein ganz entscheidendes Wörtchen mitzureden hat, wenn es um das konkrete Verhalten in einer prekären Situation geht. Wie oft erleben wir eine Gedankenlähmung, die uns unfähig zum reagieren macht, während aber unsere Leibesmitte umso heftiger zu reagieren bereit ist.. Und gegen die Kenntnis über eine noch genauere Zwiesprache zwischen Hirn und Bauch wird sicher keiner Einwände erheben, wenn man diese zum Wohle des Menschen weiter lüftet.

— 25. November 2015
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