Handy

Bin ich wichtig? – hinterfragt Christa Schyboll

Das Handy ist so etwas wie der unverzichtbare Nagel im Trümmerbruch eines Fußes. Zieht man einen solchen Nagel zur Unzeit raus, bricht alles zusammen. Ähnliche Zusammenbrüche hätten eine Reihe von Menschen zu befürchten, nähme man ihnen ihr Handy weg. Nicht für wenige Stunden, sondern für Wochen, gar Monate.

Es käme einer Amputation gleich. So manch ein Mensch würde vermutlich ernsthaft lieber real einen Finger opfern als die Verpflichtung auf sich zu nehmen, alternativ den Rest des Lebens ohne Handy verbringen zu müssen.

Das Handy ist keineswegs nur ein Kommunikationsmittel oder ein Werkzeug der Information. Es ist zu einem Körperteil geworden, der mehr als nur physisch ist. Er ist sozusagen ins Gesamtsystem einverleibt. Das meint vor allem auch die seelischen und geistigen Aspekte des Menschen. Der Geist ist mit seinen Gedanken in einem ständigen Fokus auf dieses brummende Etwas, dessen Töne durch Vibrationen, Bewegung und Licht ja das Lebendige quasi schon ahnen lassen. Die Seele, hier als Befindlichkeit unserer Gefühle gemeint, jibbert danach, gerufen und gebraucht zu werden. Der Geist möchte befragt sein und auf das antworten, was die Welt so an ihn heranträgt. Und sei es die Beantwortung der gewichtigen Frage, ob er heute seine braunen Cowboystiefel trage.

Klingelt das Ding, so weiß die Persönlichkeit: Jemand will was von mir! Der, der eben anklingelt. Es ist wichtig genug, dafür Gebühren zu zahlen – oder im Falle von Flatrate eben doch Zeit zu opfern, weil man eben gebraucht wird und damit auch wichtig ist. Man wird informiert oder befragt. Man ist wer! Klingelt es oft, ist man natürlich noch mehr. Klingelt es ständig, so ist man vermutlich schon viele. Auch wenn man noch in einem einzigen Körper steckt. Handys jedoch hat man nicht selten schon mehrere und ist mit seinen multiplen Anteilen eben der drögen singularen Physis bereits voraus. Von besonderer Qualität dabei ist, wenn es in der Öffentlichkeit oder innerhalb einer größeren Menschenmenge möglichst häufig klingelt.

Klingelt es nicht – ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Sicherheitshalber geht man Nerven schonend zunächst von einem technischen Defekt aus. Sei es Satellitenmurks, weil das Erdmagnetfeld schon wieder zu sehr schwankt oder es ist der Billig-Anbieter, der da wieder Ärger macht. Ist das gecheckt und es klingelt immer noch nicht, wird die Sache sehr ernst.

Hier helfen nur noch zwei Strategien: Entweder man tätigt nun alternativ viele Telefonate an diejenigen, die eigentlich hätten anrufen sollen – oder aber man sagt sich, dass man bereits in einer besonderen Sphäre von Bedeutsamkeit weilt. Jene lässt die Menschen doch zu Recht zaudern, gewissenlos jederzeit zum Handy zu greifen. Man selbst ist nur noch für die wirklich schwerwiegenden Probleme und Fragen des Lebens qualifiziert. Bemerkenswerte Persönlichkeiten belästigt man eben nicht primitiv, sondern wartet auf die Qualität eines Problems, um dann den Richtigen zu fragen.

Das Problem bei der zweiten Variante ist nur: ob man es selbst auch dann glauben kann!? Denn: sonst ist es ja kein Trost. Und der soll doch sein!

— 14. Oktober 2010
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