Egoismus

Eine Kunst oder doch eher ein Mangel? fragt Christa Schyboll

Nicht wenige Menschen fühlen sich von Egoisten und ihren unangenehmen Handlungen geradezu umrauscht. Wo immer man hinschaut, trifft man auf jene Ich-Bezogenheit oder Ich-Sucht, die uns äußerst ungehobelt und stillos vorkommt, wenn sie dann zu unseren eigenen Lasten geht.

Wie sehr wir selbst jener Form von so genannter "Eigenliebe" frönen, übersehen wir selbst dabei öfter schon einmal. Denn die negativen Auswirkungen tragen die anderen und rauschen auch unter Umständen an uns selbst vorbei. Eine gewisse und gewollte Betriebsblindheit ist uns dabei nicht unlieb, um egoistisches Handeln ungestört vollziehen zu können.

Egoisten handeln immer zum eigenen Vorteil und nehmen die Nachteile für andere dabei gedankenlos oder auch in vollem Bewusstsein mit in Kauf. Dies kann grobschlächtig vor sich gehen oder mit äußerster Raffinesse, je nach Intelligenz des Anwenders und dem Level seiner Selbstreflexion. Vor oder während des ausgelebten Egoismus meldet sich in aller Regel keine leise Stimme, die warnt und dazu auffordert, sich feinfühlig in die Lage desjenigen zu versetzen, der nun der Leidtragende des herzlosen Verhaltens ist. Diese Instanz schweigt. Ob sie noch nicht des Sprechens fähig ist oder aber durch gewissenlose Gegenargumente lautstark niedergerungen wird, liegt im Einzelfall. Raffgier steht im Vordergrund – wobei es dabei auch um eine Art Habsucht mit geistigen, intellektuellen oder emotionalen Bezügen handeln kann. In dem Maße, wie Rücksichtslosigkeit ausgelebt wird, wird man von den anderen als "unanständig" empfunden. Hat man Pech, so wird diese Unanständigkeit nicht direkt zurückgespiegelt. Pech deshalb, weil damit ein Regulator fehlt, der einem helfen könnte, jene kleine miese und zugleich menschlich normale Schwäche möglichst schnell wieder auszugleichen. Im Gegenteil; nicht selten werden Egoisten in ihrem Tun sogar noch bestärkt von anderen, die diesem rigiden Handeln in positiver Weise Dominanz, Macht, Potenz, Vermögen zuschreiben, sofern sie nicht zu den Geschädigten hören. So darf der Egoist an sich selbst weiter „wachsen“ und sein Spielchen immer kaltblütiger weitertreiben.

Abzugrenzen ist der Egoismus von der Egozentrik. Einem Egozentriker, wie krass er sich verhalten mag, fehlt in der Regel das gesunde kritische Bewusstsein für sich selbst. Er agiert fast immer im Unbewussten - stark, machtvoll und nicht selten vollständig beratungsresistent. Der Egoist jedoch ist sich häufig sehr bewusst darüber, was er tut, warum er es will und was er in Kauf nimmt: Es geht um ihn selbst und seinen Vorteil. Lediglich die Gewissensinstanz ist auf einem zurückgebliebenen Level in Punkte Mitmenschlichkeit, Fairness oder einer Redlichkeit, die um die notwendige Basis von gesunder Gemeinschaft weiß.

Der Preis, den Egoisten für ihr eigenes Verhalten zahlen, kann hoch sein: Echte Daueregoisten werden oftmals weniger echte Freunde haben und auch weniger geliebt werden als die, die im wahrsten Sinne des Wortes auf authentische Weise nun einmal liebens-würdig sind.

Kurzfristig kann Egoismus aber auch harmlos, gesund, ausgleichend sein. Zum Beispiel wenn keine anderen Menschen durch den eigenen Egoismus geschädigt werden und es zudem einer Regeneration der eigenen Seele dient, die eventuell zu viel an andere Mitmenschen zuvor gegeben und zu wenig auf sich selbst geachtet hat. Dies jedoch ist nicht die klassische Form von Egoismus im ursprünglichen Sinne, sondern eine ausgleichende Variante eines ansonsten gebefreudigen und auch für andere Menschen einsatzfähigen Zeitgenossen, dessen Pendel endlich einmal eine gesunde Gegenbewegung braucht.

— 25. Januar 2012
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