Ziele und Wege

Gedanken über alternative Möglichkeiten von Christa Schyboll

"Machen Sie sich nur tüchtig Ziele, damit Sie vorankommen im Leben, damit Sie motiviert sind, erfolgreich werden und Ihre Ernte schon früh einfahren können. Den Tüchtigen, die wissen was sie wollen, gehört die Welt. Ziele sind unerlässlich fürs Weiterkommen".

Ratschläge dieser Art hört man nur nicht oft, sondern beflügeln häufig die Erfolgreichen zu noch mehr Erfolg. Die expansive Liste immer neuer Millionäre und Milliardäre gibt Auskunft über die Zielorientierten, die alles machen – nur nicht zaudern.

"Seien Sie Weg orientiert. Gehen Sie nur Ihren individuellen Weg mit dem eigenen Tempo, den eigenen Erfahrungen, Talenten und Kräften. Schauen Sie nicht rechts oder links, sondern bleiben Sie auf dem eigenen Weg. Wer Weg orientiert ist, findet sich selbst, was gleichbedeutend mit allem ist, so man den eigenen Kern erreicht. Der Weg ist das Ziel. Und der Weg selbst ist zu gehen“. So wiederum orakelt die Gegenfraktion, die nicht so sehr den äußeren, sondern eher den inneren Erfolg sucht.

Was denn nun? Sollte man auf mehr westlich-erfolgreiche Art Ziel orientiert sein oder doch lieber den östlichen Weg einschlagen, um ein oder kein oder alle Ziele zugleich zu erreichen?

Ein schöner Wirrwarr, der erst einmal zu entlüften ist! Wege können Ziele sein. Es ist eh unerlässlich, zu gehen, um an ein Ziel zu kommen. Nichts schließt sich aus. Jede Form von Einseitigkeit in diesen Dingen behindert letztlich nur, weil sie eine wesentliche Erfahrung ausgrenzt. Warum also sich keine Ziele setzen und dennoch Weg orientiert sein? Man kann beides sinnvoll miteinander verknüpfen und das Innen und Außen der eigenen Entwicklung auf diese Weise mit beidem anreichern. Wie man allerdings dann geht, ist entscheidend.

Menschen, die in ruhiger Gelassenheit ihre äußeren Ziele zu erreichen gedenken, sollten sich bewusst machten, dass mögliche Irr- oder Umwege keine wirklichen sind. Sie sind nur Wege zum Ziel. Irrwege sind Lernwege für das, was man noch nicht kann. Sonst hätte man sich ja nicht geirrt, sondern wäre einer anderen Abbiegung gefolgt, für die man blind oder noch nicht kompetent war. Umwege zum Ziel können dabei besonders reiche Beute an Erlebnissen bringen, die wertvoll sein werden für etwaige schwierige spätere Situationen. Insofern sind auch Umwege letztlich nur Wege. Wer den direkten, schnellen Weg zum Ziel erfolgreich geht, hatte die anderen Erfahrungen ganz offenbar nicht nötig für dieses Ziel. Ob er sie für andere Ziele aber später noch braucht, erweist sich nur an der Wirklichkeit selbst. Und dann kann unter Umstände der Umweggeher zum Überholen des nächsten Zieles ansetzen.

Und was ist mit den Wegen, die ins Nichts führen? Die in Verzweiflung oder Versagen enden? Verelendung, Krankheit oder anderes Übel mit sich bringen? Sind dies auch nur Wege statt Irr- und Umwege? In letzter Konsequenz ganz sicher. Die Frage ist nur, wie tief man diese Konsequenzen für sich selbst zu denken bereit ist. Bleibt man beim Status quo der geschehenen Katastrophe oder Unbill stehen, so würde im Kontext einer engen Betrachtung auch ein Irrweg auch irrsinnig sein. Bleibt man aber nicht bei diesem Gedanken stehen, sondern erkennt, dass man eben auch durch Irren zur Wahrheit kommen kann, so öffnen sich Möglichkeiten mitten im Dunkel. Dieses Licht lässt sich oftmals weiter entfachen und zeigt auf, dass es bis zum letzen Atemzug entweder Alternativen gibt oder aber doch zumindest das Geschenk einer Erkenntnis, für die man vorher leider blind war. Aus der eigenen Blindheit zu erwachen ist ein wichtiges Ziel, auch wenn man zunächst völlig andere Wünsche im blinden Auge hatte.

— 04. Oktober 2011
 Top