Extreme

Gedanken über das Unübertreffliche von Christa Schyboll

Ich habe soeben das Wort „extrem“ gegoogelt. Es brachte mir in 0,1 Sekunden ca. 256 Millionen Einträge. Selbst Google wollte sich da schon nicht mehr auf eine genauere Zahl festlegen. Es ist einfach zuviel des Extremen.

Dann habe ich den Gegentest gemacht und habe „Liebe“ gegoogelt, die ja nun ständig unser Leben tangiert: nur 57 Millionen Einträge… Und zum dritten Test das Wort „Beruf“, das immerhin auf 121 Mio Einträge kam. Weitere interessante Ergebnisse erspare ich mir hier, mach Sie selbst den Test.

Heraus kommt jedenfalls, dass das Wort „extrem“ extrem häufig anzutreffen ist, obschon das Extrem als solches eher selten bei den Menschen auch gehandhabt wird, denn sonst wäre es ja nicht extrem, sondern normal. Oder ist es so, dass das Wort „extrem“ vielleicht deshalb so geschätzt und geliebt wird, weil wir das Extreme zwar ersehnen, aber kaum selbst erleben können? Weil wir zu feige sind, es den Extremsportlern nachzumachen? Zu ungeschickt für lebensgefährliche Stunts? Weil wir selbst die Grenze des Todes noch scheuen und das Wort deshalb um so mehr im Mund führen müssen?

Und überhaupt, warum wurde es denn zu einem "Wortschlager", der sich so gern nun überall wieder findet? Im Sinn wie im Unsinn vor allem: Hauptsache extrem! Wer extrem ist, denkt, handelt, ist erst ein echtes Individuum voller Schrot und Korn? Nur der Extreme ist der Ausnahmemensch. Aber der Normalo möchte auch ein wenig von diesem Glanz einmal abhaben. Also muss man – wenn schon nicht die Tat – so doch wenigstens das Wort in den eigenen Sprachschatz integrieren und sich den Anstrich eines Extremen geben, wenn’s zum echten Extremisten nicht reicht.

Sammeln wir doch einmal ein paar jener Außerordentlichen und Unübertrefflichen auf der Plattform der Künste, wie wir sie in googleland finden: Extremkletterer, Extremschwimmer, politische Extrem-isten, Extrem Bodybuildung, Handarbeiten extrem (ja, sie lesen richtig!), Tour-extrem, Alb-extrem (hier geht’s ums Radfahren), Holzfäller extrem, extrem schön (eine Fernsehsendung, die das Unschöne zeigt, es aber nicht im Titel sagen will), Extrem-Nagelstudio, Fahrschule extrem… usw.

Ich nehme an, Sie sind extrem beeindruckt darüber, was alles unter diesem Adjektiv firmiert und sich wichtig macht, nur um in das Pantheon des Unübertrefflichen zu gelangen.

Und was ist, wenn man all dies mitgemacht hat? Ist man dann extrem reich an Erfahrung oder extrem arm an Geld … oder einfach nur extrem gelangweilt am inflationären Extrem?

— 18. Oktober 2011
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