Volksverbohlung

Wenn Fernsehprogramme den Restverstand aus dem Hirn flimmern. Von Christa Schyboll

Es ist wohl leicht zu erraten, was unter dem Begriff "Volksverbohlung" zu verstehen ist. Eben jene zunehmende erfolgreiche Verdummung der Bevölkerung, die vor allem durch anspruchslose TV-Unterhaltung enorm beschleunigt wird.

Vor allem Casting-Sendungen, Schrott-Comedys der untersten Sorte, Spielshow-Abzocke oder auch in unerträglich seichten Talk-Blablas und Messie-Shows wird ein geistiger Abfall produziert, der einerseits jegliche Form menschlicher Schwäche zur Vorführung für ein hämisches Massenpublikum missbraucht und andererseits jeden durchschnittlichen Intelligenzquotienten beleidigt. Und all das möglichst Tränendrüsen reif, aus der untersten Kiste primitiver Reaktionen hervorgezaubert, angestachelt, fertig machend und emotional offenbar immer wieder wirkungsstark genug, dass Menschen sich das anschauen. All das gibt augenscheinlich genug Quote, um diesen Ausschuss immer weiter und weiter zu produzieren.

Allein nun Dieter Bohlen als Synonym für mentalen und emotionalen Schrott aller Art im Fernsehen heranzuziehen, ist zuviel der Ehre, die doch eigentlich mit einer Reihe von Intendanten-Namen der Öffentlich-Rechtlichen Fernsehanstalten oder der Chefs der Privaten Fernsehanstalten geteilt gehört.

Überhaupt sind die Programm-Macher wohl all jenen Menschen schon lange ein Dorn im Auge, die sich nach Bildung und Anspruch sehnen. Sie werden, falls man ihnen überhaupt etwas Futter gibt, gern in die Nacht abgeschoben, weil sie einfach zu wenige sind. Sie setzen sich mit ihrem Qualitätswunsch partout nicht gegen die Quantität der Flachheit durch. Und den Verantwortlichen fehlt es an genügend Phantasie, um es für möglich zu erachten, dass mit einem intelligenteren, anspruchsvolleren und kennerhaftem Niveau sich vielleicht ja auch der derzeit noch weniger interessierte Teil der Fernsehkonsumenten nach oben strecken könnte. Ist es wirklich so undenkbar, dass Jugendliche und Erwachsene auf Qualität ansprechen? Oder würde dann das Programm zu teuer, weil Kenner vielleicht ein wenig mehr kosten als auftrittsgeile Typen mit ihrem schwadronierenden Kleingeist?! Nun ja, so mancher von ihnen hat ja auch Karriere gemacht und darf nun auch für viel mehr Geld die alte Niveaulosigkeit durchaus beibehalten, ohne abgestraft zu werden.

Ich frage mich öfter, womit wir solche Programme verdient haben? Was haben wir nur angestellt? Dann kommt mir eine neue Idee und meine Antwort fällt erstaunlich aus: Es ist nur zu unserem Schutz! Es ist zum Schutz des Restbestandes jener lesenden Bevölkerung, die von ihrer Regierung heimlich bereits unter Artenschutz gestellt wurde. Und nur wenn man an den Schrottprogrammen der Fernsehsender tapfer festhält, ist doch garantiert, dass wenigstens dieser kleine Rest der Abstinenzler auch wirklich „trocken“ bleibt und stattdessen etwas schrecklich altmodisches macht: er liest! … Stattdessen!

So ist also die beständige und sehr erfolgreiche Volksverbohlung, die zum Synonym einer ganzen Zeitepoche wurde, letztlich ein Akt zur Rettung des Denkens, um nicht auch noch dem letzten treuen Lese-Mohikaner den Restverstand aus dem Hirn zu flimmern.

— 28. April 2013
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