Freiheit

Im Fadenkreuz des Entscheidungszwangs?, fragt Christa Schyboll

Wann immer hinter der freien Wahl ein Zwang, eine Angst, Prägung, eine Erwartungshaltung, eine Ungeduld, eine Pflicht oder eine Bevormundung steht, wird die Freiheit zur Pseudofreiheit, weil unser Ja oder Nein vom inneren Zensur manipuliert ist. Gibt es die Freiheit in diesem Sinne überhaupt?

Menschen lieben es in der Regel, freie Entscheidungen treffen zu dürfen. Und dennoch wird das Ja oder Nein oftmals zu einer inneren Not. Mal betrifft es das eigene Gewissen, mal die Bequemlichkeit, mal den Geldbeutel oder den Partner. Je nach Situation, die eine Entscheidung von uns verlangt. Dann ereignen sich manchmal Momente, in denen wir uns leise wünschen, vom Joch der Freiheit zur Entscheidung befreit zu werden. Wie schön, wenn doch hin und wieder ein anderer Mensch für uns entscheiden könnte! Und er soll, bitteschön, auch die Folgen dann verantworten, die aus einem Ja oder Nein entstehen. Das mit der Freiheit ist also nicht immer gewünscht oder schön, obschon wir es anstreben.

Besonders unangenehm sind jene Situationen, wo aus der Freiheit eine regelrechte Dummheit werden kann. Sie sind gar nicht so selten, wenngleich sie oft verschleiert werden. Denn mit einem Ja oder Nein treffen wir ja nicht nur eine Entscheidung, sondern können mit dieser auch voll daneben liegen. Wir irren uns. Irrtümer sind menschlich und wir sind ja nun einmal Menschen. Also ist es doch eigentlich nicht schlimm? Eben doch. Nämlich weil wir ja die "Besseren" sein wollen, also die, die es besser wissen (müssten). Die, die nicht ständig ins Fettnäpfchen tapsen oder die, die sich eben nicht blamieren wollen. Also Schwamm über den Irrtum, den wir in freier Wahl getroffen haben? Der Schwamm ist nicht nass genug. Wir verschmieren die Sache mit unserem Schamgefühl. Es tut nicht gut, sich zu irren, wenn es jeder mitbekommt. Ein Ja oder ein Nein sollte stimmig sein.

Hatten wir denn ernsthaft eine freie Wahl? Nein. Wir waren ja gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Mal war es die Situation selbst, mal ein anderer Mensch, dem wir eine Zu- oder Absage geben mussten. Also sind wir zur Freiheit gezwungen worden? Schließt sich das nicht aus? Ist das nicht das Oberabsurde schlechthin? Der Zwang zur Freiheit? Was wäre denn passiert, wenn wir uns nicht entschieden hätten? Vielleicht wäre dann ein Mensch umgekommen oder die Milch wäre verbrannt? Nein, ich mache den Herd nicht aus, auch wenn die Milch bereits überkocht? Nur weil ich ja auch nein sagen darf und mich endlich mal frei entscheiden möchte? Irgendetwas passiert ja immer, wenn man zwischen Ja und Nein zerrissen und unentschlossen rumdümpelt und sich weigert, eines davon nun zu favorisieren, nur weil unsere Vernunft schon wieder Zwang ausübt. Betrachtet man das mit der freien Wahl zwischen Ja und Nein also genauer, so mag zwar die Wahl ja vorhanden sein. Aber ist es eine wirklich freie Wahl? Oder wird sie erst dann frei, wenn wir die Konsequenzen aus den negativen Folgen voll verantworten? Juristisch, ethisch, zwischenmenschlich, zeitlich, organisatorisch und nervlich zugleich? Ein Liter angebrannte Milch auf einem glühenden Ceranfeld kann als Beispiel durchaus dafür herhalten, die Freiheitsfrage aus philosophischem Standpunkt heraus auch sehr persönlich zu nehmen.

Die Sache einer freien Wahl zwischen Ja und Nein in einer x-beliebigen Situation kann eine Unzahl von Varianten haben, die sie einengt oder öffnet, grob manipuliert oder subtil beeinflusst. Wann immer hinter der freien Wahl ein Zwang, eine Angst, Prägung, eine Erwartungshaltung, eine Ungeduld, eine Pflicht oder eine Bevormundung steht, wird die Freiheit zur Pseudofreiheit, weil unser Ja oder Nein vom inneren Zensur manipuliert ist. Gibt es die Freiheit in diesem Sinne überhaupt? Ja. Aber auch Nein. Je nach dem. Auch je nach individuellem Zensor. Diesem Untier in uns. Das uns rettet. Manchmal sogar unter Zwang. Und das alles der Freiheit zuliebe.

— 04. März 2013
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