Freundschaft: Ein Zentralkonflikt und seine Chancen

Gedanken über Freundschaft von Christa Schyboll

Hat nicht jeder von Ihnen ein paar enge und ein paar lockere Freundschaften? Die, die enge Freundschaften pflegen, wissen um den Wert der besonderen Intimität, die sich auf gegenseitige Zuverlässigkeit in Not wie auch auf Zuspruch oder Trost verlassen kann, auf tatkräftige Hilfe und tiefsinnige Gespräche oder auch einfach schönes, entspanntes gemeinsames Tun in Sport, Freizeit, Kunst etc..

Kurzum: Man hat einen Wert von dieser Freundschaft, den man gegenseitig schätzt, den man lieb gewinnt, der einem unverzichtbar erscheinen kann - oft auch noch eine zusätzliche und gesunde Alternative zur Partnerschaft ist (beides kann auch natürlich gemeinsam gehen und die gleiche Person betreffen).

Je intimer die Freundschaft ist, je öfter man die Nähe miteinander genießt, um so eher besteht die Gefahr, dass sich etwas einschleicht, was irgendwann abträglich sein kann. Es kann sich ein gewisses Misstrauen einschleichen, Erwartungen werden gegenseitig nicht mehr ganz erfüllt, Neideffekte können auftreten oder auch schwierige Buhlschaften in Beruf oder im Privatleben. Das, was im ersten Absatz oben noch als so himmlisches Geschenk und glückliche Fügung begrüßt wurde, ist ab einem gewissen Zeitpunkt gestört. Mehr oder minder stark – häufig mit Phasen von kleineren Grundstörungen, die zunächst noch nicht so ganz ernst genommen werden. (Scheinbar) Plötzlich schlägt’s um.

Die Wachsamen unter den Freunden haben es kommen sehen und können es sogar benennen oder konkret festmachen – oder haben zumindest die äußeren Tatbestände schnell griffbereit, zu welcher Gelegenheit sich die Wende andeutete, die eigentlich keiner wollte. Die mehr traumhaft Lebenden, auf Glück und Zuversicht in der Freundschaft blind Vertrauenden, merken vielleicht zwar latent ein wenig eine Veränderung, aber checken nicht wirklich, was warum wie abgeht, wer „schuld“ ist, was dahinter steckt und gerade abläuft, das die gewohnte und liebgewordene Spur des Alten und Gewohnten verlassen hat. Manchmal helfen einfach Aussprachen. Manchmal nicht.

Um letzteres geht es als Fragestellung. Was ist mit gewachsenen Freundschaften, die in einen Strudel von Veränderungen kommen und so mitgerissen werden, dass das offene und klare Wort gar nicht mehr wirklich verstanden wird? Es wird gekontert, Vorwürfe des einen werden von den Vorwürfen des anderen übertroffen oder unterminiert oder abgewehrt. Die Ebene der Sachlichkeit wird mehr und mehr verlassen, weil nun der Schmerz einfällt wie ein Schwarm wild gewordener Hummeln… und mit dem Schmerz der Hass, der Zorn, die Wut, die endlose Enttäuschung, wie man sich denn so hat all die Jahre täuschen können. Das Ende der Täuschung, das doch eigentlich ein gemeinsames Fest wert wäre, weil man ihr jetzt nicht mehr unterliegt und weil es ja eine neue, tiefe Erkenntnis über den anderen jeweils bringt, wird aber eben nicht gefeiert, sondern wird wegen des vorhandenen Schmerzes gründlich missverstanden. So kann man sich dann natürlich dem Schmerz noch nicht einmal in voller Offenheit stellen, weil man noch von falschen Voraussetzungen ausgeht. Dann wird das, was als wahres Gefühl authentisch aufflammte, herunter geköchelt, weil es zuviel Mutkräfte benötigt hätte, einmal voll ehrlich zu sein.

Fragen Sie sich doch mal selbst: Was machen Sie in Konflikten mit wirklich guten, alten, treuen Freunden, mit denen man durchaus oft durch dick und dünn gegangen ist, aber nun plötzlich eine unerwartet schwere Zäsur einbricht? Was machen sie, wenn die bisher gute Kommunikation nicht mehr klappt? … Wenn über das Wort allein kein Herz mehr zu öffnen ist, weil die Argumente schlapp geworden sind in den Augen des anderen! Welche Geschütze von Liebe oder Stärke. Phantasie oder Mut fahren Sie auf, wenn es längst nicht mehr um eine kleine Entschuldigung geht, die mit ein paar Blümchen oder einer Theaterkarte mal eben gutzumachen ist, sondern es sich um Elementares im gegenseitigen Verstehen handelt? Welche Chancen könnten im Schmerz stecken für das Gemeinsame, aber auch für die eigene Individualität?

Die dazu selbst gefundenen Antworten werden Sie vielleicht verblüffen – und Ihnen zugleich auch neue Chancen zeigen.

— 14. November 2009
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