Gedanken

Haben Sie auch hin und wieder fremde Nester im Kopf?, fragt Christa Schyboll

Vermutlich kennen Sie das: Ein Gedanke ist plötzlich da. Wusch! Wie vom Himmel geflogen. Sie schälen gerade Zwiebel oder wechseln einen Autoreifen. Dem Gedanken ist es egal. Er hat weder mit Zwiebeln noch mit Autoreifen zu tun, sondern handelt von Birgit.

Birgit stört Sie. Sie haben sich mächtig über sie geärgert. Aber sie wurden den Ärger nie richtig los. Zu viele Umstände sprachen dagegen. Auch die, dass sie den Ärger zwar fühlten, aber nicht so richtig begründen konnten. Das war besonders bitter. Wer glaubt schon einem Stammelnden! Unabhängig davon, ob er im Recht ist, dieses Recht aber weder beweisen noch einklagen kann. Jetzt turnt Birgit durch die Synapsen.

Dabei erfordert das Schälen von Zwiebeln gerade die volle Aufmerksamkeit. Die Augen tränen. Nicht wegen Birgit. Sie verschleiern den Blick auf das abrutschende Messer. Ratsch! Blut. Birgit. Ärger. Nicht losgeworden. Mist.

Oder beim Reifenwechsel. Der Hebel ist angesetzt. Die Kraft ist da. Birgit turnt weiter. Schlägt Saltos und biegt sich wie eine Schlange. Ratsch! Der Hebel rutscht ab. Schlägt gegen das Knie. Mit der Wucht, die der Hebelwirkung zugedacht war. Es brennt höllisch. Birgit turnt weiter. Ärger steigt hoch. Verdammte Birgit.

Birgit hat sich mittlerweile ein Nest gebaut. Ein Gedankennest. Da hinein hat sie Eier gelegt. Obschon sie kein Huhn ist, sondern eine ärgerliche Person. Diese Gedankeneier werden nun bebrütet nach all diesem Hin- und Herhangeln im Kopf. Daraus entstehen Ideenkuckucke. Sie schreien den ganzen Tag und wollen besänftigt werden. Nicht von Birgit, der Fremdlegerin ohne Bebrütungserlaubnis. Man selbst hat mit diesen Bastarden nun zu leben. Denn Birgit flog bereits in anderes Geäst. Man hat dafür Sorge zu tragen, dass sie ihre blöden Schnäbel halten. Aufhören mit dem infernalischen Gekreische. Man hat sie zu füttern mit Gegengedanken, die wie feine kleine Würmer munden. Das fordert Kraft und Aufmerksamkeit. Diese hat man aber weder im rechten Maß beim Schneiden der Zwiebeln, noch beim Wechseln von Autoreifen. Auch in der Meditation hat man sie nicht, da man mit Birgit im Kopf weder leer noch rein werden kann. Man kann nur wüten.

Birgit lacht derweil. Sie ärgert längst andere Menschen mit ihrer Art. Sie setzt überall ihre Eier hin und ist zur Untermieterin auf Zeit geworden. Rechts- wie linksseitig im Hirn. Sie besetzt alles. Die Zonen des Zornes wie die der klaren Gedanken. Einzig um sie zu trüben. Birgit ist ein Luder. Und der eigene Kopf ein schreckliches Gebäum, in dem viele Nester noch ihren Platz finden können.

— 02. November 2011
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