Wie du mir, so ich dir

Fatale Folgen beim Gleichgewicht des Schreckens, von Christa Schyboll

Alles soll im Lot sein. So mögen wir das Leben. Gerecht, fair und auf Gegenseitigkeit vertrauend, damit Waage oder Lot im rechten Zentrum oder einer harmonischen Mitte sind. So die idealistischen Vorstellungen und Hoffnungen wohl vieler Menschen, die der gemeine Alltag ständig Lügen straft.

Nichts oder kaum etwas ist auf Dauer oder beständig im Lot. Wenn überhaupt, so müssen wir nicht selten hart und nervenaufreibend immer wieder neu darum ringen, damit ein Ereignis, eine Begegnung oder ein Geschehen wieder ins Lot kommen. Der Überhang kann so steil sein, dass er mentale Übelkeit erzeugt. Je nach Lage eventuell sogar physische, aus lauter Ärger, Frust oder seelischem Schmerz.

Wie du mir, so ich dir? – Ist dann alles im Lot? Alles ist dann im Rechten? Oder doch mehr in der Rache, in der Vergeltung? Ich denke, beides stimmt. Verhält man sich „gleichgewichtig“, so ist dieses Ausgleichsprinzip, sich genauso wie der andere zu verhalten, eine oftmals angenehme Unannehmlichkeit. Angenehm, weil man auf Augenhöhe agiert oder re-agiert und beide nach Kalkül mit dem gleichen Glück oder Schaden zu rechnen haben. Ob Missgunst, Abrechnung, Revanche, Habgier oder andere nette Tugenden dabei das Heer notwendiger eigener Maßnahmen anführen, mag dahin gestellt sein. Sicher aber ist eines: Man handelt innerhalb dieses Prinzips unfrei. Denn man nimmt den anderen und sein Verhalten oder Tun zum Maßstab des eigenen Verhaltens, statt einen eigenen Grundsatz zu entwickeln, den man bewusst verantwortet. Der andere bestimmt unseren Grundsatz durch seine Vorgabe im Handeln und durch seine eigene Sicht der Dinge. Wir halten dann oftmals mit, um nicht ins Abseits zu geraten, das nicht unser gewünschter Ort ist. Wir wollen mit oben auf der Welle surfen, halten deshalb auf Teufel komm raus mit und glauben damit die Dinge im Lot. Eine fast primitive Formel führt dabei Regie und flüstert uns ein: Bist du geizig – bin ich es auch. Bist du großzügig, kann ich es ebenfalls. Schenkst du mir Schrott, revanchiere ich mich mit Plunder! Darauf kannst du zählen!

Und so läuft das Spiel über Jahre und Jahrzehnte. Eine gewisse Sturheit, die in die Starre geriet und sich oftmals nicht mehr einer individuellen Biegsamkeit beugen kann. Der andere dominiert und majorisiert – und viele folgen willentlich willenlos, ohne den eigenen wirklichen Willen je hinterfragt, geschweige denn zur Reife entwickelt zu haben.

Dabei kann es so schön sein, wenn einer es wagt, diese Einseitigkeit im scheinbaren Gleichgewicht des Schreckens zu sprengen. Zum Beispiel mit einem ungeplanten Verhalten, das Staunen auslöst und die alten durchgetretenen Pfade durch neue Wege ersetzt. Unkalkulierbar werden, kann Freundschaften oder Partnerschaften durchaus beleben, so es sich um eine konstruktive Richtung handelt. Warum nicht mit dem Prinzip der Verblüffung arbeiten und zeigen, dass man sich nicht nur nicht mehr majorisieren lässt, sondern auf freie Weise z.B. eine Großmütigkeit, Freundlichkeit, Gastlichkeit an den Tag legt, der diesen Tag zum strahlenden Aufbruch in eine neue Zukunft macht.

— 01. September 2010
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