Geschenke

Kompromisslose Schärfe im V-Schliff kontra Zeit? fragt Christa Schyboll

An diesem Thema dürfte sich die Leserschaft schnell in Splittergruppen spalten. Die einen schenken gern, die anderen hassen es. Die einen wollen beschenkt werden, die anderen empfinden es als lästige Verpflichtung, die ihnen dann wieder Stress macht.

Die Industrie lässt kein raffiniertes Bild aus und keine entsprechende klangvolle Untermalung, um untersinnig an unsere Empfindungen zu appellieren, Wünsche nicht nur zu erzeugen, sondern sie auch zu befriedigen. Mit wessen Geld auch immer. Es muss ja nicht das eigene sein.

Und Gelegenheiten gibt es genug. Wer glaubt, es heute nur mit Geburtstagen, Ostern oder Weihnachten aufnehmen zu müssen, vergisst wohl die vielen selbst kreierten Sondertermine, die doch des Schenkens weiter würdig sind. Selbst Scheidungen werden hin und wieder gefeiert – und man beschenkt sich, so man sich noch nicht abgemurkst hat, mit einem schönen Essen. Der Ex mochte es schon immer und die Ex ja auch. Im Falle eines Festmenüs ist dann höchstens der Stress mit dem derzeitigen Partner noch abzuwägen.

Stressiger ist es jedoch, Menschen beschenken zu sollen und müssen, die alles Sinnige und Unsinnige bereits in solchen Massen besitzen, dass man bei ihnen heimlich angemietete Lagerräume vermutet. Ob sie mit Flacons, Bildern, chinesischen Vasen aus der Ming-Dynastie oder gefrorenem Grönlandgletscherschnee gefüllt sind oder nicht, solche Besitzer haben eines gemeinsam: nämlich zuviel von allem!

Was also tun mit solch einer Spezies, wenn man dennoch eine Verpflichtung fühlt? Mut haben, den materiellen Cut zu machen. Ein netter Brief mit den Worten: Lieber Otto, DU hast zu viel! Von allem und sowieso..! Ich helfe Dir, leichter zu werden… Ich schenke Dir ZEIT…. Zeit, die wir gemeinsam verbringen darüber nachzudenken, was du alles nicht mehr brauchst, und womit du Gutes tun kannst..!

Ist das Geschenk aber eine Nummer zu groß, weil der zu Beschenkende nämlich für ein solches Ansinnen noch zu klein ist, geht es auch so: Ich schenke Dir ZEIT… ZEIT zum gemeinsamen Arbeiten in Deinem Garten, zur Pflege des Grabes Deiner Mutter – oder einfach nur zum Relaxen in einer Umgebung, die Dir gemäß ist…

Zeitgutscheine sind seltene Perlen, wenn man sie außerhalb der üblichen Stunden schenkt. Üblich meint: die üblichen Partys, der regelmäßige Bowlingabend oder das schnelle gemeinsame Joggen zwischen den atemlos stressigen Verpflichtungen…

Manchmal ist Zeit zum gemeinsamen Lachen oder Weinen eben wertvoller, als ein Chroma Haiku Messer aus Japan, kompromisslos mit Schärfe auf V-Schliff getrimmt.

— 14. Oktober 2010
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