Klatschsucht

Wenn die natürliche Neugierde schleichend entartet. Von Christa Schyboll

Klatsch ist ein Ritual, das kulturübergreifend unser menschliches Leben im Alltag begleitet. Böser Klatsch erfreut sich dabei einer besonderen Beliebtheit und wird bei so manchen Menschen zum mentalen Schlachtfest, das die eigene Seele wiegt. Warum soll es schließlich nicht auch anderen Menschen hin und wieder einmal schlecht gehen!?

Hand aufs Herz! Wer hört nicht gern einmal ein paar Neuigkeiten über Promis, Kollegen, Nachbarn oder aus dem Freundeskreis? Auch wenn man selbst ein spannendes Leben führt und nicht am Tropf der sprudelnden Lebensadern anderer Mitmenschen hängt, ist hin und wieder eine Neuigkeit doch eine interessante Sache. Es gehört ganz offenbar zu den menschlichen Grundbedürfnissen, sich auch über anderer Leute Leben zu unterhalten. Das ist ein Teil unseres sozialen und gesunden Miteinanders. Es lehrt uns, es formt uns und zeigt uns so manches auf, dass wir ins eigene Leben entweder integrieren lernen können oder vor dem wir gewarnt werden. Der Mensch als soziales Wesen nimmt gern am Leben des Nächsten teil.

Der Mensch als a-soziales Wesen aber ebenfalls. Und immer ständig nur sozial zu sein, fällt doch vielen Zeitgenossen recht schwer. Besonders dann, wenn es eben um Neuigkeiten geht, denen man nun jene Prise Spannung beimischen kann, dass aus der Neuigkeit vielleicht ja auch ein kleiner spannender Eklat, ein Stadtgespräch oder ein Knüller wird. Vielleicht schafft es die Neuigkeit, wenn man nur ein wenig daran schraubt und dreht, auch zu einer kleinen Sensation oder einem handfesten Skandal. Man muss nur tüchtig mit der heißen Nadel stricken.

Dazu braucht es nur wenige Zutaten. Zuerst eine Prise Wahrheit. Die sollte schon dabei sein, allein schon zur eigenen Gesichtswahrung, falls man später einmal ein moralisches Alibi braucht. Dann kann man sich auf diese Prise fein rausreden. Dann braucht es eine sehr kräftige Prise Phantasie, damit sich die Wahrheit schön wellenförmig nach allen Seiten ausbreiten kann. Und wenn man dann Lust am Kanalisieren hat, gibt man dieser Wellenfront der Neuigkeit doch selbst eine spannende Richtung, damit sie nicht etwa schon beim nächsten Gesprächspartner versandet, sondern stattdessen nun erst recht eine heftige Brandung erzeugt wird.

Von Information zur Spekulation

Das mit der Neuigkeit mag zunächst ganz harmlos beginnen. Zunächst ist es eine Information. Sie ist noch recht nahe am Wahrheitskern dran. Dann aber wird sie im Laufe der Gesprächserregung so spannend und bietet so viel Energie, dass sie zur Spekulation vortrefflich geeignet ist. Aber was ist eine Spekulation, ohne nicht Wertungen, Urteile und vor allem Abwertungen mit einzuflechten! Schon ist man schnell bei Vorurteilen, die sich aber noch als „Überlegungen“ maskieren. Nach und nach hält die Hemmungslosigkeit Einzug. Und ist man nun schon einmal richtig im Gespräch, so steht die brutale Analyse doch schnell ins Haus. Unabhängig davon, wie viel man von der Wirklichkeit des Geschehens weiß, von den genauen Umständen, von den Befindlichkeiten, Krankheiten, Besonderheiten eines Falles. Allein schon, dass man eine Neuigkeit hat, spornt zur weiteren Phantasie an, die nun bei einer Reihe von Menschen ungezügelte Dominanz erwirbt. Der arme Tropf, über den nun getratscht und geklatscht wird, hat keine Chance zur Richtigstellung und wird sie in der Regel auch nicht bekommen.

Die natürliche Lust an der Neuigkeit über Ausschnitte aus einem anderen Menschenleben mutiert nun zum Klatsch. Wenn man Glück hat, ist es ein gutwilliger, ein harmloser. Aber nicht selten wird er missbraucht, weil geheime Rachegelüste, Neid, Missgunst oder andere Charaktereigenschaften Morgenluft wittern. Er kann nicht nur bis zum Rufmord gehen, sondern in ganz krassen Fällen sogar bis zum Selbstmord des Geschädigten.

Das Gift des Klatsches ist süß. Es verspricht zunächst ja nur spannende Unterhaltung. Neuigkeiten. Noch nah an der Wahrheit. Man selbst ist nicht betroffen. Deshalb kann man sich genüsslich mit einlassen. Man steht über den Dingen, aber mischt kräftig mit. Und natürlich weiß man es besser! Man weiß es immer besser, hat es kommen sehen und patscht sich an die Stirn. Dieser Idiot! Wie konnte er nur! Man urteilt, verurteilt, diskriminiert und ist begierig darauf, einen nicht anwesenden Dritten in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Das befriedigt die Seele jetzt sehr. Der Betroffene kann sich nicht wehren, oft ahnt er nicht einmal, welche Unwahrheiten über ihn in Lauf gebracht werden. Die selbstkritische Reflexion der Täter unterbleibt. Das würde das schöne Getriebe nur stören.

Zwischenmenschlicher Klatsch

Kaum einem Menschen wird zwischenmenschlicher Klatsch völlig fremd sein. Es ist ein Teil des Rituals, dass kulturübergreifend die Menschheit begleitet. Aber einige Menschen sind eben auch darunter, die die bösartige Form des Klatsches auf ganz besondere Weise züchten und am Leben halten. Sie begnügen sich eben nicht nur mit der Information als solcher, sondern brauchen für sich selbst unbedingt eine Erniedrigung des anderen, in dem nun einen Art mentales „Schlachtfest“ beginnt. Es können durchaus sehr persönliche Gründe sein, aber sie können auch allgemeiner Natur sein, je nach Motivlage des Täters. Man spricht nicht MIT dem Betroffenen, dafür aber ÜBER ihn, dass es im Gebälk nur so kracht. Niedere Triebe werden auf Kosten eines anderen ausgelebt. Spätestens ab hier wird der bis zu einem gewissen Grade noch natürliche Klatsch zu einer problematischen Charaktereigenschaft, die in manchen Fällen krankhafte Züge trägt. Dass der Träger dieser Krankheit seine Krankheit nicht erkennt, ist fatal wie üblich zugleich. Dass er sich selbst damit schädigt, entwürdigt und blamiert, entgeht ihm zumeist. Er benutzt andere und wird selbst auch benutzt, ohne dass er es merkt.

Wer sich für besonders raffiniert hält, gibt sich bei solchen Gesprächen als Klatschtante/Onkel natürlich betroffen über das Ungemach, dass den Ärmsten heimgesucht hat. Er steuert hier und da noch etwas dabei, damit das Ungemach auch wirklich als solches erkennbar wird und sich das Gespräch darüber lohnt. Hat er einen adäquaten Gesprächspartner, so kommt er voll auf seine Kosten. Denn seine Spekulationen werden dann vielleicht nun noch in ganz neue Richtungen getrieben. Welche, ist unerheblich, so lange sie nur „spannend“ und interessant genug sind und gewisse Gefühle dabei befriedigen. Fast immer ist es aber eine problematische, negative Richtung, die den nicht anwesenden „Versager“ im schlechten Licht dastehen lässt - auch wenn man vor Mitleid mit ihm überfließt.

So ein kleiner neuer Skandal, das ist etwas Feines für die lebensgierige Seele, die mit und an sich selbst nicht genug hat, weil das eigene Leben zu trist verläuft. Man hängt am Leben der anderen. Man labt sich an deren Entgleisungen, Dummheiten, Macken. Man tut so, als hätte man selbst solche nicht ebenfalls doch in Hülle und Fülle. Solche Überlegungen bringen kleine Erregungen ins eigene langweilige Leben und taugen dazu, das eigene Bild in eine angenehme Wallung zu bringen. Was hat man es doch gut! Wie steht man doch selbst über den Dingen!

Schaut man bei diesem Personenkreis ein wenig tiefer, wird man häufig auf eine offene oder versteckte Minderwertigkeitsproblematik stoßen, auf mangelnde Anerkennung, häufig auf Neid oder Missgunst treffen und auch auf Lust an Machtspielen, die an anderer Stelle beruflich oder privat sonst eben nicht funktionieren. Im Klatsch aber funktionieren sie sehr gut.

Neid, Missgunst und Genugtuung

Die Lust an der Weitergabe von Informationen, verleiht für einen Moment eine angenehme Macht. Man darf entscheiden, was wem in welchem Umfang zu welcher Zeit gesagt oder vorenthalten wird. Ob man selbst dabei Verrat oder Vertrauensbruch übt, steht meist dem eigenen Gewissen nicht zur Debatte. Die Lust an der Macht vermag solche Gewissensbisse zu unterdrücken. Man selbst jedenfalls steht nun voll im Aufmerksamkeitsfokus eines oder gleich mehrerer anderer Menschen, denen man doch etwas Wichtiges zu erzählen hat. Möglichst über Dritte, möglichst negativ … und möglichst dabei dann noch unschuldig betroffen wirkend, damit bloß kein Verdacht aufkommt!

Ist man nicht selbst betroffen, kann das Spiel durchaus zunächst sehr unterhaltsam sein. Ab einem gewissen Punkt aber kippen solche Spielchen. Der Akteur und die Anwesenden realisieren es oft aber nicht, weil ihnen Geistesgegenwart und gesunde Selbstreflexion fehlt. Irgendwann entartet es. Es schleichen sich böse Motive mit ins Gespräch, die den eigenen Frust am Leben, der Partnerschaft oder Beruf verdecken, die von Neid oder Missgunst auf das Leben anderer geprägt sind, denen es scheinbar besser geht, was als ungerecht empfunden wird. Hier muss korrigiert werden! Mit übler Nachrede, mit Schlechtmachen einer Person, hat man da eine wunderbare Möglichkeit, wenn man sie breit genug nur streut, oft genug wiederholt. Das zeigt Wirkung. Zumal dann, wenn es sich um eine ganz einseitige Aktion handelt und der Betroffene selbst von nichts ahnt oder nichts dagegen unternehmen kann. Ist aber einmal ein negatives Bild von einem anderen Menschen in die Welt gesetzt, werden neue Wirklichkeiten auf bittere Weise erschaffen, die das Böse im Keim in sich tragen.

Aber muss das sein? Ist die Welt nicht auch schon so problematisch genug? Muss man sie selbst noch auf diese Weise um das Böse bereichern? Reicht es nicht aus, wenn man sich einfach beim Gespräch mit einem anderen über einen Dritten so äußert, dass all die bösen Spekulationen dabei unterbleiben können? Für normale, mitfühlende Menschen durchaus! Für Klatschsüchtige nicht! Sie sind in ihrer Seele „krank“, auch wenn diese Krankheit keine feste medizinische Diagnose haben mag. Doch ob sie jemand zu heilen vermag? … Vielleicht einmal das Leben selbst mit seinen mannigfaltigen Erfahrungsschätzen, die uns doch immer wieder neu überraschen können!

— 19. August 2013
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