Casting-Shows

Wer treibt hier wen wozu an?, hinterfragt Christa Schyboll

Die Mädels stehen aufgebretzelt da und warten auf ihre Nummer. Sie trippeln nervös auf ihren zarten Füßen und machen sich Gedanken über outfit, Haut und Haar. Alles muss stimmen. Man hat perfekt zu sein.

Was perfekt ist, entscheidet eine Jury oder das Televoting. Nimmt man diese erste Hürde im Vorcasting unter Abertausenden anderer Mädels oder Jungs, Sänger oder Abenteurer und kommt ins Finale? Dann geht der Casting-Wahn in die nächste Runde.

Casting braucht man heute keinem mehr begreiflich machen. Das war vor nur zwei Jahrzehnten noch anders. Da hätte man einen solchen Artikel erst einmal mit Erklärungen einleiten müssen. Heute kann man direkt anders fragen. Geht es nur noch um Quote, Knete oder die kollektive Klapse, in die große Teile der Gesellschaft hinein zu wandern drohen, wenn sie mit diesem Blödsinn unkritisch weitermachen. Oder geht es mittlerweile um gezielte Massenmanipulation?

Die Verführung durch die Verlockungen scheint enorm zu wirken. Geld, Macht, Ruhm, wenn man Glück hat. Aber nur einer hat am Ende Glück. Und der nur oftmals sehr kurzfristig, weil Sieger heute auch nur noch kurze Mindesthaltbarkeitsdaten aufweisen. Es werden einfach zu viele Siegertreppchen in zu vielen Bereichen ständig neu aufgestellt, als das man sich morgen, geschweige übermorgen noch daran erinnert. Es ist eine Inflation von Siegern, Schönen, Starken und Mutigen über uns alle hereingebrochen, die uns schon zu langweilen beginnt. Gleichzeitig werden uns die Gescheiterten, Verrückten, Verarmten, nicht Durchblickenden in einem Ausmaß vorgeführt, dass wie eine Zirkusveranstaltung wirkt. Seht her! Hier sind die Underdogs, die nicht zurechnungsfähig sind, die in ihrer Messiebude versauen oder sich dies oder jenes leisteten. Also das Kontrastprogramm vom anderen Ende des menschlichen Seins aufgezogen.

Und die Leute gucken es, wollen es, lieben es. Beides, weil es so schön extrem ist. Bei dem einen kann man sich so herrlich im eigenen gepflegten Ambiente gruseln, angesichts der Parallelwelten die es doch tatsächlich irgendwo zu geben scheint. Die anderen bewundert man für ihre Tapferkeit, wie sie auf den schön geschminkten Frischmilchgesichtern dicke Kullertränen vergießen, weil sie es nur zur Zweitschönsten brachten.

Das Kalkül geht auf. Der Mensch ist exhibitionistisch. Er ist ein Voyeur und geilt sich gern an Extremen auf. Je krasser, je besser. Um die Rolle des Missbrauchten wird sich gerissen. Selbst wenn man keine Gage dafür bekommt. Aber man steht im Rampenlicht, ist Rampensau, ist wer. Endlich! Und sei es nur für wenige Sekunden im Leben.

— 07. Juni 2012
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