Purpose

Unternehmensphilosophie einmal weitergedacht von Christa Schyboll

Am Wochenende schrieb der Generalanzeiger über die Sinngebung in Unternehmen. Ich las und dachte: Na ja, der Ansatz der Sinnhaftigkeit ist immer gut. Aber bring diese Sinnhaftigkeit einmal in hunderttausend verschiedenen Tätigkeiten unter, die zwangsläufig nur der reinen Produktion oder Existenznot verpflichtet sind, und nicht etwa der Freude am Sein. Also alles Stupide, sich ständig Wiederholende, Schmutzige, Gesundheitsgefährdende, Belastende – was auch nervliche Belastung mit einschließt usw. – für die Arbeitnehmer.

Purpose! -Heißt das Schlagwort in neu-denglisch und bezeichnet den Sinn, nach dem ein Unternehmen selbst handelt. Der Fokus liegt dabei auf der ökologischen, ökonomischen und sozialen Verantwortung, die sich wiederum auf den Arbeitnehmer auswirken soll. Also eine gute Sache!

Sinn macht alles, was wir wirklich brauchen. Und das ist schon eine ganze Menge. Ob es auch dann für einen auch ganz persönlich Sinn macht, muss jeder für sich entscheiden.

Doch machen wir uns dabei nichts vor. Wenn jemand stereotype Dinge machen muss (die derzeit von Robotern noch nicht übernommen werden können), ist es mit solchen hehren philosophischen Gedanken am Arbeitsplatz schnell auch wieder aus. Da nützen auch keine psychologischen Argumente guter Motivationstrainer, wenn man es nicht auch authentisch fühlt, dass das eigene Wirken sinnerfüllt ist.

Es gibt viele berufliche Bereiche, wo dieses Gefühl tatsächlich nicht aufkommen kann, will man sich nicht selbst belügen. Das liegt nicht allein an der (oft notwendigen) Tätigkeit, sondern auch daran, dass der Arbeitnehmer seine eigenen schönen Anlagen und Talente tatsächlich aber nirgends ausleben kann.

Nirgends? Da liegt das Problem und vielleicht liegt da auch die Lösung für all jene Unternehmen, die gerade hier Protagonisten sein wollen?

Denn man könnte Sinnstiftung und Sinnfindung auch außerhalb des Unternehmens legen und dennoch mit dem Unternehmen eng verknüpfen. Nämlich überall dort, wo es die Tätigkeit nicht oder nur schwierig erlaubt, einen gesunden kreativen philosophischen Ansatz für das Tun zu finden, könnte man alternativ diese in die Freizeit verlagern. Selbstverständlich freiwillig und auch nur dort, wo das gewollt, gar begehrt wird.

Man könnte Arbeitnehmern, je nach Talentlage, Interesse, Befähigung und Zeit, beispielsweise die Möglichkeit geben, sich nicht nur allein betrieblich fortzubilden, sondern auch die eigenen Talente in diesem Zusammenhang aktiv zu fördern (welche immer das sein mögen). Es kann Sport, Musik, Handwerk, kreatives oder soziale Wirken bedeuten, wo man für wenige Stunden in der Woche oder im Monat eine tatsächliche Sinnstiftung persönlich erlebt. Wo man mit seinen speziellen Talenten gewertschätzt wird und auch zeigen kann, was man sonst noch draufhat… und warum das Ganze nicht auch eh mit einer betrieblichen Fortbildung nutzen! Zwei Fliegen mit einer Klappe! Eine kleine Auszeit, wo Lernen besonders viel Spaß macht, weil es unter einem besonderen Augenmerk steht.

Hier könnten Unternehmen dazu beitragen, dass vor allem all jene Mitarbeiter, die zwangsläufig nicht den Lebenssinn in der Tätigkeit selbst finden können die Erfahrung einer "beseelten" "Arbeit" machen. Wer dies auf die zu ihm passende Art erfährt, schüttet nicht nur mehr Endorphine, Glückshormone aus, sondern ist zufriedener, stabiler, weniger anfällig, lebenszugewandter.

Solche Faktoren führen dazu, dass auch Krankmeldungen weniger werden, weil Arbeitnehmer in jedem Fall auch bei notwendig stupider Arbeit doch zu sinnerfüllten Stunden in der Woche/im Monat kommen, die sie zu schätzen wissen.

Man kann mit kleinen Gruppen arbeiten, kleinen Einheiten, damit es überschaubar bleibt. Man könnte die Bedürfnisse abfragen, wie die Arbeitnehmer selbst zu ihrer persönlichen Sinnfindung stehen und dann erwägen, ob man diese neuartigen Bemühungen um eine erweiterte Unternehmenskultur in kleinen Schritten einführt.

Wer Purpose in seinem Unternehmen ernsthaft entwickeln will, sollte die Grenzen sprengen und über die Arbeitszeit hinausdenken. Denn die bisherige Trennung von Freizeit und Arbeit muss nicht das letzte Wort in dieser Sache sein, sondern kann auch auf gesunde Weise miteinander verquickt werden.

Menschen, denen man auf andere Weise die Möglichkeit gibt, ihre Talente grundsätzlich und überhaupt erst einmal zu entdecken und auszuleben, bereichern ihr eigenes Leben enorm, was jedem Unternehmen nur zugutekommt. Erst recht, wenn das Unternehmen der Kreator in der Sache ist.

Casus Knacksus: Die Finanzierung in Zeiten einer Wirtschaftsflaute. Hoffen wir, dass das nur ein vorübergehendes Problem ist. Langfristig gesehen wäre es ein neuer Schritt in Sachen Unternehmensbindung, Gesundheit, Nachhaltigkeit und vor allem auch das Erleben von Freude am eigenen Tun, wenn es in der Arbeit schon nicht immer möglich ist.

Zusammenschlüsse größerer Firmen zu kleinen kreativen Einheiten (z.B. auch Wochenend-Seminare) könnten hier auch ökonomisch sinnvoll sein.

— 30. Juni 2022
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