Glück

Das Geheimnis ohne Verfallsdatum - von Christa Schyboll

Hand aufs Herz!... wie glücklich sind Sie denn derzeit? Ein wenig? So la la? Gar überhaupt nicht? Dann gehören Sie am Ende wohl auch zu den „Versagern“, die sich ihr eigenes Glück nicht ständig und jederzeit schmieden können?

Immerhin ist das die satte Mehrheit der Menschen - wobei die Deutschen nach Umfragen einen der hinteren Ränge einnehmen. Und die Minderheit? Sind das entweder alles Lügner oder wahre Meister kurz vor der Transzendenz? Oder sind es einfach Menschen, die weniger als wir selbst vom Leben erwarten? Hängt Glück am Ende auch mit dem Grad der Erwartungshaltung und der Wünsche zusammen? Minderwertigkeitsgefühle für nicht Dauerglückliche jedenfalls sind nicht angesagt. Zum Glück!

Was aber hindert uns denn, Glück als Dauerzustand zu genießen? Ist es am Ende die Sorge vor Langeweile? Weil es uns unerträglich vorkäme, immerzu glücklich zu sein? Ist also der fromme Wunsch letztlich überhaupt keiner, sondern nur eine vage formulierte Sehnsucht, weil die Abwesenheit von Glück auch nicht sonderlich glücklich macht?

Es gehört zum Wesen dieses seltenen Zustandes, sich in solchen Momenten unendlich frei zu fühlen. Selbst dann, wenn man nicht einmal sonderlich frei ist, was äußere Bedingungen angeht. Alles was einengt, wird in jenen Augenblicken verdrängt, ist ohne Substanz und Bedeutung. Alles was offen und frei macht, scheint das Glücksempfinden zu bestimmen. Das wirkliche Geheimnis jedoch kann man dem Glück dabei nicht so ohne weiteres entlocken.

Falsche Fährten und Fußangeln sind viele ausgelegt, die uns zum Glück zu verführen suchen und im Unglück enden. Das geschieht nicht selten in Form einer Ent-Täuschung die uns sagt: „Schau her, deine Täuschung hat ein Ende! Du kapierst nun mehr als vorher und weißt, was geht und was nicht.“ Solch ein Ende von Täuschungen, die eben auch ein Ende gewisser Irrtümer darstellen, schmerzen häufig sehr. Es sind Geburtswehen für wirkliches Glück, dass nur auf Nichttäuschung, auf Nichtirrtümern sein Reich errichten kann. Alles andere ist vorübergehendes Scheinglück, ohne Dauer und Bestand… sandiger Boden für eine immerwährende Festung, in der wir wohnen möchten.

Ist dauerhaftes Glück überhaupt möglich? Ich persönlich bin überzeugt: Ja, das ist es! Aber nicht jedem zu jeder Zeit, sondern jenen Menschen, die es sich erarbeitet haben. Da wird es auch selbst im Leid verbleiben, das inneres Glück nicht mehr zerstören kann. Das hört sich an, als ob eine Spaltung sich im Menschen vollziehen müsste, da Leid und Glück sich scheinbar zur gleichen Zeit ausschließen. Schließlich kann man nicht beides zugleich empfinden, so glauben viele Menschen. Auch das ist eine irrige Annahme derer, die solches bisher nicht persönlich erlebt haben. Es gibt eine Form von Glück, die über persönlich erlebtem Leid steht und davon wie unberührt stark und fest bleibt, obschon eine andere Facette des betreffenden Individuums akuten Schmerz akuten erfahren kann.

Das Geheimnis liegt unter anderem im Grad der Identifikation mit der eigenen Persönlichkeit und ihren verschiedenen Aspekten, die jeder Mensch in sich trägt. Hier entscheidet es sich ganz individuell, ob man all die irdische Not extrem schwer oder schon sehr leicht trägt. In dem Maße, wie man sie leichter trägt, wiegt das Glück ohne Verfallsdatum auf der anderen Seite, spendet Zuversicht und Kraft. All diese Wege brauchen zumeist eine lange Zeit, bis sie zur Reife kommen. Beschleunigt werden kann der Prozess, so man die Erwartungshaltungen an andere Menschen minimiert und selbst für seine eigene innere Zufriedenheit Sorge trägt und sie auch pflegt.

Glück ist der Sprung in die eigene Mitte, die zugleich unendlich tief und schön ist. Ein Akt der Überwindung einer scheinbar ganz kurzen Wegstrecke, der so radikal vollzogen wird, dass keine Außenmacht ihn mehr aufzuhalten vermag. Der Sprung jedoch ist schwer. Es braucht Wagnisse und Mut, Verstehen und Selbstakzeptanz. Das Ankommen ist leicht, da man dann sanft in ein Zentrum von Vertrauen und Liebe fällt.

— 17. November 2010
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