Größenwahn

Eine beginnende Epidemie für Durchschnittsmenschen? – hinterfragt Christa Schyboll

Kennen Sie die Megalomanie? Vielleicht nicht gerade den Begriff auf Anhieb, ganz sicher aber persönlich Infizierte. Es ist eine der modernen Krankheiten, die den Siegeszug über den Globus antrat und nicht mehr zu stoppen ist. Sie ist nicht nur individuell schwerwiegend für den Betroffenen, sondern auch noch bösartig und kollektiv ansteckend.

Ich spreche vom allgemeinen Größenwahn. Das Wahnsinnige daran jedoch ist vor allem jene Art von Akzeptanz, die es möglich macht, den Zustand insofern der Normalität zuzuordnen, weil zu viele davon befallen sind. Die Neigung, das Normale automatisch dem Gesunden zuzuordnen, statt dem Kranken, ergibt sich aus dem Zahlenverhältnis. Das, was die Mehrheit ist, ist die Norm und die Norm ist gesund. So schlicht, so einfach sind die unbewussten Kategorisierungen im Allgemeinen. Warum also nicht auch im Besonderen beim Größenwahn.

Das, was immer mehr machen, kann nur richtig sein. Und was richtig ist, zeigen uns die Medien. Allen voran das Medium Fernsehen mit seinen unendlichen wie zugleich unterfordernden Talkshows, die uns zeigen was in ist und was out. Was angesagt ist und wer warum auf welche Weise. Dann haben wir endlich Werkzeug an der Hand, um ähnlich zu werden. Nicht selten ähnlich größenwahnsinnig, weil das heute ziemlich normal geworden ist. Aufgeblasene Egos mit unverfrorenem Selbstbewusstsein, das sich narzisstisch selbst bespiegelnd ständig zu vervielfachen weiß. Wozu hat man schließlich seine vielen Alter Egos…. Seine Scheinpersönlichkeiten, die man zücken kann wie eine Pistole, so man von der Hemmung einer gewissen Bescheidenheit final Abschied genommen hat.

Die Klasse der Second-Hand-Shooting-Stars, die uns vor allem häufig die privaten Fernsehanstalten bieten, in Shows und Soaps ihr Debüt feiern, zeigen uns, was sie drauf haben und wir auch bald drauf haben werden. Wir müssen uns nur beeilen, damit wir auf dieser Bühne noch rechtzeitig unseren eigenen Schnitt machen, bevor die Welt vor Selbstbewusstsein noch platzt. Kennzeichen ist übrigens eine ausgesprochene Unfähigkeit zur eigenen kritischen Reflektion. Das ist ein durchaus günstiger Umstand. So schaffen es viele durchaus, in den Spiegel zuschauen und zuverlässig ihr eigenes Wunschbild dort zu erkennen. Dass sie es nicht erreichen, spielt keine Rolle, da sie ein anderes Gesichtsfeld haben, das zuverlässig immer das Wünschenswerte zeigt.

Die Krankheit des Größenwahns mutiert im weltweiten Zirkus der Dekadenz zu einem globalen und auch therapieresistenten Virus, der nicht einmal vor den Favelas der Ärmsten halt macht, so sie über den Zugang zu Fernsehshows mit ihrem psychoglitschigen Glimmer verfügen. Es greift über vom Studioraum in den Alltags-Space und verbreitet sich ohne Nießen und Husten einfach von Gedanke zu Gedanke. Eine besonders gefährliche Mischung, weil selbst ein Mundschutz unwirksam ist. Vor allem spricht es sich durch Sprache aus, weil die Kleidung (so minimalistisch oder bizarr sie daher kommen mag) nicht mehr ausreicht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Und darum geht es aber bei diesem Virus. Ohne Aufmerksamkeit, ohne Mittelpunktstellung ist man ein Nichts. Einzig zu begegnen wäre dieser Megalo-Mania-sprechie vielleicht mit ernsthafter Knebelung, Ohropax und einer blickdichten Augenbinde, die jedoch ruhig etwas gaga sein darf.

— 25. November 2010
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