Ich hasse Dich!

Anleitung zum Glücklichsein von Christa Schyboll

Oh, wie ich dich hasse! Ich hasse dich so sehr, dass es mir gerade die Sprache verschlägt. Aber glaube bloß nicht, dass ich deshalb etwa meinen Mund halte. Dafür ist mein Hass viel zu groß.

Erst letzten Monat hast du mir versprochen, Dich endlich zu ändern. Hoch und heilig waren Deine Schwüre, dass wir diesen elenden Beziehungskrieg nicht mehr führen müssen. Und nun? Schon alles wieder beim Alten. Nichts hat sich geändert. Gar nichts. Und Du es recht nicht. Warum solltest Du auch. Es geht Dir ja prima bei mir! Es geht Dir famos. Ich mache, ich tu… Ich bettele und flehe… und Du stellst erfolgreich Deine Segelohren auf Durchzug. Oh Mann, wie ich dich hasse! Es ist schon eine wahre Leistung, so gehasst zu werden. Das schafft nicht jeder. Dafür ist immerhin ja Energie aufzubringen. Und sei es die Energie der Verweigerung. Diese wiederum bringst du in einem solchen Höchstmaß auf, dass Verweigerung schon wieder zum Tun wird. Höchstes aktives Tun. Wie bei diesen, … diesen Buddhisten da. Die auch immer davon schwafeln, dass im Nichtstun das Heil liegt. Dass wir lassen und loslassen sollen. Scheinst es ja sehr wörtlich zu nehmen, wenn es um mich geht. Vor Wut könnte ich hyperventilieren. Müsste das, was ich schreibe, jetzt raus geschrieen werden, würden selbst parallele Welten in fernen Universen in sich zusammen stürzen – solche Wut habe ich auf Dich!

Was? Ich lasse Dich nicht zu Wort kommen? Wozu denn noch? Du hast mir ja nichts zu sagen. Nichts jedenfalls von Belang, das meinen Hass endlich einmal dämpfen könnte. Und worum es denn überhaupt geht? Ah, diese Frage ist der Höhepunkt Deiner Unverschämtheit! Nicht einmal das bekommst du mit! Fragst mich, worüber ich mich gerade so tierisch aufrege! Das ist typisch! Dafür hasse ich Dich noch viel mehr. Ich soll es nochmals wiederholen? Bitteschön, der Herr, wenn es denn die Sperre des EQ anders nicht durchdringen kann, sage ich es jetzt ein letztes Mal klipp und klar: Ich möchte nicht nach dem Rest der Wurst im großen Kühlschrank gefragt werden, wenn die Lindenstraße beginnt. NICHT DANN! Nicht zu diesem Zeitpunkt. Auch nicht während dem Rest der Sendung oder kurz vor Ende. Du weißt wie heilig mir dieses halbe Stündchen in der Woche ist. Ich will auch dann keine Unfall- oder Todesnachrichten. Ich bin einfach nicht da. Bin nie geboren worden. Also brauche ich auch keine Sterbebegleitung zu leisten. Noch weniger aber Begleitung deiner trüben Augen leisten beim Suchen nach dem letzten Stückchen Schinken in unserem wohlgefüllten Kühlschrank, in dem weiß Gott genug steht, das man alternativ auch aufessen kann.

Und überhaupt, der Kühlschrank! Und Deine Art wegzuschauen, wenn du reinschaust! So geht das nicht weiter. Wo schaust du eigentlich hin, frage ich mich, wenn du auf den Schinken schaust. Schauen musst, weil er ja da liegt! Siehst du dann stattdessen da etwa Winterreifen liegen? Oder verwechselst es mit Deinem Rasierapparat? Ich kann nicht mein ganzes Leben dafür hingegeben, jedes Mal den Kontrollblick zu wagen, wenn du nicht siehst, was da ist. Zugegeben, manche Dinge liegen optisch nicht in der ersten Reihe der möglichen vier Fächer. Manches liegt dahinter. Oder hinter dem Dahinter. Je nachdem. Zum Beispiel hinter der Butter. Das ist nämlich durchaus im Bereich des Machbaren, dass etwas hinter der Butter in einem normalen Kühlschrank liegt. Sogar dann, wenn es einen Tag zuvor aber VOR der Butter gelegen hat. Manches hat auch ein Deckelchen, wo man hineingucken müsste. Anderes, was du suchst, hat vielleicht einfach jemand einmal aufgegessen. Die anderen wollen schließlich ja auch leben. Aber das Ärgste ist ja, dass ich es fast immer finde. Blitzschnell! Auch dann, wenn ich es nicht nach hinten gebuddelt habe. Selbst dann! Stell Dir das mal vor! Jetzt weiß ich nicht, wie es weiterging mit Beimers Enkelin. Hat sie ihm nun die Telefonnummer gegeben oder nicht? Aber du hast deinen blöden Schinken! Na toll! Er lag da, wo ich es sagte. So was aber auch! Genau da. Also … ziemlich genau zumindest.

Wie ich das hasse, für solche blödsinnigen Aktionen in diese Aufregung zu geraten! Es ist nicht zum Aushalten. Ich hasse es, bei meinen heiligen Momenten gestört zu werden. Ich hasse mich ja schon selbst, dass ich das so hasse und mich so tierisch darüber ereifern muss. Wäre ich einfach stur sitzen geblieben und hätte gesagt: „Hab ich aufgegessen!“ dann hätte ich nichts verpasst von der Sendung. Du wärst sofort ruhig gewesen und hättest Dir friedlich Käse genommen. Aber nein, ich bin zu blöd zum Lügen! Mein Gott, wie ich mich hasse! Ich hasse mich! Und wie…!

…Ach ja, ist eigentlich noch was übrig vom Schinken?

— 27. Januar 2011
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