Bist du ein Held?

Dank und denk an die Mutigen, von Christa Schyboll

Lass dich fragen: Bist du ein Held? Ich gestehe es gleich: Ich bin es nicht. Und dieses Geständnis fühlt sich gleich ambivalent an. Denn ich wäre es gern. Einer guten Sache zu liebe. Zugleich möchte ich es nicht ertragen müssen, was dies im Einzelnen bis hin zu Folter und Tod an Schmerz und Leid bedeuten kann.

Helden zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie eine Minderheit in der Masse der Menschheit sind. Eine Minderheit, auf die man mit Bewunderung oder mit tiefer Achtung schaut – so lange sie sich für eine Sache verwenden, die man selbst unterstützenswert findet. Unterstützen sie mit ihrer Tat jedoch etwas, das nicht in die eigene Weltsicht passt, wird das, was von anderen als Heldentum gefeiert wird, von Gegnern für verrückt, wahnsinnig, fundamentalistisch, radikal oder krankhaft erklärt. Da wird nicht lange mit Schmäh und Verachtung gefackelt. Und schon ist der Held ein Antiheld. Wie viel Mut er aufbrachte, wie viel er an Kräften, ja Gesundheit oder gar sein Leben gab: All das zählt nicht mehr, wenn er etwas tut, was dem eigenen Gemüt widerspricht. Der sprichwörtliche »tragische Held« steht uns sofort vor dem inneren Auge.

Weitere Zutaten zum Heldentum sind meist eine sehr eigenwillige Kombination von Fähigkeiten, Charaktereigenschaften, Ansichten und Talenten, die bis in extreme Richtungen hinein weisen können. Mal sind es tief religiöse Motive, die die Opferung des eigenen Lebens für gewisse Taten in Kauf nehmen, weil man von nachtodlich paradiesischen Belohnungen überzeugt ist. Mal tendiert es mehr ins Politische oder gesellschaftlich Fundamentalistische.

Dann gibt es die Gruppe jener Helden, die sich rein der Wahrheit, der Menschlichkeit, des Humanismus verpflichtet fühlen, wofür sie oft für viele Jahre in Gefängnisse gehen und Repressalien vielfältiger Art ertragen müssen. Manche werden erschossen, vergiftet oder kommen durch unklare Bedingungen zu Tode oder "verschwinden" ohne jede Spur. Hierzu gehören auch viele unerschrockene Journalisten, die nichts anderes taten, als Unrecht aufzuzeigen, um die Welt aufzurütteln. Mutige Menschen, die sehr wohl wissen, auf was sie sich einlassen, die Risiken kennen und sie dennoch nicht scheuen. Wahre Helden.

Eine weitere Heldengruppe sind jene, die unter größten Gefahren spontan, direkt und ohne zu überlegen ins Feuer gehen, ins Wasser springen oder sonstige gefährliche Rettungstaten vollführen, ohne darüber nachzudenken. Sie tun es, weil sie eine Not sehen und viele von ihnen tun es so "automatisch", dass keine Zeit für weitere Überlegungen dabei verschwendet wird. Denn oft geht es um Sekunden. Tritt im Falle einer unmittelbaren Gefahr erst einmal der Verstand in Aktion, ist es oft mit dem spontan gefühlten Heldentum schnell vorbei. Denn der Verstand warnt! Ist diese Alarmglocke aktiviert, dann ist der Körper gehemmt… Man darf sich als Opfer in der Not glücklich schätzen, wenn ein Retter nicht erst nachdenkt, sondern handelt.

Menschen, die es gewohnt sind, viel und gründlich zu überdenken, haben diese Eigenschaft oft so tief in ihrem Wesen verankert, dass sie vermutlich eher etwas seltener zu den spontanen Helden gehören, weil dieser schnelle Handlungs-Automatismus oft greifen kann. Sind sie feige? Nicht unbedingt, sondern ihnen kommt im Gegensatz zu manch einem anderen einfach zu schnell und zu viel Gedankliches in den Sinn, was Abwägung braucht. Und die Risikoabwägung nach allen Seiten schmeißt sich dabei brutal ins Zeug, um die Aufmerksamkeit zu erobern. Doch keine Frage: Der Mischtypus von beiden ist vermutlich der Heldenhafteste unter allen Helden. Denn er weiß blitzschnell um die Gefahr nicht nur für das Opfer, sondern auch für sich selbst und setzt sich mutig und barmherzig zugleich darüber hinweg.

Die Frage des Mutes entscheidet sich im Falle von Heldentum keineswegs allein an der Frage der Tat, sondern elementar an der Frage des Risikobewusstseins vor dem Tun. Wer, wie es viele Helden des Alltags tun, spontan, ohne zu denken, sofort hilft, weil ihm die Rettung eines Lebewesens über alles geht, ist vom Himmel geschickt. Ein unzufälliger Schicksalszufall, der zufiel, weil das Opfer offenbar noch weiterleben sollte? Wer unter eigener Lebensgefahr hilft und sehr bewusst realisiert, dass er selbst dabei sterben kann und diese Gedanken noch während des Ausführens bedenkt, steht in der Hierarchie der Helden ganz oben. Ja, es gibt Unterschiede, weil auch die Situationen immerzu unvergleichlich sind. Die des Opfers und die des Retters. Retter – und welchen Bedingungen auch immer - zu sein, ist ein Meisterstück der Menschlichkeit. Wohl dem, der sich dafür schon qualifiziert.

— 19. Januar 2022
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