Scheinheilige und Heuchler

Wie man Klatsch und Tratsch verschleiern kann! Von Christa Schyboll

Ob die "ehrliche Haut" unter den Menschen häufiger zu finden ist als der Scheinheilige oder Heuchler, lasse ich mal dahin gestellt. Tatsache ist aber, dass mich die Scheinheiligkeit so mancher Mitmenschen zum Nachdenken darüber anregt. Er geht als Typus meist psychologisch raffiniert vor und hat einen gewissen Hang zur Durchtriebenheit, Intrige und Täuschung.

Das Problem daran aber ist, dass er eben auch zugleich mit Wahrheiten und seriösen Informationen arbeitet, analytisch in der Regel stark ist - jedoch oftmals eine ordentliche Schwäche in Bezug auf die selbstkritische Reflexion hat, sofern er unter den Augen begabter Menschenbeobachter agiert. Da ist seine Achillesferse. Denn er fühlt sich einfach partout nie selbst durchschaut, meint aber, alle anderen zu durchschauen. Und zugegeben: Nachweisen lässt sich ihm auch fast nichts! Es bleibt bei seinen durchtriebenen Aktionen oftmals eben nur beim Verdacht, beim unguten Gefühl, das er nach einem Gespräch hinterlässt.

Manche Heuchler sprechen zum Beispiel gern über das Leid oder Pech der anderen Mitmenschen. Es Detail genau auszumalen, ist ihnen ein großes Anliegen, das sie mit Eifer betreiben. Heuchler lieben es nach meiner Erfahrung, die eh schon wenig schönen Seiten eines Unglücksraben durch eigene wilde Spekulationen auf spannende imaginäre Höhepunkte zu treiben. „Man stelle sich doch vor!“ … Und man stellt es sich vor! Bei solch einem Bilderreichtum, den Scheinheilige so phantasievoll verbreiten, fällt es in der Tat leicht, sich das aktuelle Pech nun zur baldigen Voll-Katastrophe auszumalen. Man gruselt sich bereits beim Zuhören und Vorstellen der nun vorgegeben Bilder. Ein Glück nur, dass man gerade nicht selbst betroffen ist!

Durch die scheinheilige Form der Unterhaltung zum Thema Pleiten, Pech und Pannen des Lebens schwingt man emotional ganz automatisch mit ein und durchschaut nicht immer gleich das Spiel, das gleichzeitig mit der Information und den Spekulationen abläuft. Man ist längst thematisch verführt und achtet nun nicht mehr auf jene bigotten Taschenspielertricks, die der Tartüff im Eifer seiner Klatsch-Sucht aber oftmals auch schon selbst ganz vergisst. Dies umso mehr, als die natürliche neugierige Natur in fast jedem Menschen hungrig darauf ist, einen Happen vom Wissen der anderen über andere mitzubekommen. Daran ist auch nichts Verwerfliches, so lange es nicht böse ausgeschlachtet wird und in eine plötzlich scheinheilige Richtung läuft. Die wahre Absicht jener Scheinheiligen ist jedoch oft eine andere, die sich hinter dem Spektakel versteckt und nur von sehr genauen Beobachtern entlarvt werden kann. Denn„Bad News are good News“ gilt nicht nur für Gazetten, sondern auch für fast jedes private Gespräch - vor allem dann, wenn es Dritte betrifft, die gerade nicht anwesend sind.

Der Volksmund nennt diese wahre Intention schlicht: Tratsch, Klatscherei oder Gerede. Da man sich aber damit nicht gern identifiziert, braucht man eine Art Scheinalibi, um daran teilnehmen zu können. Und dazu eignet sich die Scheinheiligkeit hervorragend - indem sie nun die offene Tratscherei mit der subtilen Botschaft der scheinbar eigenen Betroffenheit, Trauer, Empörung oder des Mitleids ummantelt. Damit aber wird der Tratsch zur echten Heuchelei, die nun eine Nuance schlimmer wird. Beweisen kann man das alles aber nicht, weil sich Absichten, Gefühle und Charaktereigenschaften einer sachlichen Beweisbarkeit ja entziehen.

Was bleibt, ist ein schales Gefühl, dass man gerade belogen und auch betrogen wird. Belogen nicht etwa durch die Information an sich, sondern durch die Art und Weise der Verschleierung. Und betrogen um die Authentizität desjenigen, der einfach gern ein wenig getratscht hätte und nun eine Betroffenheitsshow abzieht. Das führt zu Misstrauen und ist schlimmer als die offene und ehrliche Art des Klatsches, der uns Menschen zwar nicht gerade adelt, aber bis zu einem gewissen Grade halt natürlich ist.

— 12. Juli 2013
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