Die Gefahren der Wirklichkeit

… und wie ich ihnen immer wieder davon laufe, von Christa Schyboll

"Rette mich vor dem Retter, rette!" schrieb Stanislaw Jerzy Lec einst. Sind Sie auch schon mal gerettet worden?

Oder gehören Sie eher zu den Menschen, die ständig andere retten? Also jene Alltagsretter, die ritterlich hoch zu Roße in die Welt verkünden, was zu tun und zu lassen ist, wovon man krank wird und stirbt, was unglücklich macht und impotent, was böse ist und geradewegs in eine Hölle führt… in welche auch immer. Es scheint ja viele zu geben.

Natürlich retten die Retter nicht jeden. Denn hin und wieder treffen sie auf standhafte Verweigerer. So welche wie mich. Ich sage dann hin und wieder frank und frei, dass ich nun das Risiko von bäuerlicher Frischmilch eingehe oder meine Leber tatsächlich mit bösem Sekt belaste. Oder ich verweigere mich bei der Wahl, obschon ich damit gewiss schwere gesellschaftliche Schuld auf mich lade, da ich einfach keine der Alternativen gerade einmal wählbar finde. Natürlich begehe ich noch viel größere Fehler, wozu die Retter eigentlich schon ordentlich große Netze zu meiner Rettung auszuspannen hätten. Aber irgendwie entschlüpfe ich ihnen und mache ihnen das Leben schwer. Das passt ihnen nicht und stiehlt ihnen die wertvolle Zeit für eine so hehre Aufgabe. Also retten sie in der Regel lieber andere Zeitgenossen. Und das mit vollem Erfolg, wie ich immer wieder erlebe.

Vor allem die Fraktion der Ängstlichen, die nicht sonderlich klein ist, ist dankbar für jede Rettung aus der Not. Und Not gibt es immer. Mal sind es die Kinder, mal die eigenen Krisen, mal der Partner oder der Nachbar, mal die Figur oder die falsche Lebensspur. Und überall sitzen sie weiter hoch zu Roß und missionieren ihr Volk mit dem Überblick, den nur wahre Geistesgrößen besitzen können… Die Alltagsretter, die Gutmenschen, die mit den ewigen Rezepten. Die, die wissen, warum das Böse böse und das Gute gut ist.

Und komme ich ihnen dann und versuche zu erklären, dass das Böse aber durchaus manchmal sehr gut sein kann und das Gute durchaus faustische Pakte mit dem Bösen einzugehen bereit ist, dann ist schon wieder Rettung angesagt. Denn wer so spricht, ist in größter Gefahr. Er ist auf dem finalen Irrweg und scheint ja offenbar alles zu verwechseln. Offenbar sogar bereit den Dualismus der Welt schier aus den Angeln zu heben! Das braucht Maßnahmen!

Was mir bleibt, schreibt Stanislaw Lec treffend: "Rette mich vor dem Retter!". Dafür ziehe ich mir auch gern meine Turnschuhe an und sehe zu, dass ich Land gewinne…!

— 25. Juli 2011
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