J – wie Januar oder J - wie „Jemand“

Jemand sein oder ein Niemand sein?, hinterfragt Christa Schyboll

Blödsinnige Frage? Natürlich will jeder ein Jemand sein! Ein Niemand mag zwar der eine oder andere sein, aber er wird sich vermutlich aber nicht sonderlich wohl in diesem Nullitätszustand fühlen.

Jemand zu sein, bedeutet: man ist wer! Man ist ein wertvolles Individuum inmitten anderer wertvoller Individuen. Und wenn die anderen wertvollen Individuen das verdammt noch mal nicht mitbekommen, muss man eben ein bisschen nachhelfen.

Tipps und Tricks, wie man vom Niemand ein Jemand wird, hält die Kosmetikindustrie ebenso parat wie die Modeindustrie oder das Heer der Persönlichkeitstrainer, der Coaches oder Supervisionsseminaranbieter – gern auch im klösterlichen Amibiente. Je teurer, je „Jemander“.

Nun haben alle Jemands der Welt natürlich ein Übervölkerungsproblem mit schwerwiegender Konkurrenz, da Milliarden das gleiche Ziel ansteuern. Zum Glück sind viele noch zu arm, um sich bestimmte Tricks dafür leisten zu können und bleiben im Großlager der Niemanden stehen. Mit entsprechender Phantasie, Mut oder Ideen jedoch gelingt es so manchem immer wieder, dann doch auch selbst ohne Geld ein Jemand zu werden. Die Mindesthaltbarkeitszeiten dabei sind ziemlich begrenzt. Um quasi eine langfristige Haltbarmachung des eigenen Jemand-Seins zu erreichen, braucht es entweder immer wieder viel Geld oder viele skandalträchtige Schlagzeilen, die Geld eher garantiert als Mittellosigkeit. Manchmal tut es aber tatsächlich auch eine geniale Fähigkeit. Doch von diesen Ausnahmen ist hier gerade nicht dir Rede.

So zieht also eine Weltgemeinschaft vom farblosen Nichts in die glorreiche eigene Identität einer spektakulären individuellen Buntheit. Jeder auf andere Weise und an anderer Stelle gepierct, gespritzt, verschönert, verschlimmbessert, verjüngt, … später aufwendig mumifiziert und bereits samenbankregistriert.

Und die Niemande? Diese armen Würmchen, über die keiner spricht? Die nicht in das Licht von Schlagzeilen und Öffentlichkeit drängen? Sind sie nun einfach zu unbegabt, zu blöde oder sonst wie untauglich? ….

Oder sind so manche von ihnen eventuell echte Jemande!? Also die, die nicht IRGEND-JEMAND eben sind, sondern wirklich sie-selbst. So sehr, dass es keinen mehr etwas angeht, dass sie sind, weil sie es wirklich nur für sich sind. So gründlich, dass sie mit niemandem darüber je sprechen würden und es vollkommen reicht, dass sie es für sich wissen. Aber vor allem so frei, dass sie ihre ganze Kraft und Kapazitäten auf das Wesentliche ihrer eigenen Natur richten können. Nicht mehr abgelenkt durch eitlen Firlefanz, schlagzeilengeiles Abtasten auf Öffentlichkeitswirkung und Dauerstress wegen der Sorge um das Vergessen in innerhalb eine einzigen Woche in dieser schnelllebigen Zeit.

Irgendjemand, der ein authentisches Ich wird, ein Niemand jedoch für die Welt zunächst, verlässt sein fadenscheiniges Kleid, wird allergisch gegen all das Blendwerk und strahlt auf eine leise Weise für die, die schon hinter das Gleißen schauen… und wieder ein Stück neuer Freiheit sehen, die sich personalisiert hat.

— 27. Dezember 2009
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