Versicherungsvertreter - ein Besuch!

Von der Inkonsequenz und ihren Folgen von Christa Schyboll

Das Callcenter-Girl nervte erfolgreich. Der Vertreter durfte kommen, obschon ich keine neue Versicherung brauchte. Ich sagte es ihr, aber nutzte mir nichts.

Das Mädchen war froh und ich war froh, dass sie froh war. Und ich war schwach geworden, weil sie mir so leid tat in ihrem eifrigen Engagement. Jetzt kam also gleich dieser Versicherungstyp. Was sollte ich nur mit ihm? Zehn Minuten Höflichkeiten austauschen? Sinnlich wahrnehmen, dass er unangenehm müffelt? Mir ohne Not nun meine mir so wertvolle Zeit klauen lassen? Was lebe ich nur manchmal für eine bescheuerte Art von sozialem Wahn aus, alle glücklich sehen zu wollen! Als hätte ich nichts Besseres zu tun. Wieso konnte ich mal wieder nicht klar und deutlich NEIN! sagen!? Dabei hatte ich doch bereits deutlich gemacht, dass ich keine neue Versicherung brauche. Das sei voll in Ordnung, wenn er denn nur kommen dürfe. Seufzend stimme ich zu.

Versicherungsvertreter sind irgendwie ja auch arme Schweine. Viele von den armen Schweinen haben jedoch viel mehr Geld als ich. Und jetzt lasse ich sie tatsächlich kommen, obschon ich vermutlich die Ärmere von uns bin. Es geht ums Geld. Immer und überall. Angeblich geht es aber um meine Sicherheit, mein Wohlergehen, mein Glück schlechthin, das ich ohne Versicherung wohl kaum optimieren kann. Und wer ist schon wunschlos glücklich. Und dann geht es natürlich um die dunkle Seite des Lebens. Die tiefschwarze, gefährliche, gar tödliche. Wäre ich ein waschechter Hartliner, so könnte vielleicht eine Versicherung vor einer nachtodlichen Hölle interessant werden. Aber das hat ja keiner im Angebot. Gleich wird er mir geheimnisvoll all das orakeln und wie schwer und lastend meine Zukunft noch werden kann, wenn ich nicht ausreichend versichert bin. Dabei wird er mich genau beobachten und sich fragen: Wann und an welcher Stelle wird sie verunsichert, wann bekommt sie echte Angst? Kann ich noch einen Schritt weitergehen? Durchschaut sie mich? Kaum möglich. Hausfrau.

"Sie werden es schwer haben. Was machen sie denn, wenn ihr Mann früh stirbt?" Ach Gott ja, meine mögliche Witwenschaft. Vielleicht und irgendwann. Rein statistisch ja gut möglich. Da gibt es vieles zu bedenken. Vielleicht sterbe ich ja zuerst?, wage ich zaghaft einzuwerfen. Er ist unbeeindruckt. Mein theoretisches Sterben macht ihm höchstens Freude. Ja, fein, dann haben sie etwas Wunderbares für ihre Kinder getan. Wir können die Kinderklausel mit einfügen. Paragraph 17, Absatz 2… Die Kinderklausel. Und alles das nur, weil ein Callcenter-Mädchen unter Stress steht und Versicherungsmakler terminlich makeln muss.

Es ist eine absurde Situation. Ich will nichts, brauche nichts, werde nichts abschließen. Nur, weil ich mal wieder nicht knallhart NEIN sagen konnte, lavriere ich nun durch diese Alltagsgroteske. Jetzt muss ich da durch. Ich muss spielen. Die einzige Form, mich aus dieser Lage zu retten. Ich tu so als ob, um diesen ganzen Schwachsinn zu verkürzen. Natürlich, das sei ein hervorragendes Argument. Die Kinderklausel! Also dann wäre ich schon interessiert. Nachkommenbeglückung stünde eh auf meinem Lebensplan. Überhaupt Menschen zu beglücken, sei mir ins Herz geschrieben. Er solle den Vertrag doch schon mal ausstellen. Mein Mann würde dann sicher bald unterschreiben. Immerhin, er verdiene das Geld… Er möge verstehen!

Möchten Sie einen Tee? O ja, gern, danke! Der Tee war natürlich schon vorher fertig. Ich werde doch nicht auch noch eine Teezeremonie mit dem müffelnden Kapitalist anfangen. Ich schau aus dem Fenster. Draußen steht sein dicker Mercedes. Wusste ich’s doch! Ich selbst fahr auch einen. Uralt und drei Nummern kleiner. Du das auch nur, weil es ein Notverkauf unseres in die Pleite geschlidderten Metzgers war. So was hat mein Versicherungsvertreter natürlich nicht nötig.

Wie denn die effektive Verzinsung sei, mit der ich zu rechnen habe? Ich hoffte jetzt auf eine Zahl. Eine konkrete Zahl. Es folgte ein Vortrag. Heute gibt es keine konkreten Zahlen mehr. Heute ist alles anders. Die Konjunktur, die Börsendaten, das Bruttosozialprodukt, die Grünen an der Regierung, der Internationale Währungsfonds, die Wirtschaftskrise und die immer unberechenbaren Transaktionen der Finanzmafia. "Nein, die effektive Verzinsung ist bei unseren Modellen so nicht errechenbar. Unsere Parameter basieren auf einem komplizierten Fundament von Wirtschaftsdaten." Ich hole Luft. Dachte ich es mir doch!

"Aber das kommt Ihnen als Kunde nur alles zugute. Glauben Sie’s mir. Die Gewinnausschüttung kann sogar zweistellig ausfallen." Ich staune. Kann! Kann aber auch nicht. "Legen sie es heute Abend ihrem Gatten vor. Warten sie nicht zulange, denn im nächsten Jahr gelten andere Tarife. Es ist jetzt besonders günstig. Dafür suche ich die Menschen auch zuhause auf. Für ein ruhiges Gespräch."

Schade, dass das Callcenter-Girl mich schon vergessen hat. Allein ihr zuliebe findet das doch jetzt alles statt - weil sie mir so leid tat. Nur ihretwegen dieser irrwitzigen Wortaustausch, den mein Gegenüber tatsächlich Gespräch nennt. Und meinen Mann heute Abend mit der Nachkommenbeglückungsformel so ganz ohne konkrete Zahl zu behelligen, wage ich nicht. Zum Glück besitzen wir einen Schredder.

— 04. August 2010
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