Neues Jahr – Neues Sein?

Spring heraus aus deinen alten Rollen! - meint Christa Schyboll

Silvester und Neujahr schreien geradezu nach Veränderungen. Oder zumindest bilden wir uns ein, dass sie es tun und schaffen uns damit zugleich einen Katapult hinein in neue Zustände.

Doch zunächst einmal hat dieser Katapult zu funktionieren. Das heißt, wir müssen den Sprung nicht nur irgendwie wagen, sondern ihn mutig und beherzt tun.

Katapult in was? Wie wäre es denn in die eigene Mitte? Ins eigene Authentischsein? Einen Katapult in unser wahres Wesen?...

Bevor man jedoch springt, sollte man nicht nur die gewünschte Richtung kennen, sondern auch ein wenig die eigene Motivlage dabei untersuchen. Und im Falle des Katapults in ein neues Jahr – das ein neues Sein anstrebt – heißt das wohl vor allem eines: Sich erst einmal klar werden über die Rollen, in denen man steckt. Schlimmer: regelrecht festgefahren ist. Noch schlimmer: Es nicht einmal bemerkt und bereits so zu seiner gewohnten Natur gemacht hat, dass man sich selbst mit der perfekt gespielten Rolle bereits verwechselt oder das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden kann. Ob dies in Beziehungen, Familien oder am Arbeitsplatz sich abspielt, ist unerheblich. Erheblicher ist das Maß der persönlichen Verleugnung des eigenen Wesens, das jedes Mal dabei geschieht… und Spuren hinterlässt.

Natürlich ist es günstig, recht gut in unserer Welt zu funktionieren. Es vermeidet eine Menge dummer Nachfragen. Auch mit dem Maß an drohendem Ärger, wenn man anders ist als andere, hält es sich in Grenzen, so man in seinem lang antrainierten Rollenverhalten nicht außer sich gerät. Was gut funktioniert sollte man also besser nicht verändern? Das gibt nur Unruhe, Unmut und Unwägbarkeiten? Durchaus… damit ist vor allem in einem Übergangsstadium zu rechnen. Zu glauben, so etwas ging bei jedem und immer nur leicht, ist naiv. Was also winkt denn als Lohn, wenn wir diesen Katapult wagen uns mehr als je zuvor selbst zu sein?

Die Lohnfrage ist ein Deal, der zunächst vielleicht bei manchem gar nicht aufgeht. Der Grund ist der Ablauf einer Veränderung und die Zeitschiene, die er für seinen Erfolg braucht. Verlasse ich eine angestammte Rolle, die schon zum Teil zu meinem eigenen Wesen geworden ist, ist die Umkehrung für unsere menschliche Umgebung in der Regel genauso wenig ein Zuckerschlecken wie für uns selbst. Man versteht uns nicht mehr, mag den Kopf über dieses oder jenes neue Verhalten schütteln, dass nun aber ganz und gar nicht angenehm ist. Vielleicht fällt jetzt so manches Kompliment weg und mehr Ehrlichkeit in so mancher Beziehung ist nicht immer auf Anhieb sympathisch. Zu häufig, dass dabei dann eben auch Unangenehmes ausgesprochen wird, für das man sich vorher lieber die Zunge abgebissen hätte. Man wollte und will nicht verletzen, keinem weh tun, ein „lieber Mensch“ sein …. Zugleich aber will man selbst nicht abgelehnt werden, keine harte Abfuhr erfahren oder einen unkalkulierten Streit riskieren, womöglich mit einem Gegner, der noch stärker ist. Das sind nur die Anfänge.

Springt man beherzt, braucht man Mut. Mut zu sich selbst, wie man wirklich ist. Das braucht ein gutes Sich-kennen und Zu-sich-selbst-stehen. Wie man aber ist, weiß man erst, wenn man springt. Dann öffnet sich das eigene Wesen wie ein nie erschauter Blütenkelch und lässt uns staunen und wundern, was da in uns alles noch verborgen ist und viel zu lange gedeckelt wurde.

Dieser Sprung, dieser Katapult ins eigene Sein, dass sich vom durchkalkulierten Wohlverhalten des alten Seins absetzt, braucht aber seine eigene, individuelle Zeitqualität. Die ist nicht immer gegeben. Man muss sich selbst nämlich gewachsen sein. Vorsichtig auszutesten, ob nicht ein Jahresneuanfang dafür ein guter, frischer Zeitpunkt ist, ist jedoch für so manchen eine gute Chance, die im Laufe des Jahres so manche Überraschung bringt.

Allen, die springen und sich in die Eigenfarben mehr und mehr bewegen, wünsche ich weise Menschen, die sie bei diesem wichtigen und schwierigen Sprung liebevoll und wissend unterstützen.

— 27. Dezember 2009
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