Jugendliche Exzesse

Sind Jugendliche brutal, egozentrisch und asozial?, fragt Christa Schyboll

Ja klar, sind sie das, wenn man bestimmten Bildern und Informationen gewisser Medien vertraut. Man braucht doch nur das Fernsehen einzuschalten. Ständig kommen Bilder hirnloser Brutalos über die Flimmerkiste, die uns in Großaufnahme zeigen, wie sie andere Menschen bestialisch zusammentreten und sie blutüberströmt liegen lassen, falls sie nicht mitleidslos den Tod mit ein paar heftigen Nachtritten auf den Kopf gleich mit in Kauf nehmen.

Und der Rest der Menschheit sitzt dann geschockt vor dem Fernseher und überlegt sich allen Ernstes, ob eine nächtliche U-Bahnfahrt zum eigenen Todesstoß werden könnte, angesichts gewalttätiger Jugendlichen, vor denen kein Entkommen ist. Würde man jetzt aber genauer hinschauen, so würde man sehen, dass unter den Geschockten auch 99,9 Prozent Jugendliche voll geschockt sind über das, was Gleichaltrige da tun. Aber diese Differenzierung unterbleibt in den Medien zu häufig. Es ist ein Dilemma, weil es falsche Bilder in vielen Menschen erzeugt, die selbst nicht imstande sind, eine so wichtige Differenzierung selbst vorzunehmen

Dabei lügen die Medien gar nicht immer, sondern zeigen "nur Sachverhalte“ auf, was ja auch ihre Aufgabe ist. Das Bild aber, das die "Sachverhalte“ vermitteln, ist geeignet, viele Menschen zu manipulieren, was ihr Bild von Jugendlichen angeht.

Jeder Erwachsene war auch einmal Jugendlicher. Das verdrängen viele. Manche dabei recht bewusst, weil so manche eigene Jugendsünde an ihnen klebt, an die sie lieber nicht mehr erinnert werden wollen. Gleichzeitig kommt die alter Leier, dass früher alles viel anders und besser war. Hier finden oft Romantisierungen statt, in denen die Vergangenheit zu einem gewissen Zerrbild wird, das andere Teile der damaligen Wirklichkeit ausblendet.

Gleichzeitig gibt es Probleme, die heute anders sind und auch Auswirkungen auf bestimmte Teile von Jugendlichen haben. Wer selbst psychisch labil ist, in einer sozial hochproblematischen Situation aufwächst, der er als Kind und Heranwachsender gar nicht gewachsen ist, viele Belastungen schon durch das Elternhaus mit in die Wiege gelegt bekommt, keine Möglichkeit der gesunden Kompensation hat oder findet, wird nach jahrelangem Training von täglich vielen Stunden Counter-Strike oder anderen Ego-Shootern durchaus ein anderes Sozialempfinden aufbauen, als jemand, der als Jugendlicher so lebt, wie es die heutigen Erwachsenen von der eigenen Jugend her kennen. Aber gibt es das noch, dass heute ein Jugendlicher das Leben von früher leben kann? Es dürfte sich um eine verschwindend kleine Zahl handeln. Dazu kommt, dass die Jugendarbeitslosigkeit – europaweit betrachtet - in früheren Jahrzehnten ebenso kein Problem darstellte, wie die nun sich immer schneller mischenden Kulturen, die aber aufgrund von sozial oft problematischen und unvergleichlichen Bedingungen. Gleichzeitig ist die Hirnwäsche in Bezug auf Konsum, den man sich aber nicht leisten kann, so enorm groß, dass der Respekt vor dem Eigentum anderer aufgrund dieser gezielten Manipulation auch immer mehr abhanden kommt. Sind das alles die Jugendlichen alleine schuld? Nein. Da kommt vieles zusammen, wie wir alle unsere Gemeinschaft gestalten. Viele Jugendliche haben es heute in vielem tatsächlich schwerer als früher, was anhand vieler individueller Einzelbeispiele sogar statistisch nachweisbar ist.

Doch diese teils erschwerten Bedingungen der Gegenwart sind kein Alibi für die winzige Gruppe jener Unmenschen unter ihnen, die eine ganze Jugendgeneration bei vielen Menschen in Verruf bringt. Das haben unsere Jugendlichen nicht verdient. Und ich wünsche mir öffentlichen Protest von Lesern, sobald sie auf Behauptungen über Jugendliche stoßen, die platt und falsch zugleich allgemeine negative Schlüsse vermitteln, die aber tatsächlich nur entartete Einzeltäter meint.

Solange wir als Gesellschaft es aber auch fahrlässig zulassen, dass durch Massenmanipulationen in subtilster Form einerseits die Konsum-Verführungen so enorm wirken dürfen und gleichzeitig nicht in der Lage sind dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche gesunde Grundbedingungen auch für Werte, soziale Stabilität und individuelle Förderung und Stärkung bekommen, müssen wir uns nicht wundern, dass die winzige Gruppe der Entarteten, die kein gesundes Sozialempfinden mehr in sich trägt, immer wieder auch einmal ausrastet.

— 13. Juni 2012
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