Kinder

Was haben wir Kindern denn noch zu bieten?, fragt Christa Schyboll

Jeder weiß: Kinder sind unsere Zukunft. Nicht nur und vor allem im mitmenschlichen und sozialen, auch im finanziellen, demographischen, demoskopischen, organisatorischen Bereich unseres Lebens.

Wir wissen: Zu wenig Kinder bedeutet die Frage: Wer wird, wenn wir alt sind, unser Land regieren, strukturieren, organisieren? Wer wird dafür sorgen, dass Millionen alter, behinderter und ganz junger Menschen eine menschenwürdige Versorgung haben, Pflege bekommen, Nahrung, Energie und ein Dach über dem Kopf? Um das zu gewährleisten, brauchen wir nicht nur genügend Kinder der Anzahl nach, sondern vor allem gesunde, tatkräftige, kreative Kinder. Wir brauchen keine jungen Erwachsenen, die schon in Massen mit 20 oder 30 quasi lebenslang pflegebedürftig sind oder sich nicht mehr selbst versorgen können, weil sie unter äußerst schwierigen Umständen sich nicht gesund entwickeln konnten. Sieht man sich die Steigerungsraten der letzten Jahrzehnte von hilfsbedürftigen Menschen weit vor dem Rentenalter an, hat man faktische Gründe genug, sich da durchaus Sorgen zu machen. Dass der Einzelfall hier natürlich zu unterscheiden ist, versteht sich von selbst.

Irgendwie ging es doch immer, werden Skeptiker sagen. Leute, die sich vermutlich mit dem Kinderproblem der Zukunft nicht beschäftigen, weil sie mit dem Hier und Jetzt schon völlig überlastet sind. Heute in der Morgenzeitung aber die neueste Meldung: Die Depressionen bei Kindern nehmen nicht nur zu, sondern sind dabei, sich zu einer Volkskrankheit auszuwachsen. Das ist dann nicht nur trauriges Schicksal derer, die darunter leiden. Sondern es ist ein Faktor, der massiv durch unsere menschliche Umwelt und Technik bestimmt ist. Diese Kinder kommen ja nicht depressiv zur Welt, sondern finden in den Familien und der Gesellschaft immer häufiger Strukturen vor, denen sie einfach als Kind schon nicht mehr gewachsen sind.

Dass Kinder unter anderem auch schon massiv unter Selbstwertgefühlen leiden, hängt natürlich mit den Auswüchsen unserer Leistungsgesellschaft zusammen. Wie viele Eltern geraten innerlich in Panik, wenn sie schon bei einem Zehnjährigen befürchten, dass er vielleicht das Abitur nicht schaffen könnte. Oh Gott! Das Leben schon mit zehn versaut! Da muss man Vorsorge treffen! Der Druck wird erhöht, das Kind spürt die Ängste und Sorgen der gut meinenden Eltern, die zu den Belastungen ständiger medialer Verführung nun noch einen weiteren Druck oben drauf setzen. Ein Teil der Kinder verträgt das gut. Aber der Teil, der krank, unglücklich oder gar schwer depressiv wird, wächst immer rasanter. Drogen, Koma-Saufen, abhauen… ja, unglückliche Kinder gab es schon zu allen Zeiten, auch welche, die sich früher schon betäubten. Aber das Maß von Betäubungen aller Art mit den neuen Formen von Druck ist enorm, weil eben auch neue Formen von Konzentrationsschwächung und ungesunder Lebensführung die ehemals natürliche Leistung eines Kindes herunter fahren können.

Schicken Eltern Kinder zum Spielen, weil sie sich vielleicht an ihre eigene Kindheit und die schönen Spiele erinnerten, so müssen nicht wenige feststellen: Viele Kinder können das gar nicht mehr. Sie haben keine Lust mehr dazu. Sind so bereits vom kindlichen Spiel abgeschnitten und gleichzeitig so unkonzentriert, dass quasi nichts mehr möglich ist. Da hilft dann nicht einmal mehr, den Strom für die diversen Medien zu kappen. Es ist schon krank - und keiner hat es so richtig bemerkt.

Nicht wenige Eltern und Ärzten greifen zu Medikamenten. Es mag auch in vielen schweren Fällen angezeigt sein. Aber das Problem ist ein anderes: nämlich die Zustände für Kinder wieder so zu verändern, dass es in dieser ungeheuren Masse erst gar nicht zu all diesen Schädigungen kommt. Und spätestens da wird die Mauer hochgezogen und die jetzt schon schlimmen Tendenzen werden verschärft. Beispielsweise durch Einführung von Computern in den Kindergarten. Es ist ein Wahnsinn, der dort immer tiefer greift. Aber wie immer werden sich Studie und Gegenstudie vorwerfen, wer da Recht oder Unrecht hat in Beurteilung und Wirkung auf ein noch nicht voll entwickeltes kleines Individuum. Immer wird es Fachleute und Wissenschaftler geben, die sich gegenseitig Inkompetenz um die Ohren schlagen. Doch gegen „ein“ Kriterium von gesund oder ungesund, menschunwürdig oder mangelnde Kindgerechtigkeit kann es keinen Einwand geben: Nämlich die nackten Zahlen der Erkrankungen, die die Not all der vielen Kinder und Jugendlichen wenigstens statistisch offenbart - auch wenn sie in ihrer Schwere nicht sinnlich nachfühlbar ist.

Wäre diese Not all dieser Kinder (und teilweise auch Eltern) von der gesamten Gesellschaft auch emotional oder körperlich nachfühlbar, würden die Spiel-, Lebens- und Lernbedingungen für Jugendliche sofort verändert! Da gäbe es kein Zögern!

Ist es am Ende fast schon "schade", dass wir all das Krankhafte, dass wir ständig produzieren, nicht auch alle unmittelbar und direkt erleiden müssen? Dann würden wir anders leben und andere Voraussetzungen schaffen.

— 07. Februar 2013
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