Sitzungen

Warum sich Menschen in Konferenzen suchen – von Christa Schyboll

Wer gezwungen ist, lebenslang wieder und wieder an zähen Sitzungen teilzunehmen, weiß um die verschiedenen Phasen, die einen dort ereilen können.

Dass jede Sitzung scheinbar unverzichtbar ist, versteht sich von selbst. Die Wichtigkeit der Themen, Tagesordnung und Kommunikation untereinander hat niemand in Frage zu stellen. Das Ganze dauert dann endlose Stunden und wird rituell begleitet mit Kaffee, Ansprachen, Aussprachen, Missverständnisse, Aufklärungen, Beschlüsse und manchmal Befehle, die als freundliche Bitten kaschiert daher kommen.

Und zwischen all diesem Tohuwabohu ist es oft gähnend langweilig. Dann hat man Zeit, sich kritisch die Fingernägel und die Kunst der eigenen Maniküre zu betrachten, kann flinke Männchen und dralle Weibchen auf Notizblocks malen oder den Versuch starten, sich daran zu erinnern, wie die korrekte Anatomie sehr kleiner Tiere sich zeichnerisch günstig umsetzen lässt. Wichtig ist, unbedingt ein interessiertes hellwaches Gesicht der Versammlung zu zeigen und den Blick wieder und wieder dem gerade Sprechenden zuzuwenden. Das gebietet die Höflichkeit sowie die Fortsetzung der eigenen Karriere.

Da man angesichts dieser Notwendigkeit eh hin und wieder in die Runde schauen muss, ist die optische Überprüfung der nun Versammelten gleich mit zu erledigen. Wer trägt was und warum gerade heute zur Sitzung? Sitzen die Strümpfe von Bella vernünftig zu dem kurz geratenen Rock und was ist mit Donnas aufgedonnerter Frisur? Lisa mit den neuen Botox-Aufspritzungen in der oberen Wangenpartie ist verdächtig kleinlaut, während Max den dicken Maxe neuerdings markiert. Dass er sich übers Unterabteilungsleiterchefbüro körperlich engagiert verdingt, ist offenkundig. Es wird ihn jedoch nicht wesentlich weiterbringen. Das legt sich alles, wenn man nur lange genug dabei ist.

Ist man das, wird man abgeklärt. Man hört zum Beispiel auch nur noch ganzheitlich bei Konferenzen hin. Man spürt durch feinste Vibration, ob ein einzelner Satz im Gehirn besser abgespeichert werden sollte oder ob das knappe Beschlussprotokoll am Ende vollkommen ausreicht. Viele Jahre hat man umsonst verschwendet, solchen Aussprachen tatsächlich zunächst Satz für Satz zu verfolgen, bis sich herausstellte, dass die beschlossenen Beschlüsse selten nur umgesetzt, gar wirklich ernst genommen werden. Allein dass sie beschlossen sind, ist die Sitzung wert. Sich daran zu halten wäre zuviel verlangt von einem System, dessen Flexibilität mit der von Kruppstahl zu vergleichen ist.

Verfügt man nicht über einen kultivierten Mangel an Phantasie, kann man diese unverzichtbaren Sitzungen, zu denen nur die Wichtigsten geladen sind, wohlfeil weiteren Meditationen widmen. Auch kann man sich sicher wähnen, später mit den üblichen Plattitüden durchzukommen, so man auf einzelne Tagesordnungspunkte angesprochen wird. Notfalls mit eindeutig gespielter Verwirrung dennoch ein bedeutsames Gesicht mit hochgezogenen Augenbrauen zu machen, in der Art, als hätte man gerade eine lebende Raupe im Salat entdeckt. Immerhin kann man auf die Vertraulichkeit bestimmter Passagen hinweisen, was einen nicht nur als Geheimnisträger auszeichnet, sondern zudem davor schützt, sich an Einzelheiten erinnern zu müssen. Das alles macht den fragenden Gegner, der doch nur seinen Karrierevorteil im Sinn hat, schnell mundtot, während bereits die eigene Phantasie schon wieder zu einem Zweitschlag fröhlich auszuholen bereit ist.

Wenn nun aber Sitzungen nicht wirklich dem betrieblichen Fortschritt dienen, was ist denn nun ihr geheimer Sinn?

Ich für mich habe herausgefunden, dass es sich häufig um eine Zusammenkunft von gelangweilten Menschen handelt, die damit hoffnungslos überfordert sind, in ihren Büros die Langeweile alleine auszuhalten. Zu diesem Zwecke trifft man sich dann gemütlich zu langwierigen Zusammenkünften mit endlosen Tagesordnungspunkten, Säften, Mineralwasser, da Gelangweilte sich einfach doch zu gerne in Gesellschaft mit Gleichgesinnten befinden.

Und was wäre da günstiger als eine nächste schnell anzuberaumende Konferenz?

— 18. Oktober 2010
 Top